#1

Sandstromgebläse der Zeit

in Mythologisches und Religiöses 03.05.2007 23:41
von Primel (gelöscht)
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Weg weht der Wind
meine Jahre zu Staub.

Vorgeneigt gegen das Licht
um seinen Ansturm zu tragen,
taub der Begegnung,
wend ich mich nicht,
wenn mir die Sicht
auch aus dem Auge gerissen.

Schreite mit Tastgebärden,
trag noch ein Wissen vielleicht,
das von dem Winde vergessen.

Sieh, wie mein Fuß schon versinkt,
auflöst der Weg sich im Licht.
Schatten mich nicht mehr erreicht,
und die Orkane versterben.
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#2

Sandstromgebläse der Zeit

in Mythologisches und Religiöses 04.05.2007 00:42
von Maya (gelöscht)
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Hallöchen Primel!

Weg weht der Wind
meine Jahre zu Staub.


Bereits in der ersten Zeile bin ich gestolpert, weil ich Weg als Weg und nicht als weg las. Warum diese unglückliche Inversion gleich zu Beginn des Gedichts? Würde es nicht besser klingen, wenn es da hieße:

Der Wind weht
meine Jahre zu Staub

?

Und wenn wir schon dabei sind: „auflöst der Weg sich im Licht“ – da rollen sich meine Zehennägel bis zu den Fingern hoch.

Das Gebläse im Titel mag ich nicht, ich assoziiere das gleich mit dem Blasebalg einer Luftmatratze.

Vorgeneigt gegen das Licht
um seinen Ansturm zu tragen,
taub der Begegnung,
wend ich mich nicht,
wenn mir die Sicht
auch aus dem Auge gerissen.


Den Begriff Ansturm finde ich etwas unpassend, war doch zuvor nur vom Wind die Rede. Nach der Beaufortskala haben wir es also mit der Windstärke 8 zu tun (stürmischer Wind), nun gut.

Aber worum geht es überhaupt? Das lyrI kämpft gegen den Sturm an, der die Jahre einfach fortfegt und nichts vom Vergangenen übrig lässt. Es ist wohl der Wunsch in ihm vorhanden, alles was war (z.B. Erinnerungen) und ist (das, worüber sich das lyrI definiert und mit dem es sich identifiziert) festzuhalten und an sich zu binden, damit es auch selbst nicht ausgelöscht wird.

Schreite mit Tastgebärden,
trag noch ein Wissen vielleicht,
das von dem Winde vergessen.


Dieser Abschnitt gefällt mir sprachlich nicht. Zuvorderst fehlt das Personalpronomen, denn Z1 ist ja wohl kaum als Appell gedacht. In Z3 würde ich „von“ und „dem“ zu „vom“ zusammenziehen, denn das klingt weicher.

Vom Inhalt her mag ich diese Zeilen. Hier kommt die Hoffnung des lyrI zum Tragen, dem Wind und somit dem Vergessen ein Schnippchen zu schlagen. Es klammert sich an das, was ihm noch geblieben ist, nämlich das Wissen – fast das Wertvollste, was ein Mensch besitzen kann.

Sieh, wie mein Fuß schon versinkt,
auflöst der Weg sich im Licht.
Schatten mich nicht mehr erreicht,
und die Orkane versterben.


Und diesen Abschnitt verstehe ich nicht ganz. Worin versinkt der Fuß, im Licht oder im Nichts (Vergessen)? Da aber am Ende die Orkane versterben und auch die Schatten keine Bedrohung mehr darstellen, müsste das lyrI den Sturm ja überstanden haben. Hat die Stärke des Wissens den Verfall aufgehalten?

So richtig warm bin ich mit dem Text nicht geworden, weil ich ihn wohl nicht so recht verstanden habe.

Gruß, Maya
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#3

Sandstromgebläse der Zeit

in Mythologisches und Religiöses 04.05.2007 10:03
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
hallo Primel

man merkt es den Versen an, dass angestrengt jeweils eine Hebung zum Zeilenbeginn intendiert wurde.

und gerade die Umstellungen zu Beginn sind nicht gelungen.

Vorschläge:
Überschrift: "Sandstrahlgebläse der Zeit"

1.Zeile im gleichen Metrum: " Sandstürme wehn"

8.Zeile: "aus meinen Augen gerissen."

9.Zeile: "Schreiten"

10. "tragen, ein Wissen vielleicht,"

13. "sieh, wie sich Weg löst im Licht."

14. umgestellt: "Schatten erreicht mich nicht mehr" XxxXxxX

für die letzte Zeile wäre ein deutlicherer Daktylus zu wünschen. ein "Wind" stünde noch zur Verfügung (Orkane eventuell in Z11). vielleicht "wirbelnde Winde"? auch das "sterben" wirkt mir persönlich zu überdeutlich. es läuft ja alles auf dieses eine Verb hin. ob ein verebben dem Leser da nicht mehr Freiraum ließe?

ich mag dieses wogende Treiben, in dem alles gegen die Vergänglichkeit anläuft. erfolglos? fast erfolglos. die vage Hoffnung, dass ein Krümel Wissen das Sandstrahlen überdauern könnte, muss reichen. das wäre ja schon viel. das gefällt. mir.

Gruß
Alcedo


e-Gut
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#4

Sandstromgebläse der Zeit

in Mythologisches und Religiöses 05.05.2007 17:44
von Primel (gelöscht)
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Moral eines Schreiberlings:

ist ein Text etwas Heiliges, Kostbares, das sich über jede Zerlegung erhaben gesehen werden sollte, der Schöpfer des Wortgefüges ein Unantastbarer, der sein kostbares Herzblut in poetischer Eucharistie vergoss, oder handelt es sich um eine linguistische Fingerübung, die sich zu spracherzieherischen und -formenden Analysen freundlich anbietet? Soll ich also verteidigen, erklären, verbessern, die rote Tinte der Korrektur beweinen, oder in mich gehen und mein Leid in neuen Texten anklagend verkünden?

Der vorliegende Text ist der – misslungene, wie mir von kollegial zuständiger Seite hier erklärt wird – Versuch, eine sich aufdrängende Vorstellung (großspuriger ausgedrückt „Vision“) in Wortbilder zu übertragen, da ich leider nicht die graphische Ausdrucksgewalt eines William Blake besitze.

Hier ist das Bild bzw die „Vision“, die ich ziemlich detailliert zu sehen vermeinte, man könnte auch von einer kontrollierten Halluzination sprechen, die ich so reproduzieren kann, wie man sich an einmal gesehene Bilder oder Szenen aus einem Film erinnert:

ich befinde mich auf einer unstrukturierten Ebene, eventuell einer Wüstenlandschaft, wo mich Wind so stark anbläst, dass ich mich ihm entgegenstemmen muss. Er kommt aus einem weißintensiven Licht, das an die Bilder oder Zeichnungen des Feuersturms aus dem Zentrum einer Atombombenexplosion erinnert, der Haut und Fleisch von den Knochen abfrisst, ich sehe mich skeletthaft vorwärtskriechen, auf zerfallenden Beinen, die im Dünen(?)sand versinken oder zerstauben, auf das Lichtzentrum zu, aus dem der Wind kommt, der immer dichter Sand oder bereits sich auflösende Materie gegen mich schleudert, alles in absoluter Stille vor mir, doch ich weiß,ohne mich zu wenden, dass hinter mir das Dunkle alles verschluckt, Wind und Masse und Licht.

Jetzt, wo ich dies erzähle, kommen mir freilich auch alle Reminiszenzen zu Terminator und Genossen in den Sinn, doch das nimmt mir nicht den Mut, diese Szene als bescheidenes Eigenprodukt anzusehen.

Zu den sprachlichen Problemen: der wenig poetische Titel soll in etwa eine Gegenüberstellung der technisch realistischen Welt zu der Onirik, also der Traumhaftigkeit der Textbilder schaffen. Die Szene ist Kampf, Widerstand, vielleicht auch Keuchen und heftiges Ausstoßen des Atems, was durch die den akzentuierten Zeilenauftakt vermittelt werden soll. Untergang kann vielleicht auch in Schönheit und Sanftheit erfolgen. Bei mir ist es Verkrampfung der überforderten und verfallenden Physik, die sich mühsam in Inversionen und Kontraktionen noch auszudrücken versucht.

Ob eine glattere, gefälligere Form angebracht wäre? Dafür muss ich noch einige Zeit vergehen lassen, um der Gestaltung gegenüber dem Erleben eine faire Chance einzuräumen! Vorläufig aber danke ich fürs Lesen und Kommentieren.
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#5

Sandstromgebläse der Zeit

in Mythologisches und Religiöses 05.05.2007 18:24
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Primel!

Nicht Metrik suche ich, nehme Deine Aussage pur,
die mir das ungefragt auferlegte Vergehen aus Deiner Sicht verdeutlicht.
Daran will und kann ich nichts rütteln oder ändern,
stimme der bildhaften Sprache zu, die einem Lavastrome
gleich fließen soll. Niemand wird ihn in 'bessere'
Bahnen zu lenken vermögen.

Mut allen, deren Erkenntnis so weit reicht,
zu wissen, wie und was immer sie auch rufen,
es wird vom Sturme unbeachtet verschlungen.
Sie aber rufen und schreiten vorwärts,
bis sie hinsinken in die Unendlichkeit.

Ich habe Deine mich bedrückenden Gedanken gerne gelesen.
Gruß von
Joame
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