#1

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 21.01.2007 20:57
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
    Winter


Im Westen, am Seeufer scheint mir als spricht wer
von kälteren Winden, von schlechter Sicht,
mit Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.

Ich horche und spüre den Abendwind nicht mehr;
das Schweigen verdunkelt sich. Niemand spricht
aus Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.

Der Tag sinkt hinab in ein blutendes Lichtmeer,
doch etwas bewegt sich noch - siehst du nicht
die Fahnen des Schilfes im Gegenlicht?


nach oben

#2

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 23.01.2007 21:56
von Erebus (gelöscht)
avatar
Hallo Alcedo

Du beschreibst eine Winterstimmung am abendlichen See, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Die tiefstehende Sonne, das Abflauen des Windes und das Schilfrohr sind dicht zusammengebracht.
Hineingewoben ist ein seltsames Zwiegespräch, ich höre (eine) Stimme(n) von gegenüber sprechen(so stelle ich mir das vor) und stehe am Schilfsaum des Sees. In meiner Vorstellung gelingt es mir nicht, die Worte zu verstehen.
Du bringst hingegen mit den verstandenen Worten noch mehr "Winterlichkeit" in die Szene.
Dann fliehen die Laute aus dem Abend, die Sonne verfärbt sich, wird dunkelrot, die Szene wird in den schweren Untergang getaucht und schließlich ganz verdunkelt, Ahnend noch Bewegung im Schilf- siehst Du es noch. Nein, Du hast in der letzten Strophe noch Gegenlicht, das gefällt mir weniger, ansonsten ist die Stimmung, für mein Empfinden, dicht.

Bis auf dies und den leider, leider abhanden gekommenen dritten Daktylus jeweils in Z2, der Übergang in S1 von der zweiten zur dritten Zeile fällt mir ungeheuer schwer.
Im Verlaufe des Lesens hin zum Ende von S3 gewöhne ich mich scheinbar an diese Abrisskante, so dass sie zunehmend müheloser zu bewerkstelligen ist.
Die Wiederholung des Textes jeweils in S3 stört mich hingegen nicht (so sehr). Aber das Gegenlicht - zumal es nicht sonderlich schwer sein sollte, im (Gegen)licht noch die Schilfhalme zu sehen. Ist es vielleicht eine rhetorische Frage?

Ich habe den Text gerne gelesen und bewerkstelligt und finde ihn (bis aufs Gegenlicht und den Verlust der Daktylen) sehr schön

Lieber Gruß

Ulrich

nach oben

#3

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 25.01.2007 14:34
von Fabian Probst (gelöscht)
avatar
ging mir ähnlich.

Für mich klingt es sehr schön, wenngleich ich nicht ganz dahinter komme, worum es genau geht bzw. was die Fahnen des Schilfes im Gegenlicht so besonders macht, dass sie immer wieder im Text auftauchen. Mich stören die Wiederholungen auch in keinster Weise, denn wie ich ja schon sagte, klingt es toll. Nur finde ich keine für mich ersichtliche Bedeutung dahinter, so sehr ich mich auch bemühe.

Der fehlende Daktylus, der in seiner Konsequenz scheinbar gewollt ist, gefällt mir auch überhaupt nicht, weil er einfach das Lesen unheimlich zerwurstet und man so ins Stocken gerät, dass es keine Freude ist.
Diesen schwerfälligen "Übergang", den Erebus anspricht, konnte ich nun gar nicht entdecken. Das ist in meinen Augen sauber und gut zu lesen.

Alo bin ich auch hin und her gerissen, zwischen der sehr schönen Sprache, die ich wirklich für gelungen halte, dem einen metrischen Holperer, und dem Nichtverstehen.

Insgesamt sehr interessant und gern gelesen, mit der Bitte um Aufklärung, die mir auf den Nägeln brennt.

Gruß, Fabian

PS: Wäre das nicht angenehmer:

Im Westen, am Seeufer scheint mir als spricht wer
von kälteren Winden, von schlechterer Sicht,
mit Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.

Ich horche und spüre den Abendwind nicht mehr.
Das Schweigen verdunkelt sich, denn niemand spricht
aus Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.

Der Tag sinkt hinab in ein blutendes Lichtmeer,
doch etwas bewegt sich noch - siehst du sie nicht?
Die Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.

nach oben

#4

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 25.01.2007 15:12
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
hi Alcedo,
es wurde gesagt was gesagt werdenn musste, dem kann ich kaum etwas hinzufügen ausser wie wäre es?:

"Im Westen , am Ufer hör einer da spricht,
von kalten Winden und schlechter Sicht,
die Fahnen des Schilfes flattern im Licht.

Ich lausche und höre den Wind nun nicht mehr,
nur dunkeles Schweigen, keine Stimme die spricht,
aus den Fahnen des Schilfes die schimmern im Licht.

Der Tag sinkt hinab, in blutendes Meer,
nur etwas regt sich, siehst du das nicht?
Die Fahnen des Schilfes, die flattern im Licht."

Nicht böse sein Alcedo, gefällt mir sonst bis, na das mit den Windfahnen, keine Ahnung.
Gruss
Knud

nach oben

#5

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 25.01.2007 18:39
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Abend, Alcedo!

Ein sehr gelungenes und schönes Stimmungsgedicht,
bei dem jeder Einwand unberechtigt
und zusätzliches Hineindeuten überflüssig wären.

Es gibt keine Holperer oder Unklarheiten der Aussage.
Einzige Schwierigkeit kann schwaches Vorstellungsvermögen
von Lesern sein, die Schilf nicht kennen und ihre Silhouetten
noch nie wirklich gesehen haben.
(Logisch wäre, daß mancher sesshafte Eskimo
die Stimmung nicht recht nachvollziehen könnte.)

Für mich auf jeden Fall eine Nominierung wert!

Im Westen, am Seeufer scheint mir als spricht wer
von kälteren Winden, von schlechter Sicht,
mit Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.
xXxxXXxXxxXx
xXxxXxxXxX
xXxxXxxXxX

Ich horche und spüre den Abendwind nicht mehr.
Das Schweigen verdunkelt sich. Niemand spricht
aus Fahnen des Schilfes im Gegenlicht.
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxX
xXxxXxxXxX

Der Tag sinkt hinab in ein blutendes Lichtmeer,
doch etwas bewegt sich noch - siehst du nicht
die Fahnen des Schilfes im Gegenlicht?
xXxxXXxXxxXx
xXxxXxxXxX
xXxxXxxXxX

Voll gelungen!
Es grüßt
Joame

nach oben

#6

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 28.01.2007 20:25
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
danke für die zahlreichen Wortmeldungen.

@Erebus:
freut mich dass du eingestiegen bist ins imaginäre Fragespiel, das in der ersten Strophe aufgeworfen wurde. unsere Wahrnehmung kann uns so manchesmal Streiche spielen. oft sind gar keine Worte da, wenn man verstehen möchte.
das Gegenlicht steht der (optischen) Aufklärung im Wege. das ist richtig. interessant für mich, dass du eine relativ lange Zeitspanne im Ablauf der Verse vermutest. da unterliegst du einer von mir intendierten Sinnestäuschung: lediglich das "Schweigen" verdunkelt sich - nicht die Sonne. vorgesehen war von mir lediglich eine dichte Momentaufnahme: maximal e i n e erlebte Minute.

in der ersten Strophe wird das Metrum vorgegeben. ich hatte es auch mit einem durchgehend alternierenden Daktylus versucht, aber er befriedigte mich nicht. kann es aber verstehen, wenn deine Lesererwartung eine andere war. meine Intention: der verkürzte Daktylus vor den Paarreimen soll eine mögliche Erwartungshaltung unterstreichen. ausserdem wollte ich eine Differenzierung von Gesamtperspektive(jeweils 1.Zeile) und individueller Wahrnehmung (Reimpaare) herausstellen obwohl eine Verknüpfung über den Binnenreim bestehenbleibt.

@Fabian:
schade dass du dich wieder dranhängst. deine unvoreingenommene Wortmeldung wäre sehr wertvoll für mich gewesen (und bleibt es auch für ein andermal - versteh mich bitte nicht falsch). trotzdem besser so, als gar kein Feedback. ich habe dein Comment nach Eigenständigkeit durchforstet und vor allem das als gelungen bescheinigte Klangbild mit Wiederholungen, freute mich sehr.
nun widerspricht sich aber diese "Bescheinigung" mit einem Stocken dass dir keine Freude machte. den einen "metrischen Holperer" kann ich fast nicht zuordnen, wiewohl ich vermute dass du dich wie Erebus auf Z2 und somit auf "schlechter" beziehst. eine sehr dominante Betonung (schlecht) mit einem unbetonten Anhängsel, das fast untergeht vor der "Sicht". aber dann sagst du wieder der Erebussche schwere "Übergang" würde für dich nicht stattfinden. du siehst also, das hinterlässt mich etwas ratlos. an der Stelle also auch die Bitte um Aufklärung von mir!

Kannitverstan ist beim vorliegenden Fragespiel wohl unumgänglich. ich denke es überrascht dich nicht, wenn ich auf hermetische Riegel verweise. einzig die optisch auffälligen Fahnen möchte ich aufgeklärt wissen: polynesische Seefahrer besitzen die Gabe aus dem Muster der Ozenwellen auf Eilande zu schließen, die sich hinter dem Horizont verbergen. Landratten wie ich und Augenmenschen meiner Sorte versuchen aus Windrichtung und -stärke und aus Erschütterungen von Grashalmen Lebenszeichen zu ergründen - ja es nimmt uns davon eine ungeheuere Faszinosa gefangen. mehr ist es nicht. ich verweise an der Stelle auf die eigentümlichen Kopfbewegungen eines Uhus, der einen nahenden Rabenvogel fixiert (lange bevor wir das bemerken), oder auf des abrupte Aufmerksamwerden jedes anderen Landraubtieres. ich hoffe dies erscheint dir nicht als zu weit hergeholt.

die vorletzte Zeile deines Vorschlages war mir noch nicht eingefallen. alles andere hatte ich schon, wie gesagt, durchgespielt. angenehm sollte es von mir aus aber sicher nicht werden. das stimmige Klangbild dürfte reichen.


@Knud:
nicht Windfahnen, Knud. es sind die Blütenrispen des Schilfrohrs. in manchen Gegenden werden sie tatsächlich Fahnen genannt. wenn du mein schönes Lichtmeer zum simplen Meer verkürzt, regt sich bei mir natürlich Widerstand. aber ich bin dir selbstverständlich n i c h tmehr böse, du Seebär.


@Joame:
schön dass du den Text verteidigst. geh aber bitte trotzdem nicht so weit den Lesern ein beeinträchtigtes Vorstellungsvermögen zu unterstellen. das stört sicherlich
nicht nur mich.

dein Lob freut mich aber. die Nominierung auch.

mit deinem Metrumschema gehe ich konform wenn du die zwei Tippfehler eliminierst.


Grüße
Alcedo




nach oben

#7

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2007 14:43
von Fabian Probst (gelöscht)
avatar
ich finde nciht, dass ich mich dran gehängt habe. Dass die Meinungen sich sehr ähneln, ist manchmal einfach so.

Mit dem einen Holperer meinte ich die durchgängig aus dem Daktylus fallende zweite Zeile jeder Strophe bzw. ihr Ende.

S1/Z2: von kälteren Winden, von schlechter Sicht,
S2/Z2: Das Schweigen verdunkelt sich. Niemand spricht
S3/Z2: doch etwas bewegt sich noch - siehst du nicht

Hier gibt es jeweils nur eine unbetonte Silbe zwischen den betonten, es sind also Jamben, die auf den Daktylus folgen. Das meinte ich mit "dem einen metrischen Holperer", der eigentlich drei sind, aber aufgrund ihrer Symetrie hielt ich sie für gewollt und habe sie zu "einem" gemacht.

Die Alternative, die ich anbot, hat in den zweiten Zeilen wieder einen durchgängigen Daktylus.
nach oben

#8

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2007 17:58
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
danke für die weitere Erläuterung, Fabian.

ich habe diese Variante mit dem durchgehenden Daktylus in Z2 verworfen, da auch die Reimpaare dadurch nicht mehr im Metrum harmonieren.

Gruß
Alcedo

e-Gut
nach oben

#9

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 23.07.2007 16:23
von bipontina (gelöscht)
avatar
I c h find das sehr gut; bin mit Familie vor etwa 30 Jahren in Spanien unterwegs gewesen, da sah ich sowohl oft Schilffahnen,als auch das Licht, das da, ob am Morgen, am Mittag oder bei fast-Nacht durchschien .Lag man tief, wehten die Fahnen sehr hoch und waren seltsam, als hätten sie ein eigenes Kommunikationswissen. Aber das wird der Wind im Wehen gewesen sein. Sonst sollte man ja fast an Universelles glauben mögen.Statt an Elementares.

lieben Gruß von bipontina
nach oben

#10

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 23.07.2007 23:03
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
du wechselst ja ziemlich flott vom Sommer in den Winter, bipontina.
wir jungen Hüpfer können da bald nimmer mithalten (also Ausflüchte was das Alter betrifft, solltest du dir in Zukunft verkneifen).

freut mich, dass du dem Schilf Kommunikationswissen unterstellst und dass 30-jährige Erinnerungen lebendig wurden.

Gruß
Alcedo

e-Gut
nach oben

#11

Winter

in Düsteres und Trübsinniges 23.07.2007 23:20
von bipontina (gelöscht)
avatar
ich b i n alt; kein junger hüpfer (eine hüfte is perdu)
und womit Ihr nicht mithalten könnt, ist mir gerade heutzutage nicht mehr klar:
der Frühling ließ sich vor drei Dezennien Zeit, h e u t hat er all sein schönes Spiel(en) verloren: er ist es leid. Nur wenn es w i r k l i c h Frühling wird, wird er vielleicht für uns dann neugeboren.



ach, aber ich bin ja so froh, daß sich überhaupt mal jemand auf meine gedichte mneldet!

liebenGruß von bipontina!!!
nach oben


Besucher
0 Mitglieder und 25 Gäste sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Christian87655
Forum Statistiken
Das Forum hat 8220 Themen und 61619 Beiträge.

Heute waren 0 Mitglieder Online:

Besucherrekord: 420 Benutzer (07.01.2011 19:53).