#1

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 15.07.2007 18:49
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Streng monoton fallend

Das ganzheitliche Gleichgewicht
als Glücksprinzip hab ich probiert,
doch letztlich hat's nicht funktioniert;
es hält nicht das, was es verspricht

denn schwingt auch alles hin und her -
die Zeit bleibt bloß ein langer Strich;
und dächte jeder nur an sich,
so gäb's vielleicht kein Unglück mehr,

dann wär an jedermann gedacht,
die Sorgen wären portioniert,
weil Teilen erst sie potenziert,
indem man was für andre macht.

Wir würden auch Enttäuschung sparen,
denn Hoffnung wär ein seltner Fund
auf diesem schiefen Untergrund
der Zeit, auf dem wir Schlitten fahren.

_____________________________________
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#2

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2007 06:46
von Erebus (gelöscht)
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Hallo GW,

kompliziert. Inhaltlich will ich dem gar nicht zustimmen, denn m.E. baut das Gedicht den Status Quo als Utopia aus...
Wobei die letzte Strophe schon was hat, wenn auch negativ konnotiert- denn irgendwie führt der Blick aus dem Jammertal in die Hoffnungslosigkeit.

Dass kriege ich gedanklich hin, es klingt logisch, behagt mir aber nicht. Es geht aber nicht um Behaglichkeit - oder doch?
Die beiden Elisionen sind vermutlich dem maskulinen Gleichmaß der Endungen geschuldet. ..ih würde dort die sprachliche Richtigkeit vorziehen.

In S1 müßte ich, und ich habe ja eine Schwäche für Esoterisches, dem LI glauben, dass es mal probeweise ganzheitliches Gleichgewicht probierte- tue ich aber nicht.
Deshalb stelle ich diese Strophe in Frage ganz einfach deshalb, weil sie mir nicht glaubwürdig erscheint.
Dann kommst Du mit S2 über die Benennung des Zeitstrahls zur speziellen Glückstheorie, die sich in S3 durch Portitionierung in Einzelglücke d.h. größere Überschaubarkeit realisieren ließe, da jedermann nur noch sein eigenes Glück im Blick habe.
Diese Sichtweise ist m.E. sowieso der Fall. Die Mütter Theresas sind viel zu dünn gestreut um hier etwas anderes zu sehen. Und die scheitern im Großen und Ganzen ja grade daran, dass sie der Menscheit am Arsch vorbeigehen. Vierspurig.

So bleibt der Text für mich fragwürdig, was dann wieder ganz gut ist. Denn so einfach kommt nicht mal 'ne Ratte aus dem Labyrinth.
Würde anstelle "Hoffnung" in S4 das Wort "Erwartung" auftauchen, so käme ich allerdings mit dieser Strophe gut aus.

LG
Ulrich
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#3

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2007 10:33
von Albert Lau (gelöscht)
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Der Dichter redet ja gar nicht vom Glück, sondern ausschließlich vom Unglück und insofern finde ich das Gedicht inhaltlich gelungen, wenn auch sprachlich zwiespältig. Denn zum Ende will GW deutlich zu seiner Aussage hin und da wird auch mir die Schlittenfahrt zu holperig und das nicht nur sprachlich. Das fängt in S3Z3 an, die zunächst einmal als eigenständiger Satz beginnen sollte. Das Teilen und das Portionieren sind im Grunde identisch, wenn auch klar ist, was gemeint ist. Die Syntax aber ist grausam und Zeile 4 hängt irgendwie im luftleeren Raum: Das geteilte Leid wird potenziert, „indem man was für And’re macht“? Die Elisionen in S4 sind unschön, da gebe ich Erebus recht. Erwartung statt Hoffnung wäre allerdings falsch, auch wenn Enttäuschung häufig aus übersteigerter Erwartungshaltung resultiert. Aber hier geht es um Hoffnung und die hat das LI aufgegeben und nur dann gibt es auch keine mehr.

Inhaltlich muss zum Einen festgehalten werden, dass es dem Wesen eines Gedichtes fremd ist, irgend eine Theorie, irgend eine Aussage beweisen zu wollen. Das ist gerade nicht der Ansatz und daher finde ich Erebus’ Äußerung hinsichtlich des Glaubens an die Aussage des LI befremdlich. Zudem wird in dem ganzen Gedicht mehr als deutlich, dass die Abkehr vom ganzheitlichen Ansatz hin zum monolinearen Zeitstrahl und zu der unübertrefflichen Aussage: Wenn jeder nur an sich denkt, ist wenigstens an jeden gedacht! (Chapeau!) nur der Verbitterung des LI zuzuschreiben ist. Denn der lineare Zeitstrahl wird ja als schiefe Ebene geziehen, auf der nur eine hoffnungslose Schussfahrt in den Abgrund des Vergessens möglich scheint.

Das LI rettet sich in Zynismus, so wie es sich für einen enttäuschten Romantiker gehört. Und das Gedicht macht seinen Job, indem der Leser über beide Ansätze nachdenken und seinen eigenen Schlussstrich ziehen darf. Fazit: Inhaltlich wesentlich ansprechender, wobei die ersten beiden Strophen prima gelungen sind. Zum Ende hin erscheint es etwas gezwungen, was schade ist.

DGadE
Albert
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#4

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2007 11:42
von Erebus (gelöscht)
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@Albert Lau

Zitat:

Inhaltlich muss zum Einen festgehalten werden, dass es dem Wesen eines Gedichtes fremd ist, irgend eine Theorie, irgend eine Aussage beweisen zu wollen. Das ist gerade nicht der Ansatz und daher finde ich Erebus’ Äußerung hinsichtlich des Glaubens an die Aussage des LI befremdlich.



hä?

ich meinte diese Aussage:

Zitat:

Das ganzheitliche Gleichgewicht
als Glücksprinzip hab ich probiert,
doch letztlich hat's nicht funktioniert;
es hält nicht das, was es verspricht


Denn das hört sich für mich so an, als habe LI irgendein ganzheitliches Gleichgewicht erreicht und sei dann wieder davon abgekommen, weils nicht das Wahre sei. Ich finde nichts Befremdliches daran, diese Aussage in Frage zustellen. Vielleicht wäre eine albertinische Formulierung à la " da komme ich nicht mit" oder "Das haut so nicht hin. Nicht bei mir." besser gewesen?
Da bin ich nämlich ungläubiger Thomas.

In dieser Weise wäre ich mitgekommen (nicht sprachlich, aber inhaltlich)
Das ganzheitliche Gleichgewicht
als Glücksprinzip hab ich probiert,
doch letztlich hat's nicht funktioniert;
kam nie dahin, wovon es spricht.

Die Tabuisierung eines Feedbacks, wenn's nicht grade grob verletzend ist, finde ich hingegen befremdlich.

LG
Ulrich
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#5

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2007 12:17
von Albert Lau (gelöscht)
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Ach, nun mal nicht so empfindlich, wo tabuisierte ich dich denn?

Ich fand und finde befremdlich, wenn du dem LI (vulgo: dem Dichter, denn der spricht hier) einfach nicht glaubst, "dass es mal probeweise ganzheitliches Gleichgewicht probierte". Doch, tat er, steht ja da. Und ich finde befremdlich, einem lyrischen Ich abzusprechen, das auch nur probeweise probiert zu haben...

So wie du das jetzt mit etwas anderen Worten wieder tust, unterstellst du, dass wer es nur richtig machte, unbedingt feststellen müsste, dass es sehr wohl funktioniert. Und das schreibst du nicht in einem Gedicht, sondern in einem Kommentar, welcher im Gegensatz zu einem Gedicht ja doch einen gewissen Wahrheitsanspruch hat, zumindest einen subjektiven. Und diese subjektive Wahrheit könnte man natürlich anzweifeln, da wäre in meinen Augen nichts Befremdliches dabei.

So, genug gefremdelt. Vermutlich wolltest du ja nur die Ganzheitlichkeit vor Abwertung schützen und ich den Dichter. Sei es also darum.

DGadE
Albert
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#6

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2007 12:38
von Erebus (gelöscht)
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genau.
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#7

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 18.07.2007 08:39
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Der Titel schreckte mich doch arg ab. Streng monoton klingt nicht sehr unterhaltend.

Aber ich las dieses ironische Loblied auf den Egoismus dann doch mit großem Vergnügen. Die Ironie les ich aus der S3 - vor allem Z1 und aus dem Titel selbst. Das ist so absurd um die Ecke gedacht, dass ich es sehr komisch
finde.

Wobei in S4 die Absurdität dieses Gedankens wieder in Sarkasmus umschlägt. Stimmt aber auch: In einer Welt voller Egoisten, dürfte es schwerfallen von jemandem enttäuscht zu werden.

Nur das sparn sieht mir ganz schrecklich aus. Muss das sein?
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#8

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 18.07.2007 10:06
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo allerseits,

die Diskussion zwischen Erebus und Albert zeigt mir, dass mein Text zumindest nicht so ganz in der intendierten Form funktioniert.
Der Gedanke war, dass ich das ganzheitliche Gleichgewicht als eine Art Schwingung um einen neutralen Zustand, einen Mittelpunkt betrachte, der bei Pendeln in der Physik ja auch Gleichgewichtslage betrachte. Jedoch habe ich noch den Faktor Zeit, und der pendelt nicht um einen Mittelpunkt, sondern schreitet einfach geradeaus ohne Pause. Somit, egal wie sehr ich mich um ein Gleichgewicht bemühe mit mir oder meiner Umwelt, die grundsätzliche Bewegung zeigt nach unten, zum Ende, dorthin wo die Zeit mich hinträgt. Das führt beim lyrI zu Desillusionierung und dem extremen Umschwung in den Egoismus.
Ich muss allerdings wirklich gestehen, das der wirklich großartige Satz "Denke jeder an sich selbst, dann ist an jeden gedacht" nicht auf meinem Mist gewachsen ist. Den erzählte mir in meiner Jugend (vor etwa 20 Jahren) ein Freund weiter, von dem ich auch so Perlen erfuhr, wie die Ultrakurzgeschichte von dem Kerl der 40 Klöße essen will, nach dem 39. nicht mehr kann und sagt: "Hätte ich das gewusst, hätte ich den zuerst gegessen."
Oder "Ey, warum strickst du denn so schnell?" "Na, ich will fertig sein, bevor die Wolle alle ist."
Wo das alles herstammt, keine Ahnung. Jedenfalls glaube ich, dass ich wiedermal versucht habe, auf so engem Raum zu viel Inhalt transportieren wollte und mich über den Schluss mit dem Egoismus vor der Ausgestaltung meines Gleichgewichtsgedankens gedrückt habe.

@Brot & Erebus: Nein, das sparn muss eigentlich nicht sein. Danke.

Viele Grüße,
GW

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#9

Streng monoton fallend

in Philosophisches und Grübeleien 09.08.2007 22:15
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Lieber GerateWohl!

Entschuldige, erst heute beziehe ich mich auf dieses gelungene Gedicht.
(Nur mich störende Kleinigkeit: selt'ner Fund - Apostroph)

Ganz klar kam ich nicht, beim Versuch den dargelegten Gedankengang nachzuvollziehen zu wollen. Aber auf jedenfall ist es originell, ebenso gut geschrieben.

Mit freundlichem Gruß
Joame
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