#1

Blinde Schrift

in Philosophisches und Grübeleien 04.06.2007 17:33
von Wortklaubär (gelöscht)
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Blinde Schrift



Alles an der Oberfläche
wenn Du nicht zwischen den Zeilen liest
bleibt Dir erdrund verbogen
was sich hinter dem Horizont verbirgt,
und nichts wird Ganzheit sein,
verstecktes Innenleben aus Mark,
nur Pfennigweises lässt dich arm.



Alles in diesen Zeilen ist halb,
wenn Du nicht weiter liest,
der Apfelkern ist mitgespalten,
wird so wohl nie ein Neues werden,
die Früchte tragen andere davon,
mit roten Wangen voller Blut
sind sie verloren zwischen Zeilen?




RPK 300507
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#2

Blinde Schrift

in Philosophisches und Grübeleien 05.06.2007 19:12
von Maya (gelöscht)
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Tach!

Man fragt sich ja zunächst, was es mit dem Titel auf sich hat. Wieso wird hier von blinder Schrift gesprochen? Hä? Ich sehe den Text doch vor mir. Nun gut, ich lese weiter und treffe im Laufe des Gedichts immer wieder auf Anspielungen, die mir verdeutlichen, dass hier noch etwas versteckt sein muss, was ich auf den ersten Blick nicht erkennen kann, denn warum sonst sollte der Autor erwähnen, dass in diesen Zeilen alles nur „halb“ sei und die Früchte „zwischen“ den Zeilen verloren sind, wie es am Ende heißt. Ich sah nur Leerraum zwischen den Zeilen, bis ich, wie ich es oft tue, die erste Strophe kopieren wollte, um sie zu verreißen. Ha! Das Geheimnis ist gelüftet . Nette Idee!

Nur finde ich die Umsetzung noch nicht ausgereift genug, denn die versteckten Zeilen fügen sich nicht wirklich zu einem großen Ganzen zusammen, sondern wirken wie Flickwerk, um der spielerischen Idee Genüge zu tun. Besser hätte ich es gefunden, wenn mit dem Sichtbarwerden der zusätzlichen Zeilen auch eine Inhaltsverschiebung vonstatten gegangen wäre. Was es mit dem Apfelkern auf sich hat, erschließt sich mir wohl nicht so recht. Steht der Apfel hier symbolisch für den Baum der Erkenntnis (i.S. von Erkennen des zunächst Unsichtbaren)? Und müsste es in der vierten Zeile der Strophe 2 nicht heißen: „wird so wohl nie ein neuer werden“, da der Kern maskulin ist? Insgesamt gesehen eine nette Spielerei.

Grüße, Maya
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#3

Blinde Schrift

in Philosophisches und Grübeleien 07.06.2007 21:59
von Wortklaubär (gelöscht)
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Hallo Maya.

Zitat:

Nette Idee!


Naja, obwohl der Tümpel mit seiner eingeschränkten Farbauswahl das sehr schwer gemacht hat. Ich konnte es leider nur weiß auf hellgrau editieren und nicht hellbrau auf hellgrau, wie es sollte. Undruckbare reine Internetlyrik jedenfalls.


Zitat:

Nur finde ich die Umsetzung noch nicht ausgereift genug, denn die versteckten Zeilen fügen sich nicht wirklich zu einem großen Ganzen zusammen, sondern wirken wie Flickwerk, um der spielerischen Idee Genüge zu tun

. Jaa, es ist zwar einzeln und zusammen lesbar, aber sicher nicht allzu perfekt.
Der Apfelkern... Ja, hast Du gut interpretiert. Es geht darum, dass oft eine oberflächliche Erkenntnis wertlos ist. Aus einem halben Samen wird kein Baum wachsen, und dieser wiederum keine Früchte, und diese keine neuen Samen.

Zitat:

Und müsste es in der vierten Zeile der Strophe 2 nicht heißen: „wird so wohl nie ein neuer werden“, da der Kern maskulin ist?

Sie, die Früchte. Ist doch der letzte Bezugspunkt.


Zitat:

Insgesamt gesehen eine nette Spielerei.

Joa, danke, ich hoffe, es hat Spaß gemacht, auch einmal ein unerwartetes Geheimnis zu entlüften, Zitronensaft bügeln in der binären Onlinelyrikwelt.

Liebe Grüße
Roland
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#4

Blinde Schrift

in Philosophisches und Grübeleien 08.06.2007 11:14
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hi Bär,

ich habe beim Lesen aus Konzentrationsgründen gleich markiert und den Gimmik entdekct und dachte dann "raffiniert". Die Wendungen sind teils sehr gelungen, teilweise zünden sie nciht so. Den gespaltenen Apfelkern und die erdrunde Verbiegung gefallen mir, das Pfennigweise, das mich arm lässt gefällt mir nicht und ich verstehe es ehrlich gesagt auch nicht.

Was für mich allerdings das einzig große AMnko des Gedichts ist, ist, dass die Zwischenzeilen für mein Empfinden den Inhalt des Gedichts gar nicht nennenswert erweitern oder verändern. Wenn man sie nicht findet und weglässt, hat das Gedicht die gleiche Aussage nach meinem Verständnis. Die Zwischenzeilen sind so ein bisschen wie die Offkommentare bei der alten Film-Version. Als sie im Directors Cut wegfielen, hat sie keiner vermisst.

So viel von mir.

Grüße,
GerateWohl

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