#1

Schreibtischtexte

in Allgemein 25.06.2006 13:25
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Schreibtischtexte


Bei der Diskussion über die Texte des diesjährigen Bachmann-Preises wurde Iris Radisch gefragt, was ihr an den vorgestellten Texten gefehlt hat, und da hat sie etwas gesagt, was ich im Nachhinein auch etwas empfunden habe. Sie sagte (der genau Wortlaut ist mir entfallen): Man merkt, dass viele Schreibtischtexte sind.

Sie wollte damit ausdrücken, dass es ihr nicht genügt, dass die Autoren ihre Recherchen per Internet und/oder über Bücher machen, sondern es fehlt das Erlebte. Das ist ein interessanter Ansatz und ich reflektiere das natürlich mit meinem eigenen Schaffen.
Ich bin da immer etwas hin und her gerissen. Zum einen sind die Gedichte, mit denen ich die grössten „Erfolge“ habe/hatte, diejenigen, die ich gedichtet, erfunden habe und im Gegenzug wird oft Erlebtes als nicht authentisch kritisiert. Das kann jetzt natürlich daran liegen, dass ich dem Erlebten zu nahe stehe und mir die Distanz fehlt, die nötig wäre, um einen allgemein gültigen Text zu schreiben, der zu gefallen weiss. Oder es liegt daran, dass mein Hineinfühlen in andere Personen besser/interessanter ist, als meine eigenen, gelebten Situationen.

Wenn ich jetzt Radischs Vorwurf auf meine Prosa richte, dann sehe ich, dass ich stets über Dinge und Orte schreibe, die ich kenne. Vielleicht nicht so gut, wie meine nähere Umgebung, aber doch von Reisen/Ferien etc. Das führt mich dann wieder dahin zurück, dass es womöglich einfacher ist, über Dinge zu schreiben, die man kennt. Vielleicht besteht aber auch einfach ein Unterschied zwischen Gedichten und Prosa. (?)

Bei Prosa muss ich persönlich über etwas schreiben, dass mich selber interessiert. Sei es die Umgebung oder die Charaktere. Vielleicht denke ich aber auch bloss, dass, wenn ich über mein Umfeld schreiben würde, es für den Leser zu langweilig wäre. Keine Ahnung ….

Ein Dilemma, das mich sicher noch öfters beschäftigen wird. Wie geht es euch in dieser Hinsicht?

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#2

Schreibtischtexte

in Allgemein 25.06.2006 15:48
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Hallo Marge

Als ich las, dass du die größten Erfolge mit erfundenen Sachen hattest, drängte sich mir sofort eine Antwort auf. Die Menschen sind es gewöhnt belogen zu werden. Außerdem glaube ich, dass man Dinge, die man selbst nicht erlebt hat etwas mehr ausbaut. Denn wenn ich meine Straße beschreibe, kommt der Bettler darin vermutlich nicht vor, weil ich ihn so gewöhnt bin. Anders ist es bei einem erfundenem Text. Da sehe ich das kleinste Detail vor meinem geistigen Auge und beschreibe auch dementsprechend genau. Wenn ich an unseren guten Stephen King denke, der ja auch ein Techniker ist, kommt mir eine Geschichte in den Sinn. In dieser beschreibt er drei Seiten lang wie man bei einem Bagger die Sandklappen einfährt und warum das überhaupt zu tun ist. Hier wird sofort klar, dass der gute Mann noch nie einen Bagger näher als 20 Meter gekommen ist. Alles nur ein Bluff. Alles Recherche. Alles aus den Fingern und dem Netzt gesogen. Natürlich ist Stephen King keine ernsthafte Literatur und nur Unterhaltung.
Ich denke, wenn man von seiner Warte aus etwas zu Papier bringt, braucht man nicht unbedingt ein interessantes Leben. Man braucht einen interessanten Standpunkt, den man auf seine Texte überträgt. Man kann eine interessante Figur in jede Situation hineinschreiben. Die Figur muss allerdings eine Identität haben. Diese ist natürlich an die Eigene angelehnt. Auch wenn ich hier mit dir nicht konform gehe. Das Lyri ist immer der Autor, da es unmöglich ist einen komplett anderen Menschen zu beschreiben und soll es nur an Kleinigkeiten scheitern wie dem Abwischen des Hinterns. Diese Figuren sind der Autor selbst. Alle Anderen sind nur Statisten, die von der Figur genauso wahrgenommen werden wie vom Schreiber selbst in der Wirklichkeit.
Bei mir ist es nun so, dass ich meine Sichtweise beschreibe und kein Gedicht, welches leicht ein Anderer schreiben kann. Bei mir ist es Gem und das was ich schreibe ist das was Gem denkt.
Diese Figur kann ich natürlich auch in eine erfundene Landschaft stellen. Trotzdem wird sein Handeln von wahren Hintergründen bestimmt.
Selbst wenn ich einen Kommissar Gem schaffen würde, ware er immer noch ich.

LG Gem <---selbiger

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#3

Schreibtischtexte

in Allgemein 25.06.2006 17:03
von Motte (gelöscht)
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Ja, ich habe die Lesungen der Texte dieses Jahr auch stark verfolgt. Und diesen Vorwurf gab es, glaube ich, auch schon im letzten Jahr. Viele Texte wirken extrem konstruiert und „designed“. Das ist eine Tendenz, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet, oder? Ich habe nicht den vollen Überblick über zeitgenössische, deutsche Prosa, aber Kurzgeschichten sind ja sowieso - ich denke da an Judith Hermann und Co - ziemlich ins Rennen gekommen. Vielen merkt man einfach die Schreibschule an und der Vorwurf zielte auch darauf ab, dass in den Texten zu wenig gewagt wird, dass sie zu künstlich, zu rundgefeilt wirken und deswegen nicht richtig mitreißen können und vor allem Kunstprodukte bleiben. Und einigen Autoren, gerade den Jüngeren, merkt man die Schreibschule an. Naja, wenn da jemand gleich nach dem Abitur eine Schule für kreatives Schreiben durchläuft, mag er einen schönen Stil entwickeln, aber ob das reicht?
Vielleicht liegt das Problem garnicht mal darin, dass zu wenig selbst erlebtes verarbeitet wird, sondern wie es verarbeitet wird... darin, dass die Autoren nicht über eine bestimmte Form hinausschreiben und versuchen immer die Kontrolle darüber, was sie schreiben, zu bewahren, es niemals aus der Form kommen lassen und innerhalb von Grenzen bleiben, immer auf der sicheren Seite.
Der Gewinnertext beruhte ja auch auf Recherche bzw. die Autorin meinte in dem Interview im Anschluss, dass sie unglaublich viele Sachbücher über Polarforschung u.a. gelesen und in ihren Text eingebracht hat. Aber das Resultat war wirklich mal was anderes...
Vielleicht ist auch die Themenwahl mitverantwortlich. Sobald es um Beziehungssachen geht, läuft man scheinbar Gefahr, in diese Schemata zu verfallen, weil die Art, wie die Beziehungen problematisiert werden - und das werden sie ja immer - sich irgendwie ähneln..

Wie das bei mir mit dem Schreiben von Prosa ist, kann ich noch garnicht recht sagen, da ich noch nicht besonders viel geschrieben habe. Aber ich versuche zunehmend von meiner eigenen Person wegzukommen und den Figuren mehr Eigenständigkeit zu geben, was mir bis jetzt aber auch noch nicht wirklich gelungen ist. Klar muss man sich in sie hineinfühlen können, aber ich glaube nicht, dass sie sich mit der Identität des Autors decken müssen, auch wenn sie von ihm erfunden werden.
In der Lyrik dagegen habe ich weniger ein Problem damit bei ureigenen Empfindungen oder Wahrnehmungsweisen zu bleiben...

Liebe Grüße,
Motte

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#4

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 12:19
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
@ Gem
Ja, ich kenne deine Haltung bezgl. des lyr. Ichs, aber bei mir ist das eben anders. Natürlich ist immer etwas vom Autor in den Geschichten bzw. den Charakteren enthalten, denn schliesslich denke ich mir aus, wie jemand auf eine bestimmte Situation reagieren würde. Zwangsläufig spielt da die Persönlichkeit und das Erlebte des Verfassers mit. Aber ich denke mir auch bewusst Personen, Orte und Handlungen aus, die nicht die Bohne etwas mit mir zu tun haben. Von daher spreche ich eben von lyr. Ich und/oder Protagonisten. Denn wenn ich zmB. eine Liebesszene aus der Sicht eines Mannes schreibe, dann kann ich da meine persönliche Erfahrung ja schlecht einbringen. (*g) Sondern ich erstelle einen Mix aus Gehörtem, Gesehenen und Erdachtem zusammen. Ob das authentisch ist, kann ich nicht beurteilen und muss dem Leser überlassen, dies zu werten.
Es geht mir eigentlich ja auch nicht darum, ob ich jetzt in einer Geschichte oder einem Gedicht etwas aus meinem persönlichen Umfeld ver- dichte/arbeite, sondern darum, ob es nicht besser ist/wäre über Personen und Orte zu schreiben, die es wirklich gibt. Ob der Leser merkt, dass etwas ausgedacht ist oder am Schreibtisch „verbrochen“ wurde. Natürlich funktioniert das nicht für Science-Fiction oder Ähnlichem, aber doch für Zwischenmenschliches etc. Ach, es ist recht schwer, meinen Standpunkt klar zu machen .... Ich weiss natürlich, dass nicht jeder die Möglichkeit hat, vor Ort zu recherchieren, deswegen bleibt uns/manchen womöglich gar keine andere Wahl, als zu Schreibtischtätern zu werden bzw. zu bleiben.

@Motte
Ich glaube auch, dass es diese Angst gibt anzuecken und die Texte daher geschliffen und rund daher kommen. Es ist so ein Einheitsbrei geworden. Alles muss „politisch korrekt“ sein, selbst dann, wenn geflucht/gefickt/getötet wird. Die Sprache ist irgendwie unecht, keine Ahnung, ob das mit diesen Schreibkursen zusammenhängt, die man jetzt überall machen und besuchen kann. Möglich, oder die Autoren schreiben das, was verlangt wird, um zu gewinnen und nicht das, was sie wirklich sagen wollen.
Ich habe einem Arbeitskollegen mal etwas geschrieben, als er mich nach der Meinung über ein Buch gefragt hat. Ich sagte: Das ganze Buch hindurch hatte ich das Gefühl, als hätte ich den Schutzumschlag noch gar nicht abgenommen.... Dieses Gefühl habe ich manchmal auch bei solchen Texten, wie sie dort vorgetragen wurden. Sie vermögen irgendwie nicht zu packen und gleiten einfach so übers Wasser .... na ja ... kritisieren ist immer einfach, zuerst mal selber besser machen, gelle? Aber schliesslich lernt man auch, wenn man die „Fehler“ von anderen sieht.


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#5

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 15:22
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Ich weiß nicht. Dies ist, wenn man es genau betrachtet eine sehr schwierige Frage.
Aber insgesamt denke ich, dass man nicht unbedingt etwas erleben muss um gut zu schreiben. Eine blühende Fantasie genügt. Andererseits, wenn ich eine Geschichte über ein Ghetto von Afrika schreiben müßte, würde ich versagen. Hier ist es sicher die Erfahrung haupt- und die Technik nebensächlich. Kann man das überhaupt so pauschalierenß Ein erfundener Text ist gut, ein erlebter schlecht? Was mich an vielen Texten stört ist, dass sie keine Ecken und keine Identität haben.
Der Protagonist ist mir nicht menschlich genug. Ich habe fast alles von Henry Miller gelesen und seine Bücher erzählen Dinge aus seinem Leben. Der Mann hat eigentlich ein sehr uninteressantes Leben geführt, aber dennoch habe ich seine Bücher verschlungen. Es war seine Sichtweise die mich fasziniert hat. Auch sein Stil natürlich, aber ich denke, dass ich von dem Menschen Miller begeistert war. Auch ein Buch, welches mich sehr beeindruckt hat ist Celine-Die Reise ans Ende der Nacht. Wieder Autobiographisch und wieder nichts Besonderes. Trotzdem habe ich mir fast alle Bücher von ihm gekauft.
Also wenn ich meinen Text jetzt noch einmal lese, dann ergibt das für mich, dass ich wieder zum Anfang komme. Eine erfundene Figur ist oft farblos und künstlich. Ich denke, viele geben zu wenig von sich preis.
Du sagst, dass ein Leben vielleicht uninteressant ist. Warum? Jedes Leben ist auf irgendeine Weise interessant. Oder hat Bukowski etwas interessantes erlebt? Nein, er hat gesoffen und geprügelt. Trotzdem wurde sein Leben sogar verfilmt. Hollebeque? Ein Versicherungsvertreter. Benn ein Arzt. Celine ein Arzt. Alles nichts besonderes.

edit: Um mir nicht den Vorwurf anhören zu müssen, ich setze hier eine Berufsgruppe herunter: Ich meine interessant im Sinne von Höhlenforscher oder Extremkletterer oder Tiefseetaucher so in der Richtung

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#6

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 15:48
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Ich denke schon nicht, dass mein Leben einem Heidi-Roman gleicht, es gäbe schon das eine oder andere zu erzählen. Selbst in der CH gibt’s Abgründe, die nicht geologisch bedingt sind ....
Es geht mehr darum, dass mir persönlich das Schreiben über mein Umfeld zu wenig interessant erscheint. Zwar ist das recht bequem, wenn ich weiss, wie lange man mit dem Auto von Zürich nach Bern fährt und welchen Pass ich überqueren muss, wenn ich von Graubünden ins Tessin will und was eine Frau fühlt, die von ihrem Mann betrogen wird .... etc. aber der "Kick " fehlt da einfach, weil ich das alles kenne und schliesslich muss ich – als Autor – doch auch Spass am Schreiben haben. Des Weiteren möchte ich wirklich nicht ständig über mich selber quatschen, ich bin ja schon froh, dass ich vieles bereits erlebt habe, muss ich das wirklich nochmals raufwürgen und jemandem anderen vorkauen? Da erfinde ich doch lieber etwas, mit „neuen“ Menschen, „neuen“ Orten und „neuen“ Problemen. Ich weiss einfach nicht, ob man diesen „konstruierten“ Geschichten ihre Konstruktion anmerkt und man mich sozusagen als „Lügnerin“ entlarvt. Ach, es ist wirklich kompliziert zu erklären ..... vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Gedanken darüber. Just do it und lass die anderen entscheiden. *g

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#7

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 16:32
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte

Zitat:

Margot schrieb am 26.06.2006 15:48 Uhr:
Just do it und lass die anderen entscheiden. *g


Das halte ich für den intelligentesten Satz in diesem Thread.

Ich persönlich finde es heikel, über mich selbst zu schreiben, zumindest, wenn es um Innenwelten geht. Da fehlt mir die nötige Distanz, um beurteilen zu können, was ich da schreibe. Ich halte es gerade nicht für authentisch. Außerdem, das hast du gut gesagt, langweilt es mich zutiefst.

Gott sei Dank sind wir alle nicht so unterschiedlich, als das es nicht einfach wäre, sich in andere Charaktere zu versetzen, seien es nun reale oder virtuelle. Ich suche einfach nach der Entsprechung in mir und puste die auf. So ist der Akt des Schreibens immer auch einer der eigenen Welterklärung und Selbstanalyse. Und je schlüssiger mir das für mich gelingt, desto besser gelingt der Text. Einen zufriedenen Leser zumindest hat er schon.

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#8

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 16:56
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte

Zitat:

Mattes schrieb am 26.06.2006 16:32 Uhr:

Zitat:

Margot schrieb am 26.06.2006 15:48 Uhr:
Just do it und lass die anderen entscheiden. *g


Das halte ich für den intelligentesten Satz in diesem Thread.


Ja, danke! ...... Tut mir enorm Leid, wenn ich dich langweile....

Ihr seid schliesslich Publikum und Mitschreiber/streiter .... wen sollte ich denn sonst fragen, wenn mir was durch den Kopf geht? Den Geissenpeter?

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#9

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 20:24
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Hallo Margot,

ich hoffe, du bist mir nicht bös, dass ich den Text verschoben habe.

LG,

AB.
- Admin -

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#10

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 20:50
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Nein, aber du könntest ja mal etwas dazu sagen!

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#11

Schreibtischtexte

in Allgemein 26.06.2006 23:47
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte

Zitat:

Margot schrieb am 26.06.2006 16:56 Uhr:
Tut mir enorm Leid, wenn ich dich langweile....


Ach, wie kann man brutal mistverstanden werden!

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#12

RE: Schreibtischtexte

in Allgemein 05.09.2011 16:06
von Gast (gelöscht)
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Ich glaube, das hängt auch in vielerlei Hinsicht vom Genre ab, ob man eher selbsterlebte Situationen einbezieht oder konstruierte.
Mal angenommen, jemand schreibt einen historischen Roman oder ein Gedicht über das Leben im 17. Jahrhundert - niemand von uns hat damals gelebt, also müssen die Begleitumstände, das Technische dieses Zeitalters recherchiert werden, damit man nicht - Achtung Extrembeispiel - darüber schreibt, wie die Burgfräulein auf Facebook miteinander chatten.
Aber die emotionale Seite des Gedichts oder der Geschichte, das Erleben, das Subjektive - jemand verliebt sich, erlebt einen Verlust, wird enttäuscht, kann man sehr wohl aus seinem eigenen Erlebnishorizont beziehen. Denn selbst wenn unser eigenes Leben für Geschichten nicht aufregend genug ist, so wurde sicherlich jeder schon mal enttäuscht, hat sich unglücklich verliebt oder musste den Verlust eines geliebten Menschen irgendwie überleben.
Gerade bei Fantasy ist es schlicht unmöglich zu sagen, man solle nur schreiben, was man selbst erlebt hat und worüber man kennt. Denn schließlich hat keiner von uns mit einem Zauberschwert einem Ork gegenübergestanden - was aber niemanden daran hindern sollte, genau diese Situation zu beschreiben ;).

Einfach meine 5 cent zu dieser Frage.

LG, Evanesca

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#13

RE: Schreibtischtexte

in Allgemein 05.09.2011 17:03
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Ich möchte auch etwas zu meinem Standpunkt schreiben.
Wenn ich etwas selbst durchlebt habe, so weiß ich mindestens oberflächlich, was ich durchlebt habe. Meine Gefühle,
meine Gedanken berichten mir wie im Reflex davon. Natürlich sind die nachgelieferten Bilder, deren Inhalte, der Ablauf nie komplett. Etwas in mir kommt dazu, sei es etwas vorläufig Erlebtes, etwas das ich von anderen erfuhr, es mischt sich etwas dazu. Meistens kann ich nicht darüber schreiben, ehe ich es nicht, mindestens teilweise, vergessen habe. Irgendwer meinte einmal, dass man erst vergessen muß, worüber man schreiben will.

Da habe ich z.B. die Kurzgeschichte " Messalina" geschrieben ( Das ist hier und jetzt keine Aufforderung die Geschichte zu lesen, ich hoffe mich auch so zu erklären.). Ich habe sie erst kürzlich eingestellt.

Nachdem ich sie geschrieben habe, fragte ich mich, wie ich die Geschichte schreiben konnte. Ich fragte mich auch, ob i c h in irgendeiner Person, in einer Absicht, in den Handlungsschritten, vorkam. Ich dachte nach und fand, dass es eine ganze Reihe von persönlichen Erfahrungen gib, die in die Geschichte mit hinein gespielt haben könnten. Natürlich ist die Geschichte konstruiert, und doch transportierte meine Phantasie Fragmente von persönlichen Erlebnissen in mein Bewußtsein. Ich fragte mich also, welchen Standpunkt ich in der Geschichte bezogen habe. Das habe ich bisher nicht befriedigend klären können. Doch noch während ich die Geschichte schrieb, schien ich mich in einer Zwischenwelt zu befinden, in der ich mich angetrieben fühlte von einem zum anderen Protagonisten zu springen. Ich schien also meinen Standpunkt, Standort ständig zu wechseln. Meine Identifikation gegenüber den Handelnden war also fluktuativ, schwankend, entsetzend, besetzend, ich war neugierig, entsetzt, aufgeregt.

Ich habe die Geschichte in die Aura der zwanziger Jahre gesetzt. Danach habe mich gefragt, warum ich eine Art lyrischer Prosa mit fiktivem Inhalt konstruierte. Ich dachte an Benn, seiner Tätigkeit als Arzt, seinen ersten Gedichten, die mich immer beeindruckten. Ich erinnerte plötzlich, dass ich einmal Medizin studieren wollte. Es tauchten Fragen auf, die mich zu meinem Verhältnis zu den Frauen beschäftigen. In meiner Geschichte habe ich Vieles Reale verrückt, aber ich suchte nicht das Verrückte. Und doch habe ich den Eindruck, dass es nicht nur meine Phantasie war, die mich trieb so zu schreiben. Ich habe geliebt, nie war mir in mir ein Haß bewußt. Vielleicht hatte ich ihn nur maskiert, mit Selbstverlogenheit kastriert. Ja die Seele schreibt mit, und offenbart sich aus den eigenen, vergessenen Wirklichkeiten.

Übrigens hat mich mechanisches Spielzeug als Kind schon immer fasziniert.
Das schriftlich Ausgedrückte gehört mir. Ich weiß wenig darüber, was es über mich ausdrückt. Und ich schreibe auch über d a s, was mich beglückt oder entsetzt:

" Ich liebe und hasse, und keiner weiß, wie ich leide." Das soll gelten, obwohl ich längst nicht zu wissen glaube, was es für andere Menschen bedeutet.

Auch deshalb schreibe ich, ereignisreich, phantasieberührt. Wie könnte ich gänzlich unpersönlich schreiben?

otto.

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