#1

Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 31.07.2011 14:40
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Die Besucher des Richtsfestes traten dicht an das Bauwerk heran, das allen schon in seinen gewaltigen Grundfesten
als ein einmaliges Meisterwerk erkennbar war. Besonders auffällig aber war die Richtkrone, einer bis in den Himmel reichenden Säule aus Sandstein so aufgesetzt , dass keiner sie sehen konnte. Auffällig war sie durch unzählige
Plakate, die entlang einer Allee aufgehängt waren, an beiden Seiten mit Zypressen gerahmt, und direkt bis an das Fundament des Baues heranführten. Diese Plakate vermittelten den Eindruck, dass die Krone unsichtbar bleiben sollte, denn mit der Abbildungen der Krone waren sie das Symbol der unfassbaren Macht, die sie der Säule als eine Art Ausrufungszeichen aufgesetzt hatte. Das plakatierte Aussehen der Krone war so beeindruckend, dass viele aus den Besucherströmen vorübergehend in Ohnmacht fielen, gleich aber wieder erwachten, um gierig unaufhörlich die Plakate mit den Augen abzutasten. Doch die Krone war auf jedem Plakat die gleiche, es gab ja nur die eine. So war jedes Plakat zwar ein Unikat, weil jedes auf das vorherige folgende
alle Blick auf sich zog, aber es wirkte seltsam fremd, als wäre es das Einzige. So galt, dass jeder schon vergessen hatte, was er gerade gesehen.

Je näher die Besucher dem Bauwerk kamen, um so stärker wurden aufkommende Zweifel unter den Besuchern ausgetauscht, die in der Behauptung gipfelten, dass es eine solche Krone garnicht geben könne, denn eine solche Macht sei undenkbar, die eine solche Krone bis in den Himmel trüge. Aber der Bauführer versprach händeringend, dass es die Krone gäbe. Es gäbe ja die Macht, die sie auszeichne, das sei gewiss. Der Zweck des gesamten Bauwerkes könne sich ohnehin erst nach seiner Vollendung zeigen.

Inzwischen galt als ausgemacht, dass hier so gewaltig und hoch gebaut würde, damit alles überragt werde, was es bis dahin gegeben hatte. Es gab auch Gerüchte - allerdings nur unter der Hand -
dass der Bau die Erde aus ihrer Achse reißen werde. Aber der Bauplan sei sicher, so versicherte der Bauführer auf die ihm immer wieder zugeworfenen Fragen.

Auf dem Fundamentboden, der aus gegerbten Fischhäuten mit Olivenöl geglättet war, lagen die Bauarbeiter dicht beieinander, sodass sie keinen Raum zwischen sich ließen, wobei sie einen geschlossenen Flickenteppich mit ihren Leibern bildeten.

Einer der Besucher trat keck hervor und nah an den Bauführer heran, der darüber erschrocken einen Schritt zurückwich, und dabei einem der Bauarbeiter auf den Kopf trat, sodass der eine blutige Nase davon trug und schrie.

"Was machen die alle am Boden?"
fragte der Hervorgetretene. Der Bauführer setzte seinen Fuß vom Gesicht des Blutenden ab, und wies mit seinen starr auf die Bauarbeiter weisenden Armen, wobei er seinen Kopf himmelwärts richtete, als wolle er die unsichtbare Richtkrone um irgend etwas beschwören.

" Sie sind die Auslegware der ersten Wahl. Der Bauherr bevorzugt es weich zu gehen. Ist die Auslegware abgelaufen, dann wird sie gegen eine neue ausgetauscht, und immer so weiter."


Während der Bauführer antwortete hatten sich die am Boden liegenden Bauarbeiter um ein Viertel ihres Körperumfanges in ihrer Längsachse gedreht, und sahen mit verklärten Gesichtern auf ihren Bauführer. So im Liegen, stimmten sie dessen Ausführungen als ein nickender Chor von Köpfen zu. Gleich aber fielen sie nach kurzer Anstrengung zurück in das von ihnen gebildete Design des Teppich, das sie zusammen bildeten.

Schon kam die nächste Frage, die der Bauführer aber als unzulässig abtat. Denn warum wollten alle wissen, wer der Bauherr sei? Das es ihn gab sollte allen genügen, aber darauf mußten alle erst einmal kommen, ehe sie sich mit solcherlei Frage zurückhielten. Und nannte der Bauführer erst einmal seinen Namen, dann könnte ja die nächste Frage sein, warum denn ein solcher ein so hohes Haus brauche.

" Nein", sagte der Bauführer mit kaum hörbarer Stimme, sodass alle die Ohren spitzten, damit ihnen nicht schon das erste Wort entgehen würde, mit dem ja alles für die weitere Antwort entschieden sein konnte.
" Nein", wiederholte er jetzt überlaut, nachdem ihm beinahe die Stimme vor lauter Ehrfurcht vor etwas versagte, " man mag mir glauben oder nicht, beides wäre einerlei, aber über den Bauherrn lasse ich mich nicht aushorchen. Doch eines ist mir aufgegeben preiszugeben: wenn die Zeit gekommen sein wird, dann wird er
für sich selbst sprechen. Bis dahin hat er anderes zu tun, als zu den Tagesfragen von Besuchern seiner Baustellen Rede und Antwort zu stehen - Eine letzte Frage bitte?!


" Was geschieht mit der ausgewechselten Auslegeware?"
, insistierte der jetzt wieder in die Reihe der Besucherströme Zurückgetretene, so als ahnte er, dass er für diese Frage den Rückhalt aller Besucher haben müsse.

Das war zuviel. Jetzt war der Bauführer seinerseits hervorgetreten und schritt wie ein Feldherr die vordere Reihe der Besucher ab, als wolle er eine Inspektion vornehmen. In den hinteren Reihen der Besucher begann es zu munkeln, dass sich der Bauherr wahrscheinlich nie zeigen würde, weil es ihn garnicht gäbe. Bei einer zurückliegenden Baubesichtigung hatte man einen Anführer solchen Fragen sehr schnell dingfest gemacht.
Eine der Bauführergehilfen hatte ihn daraufhin angeschrien:

" Bürschlein, Bürschlein! Nimm Dich in acht! Ich sage Dir, solche wie Dich wird der Bauherr sich eines nahen Tages vonehmen, und zwar so und so!"


Dieser Brüllgehilfe machte eine Geste mit seinen Händen, so als wollte er ein nasses Handtuch auswringen, und jeder verstand, was er damit meinte. Alle schwiegen beeindruckt. Zuhause angekommen tuschelten die Besucher am warmen Ofen und kamen so zu eigenen Antworten.

Aber das war eine alte Geschichte aus alter Zeit von einem beinahe vergessenen Besuch bei einem nie fertig gewordenen drittrangigen Bauwerk. Jetzt war die " Neue Zeit" der Verklärung angebrochen, es galt das Neue Bauwerk zu bewundern.

Eine peinliche Pause war entstanden. Der Bauführer schwieg noch immer. So entstand der Eindruck, dass er keine Antwort auf die ihm gestellte Frage wußte. Das er nicht gleich antwortete konnte auch bedeuten, dass es ihm verboten war zu antworten. Aber jede Spekulation über die Möglichkeiten des Bauführers waren ja gegenstandslos, weil er schwieg.

In dieses andauernde Schweigen hinein begannen die Besucher jetzt mit den Füßen zu scharren. Das aber führte dazu, dass die " Auslegeware" vielstimmig zu murren begann. Dann verebbte das Scharren und Murren, als versiege plötzlich ein rebellischer Quell.

Eine anderen Gruppe galt das Gerücht, dass der Bauherr schon morgen käme, was aber massenhaft zurückgewiesen wurde mit der Behauptung, dass der Bauherr selber noch im Zweifel sei, ob er jemals kommen würde. Alle fanden sich jetzt feierlich in der Erwartung der Antwort. So ganz hatte noch niemand aufgegeben. Vielleicht selbst der Bauführer noch nicht.

Dann wie nach einem Regen überraschend der Donner, diesmal also anders als beim Wetter, vielleicht war es auch nur ein Echo:

" In diesem Fall ist mir aufgetragen den Besuchern zu sagen, dass der Bau noch nicht fertig ist. Doch zurück zur Frage: Natürlich kann sich jeder für sich ausmalen, dass eine abgetretene " Auslegeware" ausgewechselt wird.
Oder ist hier jemand unter euch, der das nicht weiß? Ich brauche also garnicht auf diese Frage zu antworten. Für jetzt gehen alle erst einmal auseinander und zurück in ihre Häuser. Die Vorstellung ist jetzt zuende."


Niemand schien von dieser Eröffnung des Bauführers wirklich überrascht, denn wie schon immer war die letzte Frage wieder unbeantwortet geblieben, so dass niemand wissen konnte, ob die Besucher die Antwort aus sich selbst wußten. Wie immer, wenn man die unzähligen Richtfeste besucht hatte, und sich nach der letzten unbeantworteten Frage friedlich trennte. Aber was erschreckte, ohne dass es an den Besuchern sichtbar wurde, das war die Selbsterkenntnis des Bauführers, dass er keine Antwort geben konnte, gleich aus welchen Gründen. Und sicherlich, bei den nächsten Einladungen für die neuen Richtfeste, würden alle wieder dabei sein. Denn die Fragen hatten ja Zeit bis zum Ende aller Richtfeste. Alle würden weiter warten. So hatte der Bauherr alle Zeit sich für eine Inspektion vorzubereiten. Ob es aber dazu kommen würde, dass hing an der Frage, ob es den Bauherrn gab. Denn in einer alten Schrift, die allen als verboten galt- verschollen war sie jedenfalls nicht -
stand geschrieben, dass der Bauführer selbst alles zugleich war: Bauführer, Architekt und Bauherr in einem. Wie würde er so auf unanständige Fragen antworten wollen, ja können? Dann aber hätte er die alte Schrift selbst auf den Index gesetzt, weil er sie selbst geschrieben hätte. Für diesen Fall mochte es einleuchten, dass der Bauherr
treu im Glauben mit sich selbst war, und nur an sich selbst glaubte. Keiner sollte ihm dann zunahe treten. Denn er konnte immer auf die unsichtbare Krone verweisen. Auch wäre damit bewiesen gewesen, dass es den Bauherrn mit ihm, den Bauführer wirklich gab, wenngleich man ihn nicht im Bauführer vermuten konnte. Das galt allen, die ihn verkannten, als tröstlich.

Warum also hätte der Bauführer seine Bemühungen auf eins Nichts zurückführen sollen, wenn doch von den Besuchern erkannt wurde, dass sie nur im Ungewissen, wenn nicht gar im Unwissbaren einen Trost fanden, der sie immer wieder zu neuen Besuchen bei den Richtfesten antrieb? Und so sehr die Besucher auch gegen die Behauptung des Bauführers aufbegehrten, so konnten sie doch nicht von ihm lassen, als einem, dem sie trotz seiner ständigen Mühen um sie nicht glauben konnten, weil er nicht entdeckte, dass allein die Besucher ihm galten, nicht aber seine ständigen Verstellungen, die sie im Ungewissen ließen. Beide, der Bauführer und seine Besucher langweilten sich längst miteinander.

So kam es schließlich zu einem Gesetz, wonach es sich nur lohnte für die Wahrheit im Glauben wenn nötig zu sterben oder aber in der Gewißheit nicht zu verstehen, sich dass Leben zu bewahren, um den Nachkömmlingen diese Gewißheit im Ungewissen zu sein, weiter zu geben, trotzdem der Bauführer sie dafür zur Rechenschaft ziehen konnte.

Ein Architekt aber, der nie eine der Richtfeste besucht hatte, verkündete eines Tages:

" Ja wißt ihr denn nicht, dass ihr es seid, die den Bauherrn mit der Macht antreibt, die ihn unermesslich hohe Bauwerke bauen läßt? Je höher er baut, um so mehr wächst diese Macht. Deshalb baue ich Höhlen tief in der Erde. Das hat den Vorteil, dass nichts aus dem Himmel niederstürzen kann, und so selbst den Ratten und Mäusen Zuflucht gewährt."


Darauf wurde er vom Bauführer vor die Wahl gestellt:

"Entweder diese Macht wird Dich töten oder Du verläßt Deine Höhle."

"Es gibt kein Entweder oder ein Oder", sagte der Architekt und verließ seine Höhle.

zuletzt bearbeitet 02.08.2011 11:36 | nach oben

#2

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 02.08.2011 18:00
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Mann ist das ein schwieriger Text, lieber Otto,

jeder, aber auch jeder Standpunkt wird sofort wieder erschüttert. Jede Aussage, jeder Zusammenhang als nächstes negiert. - Den Hoch- und Tiefbau interpretierst du auch mal neu.

Die in Ohnmacht fallenden Zuschauer erinnerten mich an Betrachter des Kölner Doms, die den Kopf in den Nacken gelegt die Erde küssen, kommt immer wieder noch mal vor.
Auch in Köln wurde ein Stadtarchiv durch diesen einstürzenden Tunnel erschüttert.

Du generierst einen Schreibstil für Erdbebenopfer mit Ergebenheit in ihr Schicksal, sich als fundamentale Auslegeware zur Verfügung zu stellen. Auszuwechseln nach einem Plan, den keiner kennt.

Und Fragen darfst du auch nicht. Nicht einmal die Energiekonzerne, wie es denn steht...

Seit wir die Höhle verlassen haben, stellen wir todbringenden Blödsinn an, ist es das was du zum Ausdruck bringen willst? Die Ratten werden die Architektur vllt übernehmen und den Rest von Zivilisation, wer weiß.


Noch mal zur Form: zu viele und rasche thematische Wechsel mit verwirrenden Wiederholungen, um den Text einem breiteren Publikum hinzusetzen. Der Autor muß schon anerkannt sein, der dem Leser das zumuten kann. Der Zeitgeist verlangt rasch eingängige Begrifflichkeiten, klare Gliederungen, Verknappung ist modern.

Persönlich mußte ich es zweimal lesen. Dann fing das an, mir zu gefallen, als eine Riesenparodie auf die widersprüchliche Berichterstattung über Katastrophen aller Art.

Vllt lag die Intention ganz anders. Aber das wäre nicht der Punkt. Leser sind frei in ihren Interpretationen. Besonders, wenn wie im vorliegenden Fall, der Kritiker dem Text Aktualität zugesteht und eine ernsthafte Aussage. Also zerreiß mich nicht. HG - mcberry

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#3

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 02.08.2011 20:04
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Nein Mc!
Zunächst danke ich Dir. Ich weiß, das Du weißt, dass eine Parabel ihrem literarischen Wesen nach, zwei Botschaften vermittelt.

Die eine ist, dass wir uns nach meiner Wahrnehmung in einer - wieder einmal- Phase der Verklärung befinden ( Wie in der Biedermeierzeit), Zeit also für die Reaktion nach einer Aufklärung.

Es nimmt auch einen Bezug zum vatikanisch Historischem,
in der Konotierung zwischen Wissen und Glauben. Giordano Bruno mußte, wollte für seinen Glauben sterben, wenn man ihm glauben wollte. Nicht so die Wissenschaftler aus dieser Zeit, die dies für unsinnig ansahen, wußten sie doch, dass sie ihr Wissen überdauern würde, weiter zu geben war. Warum sollten sie also abschwören ?

Die andere Botschaft ist der unausgesprochene Hinweis auf die Angst, Angst als das Werkzeug der Selbstgerechten,
der Propheten, die aus Machtkallkül missionierten ( sie missionieren ja immer wieder, und nicht nur als Missionare ihrer ihn geltenden Religion; Profit und Macht über andere halte ich für etwas Religiöses) sich selbst als eines Gottes Vertreter oder als Vorstandsmitglied zu edikettierten. Welche ungeheure politische Dimension solche Unternehmungen bargen bewies sich an Konstantin, der die Christianisierung
befahl, weil er die Gefahr für das römische Reich erkannte, die die Christen herauf beschworen.

Ich habe Bilder benutzt, die in biblische Geographie hineinreicht ( Zypressen, die Fischhäute, das Olivenöl: der Bezug zum Wort mit dem Menschenfischer von Christus). Der Titel ist doppelsinnig. Einmal dem Herrn zu dienen, dann, die Dienste, als gotisch architektonische Besonderheit der Gotik, den sakralen Bau zu stützen.

Die von Dir richtig erkannten Ambivalenzen der Besucher sind das Räsonieren im Glauben gegen das Ungewisse ( geboren aus der Angst abgewiesen zu werden von dieser sie beherrschenden Macht, und Entlastung zu finden im Trost eines alles lösenden Religionsprogramms; im19.jahrhundert war es einige Zeit die Technikgläubigkeit).

Du liegts ja richtig, heute war es bis vor kurzem der Glaube, dass die Kernkraftwerke sicher seien, uns den Energiebedarf leisten können).

Es geht mir um die Macht der Verführung, denn Angst verführt zum Wegschauen, Wegsehen, zum Verdrängen.

Ich bin der Einschätzung, dass wir dringend einer neuen Aufklärung bedürfen. Der Architekt am Ende der Parabel ist pragmatisch und schlau. Er weiß den Bauherren zu nehmen, erkennt ihn in seiner selbstverordneten Macht mit der Angst, mit der Angst der Besucher zu jonglieren, aber er verläßt- zum Schein- seine Höhle, sammelt seine Kräfte. Ein Wissender Freigeist wie Galilei es war, zurückgenommen, weil es seine Zeit verlangte, doch wach, ein Aufklärer zwischen den Ratten und Mäusen.

Wer sich als auswechselbar begreift, und nicht als einmalig und gleichwertig, der hat es nicht am Hut mit den Menschenrechten. Von denen haben wir wieder in unserer aller Republik. Denen wollen Fragen erspart bleiben und sollten Fragen nicht erspart bleiben.

Aber die Besucher sind im Aufbruch. Sie müssen sich zwar an die ihnen gemachten Vorgaben halten, doch der Zweifel lehrt sie, dass sie sich fragen wollen, wem sie und warum sie dienen. Schließlich denken sie soweit voraus,
dass der Bauherr zu einer Schimäre wird, wenn man ihn nicht mehr wahrhaben will und kann. Das läßt sein Bauwerk erzittern, es droht einzustürzen: eine vorrevotionäre Zeit ohne Utopie, aber mit der Vision selbst zu gestalten, zu partizipieren am Bau einer herrenlosen Gesellschaft, in der die Aussicht für das Menschenmögliche frei wird.

Das der Text nicht wie eine Zeitung quer zu lesen ist, das war mir klar. Ich hoffe es ist keine Zumutung in diesem Forum, wenn ich mich an seine Leser als einer wende, der nicht zu den schon bekannten Autoren gehört. Die Moderne in der Literatur war schon immer der Schnee von gestern. Sie erreichte die wenigsten in ihrer Zeit.

Danke für Deine Hinweise. Ich schreibe nicht nur Sonette und jahreszeitliche Stimmungsbilder oder Reflektionen
von autobiographischen Gefühlsblähungen. Aber der letzte Satz entbehrte ja jeder Grundlage, schriebe auch nur einer einen weiteren Kommentar neben Deinem, für den ich mich bedanke.

Warun sollte ich Dich zerreißen? Ich erkenne uns doch beide als solche unter den Baustellenbesuchern.

Liebe Grüße,

otto.
einen weiteren Kommentar neben Deinem im Forum

zuletzt bearbeitet 02.08.2011 20:20 | nach oben

#4

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 05.08.2011 09:38
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Zitat
Denn in einer alten Schrift, die allen als verboten galt- verschollen war sie jedenfalls nicht -
stand geschrieben, dass der Bauführer selbst alles zugleich war: Bauführer, Architekt und Bauherr in einem.



Hallo Otto,

In deinem letzten Kommentar ist der Architekt doch eine andere Person, die für sich alleine steht, und zu(un)guterletzt auftaucht. Das fand ich zwar verwirrend, andererseits darf man das natürlich, einen surrealistischen Touch hat der Text sowieso.
Der Aufbau fällt immer wieder auseinander, während der Leser nach festem Grund sucht. Das offensichtliche Problem des Textes macht zugleich seinen Reiz aus. HG - mcberry

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#5

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 05.08.2011 10:42
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Lieber Mc!

Wer sich selbst zum Herren macht, wird sich einmal aus Schuld verleugnen müssen, weil es sich als den Selbsterhöhten nicht mehr wahrhaben will. Er fällt also tief. Doch auch er war ja ständig auf der Suche nach einem Halt, der mächtig genug sein würde ihn zu halten, auf der Suche nach einem Gott in sich selbst. Doch in der unsicheren Selbsterkenntnis, dass es diesen Gott geben könnte, wendet er sich zugleich von ihm ab, ja bringt ihn um: Gott sein wollen und ihn auszuhalten ist zweierlei.
Die doppelte Ebene dieser subjektiven Wahrheit sieht noch anders aus. Es ist die ihm projezierte Angst seiner Besucher, die ihn antreibt in sich Gott zu suchen, Gott selbst zu sein. Auf Zeit übernimmt er so, wenngleich im Zweifel, die Verantwortung für die Besucher. Mit dem himmelwärts strebenden Gebäude und der von ihm selbst verfassten Schrift versucht er den Gottesbeweis zu erbringen. Er spielt einen zutiefst undemokratischen Gott,
der keine Ebenbürtigkeit neben sich dulden kann. Er spielt den Stellverteter von einem, den er selbst erschaffen hat.
Am Ende wird er selber der Besucher seines Baues sein müssen, das ihm zerfällt. Alle werden die Leere schauen, doch solcherlei Aufgeklärtsein wird schnurstracks erneut nach einer neuer Verhaftung in eine andere Institutionalisierung der Macht suchen und sich ihr hingeben wollen. Nach Kant kam Horkheimer, Adorno, die 68ziger. Sie alle zunächst Waisen als Dissidenten 1938. Sie wurden Kinder des Establischments der Bundesrepublik Deutschland.

Die Ohnmacht in uns erweckt die toten Götter, liebkosen wir sie nicht mit unserer Angst? Aufkklärung führte in den Faschismus, in erneute Unterordnung.
So konnte man nachträglich darauf hinweisen, dass man keine Befehle gab. Ja diese, die damals um Aufklärung wimmerten, flehten, die die Altforderen immer wieder fragten:

" Warum habt ihr das zugelassen?", sie bekamen stets die Antwort:
" Ihr seid ja nicht dabei gewesen".


Dann aber wurden auch sie selbst wieder Mörder, wehsehende Aufgeklärte, ihre Kinder aber führen heute selbstverantwortlich Kriege in anderen Ländern, immer noch auf der Suche nach einem einigenden Gott. Und lassen zu das getötet wird.
Meine Parabel führt also über die kantsche Beantwortung der Frage:

"Was ist Aufklärung? Aufklärung ist der Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ist das Unvermögen sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen" ...

... hinaus bis in. die Gegenwart und läßt Adorno und Horkheimer postulieren, dass die aufgeklärte Vernunft zur Unterwerfung alles Natürlichen unter das selbstherrliche Subjekt führe, also nicht, wie von Kant gewünscht moralisch,
sondern amoralisch sein kann. Kann!

Dazu im Kontext zu meiner Parabel weiter auszuführen führt an dieser Stelle zu weit. Ich gebe aber den Hinweis, dass ich beim Schreiben stets die Dialektik der Aufklärung im Visier hatte.

Hieraus ergibt sich eine Berichtserstattung,
die ständig im Widersprüchlichen, im augenblicklichen Zerfall von gerade angeführten Vermutungen und Behauptungsversuchen einmündet.


Das hast Du ja auch in dem Satz hervorgehoben:

" Der Aufbau fällt immer wieder auseinander, während der Leser festen Grund sucht."

Ja lieber Mc, ich begreife uns selbst als Besucher und Baumeister, als Suchende zugleich. Und begleitet der ständige Zweifel auf unsere Suche nach Gewißheit.

Liebe Grüße,

otto.

zuletzt bearbeitet 05.08.2011 17:30 | nach oben

#6

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 08.08.2011 12:29
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Mir war fast, als würde ich Kafka lesen. Selbstverständlich und ungeheuerlich zugleich, mit einem kritisch anklagenden Unterton.

Die Gesellschaft ist zerrissen, sucht nach Führung und lässt sich von selbstgemachten Tyrannen/Göttern treten. Was ist ein Gott? Ein Mächtiger. So kann jeder, dem Macht gegeben wird sich derer bedienen, die ihm huldigen.

Ist Otto ein Besucher oder vielmehr einer, der sich all dem entzieht; sich weder hinlegt, noch mitbaut, sondern lieber in seiner eigenen Höhle schläft?

lg,
Bärbel

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#7

RE: Die Dienste, eine Parabel

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 08.08.2011 13:11
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Ach welche Freude von meinem Entchen zu hören!

Möglich, dass einiges zu Deinen Fragen meinen Kommentaren zu entnehmen ist.
Du weißt ja, dass ich otto bin, doch natürlich, Kafkas Denken ist mir auch immer fremd, doch wert geblieben.

Ja, mich beschäftigt das Thema der Aufklärung im Diskurs von Schriftstellern und Philosophen, aktuell solche seit
Kant bis heute. Es sind die Äußerungen von Menschen, die ihre geistigen Expeditionen bis an ihre eigenen Grenzen trieben, wo sie ihren Staffelstab immer weiter an andere gaben, wenn sie nicht weiter kamen. Sie beeindrucken mich wegen ihrer subjektiven Freiheit zu denken. Da sind wir ja gleich mit dabei, wenngleich mit unterschiedlichen Ansätzen, die uns gelten und respektierlich sind.

Ich bin nicht der Baumeister, nicht der Architekt, nicht der Bauherr des Riesenbaus. Weit eher aber der in der Höhle, der sie listig zu verlassen sucht, doch aus Erfahrung weiß, dass er sich dennoch zu den Besuchern rechnen muß. Auch will und kann ich mich nicht zum Gott machen, noch ihn umbringen, gäbe es ihn denn auch für mich. Doch bin ich ja ein Geschöpftes,
das immer wieder voller Verwunderung Fragen ins ihm Ungewisse wagt, und vielleicht mit einer Neugierde des Denkens und des Beobachtens der unermesslichen Schätze aus sich selbst- etwa wie Alexander von Humboldt-
versucht Neuland zu betreten, ohne dass ich dessen Genie auch nur im Entferntesten besitze, nicht einsetzen kann, zu verstehen. Ich denke in meinem winzigen Käfig ( meiner Höhle), und wenn ich die freie Luft atme, dann
packt mich die Wanderlust und staune der Wunder. Kann ich denn ausschließen, dass wir beide viel näher beieinander sind, als wir erkennen?

Wo ich so wenig von Dir und mir wissen kann, so brauche ich die Toleranz, dass ich mehr erfahren kann, um
festen Grund zu finden, und nicht schon gleich dem Vorurteil verhaftet zu werden. So wird es wohl immer mit mir weiter gehen, bis es endet.

Im September treffe ich mich mit einem Freund in Weimar. Wir werden im Ilmpark das Goethegartenhaus besuchen, den Stadtfriedhof betreten, um die Särge von Schiller und Goethe zu schauen, ich werde aus "Eckermann`s Gesprächen mit Goethe" auf einer Wiese lesen, wir werden über die Zeit der Aufklärung sprechen.
Ach wärest Du nur dabei, wir sprächen unsere Verse.

Ich wünsche Dir und mir, dass Du wieder schwimmen kannst. Dein Teich ist ja so übervoll der bunten Versefische.
Immer wieder lese ich "Herzzeit", welch ein Zeugnis!

Dein Freund,

otto aus der Höhle.

Danke für Deinen Kommentar.

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