Brieffalten

Die Nacht bewacht den Stundenkreis ein gutes rundes Eckchen weit.
Das weiße Blatt haucht nicht ein Wort,
entknittert sich zu keinem Laut die ganze Zeit.
Ein Brief an meine alte Welt geriet schon in Vergessenheit,
damals war's, als ich ganz durchnässt war
im Sturm, im Regen.
Wieder fährt ein Schlingerkurs wie all die unverfänglich
ausgebrabbelten Versprechen
in die Ohren meines abgewetzten Sessels.

Aber alle lieben Kurven, denke ich. Warum
denn also nur den geraden Weg auswählen?
Schnörkeln wir mal lieber schön
entlang der Lebenswellenlinien
und vergraben unsre Finger in dem Brustfleisch wilderer Tage.

Ungefragte Zwischenmahlzeiten husten Krümel
in mein verdutztes Gesicht, ein ungestümes Nachwort.
Oh, da bist du ja, kann ich kaum denken,
doch ich weiß, ich sollte es.

Unverkündetes Unbegründetes verfällt nach kurzer Zeit.
Zwei Meter breit liegt hier
ein Satz von mir, geschrieben auf die letzten Stunden,
die uns wendeten - nicht einander zu,
sondern nur in Bratenfett unserer Fertigung -
für die Geschichten, die wir bald enthalten.
Ich frage mich, ob wir das können.
Aber ich koche ja selbst.

Die Zeit tut sich schon selber leid,
und das Papier ist immer noch
ganz blass wie eine satt beschlagne Fensterscheibe.
Ich male jetzt ein Mondgesicht darauf
und schreibe deinen Namen
wie den eines Prominenten nebendran.

Doch das Gesicht sieht gar nicht prominent aus.
Vielleicht liegt das daran, dass dein Körper fehlt.
Wie auch immer.
Ein Blick in die Sterne zeigt klar: Die Dunkelheit
hat Löcher und ist somit endlich.
Es zieht vor lauter Licht.
Ich schließe die Fenster und hauche
einen anderen Namen - einen lebendigen.
Der Brief entfällt, der Tag bricht an.