#1

Die Welt der Bücherwürmer oder Rappelkiste

in Parodien und Persiflagen 21.08.2007 20:38
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Rögentüdü. Das war natürlich nicht normal. Genau besehen war es hochgradiger Schwachsinn, aber Widerworte wurden von den Nietzsches niedergeknüppelt. Als Selby war man am Arsch. Morgens wurde man vor die Kutschen gespannt oder in die Gruben geschickt. Wenn man Glück hatte wurde man gewaschen und als Sexsklave missbraucht. Ansonsten war es ein Leben in der Galeere. Aber laut den spenglerschen Hohepriestern sei für uns Selbys alles nur Rögentüdü. Rögentüdü müsse ein Selby stets brabbeln und er werde seine Bestimmung finden.

Ja, die Pferde liefen natürlich frei herum. Die Nietzsches lehrten uns die Weisheiten des Doktor Gulliver und seine Faszination für das Pferd. Das Pferd sei es Wert, geehrt zu werden. Wir mussten die Pferde striegeln, die Haufen wegräumen und das Stroh durchlüften. Wir waren es, die vor die Droschken gespannt wurden und gerne wurden wir auch von den Übermenschen als Ross benutzt. Manch einer zwang uns sogar zu wiehern. Widerlich.

Lustig war es für uns nur, wenn einer von Ihnen die Krankheit bekam. Sie wurde nur Sys genannt. Niemand durfte den vollen Namen aussprechen. Wenn einer von uns es trotzdem wagte – wenn passierte es sowieso nur aus versehen – dann hieß es: Kopf ab, Schwanz ab und da half auch kein Rögentüdü mehr. Dann war es ratzfatz aus und die Selby-Verwertungsindustrie freute sich. Schnell war man eingedost: Selby-Leber, Selby-Püree und Selby-Risi-Bisi. Die aßen das natürlich nicht. Bewahre. Auch die Pferde bekamen diesen Fraß nicht. Nein, wir Selbys hatten uns zum Fressen gern.

Es gab diese Speisungshallen für uns. Wir wurden hineingetrieben und vor die Tröge gepeitscht. Tisch? Stuhl? Weit gefehlt: Napf. Beim Essen wurden wir zu Vierbeinern degradiert. Es galt als Belustigung dieser Schnurbartträger, uns beim Essen zuzuschauen. Sie schlürften wohl Wachteleier, während sie uns in verspiegelten Emporen zusahen, wie wir uns dichtgedrängt um unsere eigenen Überreste schlugen. Wahrscheinlich kringelten sie sich wenn einer von ihnen das Spektakel mit Rögentüdü kommentierte. Nein, feist waren sie nicht. Im Gegenteil: Sie glänzten in geölten Riefenstahlkörpern. Nur der obligatorische walrossmäßige Schnauzbart sah bekloppt aus. Die Damen klebten sich mangels Stoppeln eine Fliege an.



Natürlich folgt eine Fortsetzung, in der wir Zarathustra und den Lehrer des Selby - Freitag - kennenlernen werden.
Der dritte Teil ist dann eine Zwiesprache, Dialog, zwischen dem Erzähler und dem Gott Behemoth.
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#2

Die Welt der Bücherwürmer oder Rappelkiste

in Parodien und Persiflagen 21.08.2007 23:03
von roux (gelöscht)
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Eine wirklich böse kleine Geschichte, bei der man anfangs überlegt, was du wohl vor dem Schreiben geraucht hast, bis einem so nach und nach die Anspielungen verständlich werden (die kleine Zeitverzögerung mag auch an meiner Grippe liegen), Spannung entsteht schon durch die irrwitzige Erzählweise.

Die Geschichte breitet sich so skurril aus, dass allein schon dieses "von Anspielung zu Anspielung hüpfen" Spaß macht, bis man am Ende das Gesamtbild (wie in der Grundschule diese Bleistiftstriche von nummeriertem Punkt zu nummeriertem Punkt, bis hinterher ein Häschen rauskommt) erhält.

Witzig, am Anfang die Andeutung auf Nietzsches umnachtetes Ende, zur Schau gestellt und zu Tode gepflegt von deiner geschäftstüchtigen Schwester, Nietzsches Schnäuzer bekommt einen Ehrenplatz, auch die geölten Riefenstahlkörper am Ende sind klasse eingebaut.

Es ist alles in Vergangenheitsform geschrieben, also hat der Erzähler es wohl überstanden, scheint aus seiner Erinnerung zu erzählen. Ein wenig unbefriedigend natürlich der Schluss. Aber wir mussten ja wohl auf drei Teile gefasst sein.

Also sprach Brot und ich schmunzelte.

LG, roux

(Pferde haben großen Wert, hm? ;-) )
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#3

Die Welt der Bücherwürmer oder Rappelkiste

in Parodien und Persiflagen 22.08.2007 09:05
von Erebus (gelöscht)
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Ihr habt euch verschworen! Ich verstehe nur rögentüdü!

Aber ich werde euch die gusseisernen Schnurrbärte von den Bessemerbirnen reissen. Es lebe die Kryptologie!

Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen. - F.W. Nietzsche: ein Steinbruch, der den Vorteil hat, das dort jeder fündig wird.

Die "geölten Riefenstahlkörper" sind ein sehr gelungenes Bild!
Ansonsten kann ich nicht viel damit anfangen. Viel zu leicht zu enttarnen, wenn sich die Nietzsches alle gleichartig bebarten oder befliegen.

Verschwörungstheorien sind sowieso nicht mein Ding. Vielleicht, weil ich durch und durch ein Selby bin.

Spengler, Freitag, Behemot ? Habe keine Lust, bzw. nicht das Wissen, das schlüssig aufzudröseln, es kommt mir zu beliebig daher.

Und dann...
es liest sich flüssig. Besonders den Anfang finde ich äußerst gelungen - onomatopoetisch (ätsch!) gelungen. Diese Wort erzeugt einen starken Sog.



Es dauerte eine Weile, bis ich mir einen Reim darauf machen konnte. Und wenn ich merke, das der Groschen nur pfennigweise fällt, dann ärgert es mich.

Ansonsten schmälerten mir einige Umgangssprachlichkeiten den Genuss - ach hätte ich doch Margots Kommentar nicht gelesen! (hui..ich bin jetzt überhaupt total verunsichert, ob ich mich an dem Wettbewerb beteiligen soll. Da komm ich wahrscheinlich als Schnibbelbohne wieder raus. Aber das anderes Baustelle).
Das lasse ich mir jetzt aber nicht nehmen:

Rögentüdü. Das war natürlich nicht normal. Genau besehen war es hochgradiger Schwachsinn, aber Widerworte wurden von den Nietzsches niedergeknüppelt. Als Selby war man im Arsch[i] [..am Arsch? Egal.. ][/i]. Morgens wurde man vor die Kutschen gespannt oder in die Gruben geschickt. Wenn man Glück hatte wurde man gewaschen und als Sexsklave missbraucht. Ansonsten war es ein Leben in der Galeere. Aber laut den spenglerschen Hohepriestern sei für uns Selbys alles nur Rögentüdü. Rögentüdü müsse ein Selby stets brabbeln und er werde seine Bestimmung finden.

Ja, die Pferde liefen natürlich frei herum. Die Nietzsches lasen uns die Weisheiten des Doktor Gulliver vor und [i] [ lehrten uns? ][/i]seine Faszination für das Pferd. Das Pferd sei es Wert, geehrt zu werden. Wir mussten die Pferde striegeln, die Haufen wegräumen und das Stroh durchlüften. Wir waren es, die vor die Droschken gespannt wurden und gerne wurden wir auch von den Übermenschen als Ross benutzt. Mancher[i] [ Mancheiner? ][/i] zwang uns sogar zu wiehern. Widerlich.

Lustig war es für uns nur, wenn einer von Ihnen[i] [ klein ][/i]die Krankheit bekam. Sie wurde nur Sys genannt. Niemand durfte den vollen Namen aussprechen. Wenn einer von uns es trotzdem wagte – wenn[i] [ , dann ][/i] passierte es sowieso nur aus versehen – dann hieß es: Kopf ab, Schwanz [i] [ Oh, der auch? ][/i]ab und da half auch kein Rögentüdü mehr. Dann war es ratzfatz aus mit einem [i] [ könnte man fortlassen: mit einem ][/i]und die Selbyverwertungsindustrie[i] [ schlecht zu lesen: Ich las zunächst Selbstverwertungs.. - was mir gefällt ][/i]freute sich. Schnell war man eingedost: Selby-Leber, Selby-Püree und Selby-Risi-Bisi. Die aßen das natürlich nicht. Bewahre. Auch die Pferde bekamen diesen Fraß nicht. Nein, wir Selbys hatten uns zum Fressen gern.

Es gab diese Speisungshallen für uns. Wir wurden hineingetrieben und vor die Tröge gepeitscht. Tisch? Stuhl? Weit gefehlt: Napf. Beim Essen wurden wir zu Vierbeinern degradiert. Es galt als Belustigung dieser Schnurbartträger, uns beim Essen zuzuschauen. Sie schlürften wohl Wachteleier, während sie uns in verspiegelten Emporen zusahen, wie wir uns dichtgedrängt um unsere eigenen Überreste schlugen. Wahrscheinlich kringelten sie sich wenn einer von ihnen das Spektakel mit Rögentüdü kommentierte. Nein[i][ Komma ][/i]feist waren sie nicht. Im Gegenteil: Sie glänzten in geölten Riefenstahlkörpern. Nur der obligatorische walrossmäßige Schnauzbart sah bekloppt aus. Die Damen klebten sich mangels Stoppeln eine Fliege an.


Natürlich folgt eine Fortsetzung[i] [ Komma, dann lernen wir Zarathustra.. ][/i]wo wir Zarathustra kennen lernen werden und den Lehrer des Selby: Freitag.[i] [ wieso nun der? ][/i] Der dritte Teil ist dann eine Zwiesprache, Dialog, zwischen dem Erzähler und dem Gott Behemot[i] [ Kenn ich nicht. Ist das eine Lokalgottheit? Ich kenne nur den Gott Bonmot, und mit dem will ich das beschließen:
[quote] ich darf zitieren aus nizza:
Natürlich verdankt der Text diesem Umstand auch seine Verve, dennoch hätte man ihn im Nachhinein redigieren können. [/quote][/i]

Basiert das jetzt alles auf tiefen Kenntnisses der Schriften von F.W.Nietzsche?, oder ist es das ( wenn ich den Herrn ebenfalls zitieren darf) :

[quote] F.W. Nietzsche
Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen.[/quote]
Nietzsche: -ein Steinbruch, der den Vorteil hat, das dort jeder etwas findet.

Lieber Gruß

Ulrich
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#4

Die Welt der Bücherwürmer oder Rappelkiste

in Parodien und Persiflagen 22.08.2007 11:19
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Danke Euch Beiden fürs Lesen, Kommentieren und korrigieren.

Wenn es witzig und böse rübergekommen ist, aber eben auch seltsam, unfertig und sogar verdächtig beliebig erscheint , dann ist die Parodie, die Persiflage aufgegangen. Ich habe irgendwann einmal zu einer KG im Kommentar geschrieben, dass ich diese eingestellten Romananfänge, oder Anfänge von irgendwas schlecht ertragen kann, weil nur allzu oft danach nichts mehr erscheint und das ganze Lesen, kommentieren oder anregen vollkommen für die Katz war.

Ich hatte in letzter Zeit auch das Gefühl – und ich habe mich schamlos daran beteiligt – dass alles was keinen Zeilenumbruch besaß bei KGs abgeworfen wurde. Was ich für äußerst bedauerlich halte und daher mir wünsche, daß wir eine weitere Prosaspielecke wie z.B. eine für Drabbles oder Kürzest-Prosa bekämen. Wobei wir mit den Zwischenwelten und dem Arbeitshügel eigentlich ausreichend Platz haben für solche Spielereien. Aber das ist anscheinend schwierig,

Zurück zu den Schnurbartträgern in der Kiste. Natürlich habe ich mir dabei was gedacht und finde diese Nietzsches und Selbys in ihrer Rappelkiste amüsant. Eigentlich sollte das Dingen heute von Arno gespült werden, weil ich nicht mehr als einen Anreißer hier abliefere.

Allerdings war das auch mein Ziel auf möglichst engem Raum (30 Word Zeilen) viel reinzupacken. Denn irgendwie nervten mich andere, schlichtere Versuche hier – ja, schimpft mich arrogant oder Schnurrbartträger – die es schlichtweg an allem vermissen lassen, aber meinen – zugegebenermaßen – Lieblingsfaden (KGs) vollmüllen. Das nervt mich kolossal. Gerade dann, wenn jemand für schnell verfasstes Zeug signiert, wo eigentlich erwartet werden kann, dass er oder sie genügend Talent hat nicht nur dümmlich rum zu klecksen sondern ein Bild zu malen. Es tut mir leid, aber da fühle ich mich verarscht.

Eine KG ist kein Fortsetzungsroman und ein reiner Dialog fällt für mich unter Einakter oder Drama, Theaterstück. Ein starkes, wiederkehrendes Motiv bei der Frage was ist eine KG?, scheint mir der Leseakt - der soll durchgängig sein – und der unmittelbare Beginn zu sein.. Das Ende wird zumeist offen gestaltet. Das klingt altklug – weiß ich – aber wenn ich jetzt anfinge die Kurzprosateile, die hier munter unter KG gepostet werden und wurden unter Gedichtrubriken zu posten, würden hoffentlich viele sagen: das pack lieber in eine Prosarubrik. Und das mit recht. Anders formuliert: Wenn ich die Zwischenwelten anklicke, erwarte ich erstmal gar nichts – außer das ich klassische oder bekannte Formen nicht erwarte – aber wenn ich KG anklicke, erwarte ich keine Theaterstückchen oder Anfänge von irgendetwas wo ein lapidares Fortsetzung folgt drunter prangt, die erfahrungsgemäß so gut wie nie erfolgt, weil die Fortsetzung wahrscheinlich richtig Arbeit erfordern würde.

Da ist es natürlich leichter, einfach mal einen Kringel ins Eis zu drehen. Speiübel wird mir, wenn selbst der Kringel krakelig und witzlos ist. Wenn es noch nicht mal geschafft wird auf pisslige dreißig Zeilen, dem Leser wenigstens etwas Futter zu bieten. Das ist arm.

Das war die Motivation für die Rappelkiste und anscheinend hat es dem Text gut getan, dass ich sauer war. Aber es ist nicht mehr als eine hübsche Idee, die jetzt bearbeitet, ausgeschnitzt werden müsste, um z.B. auch dem Bedürfnis Erebus gerechter zu werden, ob der Nietzsche nur ein Fake oder tatsächlich mehr dahinter steckt. Beruhigend kann ich einwerfen, dass ich mir bei meinen Anspielungen was dachte und sie nicht nur als Gründen des name dropping wählte. Aber letztlich hat Erebus vollkommen recht: für eine nähere Betrachtung reicht dieser Text so nicht aus. Um das zu erfüllen, würde es bedeuten, dass ich mich intensiv mit dem Untergang des Abendlandes, Also sprach Zarathustra, der deutschen Romantik, dem Konservativismus und bis hin zu dem von Th.Mann gebildeten Gegensatzpärchen: Kultur oder Zivilisation? mich vorarbeiten. Puh. Da strecke ich doch lieber wieder die Waffen und bitte den Arno, die Rappelkiste in die Parodienecke zu überführen.

Die Korrekturen seitens Erebus werde ich natürlich umsetzen.
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