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  • NerzhutDatum23.05.1970 21:06
    Thema von GerateWohl im Forum Arbeitshügel
    Nerzhut

    Mit eurem Herzblut färb ich mir
    ein rotes Käppchen für mein Haupt,
    ein roter Nerzhut aus Getier,
    das ich zu häuten mir erlaubt.

    So laufe ich umher im Schnee
    und stampfe Verse in den Grund.
    Das rote Blut von Hand bis Zeh
    ist nicht von mir. Ich bin gesund.

    Ihr spendetet es meinem Ohr,
    ich schmiere es nur schäbig rum
    auf toten Grund, der weiß erfror,
    denn Kälte macht die Erde stumm.

    Die Kopfbedeckung wärmt mich nicht,
    sie hält den Schädel nur gefasst,
    der in Gedanken das verbricht,
    was später dann mein Herz so hasst.

    Das Tier ist tot und friert nicht mehr,
    und ich, ich weiß nicht, was ich bin.
    sein Pelz wiegt voller Blut so schwer.
    Ihr seid verflucht und ich dahin.



    Aus dem Circus-Faden Herzblut.
  • ÖdeDatum23.05.1970 20:36
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Öde

    Die Erkenntnis ist am Zahnen:
    Große Ödnis bricht sich Bahnen,
    ganz egal ob du am Planen
    bist, demnächst groß abzusahnen
    oder gar schon am Ermahnen
    unterworfner Untertanen.

    Durch verbliebne Wüsten kranen
    sich noch müde Karawanen.
    Langgeweilte Schamanen
    reden über Leben auf der planen
    Überholspur leerer Autobahnen
    oder Kultur fairer Ururahnen.

    Und die Ödnis haucht dir Fahnen
    ihres Suffs in deine Atembahnen.
    Plötzlich wittern wir Platanen
    von Oasen, doch wir ahnen
    schon, hier wird nur Zeit vertan, denn
    das sind nur Fatamorganen.
  • Ich wär gern meine eigne FrauDatum23.05.1970 19:34
    Thema von GerateWohl im Forum Liebe und Leidenschaft
    Ich wär gern meine eigne Frau

    Ich wär gern meine eigne Frau,
    dann wär sie immer schön geschmückt
    und nebenbei genauso schlau.
    Ihr Blick auf mich wär stets entrückt,
    im Bette wär sie geil wie Sau.

    Sie hätte immer Zeit für mich
    und kochte nur das, was ich mag.
    Sie liebte mich an und für sich
    und zeigte mir das jeden Tag. -
    Ach, wenn sie mir nur etwas glich...

    Doch ist sie mir bizzar und fremd.
    Zu wenig gibt sie von sich preis.
    Und ich weiß nie, was sie so denkt,
    obwohl sie fordert, dass ich's weiß,
    die Läufe gegen mich gestemmt.

    So ist, was mir im Geist ein Fluss,
    ein Tröpfeln bloß auf harten Stein.
    Ich weiß, wenn sich was ändern muss,
    dann wird es nicht das Rinnsal sein.
    Komm, werde weich, mein harter Kuss.

  • RegenblindDatum23.05.1970 15:33
    Thema von GerateWohl im Forum Circus Lyricus
    Regenblind

    Du bist wohl abgekratzt
    als wir in Urlaub gingen
    Ein Rudel Krähen schmatzt
    schon, um dich abzusingen.
    Ein kleiner Fliegenschwarm
    fängt an dich einzukreisen.
    Der Auftritt ist echt arm.
    Was willst du uns beweisen.
    Kaum sind wir wieder da
    und stehn in deiner Tür,
    wird uns das Ausmaß klar.
    Wir hassen dich dafür.
    Du bist gestorben, weil
    es hier wohl keinen gibt
    der dich so tot am Seil
    erhängt noch jemals liebt.
    Dein ganzes Selbstmitleid
    hat für uns mit gereicht,
    so dass man's schwarz und breit
    von seiner Liste streicht.
    Das hast du nicht gedacht,
    dass wir da drüber stehn,
    dass es uns gar nichts macht,
    wir nicht zugrunde gehn.
    Du glaubst doch nicht, dass ich
    dir meine Trauer schenk
    und dass ich unterm Strich
    noch einmal an dich denk.
    Schon bald vergesse ich
    dass es dich einmal gab
    Du lässt uns nicht im Stich,
    du stichst dich selber ab.
    Der Sturm ich Wasserglas
    den deine Show entfacht,
    macht keine Augen nass,
    er wird nur ausgelacht.
    Wir drehn den Kopf im Wind
    so dass er günstig steht,
    dass er uns regenblind,
    die Tränen trocken weht.

  • RandlosDatum23.05.1970 14:50
    Thema von GerateWohl im Forum Ausgezeichnete Lyrik
    Randlos

    Kein naher Geist und Halt starb mir bisher.
    Die dunkle Nacht war somit für mich stets
    nur Sarkophag des alten Tags, bis der
    am Morgen neu erstand und mit "Wie geht's?"

    den nächsten los von seinem Bündel band,
    und in mein aufgewachtes Auge fiel.
    So hat für mich das Leben keinen Rand
    und, was ich reue, auch kein Ziel.

    "Wer schlägt den letzten Pflock zuerst zugrund?",
    frag ich, und habe Todesangst, danach
    zu hören, wie ein liebes "Ich" erstummt
    und so mir sagt, es werde nie mehr wach.

    Ich will es nicht erwarten, wie du mich
    entreißt der lähmenden Unendlichkeit!
    So formt der Pflock in meinem Leib den Stich
    und flechte ich ein Leben dran aus Zeit.

  • Das ultimative GedichtDatum23.05.1970 13:35
    Thema von GerateWohl im Forum Literatur
    Hallo allerseits,

    ich weiß nicht genau, wie es den anderen Usern im Moment geht. Die Gedichte, die in letzter Zeit eingestellt werden, sind teils feine, teils etwas belanglose Fingerübungen. Da schließe ich mich selber gar nicht aus. Ich sehe da zur Zeit kaum wirkliches Herzblut. Über die Ausnahmen will ich hier nicht reden. Die wissen das selbst am besten.

    Ich würde jedenfalls gerne mal wieder hier einen Text lesen, bei dem der Autor bei der Erstellung nicht nur dachte, "Ach, probieren wir mal das hier, und mal sehen wie wer darauf reagiert", sondern "Das ist jetzt mein ultimatives Gedicht, das an dem die Nachwelt mich messen soll, mein Aushängeschild, in das ich all meine Kraft und mein Können lege und mit dem ich in die Antologie der 100 tollsten Gedichte ever eingehen möchte."
    Ob es das wird, steht wahrscheinlich auf einem anderen Blatt, aber mir geht es um den Anspruch. Denn dann kommt sicher eher etwas Interessantes bei heraus als bei der ersten Variante.
    Nur so als Anregung.

    Grüße,
    GerateWohl
  • Prinzessin ElsebeeteDatum23.05.1970 12:42
    Thema von GerateWohl im Forum Märchen, Fabeln, Sci-F...
    Prinzessin Elsebeete

    In dem kleinen am Fuße des Rumpelbrockgebirges gelegenen Königreich Sumbinien lebte als einzige Tochter des herrschenden und gütigen Königs Lebertram die kleine Prinzessin Elsebeete. Elsebeete war als Lebertrams einziger Nachkomme seine sichere Thronfolgerin.
    Ihre Mutter, die einstige Königin Lakritza, hatte ihren Anspruch auf die Erbschaft des Thrones verwirkt, denn sie war vor sieben Jahren mit ihrem Masseur durchgebrannt. König Lebertram hatte sich seinerzeit insbesondere so sehr in Lakritza verliebt, weil ihr das ominöse Herrscherdasein recht wenig bedeutete. Er hatte sie nach ihrem gemeinsamen Kennenlernen binnen eines Jahres geheiratet. Als sie verschwand musste er halt feststellen, dass seiner Lakritza überhaupt kaum irgendwelche Dinge etwas bedeuteten. Nun war sie weg, hatte Krone, Kind und König verlassen und betrieb mit dem Masseur im Nachbarland Fangopa einen mäßig laufenden Wellness-Salon, bei dem sie selbst die beste Kundin war.
    Der gütige König weinte ihr keine Träne nach. Er hatte ja seine liebe Tochter Elsebeete.

    Elsebeete war im Grunde, trotz ihres Prinzessinnendaseins, einfach ein elfjähriges etwas übergewichtiges und auffallend unübermütiges Mädchen mit sehr starkem Mundgeruch. Sie aß für ihr Leben gerne Süßigkeiten, verabscheute das Zähneputzen und spielte am liebsten alleine mit ihren Puppen feine Damen bei Hofe.
    Natürlich konnte sie nicht die ganze Zeit nur essen und mit Puppen spielen, sondern musste auch täglich am anstrengenden Prinzessinnenunterricht teilnehmen, bei dem sie lernen sollte, was man als Königstochter und Thronfolgerin alles wissen musste und wie sie sich als solche zu benehmen hatte. Sie ließ die Stunden über sich ergehen, all die Übungen im Reiten, im Fechten, in gutem Benehmen und den nicht minder trockenen Unterricht über Politik, Recht, Literatur und Geschichte Sumbiniens, ebenso wie die regelmäßige Schelte ihrer Lehrer über Elsebeetes Unaufmerksamkeit. Einzig manche Lektionen in Hofetikette ließen sie gelegentlich aufhorchen, weil sie diese Teile davon gerne in das Spiel mit ihren Puppen einfließen ließ. Aber meistens waren ihre Puppen bei ihrer Spielerei damit beschäftigt, Süßigkeiten zu verspeisen, ebenso wie sie selbst in Wirklichkeit, nur dass die Puppen dadurch nicht dick wurden, sondern schlank blieben und sich dabei über geistige Schöpfungen seltsamster Pralinen und anderer Leckereien unterhielten. Ihre Puppen brauchten sich ebenfalls nie die Zähne zu putzen und dufteten jederzeit famos nach edelsten Essenzen. Zumindest sagten die Puppen das in Elsebeetes Fantasie unentwegt zueinander.
    Elsebeete selbst stank mittlerweile, wenn man das über eine Prinzessin überhaupt so sagen darf, bestialisch aus dem Rachen, da sie, wie sie selbst gegenüber ihren Kindermädchen, Lehrern und ihrem Vater beteuerte, einfach nicht zum Zähneputzen kam. Abends war sie halt zu müde und morgens konnte sie es einfach nicht erwarten, zum Frühstück zu eilen. Am Frühstückstisch verbrachte sie so viel Zeit, dass sie anschließend gleich zum Prinzessinnenunterricht hetzen musste. Sobald der am späten Nachmittag beendet war, verlor sie keine Zeit, geschwind zu ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Spielen zu gelangen.

    Der König, machte sich große Sorgen. Nicht darüber, dass seine Tochter schlechte Zähne bekommen könnte. Er und sie waren zufälligerweise von Natur aus mit einer optimal kariesresistenten Mundflora gesegnet, wodurch trotz mangelnder Zahnpflege keine Gefahr löchriger Zähne bestand. Das verhinderte aber bei Elsebeete weder Zahnbelag noch Mundgeruch. Nein, der König war besorgt, weil er mittlerweile sehr alt war und er fürchtete, wenn seine Tochter sich nicht bald besänne, ihren Mund reinigen und den Unterricht etwas ernster nehmen würde, sie nicht rechtzeitig zu seiner Nachfolgerin reifte und außerdem später keinen Mann fände. Mittlerweile wagte es aufgrund des Mundgeruchs kaum noch jemand, sich der Prinzessin auf näher als drei Meter zu nähern. Aber das war Elsebeete egal, denn sie bemerkte es nicht.

    Erst als ihr Vater sich eines Abends nach langer Zeit zwingender Regierungsgeschäfte mal wieder Zeit für sein Kind nehmen wollte und beim Versuch, ihr einen Gutenachtkuss zu geben, sich ihrem Mund so gefährlich näherte, dass er das Bewusstsein verlor und davon nicht wieder aufwachte, sondern noch in derselben Nacht starb, da war Elsebeete sehr erschüttert. Es tat ihr unglaublich leid, was mit ihrem Vater geschehen war. Sie fühlte sich schuldig. Und im nächsten Moment erfüllte diese Erschütterung sie mit einer unglaublichen Entschlossenheit, ihr Leben zu ändern und das Erbe ihres Vaters würdig in die eigenen Hände zu nehmen. Sie hätte am liebsten am folgenden Tag auf einmal sämtliche verträumte Prinzessinnenstunden nachgeholt. Aber das ging ja nicht. Das wäre zu viel, selbst für eine entschlossene Prinzessin, gewesen.

    Doch sie suchte den Weg zum obersten Berater ihres Vaters und fragte ihn, was sie nun, da ihr Vater verstorben sei, tun müsse. Der Berater, Intrigidius, war ein sehr gebildeter Mann und der König hatte sich stets auf seine Einschätzung verlassen. Als sie ihn ansprach, gab er ihr zunächst eine Gegenfrage zurück. Dabei hielt er sich drei Meter von ihr entfernt und ein Taschentuch vor seine Nase. Doch er sprach sie als erster mit ‚Eure Hoheit’ an, was Elsebeete ein wenig erschrak. Er sagte: „Eure Hoheit, wollt Ihr die gemäß des Gesetzes unseres geliebten Landes Sumbinien Euch zustehenden Amtswürden Eures Vaters übernehmen?“
    „Ja, klar. Das will ich.“ antwortete Elsebeete.
    „Gut“, sagte Intrigidius, „Dann müsst Ihr nicht zuletzt etwas gegen Euren Mundgeruch tun.“
    Nun schwieg Elsebeete das erste Mal bei der Erwähnung dieses Themas und brachte nicht ihre übliche Ausrede, dass sie nicht dazu komme. Sie fragte nur: „Was muss ich tun?“
    Der Berater des toten Königs erklärte: „Ihr müsst, um Euch des Amtes Eures Vaters würdig zu erweisen, drei Prüfungen bestehen.“
    „Drei Prüfungen?“ fragte Elsebeete lächelnd mit großen Augen, „So wie in einem Märchen?“
    „Äh ja, wenn du so willst, wie in einem Märchen.“ Intrigidius räusperte sich. „Also, die drei Aufgaben sind folgende.“ Die Prinzessin lauschte gespannt.
    „Erstens, du musst einen Hund vor dem Ertrinken retten. Zweitens, du musst einer armen Familie ein feines Essen zubereiten. Und drittens musst du die Zahnfee finden.“
    Elsebeete nahm diese Sätze einfach so hin und nickte bei allen Worten beflissen mit dem Kopf, als sei ihr Hals eine leiernde Sprungfeder. Intrigidius beugte sich ein wenig vor in ihre Richtung, bedeckte auch den Mund mit dem Nasentuch und sprach mit verschwörerisch tiefer Stimme: „Alle Aufgaben müsst Ihr außerhalb des Schlosses erledigen und zudem inkognito.“
    „Was heißt inkognito?“ fragte die Prinzessin jetzt.
    Intrigidius schloss kurz die Augen. „Eure Majestät war wohl nicht immer ganz aufmerksam bei den Prinzessinnenlektionen.“ Er wusste, dass das eine gelinde Untertreibung war. „Das heißt, Ihr verkleidet Euch als einfaches Mädchen und dürft zum einen draußen niemandem erzählen, dass Ihr die Prinzessin seid, zum anderen hier drinnen niemandem, was ihr vorhabt. Wenn Ihr alles erfolgreich erledigt habt, kommt Ihr zurück und werdet zur Königin gekrönt.“
    Die Augen der Prinzessin leuchteten. „Ja, das werde ich machen. Ich werde noch vor dem Frühstück aufbrechen! Als erstes suche ich die Zahnfee.“
    „Nein. Das geht nicht.“ Der Berater schüttelte den in dem Taschentuch steckenden Kopf und hob den freien Zeigefinger. „Ihr müsst die Aufgaben genau in der genannten Reihenfolge lösen. Und seid dankbar dafür, denn die Suche nach der Zahnfee ist bei weitem die schwierigste von allen. Die erledigt Ihr wirklich besser am Ende. Ihr werdet sehen.“
    „Gut. In Ordnung.“ Sie nickte ein letztes Mal und schritt in Richtung ihrer Gemächer. Dabei rief sie dem Berater noch zu „Vielen dank Euch, Intrigidius. Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich werde alles so machen und bald zurückkommen.“ Intrigidius blinzelte zufrieden.

    Elsebeete rannte in ihr Zimmer, um zu packen. Sie war fest entschlossen, alles richtig zu machen. Sie würde auf jeden Fall nicht ihre höflichen Puppen mitnehmen. Die Zeit des Spielens war vorbei. Sie hatte begriffen, dass ihr Vater nicht ewig leben würde, wenn auch erst, als er schließlich endgültig damit aufgehört hatte. Aber besser spät als nie.
    Beim Durchforsten ihrer Schränke fiel ihr auf, dass sie gar keine einfachen Kleider besaß, mit denen man sie nicht als Prinzessin erkannt hätte. Als sie sich heimlich zur Küche stehlen wollte, um eine der Uniformen der Dienstmägde zu stibitzen, da stolperte sie vor ihrer Tür fast über einen einfachen lumpenen Überwurf und einpaar abgewetzte Pantoffeln. Die Sachen hatte wahrscheinlich Intrigidius, die treue mitdenkende Seele, dort für sie bereit gelegt. Sie warf sich den Lumpen über, schlüpfte in die Pantoffeln, kämmte sich noch die königlichen Locken aus ihrem Schopf, wischte sich den königlichen Puder aus dem Gesicht und schlich sich über den Schlosshof und dann direkt über die Dienstbotenzugbrücke hinaus.
    Draußen angekommen war sie sehr stolz auf sich. Sie hatte ihr verspieltes Leben hinter sich gelassen und sich den neuen Herausforderungen mutig gestellt. Nun müsste sie nur noch die ihr auferlegten Aufgaben erledigen. Dann wäre sie eine würdige Königin. Dieses Wissen gab ihr Zuversicht und ließ sie ihre bisherige Nachlässigkeit vergessen.

    Sie war mittlerweile auf einem Waldweg angekommen, brach von einem herab gefallenen Ast die kleinen Zweige ab und nahm ihn als Spazierstock. Munter pfeifend schritt sie voran.
    Sie suchte also nach einem Hund, einem ertrinkenden Hund. Wo könnte sie den finden? Diese Überlegung brachte sie auf die Idee, erst einmal ein Gewässer zu finden, denn wo findet man nicht eher einen ertrinkenden Hund als in einem See oder Fluss?
    Sie kannte zwar keinen Fluss, aber sie kannte einen See, den Schnarpeltropfsee, südöstlich den Schlosses. Nach zwei Stunden war sie dort angekommen und begann an seinem Ufer entlang zu laufen. Irgendwann traf sie auf diesem Weg einen spaziergehenden Herrn mit seinem angeleinten Hund, einer zotteligen Promenadenmischung. Der Garderobe des Mannes konnte sie nicht entnehmen, was er von Beruf war. Er war sehr einfach gekleidet, aber sauber, trug ebenso wie sie keinen Hut, wirkte aber dennoch stattlich. Sie sprach ihn an.
    „Entschuldigen Sie, mein Herr, würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich Euren Hund mal eben vor dem Ertrinken rette?“
    Glücklicherweise herrschte gerade Gegenwind, der ihr ins Gesicht pustete, so dass der Mann nicht ihren Mundgeruch so stark wahrnahm. Dennoch rümpfte er ein wenig seine große adlerschnäblige Nase, antwortete aber dennoch freundlich: „Junge Dame, vielen Dank für das liebe Angebot, aber wie Ihr vielleicht seht, ist mein Hund gar nicht am Ertrinken. Er hat keine Flöhe und aß sich erst vor einer Stunde satt. Somit könnt Ihr, fürchte ich, gar nichts für ihn tun.“
    Das sah Elsebeete ein. „Hm. Das stimmt. Das ist ja sehr schön für Ihren Hund. Dann muss ich wohl weiter suchen.“
    Der Mann wurde neugierig. „Sagt mal, wonach sucht Ihr denn? Nach einem Hund, den Ihr vor dem Ertrinken retten könnt?“
    Ja, genau“, antwortete Elsebeete etwas niedergeschlagen.
    „Hm. Ist das so eine neue Art der Freischwimmerprüfung? Seltsam, seltsam.“ Der Mann schüttelte mit dem Kopf.
    Elsebeete kam eine Idee. „Guter Mann, Ihr könntet doch vielleicht Euren Hund ins Wasser werfen, und ich könnte ihn dann retten. Wie wäre das? Würdet Ihr das für mich tun?“
    Der Mann kratze sich kopfschüttelnd am schütteren Haarkranz und meinte: „Junge Dame, Ihr habt wirklich seltsame Gedanken. Ich muss Euch enttäuschen. Selbst, wenn ich das täte, bräuchtet Ihr ihn nicht zu retten. Mein Hund kann hervorragend schwimmen.“
    Elsebeete dachte kurz nach. „Wir könnten ihm die Beine fesseln, dann könnte er nicht mehr schwimmen.“
    Nun wedelte der der Herr regelrecht verneinend mit seiner Nase wie der Hund neben ihm mit seinem freudigen Schwanz. „Nein, nein. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Und jetzt hab ich mal eine Frage an Euch, kleines Fräulein: Könntet Ihr denn überhaupt schwimmen, um ihn zu retten?“
    Elsebeete sah nun verdutzt drein. Nein, konnte sie nicht. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie schüttelte den Kopf.
    „Dann gebe ich Euch einen guten Rat“, sagte der Herr, „Wofür auch immer diese Aufgabe, einen Hund vor dem Ertrinken zu retten, gut sein soll, ich glaube fest, ihren Sinn erfüllt Ihr nicht, indem ihr zuvor ein liebes Tier fesselt und in so hilflosem Zustand ins Wasser werft – erst recht nicht“, und jetzt hob er wieder den Zeigefinger, „wenn Ihr dann feststellt, dass Ihr ihn gar nicht retten könnt.“
    Jetzt fing Elsebeete an zu weinen. Der Mann hatte völlig recht mit seinen Worten. Sie würde die Aufgabe wohl nie lösen können. Und das war nur die erste und einfachste von allen. Was sollte nur aus ihr werden. Was sollte nur aus dem Königreich werden, wenn es keinen neuen König gab. Wenigstens darauf hätte sie eine Antwort haben können, wenn sie im Recht- und im Politik-Unterricht besser aufgepasst hätte. Hatte sie aber nicht. Bei dem Gedanken musste sie gleich noch mehr heulen.
    Der Mann hatte Mitleid mit ihr, hockte sich vor sie, legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte: „Kleines Mädchen, mach dir keine Sorgen. Vielleicht nimmst du die Aufgabe auch zu wörtlich. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wirst du schon wissen, was zu tun ist. Eine gestellte Aufgabe sollte nie unlösbar sein. Wenn sie es wäre, wäre sie sinnlos, und dann wäre sie gleichgültig. Wenn sie aber nicht sinnlos ist, und so ernst wie du sie nimmst, scheint sie es nicht zu sein, dann ist sie auch lösbar. Übrigens, du solltest dir mal die Zähle putzen. Du hast ziemlichen Mundgeruch. Mir ist schon ganz schummerig.“
    Elsebeete hörte auf zu weinen, hielt die Luft an und schaute den Mann an und nickte mit einem stummen vertränten Lächeln.
    Da sagte der Mann noch: „Viel Glück, kleines Fräulein“, stand auf, rief seinen Hund und ging weiter.

    Elsebeete schritt sogleich zum Ufer des Sees, hockte sich an einer Uferbefestigung in das Gras, schöpfte mit den Händen Wasser aus dem See und wusch sich das verheulte Gesicht, auch spülte sie sich den Mund aus. Sie rupfte ein Büschel Grashalme aus dem Boden und begann sich damit die Zähne zu reiben. Plötzlich hörte sie direkt hinter sich ein lautes Bellen, was sie so erschreckte, dass sie vornüber in das Wasser plumpste. Das Wasser war an der Stelle zu tief zum Stehen und durch ihr Strampeln und Armrudern trieb sie nur noch mehr vom Ufer ab. Sie konnte noch wahrnehmen, dass am Ufer ein Hund stand, ein Collie genauer gesagt, der sich wohl an sie angeschlichen hatte oder zufällig vorbei gekommen war. Jetzt sprang der Collie ins Wasser, schwamm auf sie zu und packte sie, was sie kaum noch mitbekam, mit den Zähnen am Stoff ihrer Kutte und zog sie halb bewusstlos ca. 50 Meter weiter ans flache Ufer.
    Als sie wieder zu sich kam, leckte der Hund ihr Gesicht. Sie setzte sich benommen auf und überlegte was soeben geschehen war. Der Hund hatte offensichtlich sie vor dem Ertrinken gerettet. Konnte das ein Zufall sein? Hatte das etwas mit ihrer Aufgabe zu tun? Wieder stellte sie sich einen Haufen Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Das nervte sie mittlerweile. Langsam würde sie mal anfangen müssen, selbst einpaar Antworten zu geben. Ein Funken der Entschlossenheit, mit der sie den Tag begonnen hatte, kehrte zu ihr zurück.
    Vielleicht war es genau das gewesen, was der Berater ihres Vaters meinte. Der Herr mit dem anderen Hund meinte ja, vielleicht war die Aufgabe nicht ganz so wörtlich gemeint. Vielleicht hatte sie die Aufgabe auch nur verkehrt herum verstanden.
    Ihr Magen begann in diesem Moment zu knurren. Langsam bekam sie auch Hunger, was sie zusätzlich zu der Entscheidung veranlasste, die erste Aufgabe nun als erledigt zu betrachten und sich der nächsten annehmen zu können. Sie stand auf, streichelte den Collie über sein langes nasses Fell und bedankte sich bei ihm, woraufhin er zweimal freudig bellte und fortrannte.
    Elsebeete machte sich auch auf den Weg, diesmal fort vom See. Nun musste sie einer armen Familie eine feine Mahlzeit zubereiten. Dieser Gedanke verschaffte ihr nun auch gewisse Sorgen, denn sie konnte ebenso wenig kochen wie schwimmen, und sie war sich ziemlich sicher, dass diese Aufgabe nicht so zu interpretieren war, dass sie sich von den armen Menschen verköstigen lassen sollte.

    Sie gelangte an ein kleines Bauerndorf, bei dem sie sicher sein konnte, zumindest bezüglich armer Leute schnell fündig zu werden. Die Häuser, die eher kleine Hütten waren, sahen wirklich sehr kärglich aus. Elsebeete hatte hier auch weniger Befürchtungen, wegen ihres Mundgeruches schlecht aufzufallen. Denn im gesamten Dorf schwebte ein recht strenger Duft umher. Die Leute, die vor ihren Häusern ihre tägliche Arbeit verrichteten, grüßten Elsebeete freundlich. Sie grüßte zurück und schritt schließlich auf die ärmlichste der ca. 20 Behausungen zu. Diese sah noch nicht einmal wie eine Hütte, sondern eher wie ein Schuppen und zudem recht verlassen aus, aber sie hörte Kinderstimmen darin sprechen und lachen. Elsebeete faste sich ein Herz und klopfte an die Türe. Eine relativ junge aber recht runzelige Frau in noch ärmlicheren Lumpen als sie selbst, öffnete umringt von einer Schar ebenso belumpter Kinder jeglichen Alters öffnete und fragte sie hustend und leicht verschüchtert, was sie wolle. Elsebeete sagte gerade heraus: „Ich möchte Euch und Eurer Familie eine feine Mahlzeit zubereiten.“ Die Frau seufzte hoffnungsvoll und die Kinder begannen alle durcheinander zu schreien „Ja, ja. Essen! Essen! Eine Mahlzeit! Au ja!“ und zu tanzen. Sie packten Elsebeete bei den Händen und tanzten um sie herum. Die arme Frau fragte sie dann: „Äh danke vielmals. Aber woraus wollt Ihr eine Mahlzeit kochen? Wir haben seit Tagen nichts im Haus.“ Das war Elsebeete nun sehr, sehr peinlich. Sie hatte sich zwar vergegenwärtigt, dass sie nicht kochen konnte, aber dass sie überhaupt keine Nahrungsmittel bei sich hatte, um die arme Familie zu ernähren. Daran hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Sie wurde rot und antwortete ehrlich: Ich habe gar nichts bei mir.“ Die Frau, die Kinder und Elsebeete ließen enttäuscht den Kopf sinken. Da blickte die Frau auf und meinte: „Gutes Mädchen, heute Nachmittag werden wieder Almosen am Schloss des Königs an die Armen verteilt. Ich kann leider nicht hin, weil ich krank bin, aber wenn du gehen könntest, hätten wir etwas zum Kochen da.“ Elsebeetes Augen begannen zu leuchten. Warum ist sie da nicht gleich drauf gekommen. Sie könnte ja einfach zum Schloss gehen und etwas holen. Sie war ja schließlich die Prinzessin, ja, bald sogar die Königin. Inkognidingsda hin oder her. Sie würde dafür sorgen, dass diese Familie, ach, dieses Dorf bekocht würde, ja, und zwar durch sie. Irgendwie halt. „Ja, gute Frau, ich bin gleich wieder zurück.“

    Sie drehte sich um und sprang vergnügt in Richtung Schloss. Die Kinder winkten ihr hinterher und riefen: „Auf wiedersehen, liebes Mädchen!“ Die Frau winkte und hustete.
    Beim Anblick dieser armen Leute war Elsebeete ihr eigener Hunger vergangen. Sie rannte und rannte bis sie das Schloss von weitem erspähen konnte. Da wurde sie langsamer und stolzierte gemessenen Schrittes auf die Zugbrücke zu. Eine der beiden Wachen rief ihr schon von weitem entgegen „Halt, wer da?“
    „Ich bin es, Prinzessin Elsebeete, Eure angehende Königin!“ rief sie zurück und schritt auf ihn zu. Die andere Wache sagte darauf: „Nein, das ist nicht möglich. Prinzessin Elsebeete ist gestorben. Aus Gram über den Tod ihres Vaters hat sie sich von der Zinne in den Burggraben geworfen und ertränkt.“
    Elsebeete blieb perplex stehen. „Das ist doch Quatsch. Wer sagt denn so was?“
    Die erste Wache antwortete: „Ihre Majestät, unser neuer König Intrigidius I. hat es mit eigenen Augen gesehen.“
    „Und er hat uns befohlen“, fuhr der andere fort, „Alle kleinen Mädchen, die sich dem Schloss nähern und sich als Prinzessin Elsebeete ausgeben sofort zu töten oder in den Kerker zu werfen.“
    Elsebeete traute ihren Ohren nicht. Ein Komplott. Der Berater ihres Vaters hatte sie betrogen. Er wollte sie nur loswerden, um selber König werden zu können. Die drei Prüfungen hatte er sich nur ausgedacht, um sie möglichst lange vom Schloss fern zu halten. Und dabei hatte er wirklich keine Zeit verloren. Noch am selben Tag hatte er sie offenbar für tot erklären lassen und eigenfüßig den Thron bestiegen. Sie kochte vor Wut. Versäumter Prinzessinnenunterricht hin oder her. Das hätte ihr nicht passieren dürfen. Elsebeete hielt die Luft an. Die beiden Wachen kamen jetzt mit gezogenen Schwertern auf sie zu. Als der erste direkt vor ihr stand und mit dem Schwert ausholte, hauchte sie ihn kräftig an, worauf er ohnmächtig zusammenbrach und dabei von der Zugbrücke in den Burggraben fiel. Der Wind stand so günstig, dass der andere Soldat auch einen Teil der Mundgeruchdosis abbekommen hatte und bereits leicht benommen torkelte. Als Elsebeete an ihm hochsprang und ihm noch mal direkt ins Gesicht hauchte, war er sofort ohnmächtig und fiel scheppernd zu Boden. Nun drang Elsebeete empört in das Schloss ein und hauchte jeden um, der sich ihr in den Weg stellte, bis sie den Thronsaal erreichte, in dem sich Intrigidius selbstzufrieden auf dem Thron lümmelte. Als er sie hereinkommen sah, erschrak er so sehr, dass er aufschrie. „Aah! Eure Majestät. Ihr seid schon zurück. Wie schön.“ Die Prinzessin stampfte bebend vor Zorn mit hochrotem Kopf auf den Verschwörer zu und schrie „Verräter!“ Da sprang Intrigidius erschrocken vom Thron auf, wich zurück und fragte: „Wie seid Ihr an den Wachen vorbei gekommen?“
    „Ich habe sie verzaubert!“ schrie sie ihn an. „Ich bin doch die Zahnfee. Habt ihr das schon vergessen?“ Sie folgte ihm, wohin er sich auch immer rückwärts stolpernd durch den großen Raum stahl. Elsebeete drängte ihn hinaus auf den Balkon. Intrigidius war nur irritiert und ängstlich. Er verstand gar nichts mehr. Dennoch stotterte er: „Ma-Majestät, ich kann Euch das alles erklären.“
    „Nicht nötig“, flüsterte die Prinzessin und stieß gezielt einen Pfiff ihres Atems durch die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen direkt in Intrigidius Nasenlöcher, woraufhin er die Augen verdrehend nach hinten über die Balustrade in den Burggraben fiel und dort ertrank.

    Elsebeete schaute dabei eine kurze Weile zu, dann schritt sie postwendend in ihre Gemächer und machte sich wieder als Prinzessin zurecht. Sie wusch sich (das erste mal in ihrem Leben ganz alleine), drehte sich die königlichen Locken ein, zog ein königliches Kleid an, legte einen Hauch königlichen Puders auf – nur die Zähne putzte sie sich nach wie vor nicht.
    Sie rief ihre Hauslehrer, die Dienerschaft und alle im Schloss anwesenden Offiziere zusammen und verkündete feierlich, dass sie nun wieder zurück sei, um das Erbe ihres Vaters, der Herr habe ihn selig, anzutreten. Intrigidius, ihr kurzzeitiger Vertreter habe sich aus Gram über den Tod des Königs von der Zinne in den Burggraben gestürzt und sei ertrunken. Bei diesem Satz konnte sich der Hofstaat ein erleichtertes und amüsiertes Lachen nicht verkneifen. Allesamt ließen sie die neue Königin Sumbiniens hochleben.
    Elsebeete unterbrach sie: „Schnickschnack. Genug gefeiert. Wir haben wichtigeres zu tun. Dringende Regierungsgeschäfte erfordern nun unsere Aufmerksamkeit. Holt mir bitte den königlichen Koch!“
    „Ich bin bereits hier, Eure Majestät.“ rief er aus einer Ecke des Raumes. Die neue Königin Elsebeete veranlasste, dass augenblicklich für das gesamte Dorf, das sie besucht hatte, anlässlich Ihres Amtsantritts ein Festmahl ausgerichtet würde. Des Weiteren erweiterte sie den Prinzessinnenunterricht, den sie in Königinnenunterricht umbenannte und freiwillig fortführte, um die Fächer Schwimmen und Kochen.
    „So, das sind nun aber wirklich genug Entscheidungen für meinen ersten Tag als Königin.“
    Mit der königlichen Kutsche ließ sie sich zu dem anberaumten Festmahl in dem armen Dorf fahren und aß sich ordentlich satt. Denn sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und mittlerweile doch einen ziemlichen Kohldampf. Danach verabschiedete sie sich von allen und zog sich mit der Kutsche zurück ins Schloss und in die königlichen Gemächer.
    Und wieder ging sie ohne Zähneputzen ins Bett, für viele Jahre. Sie wurde eine gute Königin. Sie wurde geachtet und gefürchtet. Der ältere Herr mit dem Hund, den sie bei ihrer Mission getroffen hatte, wurde ihr engster Berater in Regierungsdingen. Er sowie die Diener und Wachen trugen Nasenklammern, um sich der Königin halbwegs gefahrlos nähern zu können. So war das Miteinander zwar nicht leicht für alle, aber es funktionierte. Nie wieder hat es einer gewagt, Elsebeete zu hintergehen wie der treulose Intrigidius.
    Einen Gemahl fand sie zwar nicht, aber das bereute sie nie. Manchmal fragte sie ihren Berater mit Hund: „Und? Soll ich mir jetzt nicht vielleicht doch mal die Zähne putzen?“ Dann wedelte der Mann wieder wie damals mit seiner Nase und sagte: „Nicht, wenn ihr es nicht wünscht. Euer Volk liebt Euch so wie Ihr seid, Majestät. Und ich würde mittlerweile wahrscheinlich etwas vermissen.“ So blieb es dann also wie gehabt.
    Eines Tages tat sie es aber doch. Aber das ist eine andere Geschichte.

  • Laute VögelDatum23.05.1970 09:36
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Laute Vögel

    Hier, Gelage tragen Durst statt Wein im Mund
    und die Vögel machen Radau.
    Aber so fürsorglich auch Muttertiere sind,
    sie schwindeln ebenso tief und
    von dem Stapel unserer Seiten läuft
    eine Frage nach weichen Stimmen
    und was sie denn noch trinken mögen.

    Aber darüber brüten wir beim Gläschen
    selber nach und feiern uns nicht zuende.
    Der Blätterberg ist beinah kleiner geworden -
    ein willkommener Irrtum, dass heutzutage
    noch jemand schlüpft
    heim,
    wir fliegen heim.




    geändert; u.a. ehemals Kraniche - jetzt Vögel
  • Ein WunderDatum23.05.1970 08:07
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Ein Wunder

    Einst war ein Ros entsprungen, himmelblau
    in einem Beet aus herzblutroter Pracht
    und wölbte sich der Abend vor der Nacht
    und legte Schatten dar wie Morgentau

    auf Blütenhaut, dann wurde blau zu grau
    und rot zu schwarz. So stach mit zarter Macht
    durch all dies Ruhen noch ein Strahlenschacht
    stolz wie das Federauge eines Pfau.

    Und wie der Nordstern stets den ersten Spruch
    der Nacht warf, war die helle Rose dort
    in ihrem Beet des Tages letztes Wort -

    ein stummes, himmelsgleich, aus gleichem Tuch
    gefaltet. Und das große Wunder war:
    Nie gab es Missgunst in der roten Schar.

  • Krisenfestes Brot bei NachtDatum23.05.1970 08:06
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Krisenfestes Brot bei Nacht

    Du liebst mich nicht. Wozu auch? Ich bin tot.
    Einst aufgestanden und bewegt zu dem
    geworden, was ich bin, und zwar bequem,
    verwunden, überwältigt und devot.

    In Krisen schafft mir das die kleinste Not.
    Wer so weit stirbt, für den ist nichts extrem.
    Sieh was ich kann! Auch tot bin ich Problem
    und Kraft in einem, wie steinhartes Brot.

    Du siehst mich an, als wäre ich noch wach
    in deiner Nacht und liefe straßenlos
    die Häuser darin ab von Dach zu Dach.

    Das ganze war mal anders. Früher war
    ich schön für dich, jetzt bin ich atemlos,
    und deine Nacht ist wieder fremd und klar.
  • ÜberlebenDatum23.05.1970 07:05
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Überleben

    Das Haus liegt ruhend auf der Erde lang,
    ein dunkelrotes Rückenfell
    sortiert um weiße Beckenrinden.

    In Fenstern treiben Menschenfische,
    schwimmen brütend
    Unterleben.

    Unsere Säulen erblassen,
    bis wir uns anders halten
    und über den Scheiben
    hinaus durch Wälder tragen
    in noch feuchten Tüchern.

    Zwischen Bäumen
    unentwegt
    wirft einer lässlich Abzählreime
    umher bis ich ausscheide.
    Vorbei die Nacht.
  • Thema von GerateWohl im Forum Wettbewerbe
    Neuer Wettbewerb im Tümpel!

    60-min-Wettbewerb [Lyrik]

    Wettbewerbsleiter = GerateWohl

    START: Sonntag, den 23.11.2008, 18 Uhr
  • LandeerlaubnisDatum22.05.1970 21:44
    Thema von GerateWohl im Forum Liebe und Leidenschaft
    Landeerlaubnis

    Ein Kuss auf dir,
    dem Landefeld
    für seinen Fuß,
    trägt mein Gewicht.

    Ein Schmerz in mir
    auf ihn gestellt
    und auf dein "Tu's!"
    versinkt und bricht.

    Ein kurzes Wir
    im Mund zerfällt
    zu einem Gruß
    und vom Gesicht.
  • UnähnlichDatum22.05.1970 18:42
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Unähnlich

    Du sagst, wir wären einfach zu
    verschieden, um einander gut
    zu sein - uns zu verstehen und
    zu trauen. Ich zu grob und du
    zu fein. Ein jedes Mal fließt Blut
    aus irgendeinem guten Grund.

    Wahr ist: Wir sind uns ganz und gar
    nicht ähnlich, unvergleichbar, im
    Detail nicht unterscheidbar, denn
    wir alle sind längst gleich, und zwar
    egal, ob klein, alt, dumm, reich, schlimm,
    und wir zwei im Besonderen.

    Ich bin kein Schatten deines Ichs
    und du kein Spiegelbild von mir,
    kein böser Zwilling existiert.
    Wir sind nur Skizzen gleichen Strichs,
    der gleiche Durst, gleich ungestillt,
    modellidentisch modelliert.
  • Meine TageDatum22.05.1970 13:55
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Meine Tage

    Ich habe meine Tage und
    mein Blut läuft aus mir raus. Das ist
    ein ganz normaler Vorgang. Rund
    zwei Stunden läuft er schon, der Mist.
    Ich tu jetzt meine Schmerzen kund,
    auch wenn du dann genervter bist.

    Denn dafür hab ich einen Mund -
    nicht so wie deiner, der mich frisst.
    Du meinst ich hätte keinen Grund,
    weil schließlich du die Frau hier bist?
    Ich weiß, mein Blut ist nicht mal bunt,
    es fließt nur schwarz. Doch woran misst

    du, was nicht krank und noch gesund
    ist? Denn das Blut, das dunkel fliest,
    zeigt nur mein Innerstes, den Schund,
    den du in meine Adern gießt
    und heute mich in deinem Schlund
    auf seine scharfen Zähne spießt.
  • Eine StarreDatum22.05.1970 13:22
    Thema von GerateWohl im Forum Düsteres und Trübsinniges
    Eine Starre

    Ein verwundertes Tier, diese Zeit.
    Ein verfallender Tropfen gerinnt.
    Ein verhaltenes Grau macht sich breit,
    und die Dunkelheit opfert uns blind.

    Ich erkenne nur dich noch und mich
    und erkannte den Rand dieser Nacht.
    Wir erschlafen erschlafft diesen Strich
    und ermachten uns wieder die Wacht.

    Jeder Tag ist ein Bild ohne Laut,
    ohne Wind, doch mit Sonne und Grün.
    Du bist nah, ohne Atem gebaut,
    doch versuchst neue Linien zu ziehn.
  • Zerkratzte FlächenDatum22.05.1970 09:49
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Zerkratzte Flächen

    Mein Innenleben turnt als Herde
    auf Tischen und Kommoden rum,
    die rumpelnd schön den Weg verstellen.

    Und draußen grabe ich in Wüstenerde,
    in heißem Sand,
    nach Herzblut und nach Brunnenquellen.
    Hey, wirf bloß regelmäßig Blicke auf die trockne Hand
    und kontrolliere auch den Tränenstand!

    Nachts ist es kalt. Dann liege ich nur da
    auf einem Tisch, der mich vom Boden trennt
    dem Fundament,
    das in Beliebigkeit sonst alles hält,
    doch nichts verspricht und auch nichts kennt.
    So ist er nicht zu nah.

    Der Sand des Tags zerkratzt die Oberfläche
    und in der Wüste stehn nur leere Gräben.
    Das Holz der Möbel wird schon alt,
    und wenn wir niemals Schätze heben
    so haben wir doch Linien in das Holz gemalt.

    Ich sag schon "wir", als spräche ich
    von uns. Jedoch wo kannst du sein?
    Im Traum stehst du am Brunnenloch
    und wirfst mein Herz hinein.
    Gibt es dich doch?
  • TrennstrichDatum22.05.1970 09:05
    Thema von GerateWohl im Forum Humor und Fröhliches
    Trennstrich

    Die ganze Zeit verließ ich mich -
    auf sie. Auch sie verlässt mich jetzt,
    zieht einen Strich, nicht Bindestrich,
    nein, einen der mich trennt, verletzt.

    Und wie ich nun so aufgetrennt
    dahinter liege, sagt sie, ich
    sei abgeschlossen und erkennt
    den Widerspruch nicht. Widerlich!

    Bald geht sie hin in Richtung Nord.
    Da denke ich: "Das passt ja gut,
    die Hinrichtung reimt sich auf Mord."
    und kichere in meinem Blut.

    Dann sag ich: "Hart, wenn man so sieht,
    wie die mich liegen ließ, die Kuh.
    Was tu ich jetzt? Die Wunde zieht.
    Ich saufe mich am besten zu."

  • Lars und BirgitDatum22.05.1970 07:49
    Thema von GerateWohl im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
    Lars und Birgit

    Lars hatte sich heute von seiner Doktorarbeit frei genommen. Denn er würde sich jetzt von Birgit trennen. Heute musste es passieren. Birgit war lieb, Birgit war schön, Birgit machte ihn wahnsinnig. Sex ist einfach nicht alles. Und seit einiger Zeit war auch das schwierig geworden. Denn wenn das mit dem Sex schwierig ist, ist er irgendwie doch alles. Und er war nicht nur sehr selten geworden. Es drängte sich Lars zudem der Eindruck auf, dass die Lust seiner Freundin sehr davon abhing, was sie gerade sonst noch von ihm wollte. Und das machte ihm keinen Spaß und noch weniger Lust.

    Na ja, solche Krisen gibt es halt, und Lars versuchte krampfhaft vor sich selbst zu rechtfertigen, dass seine Entscheidung, sich zu trennen, von diesem Umstand unabhängig war. Birgit machte ihn nicht wahnsinnig vor Sexentzug, sondern vor - ja, vor was eigentlich?

    Als er Birgits Wohnung betrat, saß sie vor ihrem PC und brachte gerade den Katalog ihrer CDs und Bücher auf den neuesten Stand. Ab und an tat sie das. Es war letztlich eine nach Lars Empfinden völlig unübersichtliche Liste, die keinerlei Systematik folgte, vieles doppelt und dreifach enthielt, anderes komplett wegließ. Als er über ihre Schulter hinweg kurz dem Cursor auf ihrem Bildschirm zusah, wie er zwischen den Kästchen der Tabelle umständlich herumhüpfte bis er sein Ziel fand, dabei auf dem Weg (vermutlich versehentlich) einpaar Buchstaben löschte, die dann vorerst an zwei bis drei falschen Stellen wieder von Birgit eingefügt wurden, bevor sie wieder am richtigen Platz landeten, da bekam Lars schon Kopfschmerzen.

    Vor einem Jahr hatte sie ihm feierlich auf dem Höhepunkt ihrer aufkeimenden Liebe ihren Wohnungsschlüssel übergeben. Nun legte er ihn auf die Kommode neben der Zimmertür, hoffentlich zum letzten Mal. Birgit drehte sich nicht zu ihm um, sie sagte nur beiläufig, was sie gerade tat.
    „Ich pflege meine CD- und Bücherliste.“
    Er versuchte sich zu fassen. „Birgit, es ist aus.“
    Birgit sagte nichts. Sie schien nur für einen Moment aus dem Tritt zu geraten, denn der Cursor bewegte sich einpaar Sekunden lang geradlinig und gezielt durch die Tabelle.
    „Hast du mich verstanden? Ich kann so nicht mehr weiter machen.“
    Sie seufzte nur.

    Lars wusste nun nicht so recht was er tun sollte. Er stammelte: „Ich meine, du musst es doch auch fühlen, dass das mit uns nicht geht. Wir missverstehen uns ständig. Wir können gar nicht miteinander reden.“
    Birgit beschrieb jetzt mit der Maus Kreise und Zickzacklinien auf der Bildschirmoberfläche, während sie zum Monitor sagte: „Ja, du bist meiner halt überdrüssig.“
    Unangenehm ruhig fügte sie hinzu: „Jetzt sitze ich da mit meinen Gefühlen, dem Rest meines Lebens und all dem Vertrauen, das ich in Dich gesetzt hatte. Aber das interessiert dich ja nicht.“
    Lars senkte den Kopf. „Es tut mir leid.“
    „Ja ja. Es tut dir leid. Du kannst ja noch hinausgehen in die Welt, dein Leben leben, so viele Kinder zeugen wie du willst. Und ich sitze nun da.“
    „Äh, hör mal, hör mal.“ Lars kniff die Augen angestrengt zusammen. „Willst du mir jetzt etwas von deiner biologischen Uhr erzählen? Du bist erst 26. Wir waren nur anderthalb Jahre zusammen. Was willst du mir da einreden?“
    „Nur anderthalb Jahre, sagst du. Sie hat dir also nichts bedeutet, diese Zeit.“
    Jetzt sah sie ihn mit einem undurchdringlichen Blick an. Diese Worte trafen Lars wie ein Stich ins Herz. Er war nun den Tränen nahe. „Wieso bin ich jetzt der Böse? Ich fühle mich von dir tyrannisiert und weder verstanden noch geliebt.“

    Krrrrring! Da erschellte die Wohnungsklingel. Lars erschreckte sich fast zu Tode. Jetzt erst begann Birgit zu heulen, und zwar richtig: „Buhuhuh! Machst du bitte die Tür auf?“
    Lars folgte, hatte aber ein ungutes Gefühl als er die Klinke in die Hand nahm. Durch die Tür drang ein vernehmliches „Hallo Schwesterchen!“ Es war Paul, Birgits Bruder. Paul war nun der letzte, den Lars bei seiner Trennung von Birgit dabei haben wollte. Lars öffnete die Tür und er tat es voller Angst. Paul sagte, „Hallo Schwager“ und trat ein. Lars sagte wie aufgezogen „Hallo. Was machst du denn hier?“ „Ich will Birgit nur eine Nachricht von Mama bringen. Und was machst du hier? Hehe.“ Lars fürchtete ein wenig um sein Leben. Bei allem, was er über Paul wusste, musste es ihn wundern, dass der noch auf freiem Fuß war. Paul wurde in seinen Kreisen Seraphin Frankenstein genannt. Er geriet im ersten Semester seines Brauereistudiums auf die schiefe Bahn und wurde eine Art Gangster, aber ein echter. Keiner der nur zu Beatboxing darüber rapt, wie er jeden umlegt, der was Schlechtes über seine Mutter sagt. Nein. Paul war kriminell und lebensgefährlich. Schon mit 14 kam er mit seiner großen Kindergartenliebe Klara zusammen, die er vor 5 Jahren um die Ecke brachte, um sein Ganovenimage aufzumöbeln. Das konnte ihm jedoch nie so recht nachgewiesen werden. Zumindest wurde er deshalb nicht belangt. Und Lars wusste von Birgit, dass Paul seitdem Albträume hatte und einen latenten Todeswunsch, der sich in einem noch halsbrecherischeren Lebensstil als vorher äußerte.

    Lars versuchte, sich vor Paul nichts anmerken zu lassen und hoffte, Birgit würde das gleiche tun. Doch sie schien nun erst richtig aufzudrehen. Sie vergrub ihr Gesicht in ihrem Schoß und weinte bitterlich.
    „Was ist denn hier los?“ Paul ging zu Birgit.
    „Lars will mich sitzen lassen.“ schluchzte sie.
    Lars scannte Pauls Bekleidung, ob er irgendwelche Waffen erkennen konnte, die der vielleicht bei sich trug. Paul sah ihn nun an: „Ey, Schwager. Was soll denn das? Du empfängst mich an der Tür, als wenn nichts wäre, und dabei willst du meiner kleinen Schwester den Laufpass geben. Willst du mich verarschen oder wie?“ Paul packte ihn am Schlafittchen. Birgit warf sich nun dramatisch von ihrem Schreibtischstuhl in die Kissen ihres Bettes und vergrub dort ihr Gewimmer. Lars schaute kurz, ob das eine Rettungsaktion für ihn werden sollte. Sollte es wohl nicht. Also bibberte er zu Paul: „Nein, nein. Das würde ich mich doch niemals trauen. Dazu habe ich viel zu viel Respekt vor dir.“ Paul sah ihn schief an. „So’n Quatsch. Man kann auch vor jemandem Respekt haben und ihn trotzdem verarschen. Du, mein Lieber, hast einfach nur Angst.“
    Lars bekam weiche Knie. „Ja, das stimmt.“
    „Ich bin ja für jeden Spaß zu haben, aber das hier, Schwager, ist ernst. Es geht schließlich um eure Zukunft.“
    Paul ließ Lars los und fiel nun lässig auf Birgits Schreibtischstuhl.

    „Und? Dann schieß mal los. Warum willst du dich von meiner kleinen Schwester trennen?“
    Lars wurde sehr, sehr unbehaglich zumute. Das schien ihm so ein Lose-Lose-Szenario zu werden, ein Catch 22, eine Situation, bei der er nur verlieren konnte, egal was er tat. Er brachte zunächst kein Wort heraus.
    „Siehst du?“ Paul klatschte in die Hände. „Du hast gar keine Gründe. Deshalb glaube ich auch nicht, dass du dich wirklich trennen willst.“
    Nun keuchte Lars ein trockenes, verzweifeltes „Doch“ hervor.
    Paul winkte ab. „Ach was. – Oder es ist dir peinlich darüber zu reden.“
    Er sah kurz zu Birgit, die mittlerweile eine Heulpause eingelegt hatte, dann blickte er wieder zu Lars. „Habt ihr vielleicht Probleme im Bett? Will sie nicht mit dir schlafen?“
    Lars Gesicht wechselte nun von kreidebleich zu puterrot. „Nein, das ist schon in Ordnung.“
    Das überzeugte Paul wohl nicht. „Stimmt das Schwesterchen? Ich meine, seid ihr aktiv? Dein Freund scheint mir jedenfalls irgendwie sehr unzufrieden zu sein mit der Beziehungssituation.“ Lars wollte gerade anheben zu einem Es-gibt-Wichtigeres-in-einer-Beziehung-Plädoyer, da kam ihm Birgit mit einer etwas anderen Strategie zuvor und sagte: „Ach, wenn du wüsstest.“

    Jetzt wurde Lars etwas unruhig und Paul offensichtlich sehr. „Wie bitte? Was ist los? Was verlangt er von dir? Tut er dir weh? Fickt er dich in den Arsch oder wie?“ Birgit sagte nichts mehr und grub sich nur jämmerlich greinend tiefer in ihre Daunen.
    Lars war fassungslos. "Was?"

    Ihre einvernehmlichen Experimente in der von Paul angedeuteten Richtung zu Beginn ihrer Beziehung waren mehr von Neugierde als von Verlangen gezeichnet. Sie legten sie nach anderthalb unbeholfenen Versuchen ad acta und strichen relativ gleichgültig diese Nummer aus ihrem Repertoire bevor sie überhaupt aufgenommen war. Nie war es ein besonderes Thema. Aber für Paul offensichtlich schon. Er fuhr zu Lars auf, packte ihn wieder mit einem „Du Schwein!“ am Kragen und pfefferte ihm eine. „Du fickst meine Schwester in den Darm? Und du hast angeblich studiert? Lernt man so was bei euch an der Uni?"
    Lars wendete sich mit blutender Lippe an Birgit: „Komm, nun sag doch mal was dazu! Das stimmt doch gar nicht!“ Aber sie flennte nur weiter ins Bettzeug. Paul hielt ihn noch mit einer Hand am Kragen, mit der anderen zückte er sein Telefon. Lars fragte: „Was tust du?“
    „Ich rufe jetzt mal meine Jungs an und sag ihnen bescheid, damit sie vorbeikommen und dir einpaar Manieren beibringen.“
    Das schien nun selbst Birgit etwas weit zu gehen, denn sie rief: „Nein, lass ihn am Leben. Bitte.“
    „Ach, Schwesterchen, wer redet denn hier von Kaltmachen? Es wird schon was von ihm übrig bleiben. Außerdem hast du was Besseres verdient, als so einen perversen Akademiker.“
    „Aber ich - liebe ihn doch.“

    Das klang in Lars Ohren nicht sehr überzeugend. Aber wenn es den Zweck erfüllte, ihn jetzt zu retten, sollte es ihm recht sein.
    „Willst du ihn also wirklich wieder haben?“
    „Ich weiß nicht“, zierte sie sich.
    „Was soll das heißen, ich weiß nicht? Ich reiß mir gerade den Arsch auf, um dem Kerl hier Vernunft beizubringen, und du sagst, du weißt nicht?“
    Birgit setzte sich nun auf. „Ja. Ja, ich will ihn - wenn er sich bemüht.“
    Paul packte nun sein Telefon weg und zuppelte Lars Kragen wieder halbwegs gerade. „So, du hast es also gehört. Meine Schwester hat ein unglaublich großes Herz. Das hast du zwar nicht verdient. Aber sie will dich. Also bekommst du noch eine Chance.“
    Lars ließ die Schultern fallen und sah zur Decke.
    „Aber ich will doch gar keine Chance. Ich will nur weg!“
    „Oh-oh. Falsche Antwort. Das üben wir noch mal.“
    Jetzt holte Paul sein Schmetterlingsmesser heraus und hielt es Lars unter die Nase, worauf der erschreckt aufschrie: „O.k., o.k. Vielen Dank für die Chance. Ich will sie. Ja. Echt super.“
    „Na nu übertreib mal nicht so. Ich bin doch nicht doof. Mir ist klar, dass du das jetzt im Moment nicht ganz so siehst, aber mit der Zeit wirst du das schon lernen. Also, mach sie glücklich, und kein Schweinkram mehr.“

    Paul steckte das Messer weg, küsste seine Schwester auf beide Wangen und wollte gerade gehen.
    „Ach ja. Weswegen ich eigentlich gekommen bin. Mama und Papa laden uns am Wochenende zum Essen ein und ich sollte dir bescheid geben. Der Arschficker hier ist auch eingeladen.“
    Lars überlegte, wie er sich für möglichst lange Zeit in die Psychiatrie einweisen lassen könnte. Wahrscheinlich müsste er nur seinen Puls messen lassen und irgendeinen Psychofragebogen wahrheitsgemäß beantworten, schon wäre er auf unbestimmte Zeit drin.

    Paul verließ die Wohnung. Dann war Grabesstille. Lars und Birgit saßen bzw. standen nur da. Lars merkte an ihren Seufzern, die sich wie Geburtswehen häuften, dass sie jetzt von ihm getröstet werden wollte. Er ging zu ihr hin, streichelte ihr Haar und sagte „Ach Liebste, es tut mir leid, was ich gesagt habe.“ Er räusperte sich, sie schluchzte. „Und das mit dem Sex hast du nur gesagt, weil du verletzt warst. Das war nur verständlich.“ Zustimmendes Seufzen von ihr. „Und danke, dass du dich so für mich eingesetzt hast. Sonst würde ich jetzt wohl schon verdientermaßen mit einbetonierten Füßen am Grunde eines Kanals liegen.“
    Sie schmiegte sich leicht an ihn und sagte: „Ist ja schon gut.“ Drei Minuten später setzte sie sich wieder an ihre CD-Liste.

    „Und bringst du Blumen mit, wenn wir zu Mama und Papa gehen? Aber lass diesmal dieses Beifußkraut weg. Wegen der Allergie meiner Mutter. Das war letztes Mal ziemlich blöd. Sie fragte danach, ob du sie umbringen wolltest.“
    Er wusste, dass es zwecklos war, sie darauf hinzuweisen, dass sie es damals nicht nur versäumt hatte, ihn auf die Allergie ihrer Mutter aufmerksam zu machen, sondern dass sogar sie es war, die dieses Kraut als Schmuck für den Strauß ausgesucht hatte, was sie dann vor ihren Eltern natürlich dezent verschwieg.

    Je länger er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm die Idee, durch irgendeinen Gesundheitstest durchzufallen, um weggesperrt zu werden. Er würde sich gleich erkundigen gehen. Gerade war er aufgestanden, um sich auf den Weg zu machen, da hörte er sie fragen: „Wo willst du denn hin?“
    Er versuchte möglichst normal zu antworten: „Wohin schon? Nach Hause. Du machst doch hier deine Liste.“
    „Aber deshalb brauchst du doch nicht zu gehen.“ Dabei verrenkte sie mit verzerrtem Gesicht die Schultern, wie um anzudeuten, dass sie sie gerne massiert bekommen hätte.
    „Äh, und ich muss noch was für meine Doktorarbeit machen.“
    Sie schluchzte wieder. „Ah, du wolltest dich also nur mal eben so von mir trennen und dich dann wieder an deine Doktorarbeit setzen. Wie kann man nur so kalt sein?“
    Jetzt seufzte er. „Nein, dann hätte ich das natürlich nicht gemacht. Na gut. Du hast ja jetzt auch einiges durchgemacht. Ich kann auch bleiben.“
    „Nur wenn du wirklich willst. Wenn du natürlich unbedingt arbeiten musst...“
    „Nein, nein. Ich bleibe gerne bei dir.“ Er stellte sich hinter sie, und begann ihre Schultern zu massieren. Nun schnurrte sie genussvoll.
    Morgen, gleich morgen würde er sich erkundigen.

  • WaisenknabeDatum22.05.1970 07:27
    Thema von GerateWohl im Forum Diverse
    Waisenknabe

    Ich bin kein Waisenknabe, so als Typ.
    Es kommt oft vor, da plötzlich stelle ich
    so eine unbequeme Frage, üb
    Kritik, meist ganz direkt. Mein Pinselstrich

    ist klar, hat Außenkanten, nicht so trüb
    wie andere. Bin auch kein Wespenstich
    mit Gift drin, auch kein schleimiger Polyp
    mit hartem Schnabel nur. Nein, ohne mich!

    Aber ich bin ein Elfmeter mitten
    ins Gesicht und Fasten ohne Darben,
    ungefragtes Fragen ohne Bitten,

    unvergesslich hässlich dank der Narben,
    jener elenden Schraffur, erlitten
    und gezeichnet als die Eltern starben.
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