#1

F r e i h e i t

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2006 17:15
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Freiheit
Wettbewerbsversion

Freiheit ist ein Schmetterling
fang sie ein, dann ist sie deine.
Stech ihr einen Nasenring,
leg sie sorgsam an die Leine,
hüt' sie gut, die liebe Kleine.

Freiheit ist das Recht zu tun,
was man halt nicht lassen kann.
Die Bonbons da willst du nun?
Reichst nicht ans Regal heran?
Bist zwar frei, doch klein, was dann?

Freiheit ist ein großes Netz,
das sich ständig selber fängt,
gleich wie ein Naturgesetz.
Hast du dich mal freigesprengt,
sind meist andere versengt.

Freiheit heißt, man akzeptiert
dass des Lebens Alphabet
vielerlei Gesetz diktiert.
Denn wo nichts geschrieben steht,
ist der Ort, wo gar nichts geht.

Freiheit ist ein Übergang
zwischen zwei Situationen,
nur einpaar Sekunden lang.
Doch in den Sekunden wohnen
viele Schätze, die sich lohnen.


---------------------------

Freiheit
überarbeitete Version

Freiheit ist ein Schmetterling
fang sie ein, dann ist sie deine.
Stech ihr einen Nasenring,
leg sie sorgsam an die Leine,
hüt' sie gut, die liebe Kleine.

Freiheit ist ein großes Netz,
das sich ständig selber fängt,
gleich wie ein Naturgesetz.
Hast du dich mal freigesprengt,
sind meist andere versengt.

Freiheit ist nur Übergang
zwischen zwei Situationen,
nur einpaar Sekunden lang.
Doch in den Sekunden wohnen
viele Schätze, die sich lohnen.

Freiheit heißt, man akzeptiert
dass des Lebens Alphabet
vielerlei Gesetz diktiert.
Doch wo nichts geschrieben steht,
wär ein Ort, wo gar nichts geht.

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#2

F r e i h e i t

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2006 19:39
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Herzlichen Glückwunsch GW

vorab, dass du genauso ehrenvoll abgeschnitten hast wie andere auch. Den von dir verkündeten Triumph, die mit Abstand schlechteste Bewertung erreicht zu habe, mache ich dir allerdings streitig. Den habe nämlich ich! (es sei denn, Margot hat jedem eine andere Bewertung zugepr(r)ostet!


Bei gleicher Themenwahl habe ich mich nicht getraut, das Thema Freiheit so direkt analytisch anzugehen wie du. Wenn ich mal etwas verkürzen darf, scheint deine Grundthese zu sein: Es gibt keine Freiheit, es gibt nur Freiheiten. (Das in etwa war auch das Diktum meines PhilosphieProfs. das ich hier sehr gelungen illustriert finde.) In der zweiten Strophe deiner Wettbewerbsfassung näherst du dich (wenngleich negativ) einem Freiheitsbegriff an, wie ich ihn in meinem Gedicht (erfolglos) umzusetzen versuchte: Die Freiheit ist dann am größten, wenn man sie nicht mehr hat. Wer rausbekommen hat, was die eigentlichen Bonbons im Leben sind, der will nichts anderes mehr, der läuft nicht mehr unschlüssig zwischen allen Regalen auf und ab. Allerdings darf dieses Ziel kein Unerreichbares sein. Oder anders gesagt: ein Schmetterling ist zwar frei von der Erdenschwere, aber was nützt ihm diese Freiheit, wenn er nicht frei für etwas ist. Herr Hesse hat mit seinem buddhistischen Hintergrund vermutlich auch in diese Richtung gedacht (die Sinnenwelt, Maya, ist das Reich der Täuschungen - wer dies loslässt und sich den Gesetzen des universalen Geistes - Dharma - anvertraut, was höchste Aufmerksamkeit erfordert, erlebt darin eine viel größere oder erfüllendere Freiheit als im Nachgehen seiner egoistischen Bedürfnisse). Diesen Aspekt hast du in deiner zweiten Fassung ganz gestrichen, was ich schade finde. Denn so reduziert sich bei dir Freiheit auf Freiraum - innerhalb geschriebener Gesetze..
Zitat:

Doch wo nichts geschrieben steht,
wär ein Ort, wo gar nichts geht.



Bei genauerem Hinsehen verbergen sich in deinem Text noch andere Freiheitsdefinitionen. Z.B. Dass Freiheit immer auch die Freiheit der anderen ist (jetzige Strophe 2). Dein Text hat unbestrittene didaktische Qualitäten (ich hätte dich gerne als meinen Philosophielehrer gehabt), und sprachlich jibts auch nicht viel zu meckern, aber es kommt für meinen Geschmack doch ein bisschen zu brav daher. Da mir der Hang zum Moralismus nicht fremd ist, hast du mein volles Mitgefühl. Wir werden uns morgen wohl einen auf die Mütze geben müssen, damit wir die ganze Sache mal etwas entspannter ansehen - bei Bonbons und Caipirinha.

wishfUlli

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#3

F r e i h e i t

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2006 19:53
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Nun, ich finde die erste Version auch besser. Dein Gedicht hat einen beschwingten Rhytmus, der mir gefällt. Es kommt nicht schwermütig daher, sondern mit einer guten Portion Witz.
Was ich daraus entnehme ist, dass es die große Freiheit ohne Gesetze gar nicht gibt. Wie eben hier die Naturgesetze.
Der Mensch hat eben Grenzen. Auch stellst du dar, dass wenn ein Mensch frei ist, sich also "freisprengt" manchmal andere Menschen darunter zu leiden haben. Also gibt es auch die Gesetze, welche die Menschlichkeit vorschreibt. Ein Miteinander kann also nur durch Gesetze funktionieren.
Freiheit ist etwas Flüchtiges. Niemals ein bleibender Zustand. Das lese ich daraus und dieser Schluss, den ich daraus ziehe gefällt mir.

LG Gem

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#4

F r e i h e i t

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2006 22:22
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hi GW!

Dein Gedicht ist sicher einer der tapfersten Wettbewerbsbeiträge, da du, wie Ulli richtig schreibt, den Bock direkt an den Hörnern nimmst. Dafür gilt dir sofort mein Respekt, der dann noch wächst, weil du dich nicht scheust, Allgemeinplätze einzuweben, die ja durch häufigen Gebrauch nicht falscher werden. Das Ganze ist sympathisch, beschwingt, wie Gemini und natürlich auch brav, wie Ulli schreibt. Insofern ist es wenig künstlerisch im SInne von l'art pour l'art und dieser Freiheit hätte es wohl bedurft, um entweder tatsächlich die schlechteste Einzelwertung zu bekommen oder zu gewinnen.

Etwas schade finde ich, dass die inhaltlich stärkste Passage (keine Arme-keine Kekse) durch die Trple-Frage etwas rumpelig den geringsten Schwung erhielt. Noch schaderer ist, dass die gute conclusio unvorbereitet und dieser Gedanke im vorherigen Gedicht nicht vorhanden ist. Am schadesten aber ist, dass du das Gedicht umgestellt hast und damit die schönste Strophe ausgelöscht und die conclusio in der Kalenderblattweisheit erschöpft hast.

DG
Mattes

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#5

F r e i h e i t

in Philosophisches und Grübeleien 17.05.2006 23:53
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo ihr Lieben,

vielen Dank, dass ihr Euch meines bescheidenen Wettbewerbsbeitrages so liebevoll angenommen habt. Ich hatte ja kein so gutes Gefühl, was aber zum großen Teil formal begründet war und nicht inhaltlich. Dass ihr so nett hinter meiner "brave" Form noch auf den Inhalt schaut, freut mich natürlich besonders.

@Ulli: Vielen Dank für die inhaltliche Analyse, der ich gerne zustimme. Zum Philosophielehrer reichte es dann wohl doch nicht, aber ich fühle mich geschmeichelt. Vielleicht wäre diese Karriere in meinem Fall einer dichterischen vorzuziehen gewesen.
Die Strophe mit dem Schmetterling sollte vor allem den Widerspruch darstellen, den der Gedanke in sich trägt, Freiheit festhalten, quasi gefangen nehmen zu wollen, um sie zu bewahren.
Die Himbeere muss ich dennoch wohl an Dich abtreten. Du hast ja recht.

@Gem: Auch Du hast den Kern meines Textes in sehr wenigen Worten gut erfasst. Langsam glaube ich, dass der Text doch nicht so schlecht ist, wie ich zuerst dachte. Danke.

@Mattes: Lustig Deine "keine Arme-keine Kekse"-Assoziation, weil ich mit ungutem Gefühl da auch die ganze Zeit dran denken musste. Ich empfinde diese Strophe als die formal schwächste, inhaltlich aber dem entsprechend, was ich schreiben wollte. Da führte für mich kein Weg dran vorbei oder heraus.

Ihr habt mich jedenfalls alle drei davon überzeugt, bei der ersten Version zu bleiben. Vielen Dank Euch nochmal.

Lieben Gruß,
GW

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