#1

zufällig zu fall

in Diverse 28.07.2008 16:44
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
einmal mehr schrieb ich für
wortmüllbeseitigungsanlagen
mein hirn humpelte
auf der linken hemisphäre
bleiernd schwül lastete
spätsommerluftfeuchte
sonnenmilchverglast
ging die sonnenuhr
längst dem schatten
anderer gestirne nach
und der freiheitsstatue
mal wieder das feuer aus

mühsam bemühte ich
unterschied zwischen
gehobenem blöd- und
einfachstem wahnsinn
doch selbst der zufall
bestand auf prinzipien
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#2

zufällig zu fall

in Diverse 29.07.2008 09:54
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Karl,

Du verzichtest komplett auf Satzzeichen. Das führt zu einem Lesefluss, bei dem ich nicht weiß, ob ich als Leser die Trennstellen erraten soll, oder ob es so gedacht ist, dass dort wirklich keine Trennung ist. Doch inhaltlich sehe ich die Unterteilung folgendermaßen:

einmal mehr schrieb ich für
wortmüllbeseitigungsanlagen

mein hirn humpelte
auf der linken hemisphäre

bleiernd schwül lastete
spätsommerluftfeuchte

sonnenmilchverglast
ging die sonnenuhr
längst dem schatten
anderer gestirne nach
und der freiheitsstatue
mal wieder das feuer aus

mühsam bemühte ich
unterschied zwischen
gehobenem blöd- und
einfachstem wahnsinn
doch selbst der zufall
bestand auf prinzipien

Keine Ahnung, warum Du es dem Leser da so schwer machst, diese Teilung zu erkennen. Mit dem Verzicht auf Großschreibung habe ich persönlich kein Problem. Doch sehe ich hier als einziges Strukturierungswerkzeug die Zeilenumbrüche. Und da ist mir der Einsatz ebenfalls nicht so ganz klar.

Nun aber zu dem, was ich erkenne:

Der Titel "zufällig zu fall" deutet für mich darauf hin, dass dieser Text möglicherweise rein assoziativ entstand und somit möglicherweise auf einem Zufäll beruht, nämlich dem, was Dir beim Schreiben so eingefallen ist. Wenn das so ist, dann kannst Du Dich bzgl. des Einsatzes von Zeilenschaltungen und Satzzeichen damit natürlich klasse rausreden.

Der erste "Satz", wie ich ihn oben identifiziert habe

einmal mehr schrieb ich für
wortmüllbeseitigungsanlagen


stützt für mich meine Annahme der Zufälligkeit.

mein hirn humpelte
auf der linken hemisphäre

Damit ist wohl die linke Hirnhälfte gemeint, die ja für die Vernuft zuständig ist. Die rechte, kreative kam wohl nicht zum Einsatz, die andere humpelt. Es flutscht wohl gerade nicht so für das lyrische Ich mit dem Dichten.
Es folgt die Ausrede dafür:

bleiernd schwül lastete
spätsommerluftfeuchte


Das Wetter ist schuld.

sonnenmilchverglast
ging die sonnenuhr
längst dem schatten
anderer gestirne nach
und der freiheitsstatue
mal wieder das feuer aus


Der Anfang soll wohl auf eine Konzentrationsschwäche des lyrischen Ichs hinweisen. Das Ich fühlt sich unfrei, unbeweglich im Kopf.

mühsam bemühte ich
unterschied zwischen
gehobenem blöd- und
einfachstem wahnsinn
doch selbst der zufall
bestand auf prinzipien


Aus Verzweiflung fängt das Ich an, rumzublödeln in der Hoffnung, dass daraus etwas geschieht, versucht sich einer Spur Wahnsinn anheim zu legen. Es will improvisieren, doch spürt es seiner Verfangenheit in den Regeln seines humpelnden Verstandes.

Nun deute ich nochmal den ersten Satz dahingehend, dass das Ich schon Papierkörbeweise fruchtlose Versuche erstellt hat und deshalb nun auf neuen Wegen versucht, seinem Geist etwas brauchbares zu entlocken.

Zu dem Text muss ich sagen, dass ich persönlich finde, Gedichte zu diesem Thema sollten schon recht geschliffen daher kommen. Man sollte ihnen die vom lyr. Ich beklagten Schwächen nicht anmerken. Sonst ist meine Reaktion immer: Die selbsterkenntnis ist da. Warum schreibt der Dichter es dann auf? Weil ich unterstelle, dass der Dichter nicht nur darüber dichtet, sondern wirklich an diesem Problem leidet.
Doch so wirken die Verse mit ihren Wortspielereien wie "sonnenmilchverglast" und "wortmüllbeseitigungsanlagen" wirklich mühsam bemüht und man denkt, wie hat es der Text nur aus letzterer geschafft sich hier her zu retten.
Der Hauptgrund für diesen Eindruck ist, dass der Text versucht, etwas eigentlich recht Einfaches sehr umständlich auszudrücken, ohne dass aus meiner Sicht ein wirklicher Mehrwert entsteht. Daher an der Stelle mein Tipp: "Keep it simple".

Wobei ich sagen muss, die Freiheitsstatue, der das Licht ausgeht, gefällt mir sehr gut als Metapher. Das ist für mich so das Highlight in dem Text.

Das war jetzt recht drastische Kritik an dem Text, aber ich muss auch gestehen, dass ich Texte über Schreibblockaden, wie gesagt, eh meistens etwas problematisch finde.

Viele Grüße,
GerateWohl

_____________________________________
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#3

zufällig zu fall

in Diverse 29.07.2008 18:17
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Hallo Geratewohl,
vielen Dank für die ausführliche Kritik.
Das ist doch nun wirklich kaum noch üblich, in ungereimten Gedichten Satzzeichen zu verwenden. (Was selbstverständlich kein Argument gegen Satzzeichen sein kann...) Natürlich befördern sie die Verständlichkeit, zerhacken aber auch und lassen manche zusätzliche sinngebende Verbindung nicht zu. Ich will es im Übrigen Lesern gar nicht leicht machen. Lyrik darf m.E. auch durch Verdichtung etwas haben, das erst herausgelesen werden muss. Ich habe dieses Gedicht bereits vielen weiteren Kritikern ausgesetzt. Gerade die störte eher die Freiheitsstatue, der das Licht ausging.
Dass Texte über Schreibblockaden immer auch etwas davon (nicht nur inhaltlich) herüber bringen, liegt, so glaube ich, in der Natur der Sache. Obwohl ich deine Kritik schon gerade in dem Punkt annehmen kann, dass auch solche Gedicht geschliffen sein sollten. (Aber so schrecklich ungeschliffen emfindet ich mein Gedicht gar nicht.)
Und das Lyr-Ich litt eigentlich nicht unter der Schreibblockade sondern eher unter dem schwülen Wetter.
Noch einmal Dank und herzlichen Gruß
Karl
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