#1

Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.07.2012 08:49
von JimsKnopfloch (gelöscht)
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Es war an einem Samstag gegen Mittag.
Die Sonne strahlte und die Leute waren fröhlicher als sonst.
Ich hatte gerade meine Einkäufe auf dem Wochenmarkt erledigt und mir anschließend einen schönen Platz in meinem Lieblingscafé ergattert. Ich beobachtete vorbeiziehende Menschenmassen: Kinder, die ihre Eltern quälten, weil sie was Süßes wollten, oder weil sie keine Lust mehr auf die Einkaufstour hatten; Alte, die sich langsam, auf ihre Rollatoren gestützt durch die Stadt plagten und junge Menschen, die sich an den Händen hielten und sich verliebt in die Augen sahen.
Ich lehnte mich zurück und schloss entspannt die Augen- da hörte ich es:

Ein rasselndes, schleppendes Geräusch.

Es hörte sich an, als würde jemand in meiner unmittelbaren Nähe ersticken.
Ich öffnete die Augen, aber da war niemand.
Das Geräusch jedoch wurde lauter: Ein Zischen und ein tosendes Schnarchen.
Ich spürte etwas Nasses an meinem Fuß und blickte erschrocken herab.
Was ich nun sah, mag für den sensiblen Leser zu grauenvoll sein, daher bitte ich, in diesem Fall die Lektüre zu beenden und wieder die Glotze anzuschalten.
Für alle Anderen:
Zu meinen Füßen saß das grauenvollste Untier, das meine Augen je erblickt hatten.
Falten, wie durch tektonische Plattenbewegungen aufgeworfen, zierten die flache Schnauze des Wesens.
Aus großen schwarzen Augen glotzte es mich an.
Sein Körper war so kugelrund, dass die Beinchen unter dem massigen Körper kaum noch zu erkennen waren.
Es wedelte bedrohlich mit dem Schwanz.
Das Schlimmste jedoch war die Sabber, die aus seinem Schlund triefte- direkt auf meinen Armanischuh.
Ich überlegte einen Moment, ob ich schreien sollte, da erhob eine ältere Dame, die bis dahin nur unbeteiligt rauchend am Nebentisch gesessen hatte, das Wort: „Keine Angst, der beißt nicht.“
Mein rasender Puls beruhigte sich ein wenig. Das Untier hatte also einen Besitzer.
Aber im nächsten Moment triefte erneut eine Ladung Sabber von dem Tier.
Ich schrie auf: „Um Himmels Willen, so nehmen sie doch dieses Monster zu sich. Es glotzt mich an und es sabbert.“
Sie tat nichts dergleichen.
Stattdessen starrte sie mich an, wie ihr Hund es tat. Ihr Blick war jedoch empört: „Sie sind wohl kein Tierfreund, was? Na ja, nicht alle Menschen sind gut. Also komm Fiffi, mein kleiner süßer Mops, komm. Bei der bösen Frau hast du nichts zu suchen. Komm zu deiner Mama, mein Kleiner.“
Fiffi kam.
Er war wohl ein wenig zu fett, denn er vermochte es nicht aus eigenem Antrieb auf den freien Platz zu springen. Die Frau musste sich keuchend zu ihm herunter bücken und ihn unter Aufbringung all ihrer Muskelkraft auf den Stuhl neben sich setzen.
Ich dagegen war entsetzt. Hatte sie mich gerade wirklich als schlechten Menschen bezeichnet, weil ich Fiffis Sabber nicht auf meinem 500 € Schuh dulden wollte? Ich unterließ es, die Frau darauf hinzuweisen, dass ich mich seit zwanzig Jahren vegetarisch ernährte und auf diese Weise dazu beitrug, dass weniger Tiere geschlachtet wurden.
Statt mich um eine Antwort zu bemühen, beobachtete ich sie heimlich:
Sie stand Fiffi in Masse und Trägheit in nichts nach. Was bei Fiffi die tektonischen Falten um die Schnauze waren, war bei ihr ein dreilagiges Doppelkinn.
Ihre eigenen Falten verbarg sie unter einer zentimeterdicken Schicht aus Schminke.
Ich verzog angeekelt das Gesicht, als Fiffi über dieses braune, chemische Gemisch leckte und dabei ein Stück weiße, pergamentene Haut frei legte.

Der Ober kam und die Frau nahm ihre Bestellung auf: „Für mich bitte ein Jägerschnitzel. Und legen Sie es nicht direkt in die Soße, dann kann ich für meinen Fiffi auch noch was abschneiden.“
Sie nahm seinen Kopf und rieb ihre knollige Altweibernase an seinem sabbernden Gesicht.
Mir wurde schlecht und ich empfand tiefe Abscheu.

Einige Minuten später kam der Ober. Er platzierte das Jägerschnitzel mit einer eleganten Handbewegung vor der Frau und wandte sich ebenso galant wieder ab, um am Tisch dahinter zu kassieren.
Es trug sich zu, dass er bei der Wende, die er dabei vollführen musste, gegen Fiffis Stuhl stieß.
Mit einem quiekenden Geräusch fiel Fiffi von seinem Platz.
Einen Moment lang blieb er reglos liegen.
Angsterfüllt beugte sich die fette Frau zu ihm herunter: „Ja mein kleiner Butzemann, hast du dir weh getan?“ Aber Fiffi strampelte schon wieder.
Man erkannte es daran, dass die Strampelbewegung der Beine wellenartige Schwingungen in seinem Fettgewebe auslösten.
Ich konnte mir ein Kommentar nicht verkneifen: „Wie soll sich so was Fettes denn weh tun? Er ist ja wie in Butter eingelegt. Seien sie nur froh, dass er bei dem Aufprall nicht geplatzt ist. Wäre er auf meine Luis Vuitton Handtasche geplatzt, würde ich ihnen die vollen 1.200 € in Rechnung stellen. Und vielleicht ist er auch gar nicht vom Stuhl gefallen, sondern gesprungen. Ich bin mir ganz sicher, dass ich ein freudiges Quieken gehört habe. Es hörte sich an, als wäre ihr Fiffi ganz erpicht darauf gewesen, einen waghalsigen Sprung von dem Stuhl hier zu starten. Seien sie froh, mit dieser Bewegungseinheit hat er sicherlich seinen Grundumsatz verdoppelt, da schmeckt ihm ihr Jägerschnitzel gleich viel besser.“

Einen Moment lang war sie sprachlos, sie kniff ihre Äuglein zusammen, überlegte sich einen schlagfertigen Kommentar, aber sie fand wohl keinen.
Stattdessen sagte sie: „Sie sind ein Mensch, der wohl nie tiefe Liebe empfunden hat. Nicht wahr, mein kleiner Fiffi. Niemand liebt die böse Frau.“

Ich konnte nicht anders, als in schallendes Gelächter auszubrechen.

Vermutlich hätte ich die Frau und Fiffi vergessen, wäre nicht mein Mittwochsmeeting in der Kanzlei von 09.00 Uhr auf 08.30 Uhr vorverlegt worden und hätte ich mich an diesem Tag nicht gezwungen gesehen, bei meiner morgendlichen Joggingrunde den kürzeren Weg zu nehmen, der durch den Friedhof führt.
Da sah ich sie plötzlich wieder:
Sie stand vor einem frischen Grab, die Kränze und der Grabschmuck waren noch nicht verwelkt, das hölzerne Kreuz glänzte in der Sonne. Fiffi kauerte am Boden zu ihren Füßen.
Ich verlangsamte meinen Schritt.
Wenn sie nicht schimpfte, sah sie ganz anders aus. Menschlicher irgendwie.
Sie nahm eine Rose aus einem mitgebrachten Korb und führte sie an den Mund.
Einen Moment lang berührten ihre Lippen die Blütenblätter, dann legte sie die Rose auf die junge Erde zu den anderen Blumen und dem Grabschmuck.
Sie ging einen Schritt auf das Kreuz zu und streichelte über das Holz.
Ein zärtliches Streicheln. Wie man über den Kopf eines Kindes streichelt um es zu trösten, wenn es sich weh getan hat.
Als ich auf ihrer Höhe war, hob sie den Kopf.
Ich weiß nicht, ob sie mich im Joggingdress erkannte, jedenfalls konnte ich die Tränen auf ihren Wangen sehen.
Ich beschleunigte meinen Schritt wieder und lief an ihr vorbei. Aber so schnell ich nun auch lief, ein seltsames Gefühl hatte mich in Beschlag genommen, es nagte an mir. Es ärgerte mich.
Was war es nur?
Als ich die Türe meiner Penthousewohnung aufschloss, mir die Stille entgegenschlug, da traf mich die Erkenntnis unvorbereitet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel:
Die fette, faltige Fiffi-Fuchtel hatte im Gegensatz zu mir tatsächlich schon wahre Liebe erleben dürfen.

Ich ging zu meinem Meeting und verachtete mich von nun an selbst.

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#2

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.07.2012 12:23
von alba | 645 Beiträge | 720 Punkte

hallo jimskopfloch

das ist eine gute geschichte mit vielen interpretationsebenen. ein blick ins eigene herz ist
immer eine geschichte wert. menschen bedürfen verständnisvoller animalischer begleitung.

wegen mir mußt du dich nicht outen falls du auch vier beine hast. eher nicht weil du die alte dame zu entschuldigen geneigt bist. sie bezieht ein wehrloses haustier in ihre unsportliche lebensweise mitein und macht es zum gefangenen ihrer sentimentalität. selbst wenn sie noch ein testament zugunsten ihres mopses aufsetzt bleibt dessen leben ruiniert.

liebe kann zu flach geraten. vllt erlag ein anderer fetter diabetischer liebling kürzlich seiner herzerkrankung.
egal wie geschickt du charactere aufgebaut hast und wie unterhaltsam sich die story präsentiert. shit happens. miau alba

zuletzt bearbeitet 29.07.2012 12:28 | nach oben

#3

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.07.2012 14:34
von ugressmann | 942 Beiträge | 929 Punkte

Hallo JimsKnopfloch,
ich bin "eingetaucht" in deine Geschichte. Durch die Wahl deiner Worte hast du die Empfindungen deiner Protagonisten für mich erfahrbar gemacht und dankbar dafür bin ich wieder "aufgetaucht".
(mir bekannte Denkmuster habe ich gefunden und bin nachdenklich geworden)
frdl. Grüße
Uschi

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#4

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.07.2012 21:33
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo JimsKnopfloch,

auch mir gefällt das Spiel deiner Figuren um Eitelkeit, Vorurteile und Oberflächlichkeit der Betrachtung.

Als Botschaft lese ich die Haltung fraglosen Respekts, den wir Gefühlen anderer Wesen erweisen sollten.
Liebe kennt mehr Gewänder, als Beziehungen zwischen Zeitgenossen geknüpft werden, und ihre Farben
wechseln. Alles was existiert, hat seine Geschichte; auch Häßliches, für das wir nicht immer offen sind.

Längen fand ich in der Beschreibung des Untiers mit wiederholtem "grauenvoll" und "Glotze/n", das ginge kürzer
und prägnanter. Ansonsten stilsicheres handwerkliches Können in Aufbau und Präsentation der Story. Hg - mcberry

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#5

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 30.07.2012 10:39
von JimsKnopfloch (gelöscht)
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Hallo alba, Kara und mcberry,
danke für die Kommentare und die Kritik. Freut mich insbesondere, wenn die Botschaft angekommen ist.

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#6

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 30.07.2012 21:45
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

Konstruktive Kritik erwünscht?
Ich las bis zum 1 1/2 Absatz, bis dahin könnte ich...


_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
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#7

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 30.07.2012 22:09
von JimsKnopfloch (gelöscht)
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@ Gedichtbandage
Konstruktiv? vielleicht solltest du das Wort mal nachschlagen, Süße.
Aber bevor wir über den Sinn des Wörtchens "konstruktiv" in diesem Zusammenhang diskutieren:
"..." soll was bedeuten? Du könntest "...brechen"? Könntest "...schlafen"?
Also, bemüh dich wenigstens und halte was du versprichst!

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#8

RE: Straßencafé

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 30.07.2012 22:29
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

JimsKnopfloch-Süße, brauchst Streicheleinheiten?
... die musst Du Dir woanders holen.
Für Lektorat nehme ich in diesem "Ton-Fall" nur Cash. Thats life.

Bester Gruß!


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>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
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