#1

Wenn ich wär ...

in Philosophisches und Grübeleien 08.11.2006 14:22
von Fabian Probst (gelöscht)
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Wenn ich wär ...

Ach, wenn ich doch ein Vogel wär.
Ich würde nicht im Nest versauern,
auf all die frühen Würmer lauern
und keinen Sommer mehr betrauern;
ich flöge einfach hinterher.

Ach, wenn ich unbekümmert wär.
Ich würd’ den Horizont bebauen,
dem Sichelmann das Grinsen klauen,
(mit Mondstaub in den Augenbrauen);
und wär nicht so Gedankenschwer.

Ach, wenn ich doch nur stärker wär
Die Sehnsucht würde mich bekehren
den Kelch in einem Zug zu leeren
und mich mit Haut und Haar verzehren;
dann gäbe es kein Halten mehr.

Ach, wenn ich nur Gewissheit wär,
der letzte Zweifel ausgetrieben
und Liebe nicht so wund gerieben,
(die Zeit geht mit den Tagedieben);
das Leben ist so ungefähr.

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#2

Wenn ich wär ...

in Philosophisches und Grübeleien 08.11.2006 18:00
von kein Name angegeben • ( Gast )
Hallo Probst,

das Gedicht schwingt ja richtig auf meinen Lippen. Strophe 1, Strophe 2 und gefallen mir sehr gut, weil sie mir auch stimmig und in ihrer Ausdrucksart verständlich erscheinen. Nur mit dem >Mondstaub in Augenbrauen< kann ich mir nix vorstellen. Ein Sichelmann grinst für mich auch nicht, eher hat er einen gefühllosen nichtssagenden Gesichtsausdruck (meiner Meinung nach).

Dann komm ich mit der 3. Strophe nicht klar. Hier steht was von:


Zitat:

Ach, wenn ich doch nur stärker wär
Die Sehnsucht würde mich bekehren
den Kelch in einem Zug zu leeren
und mich mit Haut und Haar verzehren;
dann gäbe es kein Halten mehr.



Bitte erklär mir das mit der Stärke und Sehnsucht. Ist Sehnsucht Stärke?

Überall ist es schlüssig für mich. Z. B.:


Zitat:

Ach, wenn ich doch ein Vogel wär.
Ich würde nicht im Nest versauern,



Du beschreibst hier den Vogel, dann beschreibst Du einen unbekümmerten Menschen, einen der stark sein will... Aber, warum ist er dann sehnsüchtig und durstig und kann sich nimmer halten? Wohnen derlei Eigenschaften nicht eher in einem Schwächling? (Hm, vielleicht hab ich auch nur einen Denkfehler.)

Die letzte Strophe ist mit die Beste!

Ansonsten wirklich sehr gerne gelesen.

LG Huhmannfrau

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#3

Wenn ich wär ...

in Philosophisches und Grübeleien 08.11.2006 18:26
von Albert Lau (gelöscht)
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ja, herr probst, das kann man freudig begrüßen. da schwingt man tatsächlich mit. handwerklich sauber, so dass man nicht stolpert, schick luftig und sauber gereimt, so dass der inhalt bekömmlicher ist und inhaltlich so einfach und geradlinig, dass ich als leser mir meine gedanken machen kann und die nicht vom dichter wuchtig vor die schnauze gehauen bekomme, so dass ich nur noch sterne sehe. das macht das gedicht tiefgründiger, als irgendwelche philosophischen probebohrungen, bei denen noch nicht einmal weiterführende fragen gestellt, geschweige denn antworten gegeben werden.

der titel und der frühe vogel lassen anfangs übles befürchten und dann bekommt es aber sehr schnell die kurve, besticht mit umarmtem triple-reim und wird mit fortschreitender dauer vielschichtiger und hellsichtiger bis hin zum wahrlich umwerfenden schluss: das leben ist so ungefähr. der allein ist so klasse, dass man das gedicht auszeichnen möchte. da sieht man dann auch getrost über das eingeklammerte, die schwache eröffnung der dritten und die schwach-sinnige der vierten strophe hinweg.

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#4

Wenn ich wär ...

in Philosophisches und Grübeleien 09.11.2006 00:46
von Fabian Probst (gelöscht)
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@Huhmannfrau: Über den Gesichtsausdruck des Sichelmanns kann man sicher streiten. Vielleicht auch darüber, wer eigentlich gemeint ist. Wenn es nicht passend erscheint, kann ich das durchaus nachvollziehen, während ich doch dieses Bild vor mir sehe.
Der Mondstaub mag etwas abgehoben sein, ich fand ihn ganz OK. Er soll für das träumen stehen, das Wagnis und den Glauben an Wunder (irgendwie verfolgen mich diese Bilder, scheint mir) Mond und Staub als Anlehnung an Nacht und Sandmann. Eine kindliche Seite der Unbeschwertheit.

Die dritte Strophe ist definitiv ein Schwachstelle.
Die Sehnsucht ist nicht gleich der Stärke, aber wenn Lyrich die Stärke hätte, dann würde er der Sehnsucht nachgeben können (sich bekehren lassen) und alles auf sich nehmen, was das Schicksal mit ihm vorhat (den Kelch lehren) oder was er selbst daraus macht (mich mit Haut un Haar verzehren).
Richtig zufrieden war ich nie mit dieser Strophe, aber da das Gedicht stark angelehnt ist an ein anderes, musste ich hier einen Kompromiss finden. Neben dem inhaltlichen Annähern habe ich nämlich immer dieselben Reimlaute bei den Triple-Reimen benutzt, nicht aber dieselben Worte. (Vorgabe waren hier "wiederkehren, aufbegehren, wehren")

Ach Scheiß drauf, ich zeig mal die Strophe. Kenne den Verfasser sehr gut und werde das bald wieder entfernen:

....
editiert

Aufgrund dieser Anlehnung musste ich passende Lösungen finden. In dieser vierten Strophe mochte mir das einfach nicht besser gelingen. Die Kritik ist absolut berechtigt.

Ich beschreibe aber keinen unbekümmerten Menschen. Es muss auch kein gänzlich trauriger sein. Der Mensch ist so voller Widersprüche, dass es auch in ausgeglichenen Gemütern immer mal diese Anwandlungen geben kann, noch freier, unbeschwerte, stärker und sicherer zu sein. Ob man das dann in einem Vogel sieht, der fliegen kann oder einfach in Eigenschaften. Es sind Gedanken und Momentaufnahmen, die bestimmt, in irgendeiner Form jeder schon mal hatte.

@Albert Lau: Ich gebe Ihnen in allen Punkten vollkommen Recht. Abgesehen, dass ich das nicht auszeichnen möchte. Aber diese letzte Zeile gefällt mir auch ganz gut.
Ich überlege noch, ob es einen bestimmten Vogelnamen gibt, der hier besser passen würde, oder ob es das Ganze schlimmer machen würde.
Zur weiteren Erklärung werfen sie bitte einen BLick auf meine Antwort oben. Ich hoffe, sie verzeihen mir die Faulheit, mich nicht noch mal zu wiederholen und sie an ihren Vorgänger zu verweisen.

Vielen Dank für die Kommentare.

Gruß, Fabian

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