#1

Space

in Düsteres und Trübsinniges 14.12.2005 15:59
von Motte (gelöscht)
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Ich schrei den Kanon mit drei Stimmen,
hab an den Händen Nesselbrandt
und an den Flatterfingern drehen
sich Ringe nicht nach Uhrenstand,
und in den Stiefeln tanzen Zehen,
so dass ich aufzuhören wage,
und mich nicht länger still ertrage.

Das Zappeln löst die Feste auf
um mürbe morsches Kerngehäuse,
entsorg verblichnes Altgesicht
entstellt vom Mottenfraß der Mäuse
und flackere im Augenlicht,
als wenn ein Bild vom Schirm sich stähle,
verrutschte zwischen zwei Kanäle.

Funktionsentfremde Hände, die
an Taschen nesteln panisch-blind
und zittern vom nichts finden nun
ganz epileptisch zwecklos sind,
die Bier verschütten, Wahres tun
den Rauch verwirbeln, Luftgriff wagen,
und mir unlängst den Dienst versagen.

Und ich vergesse die Kontrolle
der Muskeln und den falschen Mut
und was vom Magen mir versäuert
den Reingeschmack von Monatsblut,
Gedankenlasten hoch versteuert,
veräußere auch dies an dich,
und bin durch dich veräußerlicht.

Vergesse selbst die Angst, wenn sie
den Kollaps speist mit ihrem Saft,
wenn er im Schreckensblick sie bannt
im Irrsinn selbstzerstörnder Kraft, /im Irrsinn seiner Augenkraft
in ihr verkrallt, sich wachsend spannt
und haltlos im Gedächtnisloch
muss selber mitverschwinden doch.

Und das gelähmt gehaltne Steuer,
freihand im Kreise fährt´s dahin,
ein neuer Zustand nur kann retten,
der unbekannt ist, ein Beginn,
den Spiegelblicke noch nicht ketten,
nicht überschreiben, reflektieren,
ihn löschen wolln und ausradieren.

Dein Tempo ist allein die Dauer,
wie Kaugummi gedehnte Zeit,
du musst nicht jagen nach Terminen,
in Zeitlupengelassenheit
fährst du auf eigner Züge Schienen,
machst Flut und Ebbe allbelohnt:
Ich treibe unter deinem Mond.

Und meine Lippen schwitzen, schwellen,
im Salzbad tränt und löst sich Haut,
entschwimmt das ganze Körperweh,
im toten Meer verstummt sein Laut,
dein Spiel ein nie verflossner See,
der allen, die vorüber gehen,
bleibt immer wie ein Anfang stehn.

Sind gegen Durchläufer immun
auch gegen Störer, Gegenkämpfer,
im Weltall muss man Platz nicht sparen,
elastisch weich der Rückstoßdämpfer,
beim Autowolkenscooter fahren,
da braucht sich niemand anzuschnallen,
kann ohne Abseitsängste fallen.

Und du fängst mich auf allen Bahnen,
die Straßen - Warlord - führ´n zum Mars,
du schickst mir stets dieselbe Zeile,
die immer neu bleibt, niemals Farce,
dieselben buntblinkenden Pfeile,
die abtauchen zum einen Ziel,
ein stets aufgehndes Tetrisspiel.

Und deine Stimme singt und reist
durch des verschlungnen Darmes Trakt,
du attackierst den Brustkorb-Kasten,
das Rippengitter schwingt im Takt,
die krummen, knochensteifen Tasten
bis mit und gegen den Rhythmus
schier jeder Nerv vibrieren muss.

Solange bis die Brust aufbricht,
entweichen lässt ein Hochwärts-wehn
und ein Gefühl nicht länger hält,
das nicht mehr aufhört aufzugehn
und unaufhörlich sich entpellt,
sich weiter weitet, sich entfaltet
und neuwachsende Fasern spaltet,

die es aus seiner Blüte treibt,
im ganzen Jahrkreis sich enthüllt
und dies unfassbar verlebendigt
ins Fassungslose, Äuß´re füllt,
ein Drachenleib, der ungebändigt
emporwirft sein Synthetiksegel
durch den dein Schein geht wie ein Nebel.

Das ist der Windrauchatemweg,
ein tief vertonter Lungenzug,
so hänge ich völlig entschmerzt
in seinem Sibersegelflug,
in deines Kosmosfalters Herz,
im warmen Blutstromschlag geronnen:
Ich paragleit´ in deinen Sonnen.



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#2

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in Düsteres und Trübsinniges 10.01.2006 15:30
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
schräg - lang - verwirrend - aber und das ist das wichtigste: Faszinierend.
Mir fehlt leider die lange Weile, um mich intensiv und kleinteilig mit deinen Strophen und Zeilen auseinander zu setzen (inhaltlich und auch formell - habe ich doch einige Ungereimtheiten entdeckt - die mich jedoch nicht davon abhielten mich unaufhaltsam ziehen zu lassen) - vielleicht mach ich das noch - vielleicht und bestimmt sogar, denn sie ziehen einen wahrlich in ihren spacigen Sog.
Erstmal bin ich wirklich angetan und das bin ich wirklich selten von so langen Werken!

Immernoch in Trance befindlich, grüßt dich
Richard

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#3

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 11:37
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Hallo Motte!

Gerade ist meine lange Antwort auf dich abgestürzt, so daß ich etwas frustriert nur noch mal eine schnelle Zusamenfassung meiner Gedanken schreibe.

Großer Ansatz. Aber warum unter "Düsteres"? Paragleiten in Sonnen - was gibt es Helleres?. "Space" als Variante zu "Universum", "Komos", "Gott" sicher origineller, aber klingt auch sehr "spacig", nach Kitsch und Luke Skywalker. 2 x 7 Strophen à 7 Zeilen. Die Zahl 7 steht häufig für Zyklen, Entwicklungsstufen und Vollendung. Du beschreibst, wie sich ein nervös zappelndes, hautverkapseltes Ich in einer kosmischen Tiefenerfahrung schrittweise auflöst. Nach der 7. Strophe Wendung vom schwitzenden "Ich" zum kosmischen "Du". (Allerdings taucht das Du etwas unvermittelt auch schon in der 4. Strophe auch). Das Reimschema ABCBCDD fordert dir einiges ab, was sich manchmal in verwirrenden Metaphernmischungen äußert.

Ein paar Stockfehler, die mir besonders aufgefallen sind:
S2Z6 - hier muß "stähle" (Konj. II) stehen statt "stehle" - reuimtechnisch
sogar eine Verbesserung.
S3Z1 "Funktionsentfremdete Hände"
S5Z2 "speist" statt "speißt" : "Adern" statt "Äder"
S7Z1 XxXx Metrum wechselt
S7Z2 "freundentränender"
S9S6 XxXx Metrum wechselt wieder
S10Z1 Metrum holpert
S11Z6 gerade wo es um "Rhythmus" geht, stimmt er nicht

Auf dieser großen Strecken kann man eigentlich nur scheitern, deshalb schon mal eine große Anerkennung für deinen Mut und deinen langen Atem. Nach mehrfachem Lesen kam ich immer besser durch, und gerade am Schluß kommt das Gedicht noch mal richtig in Schwung. Aber besonders im Mittelteil ging mir immer wieder die Luft aus und viele deiner Bilder fügen sich für mich nicht harmonisch zusammen. Vielleicht kannst du ja noch einmal selbst darüber gehn. Ich finde, es lohnt sich. Denn einzelne Abschnitte sind wirklich großartig.

Liebe Grüße, Ulli

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#4

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 11:42
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Wow, Motte.
Ich bin gewiss ebenso fasziniert und angetan wie Richard. Das lesen ist wie eine Traumfahrt, das nur ab und an durch kleine metrische Holper unterbrochen wird. Dafür ist es extrem Wortgewand, was mich im Laufe des langen Ganges immer wieder zu Szenenapplaus hinriss. Und das beste ist, dass Du das hohe Niveau bis zum Schluss hältst.
Lange nicht mehr so beeindruckt gewesen.
Zum tieferen Einstiegt fehlt mir zum einen der lange Atem und zum anderen mag ich diesen Trip gar nicht so entzaubern. (Faule Ausrede, ich weiß. )

Liebe Grüße,
GerateWohl

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#5

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 13:20
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Hallo Motte

Ich schliesse mich meinen Vorrednern an (ist einfacher für mich )
In dem Text liegen so einige Perlen verborgen. Es war doch anstrengend zu lesen aber auch faszinierend. Ich bin kein Metrik-Fetischist, aber mir fiel auch auf, dass es zeitweise etwas holperig dahin ging.
LG Gem

offtopic:

Liebe/r Ulli

Du kannst, wenn dir das passiert möglicherweise mit dem zurück Button des Explorers wieder zu deinem Text gelangen und es erneut versuchen. Mir passiert das auch manchmal.

LG Gem

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#6

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 16:07
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Danke Gem, für den Tip. Leider gab es auf meiner return-Taste kein Zurück. Der einzige Vorteil des Neuschreibens war, dass ich meinen Text etwas entsülzen konnte...

Hallo Motte, wo bleibst du? Schreibst du schon an deinem nächsten Langgedicht?

LG, Ulli

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#7

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 16:29
von Motte (gelöscht)
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@ Ulli,
Lieben Dank, dass du dir bei diesem Text die Mühe gemacht hast auch auf die Formalia zu achten. Die Grammtik- und Rechtschreibfehler hab ich ausgemerzt und eins, zwei Fehler in der Metrik. Wie es aussieht, muss ich aber wohl das Bügeleisen nochmal richtig anheizen.

Bei S3Z1 “Funktionsentfremde Hände” meine ich nicht, dass sie ..entfremdet sind, sondern, dass das lyr. Ich sie funktionsentfremdet... dies also mehr oder weniger gewollt selbst tut. Dann stimmen Form und Bezug.
Ja, S5Z2 “Äder”, ganz schlimm. Ist mir beim dichten überhaupt nicht aufgefallen, wobei ich noch krampfhaft einen Reim darauf gesucht habe und so froh war über “Augenräder”. Naja, mal schauen.
S7Z2 “Freudentränder” eigentlich “freudenträn´der” - eine hässliche Elision, die ich (un)geschickt verstecken wollte. Hat wohl nicht geklappt.
S10Z1: “Und du fängst mich auf allen Bahnen„ Weiß nicht, wo da das Metrum holpert. Wegen der weiblichen Kadenz?
S11Z6: Es gibt einfach keine Versversion, wo der Vers jambisch bleiben und „Rhythmus“ am Ende stehen bleiben kann. Vielleicht mach ich einen Scherz draus, sowas wie „bis mit und gegen den Rhythmus/ schier jeder Nerv vibrieren muss.“

Deine inhaltliche Beschreibung trifft´s sehr gut:

“Du beschreibst, wie sich ein nervös zappelndes, hautverkapseltes Ich in einer kosmischen Tiefenerfahrung schrittweise auflöst.“

Dass man in der Anzahl von Strophen und Versen einen Zykluss ablesen kann, habe ich garnicht mal intendiert, aber es passt ja gut zum Thema.
Und dass ich´s unter dieser Rubrik plaziert habe, kann ich nur dadurch erklären, dass ich zu schnell gepostet habe, ehe nachgedacht. Es würde in der tat sogar unter “Spirituelles” passen. ...Bin wohl vom Zustand des lyr. Ichs ausgegangen, das nicht (mehr) in seiner Haut/ seinem Körper leben kann und sich in etwas anderes hineinrettet oder retten lässt.
Die Sache mit der “Auflösung in ein lyrisches Du” ist auch ein interessanter Gedanke. Von mir war es so gedacht, dass das lyr. Ich jemand anderen anspricht. Vielleicht darf ich dazu sagen, dass der Text nach einem Konzertbesuch entstanden ist und dass der Sänger/Gitarrist ansprochen ist, durch den das Ich sich in einen anderen Zustand versetzt fühlt. Ob dieser neue Zustand aber anhält und “gesund“ ist, bleibt fraglich...

@ Richard, Gerate Wohl, Gemini
...denn es hätte mich nicht gewundert, wenn jemand gefragt hätte, ob das lyr. Ich sich mit irgendwelchen Drogen vollgepumpt hat. Trancezustand, Bilderflut, einen Film schieben.. eine ähnliche Wirkung hat der Text ja hervorgebracht! Vielleicht noch mehr, wenn man vorher oder währenddessen eine entsprechende Art von Musik hört. Es freut mich jedenfalls sehr, dass das Gedicht ein Gefühl von Rausch, Traumfahrt, Überflutung von Bildern hervorgerufen hat. Das ist eigentlich die Intention gewesen, die all die sich ablösenden Metaphern bewirken sollten....

Liebe Grüße
Motte


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#8

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 17:15
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Liebe Motte,

ein Konzert! Das ist der Schlüssel. Wenn man ihn hat, ist es so naheliegend, dass ich mich frage, wie ungenau ich eigentlich gelesen habe. Bei dem "Du" dachte ich zunächst auch an einen Mann, dann an einen Gott - ein Gitarrengott also, well, da verstehe ich deine Bedenken, ob dieser Rausch so licht und heiter bleibt, wie er begonnen hat...
S10Z1 : "Und DU fängst MICH auf ALLen BAHhnen" So gelesen stimmt das Metrum natürlich, sorry...

Dein Trip, je öfter ich ihn lese, nimmt einen wirklich mit (im doppelten Sinn des Wortes). Mir sind solche öffentlichen Verzückungen eher unheimlich, aber dank deiner wortgewaltigen Beschreibung kannn ich nun auch diese Form der mania besser verstehen. Aber die Angst vor dem, was nach dem Paragleiten kommt (wie wärs mit einem 2. Langgedicht zum Thema "Hangover" ? ), schmälert meine Lust erheblich, es dir nachzutun...

Wishes, Ulli

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#9

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in Düsteres und Trübsinniges 12.01.2006 17:43
von Motte (gelöscht)
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Uuups, hier gibt es ja garkeine Rubrik "Spirituelles", das war wohl.. woanders. Aber das ganze würde vielleicht doch eher in "Zwischenwelten" passen.. denn eigentlich ist es doch schöner, auch die positive Deutung offenzulassen.. und so ganz rein negativ war es nun auch nicht gemeint.

@Ulli
Den "Trip" sollte man aber durchaus auf der metaphorischen Ebene lassen und eben in der Wirkung, die der Text hat.
Und ja, zumindest zum Thema "Schlaf" kann ich was nachliefern.

Liebe Grüße

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