#1

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 29.03.2006 19:48
von kein Name angegeben • ( Gast )

Bei der Ergreifung
seelenrettender Maßnahmen
sind wir
im Jahrhundertvergleich
schon jetzt
ganz weit vorne.

Unsere Möglichkeiten sind
wirklich sehr vielversprechend.

Wir veranstalten Konzerte
um Afrika zu nähren,
überschwemmen Südostasien
mit Wogen von Mitgefühl,
der Untergang von New Orleans wurde
von einem Sturm der Entrüstung begleitet,
und wir versäumen es nie
Antrag auf die Verurteilung
von Greueltaten zu stellen.
Seit einiger Zeit vertreibt sogar
eine ganze Nation
im Namen Gottes
das Böse aus der Welt.
Und diejenigen
die zeitlich etwas knapp sind
konvertieren kurzfristig
und bitten um Absolution.
Es heißt schon
der Teufel
wäre damit beschäftigt
sich im großen Stile
Fliegen zu züchten.

Unsere Aussichten sind
wirklich sehr vielversprechend.

Den wenigen
Unverbesserlichen
die sich jetzt noch verweigern,
und ohne kirchlichen Segen
morden und foltern,
oder sogar
den Freitod wählen,
um direkt zur Hölle zu fahren,
graut es vielleicht einfach
vor den Massen...

Ich kann es ihnen
nicht verdenken.
Ich selbst
werde wahrscheinlich
einen Löffel verschlucken.
Ich habe ihn bereits
rundherum angeschliffen,
er liegt hier neben mir
und seine rasiermesserscharfen Kanten
glitzern im Licht
wirklich sehr vielversprechend...



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#2

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 30.03.2006 19:59
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat:

Benno Brockmann schrieb am 29.03.2006 19:48 Uhr:

Ich kann es ihnen
nicht verdenken.
Ich selbst
werde wahrscheinlich
einen Löffel verschlucken.
Ich habe ihn bereits
rundherum angeschliffen,
er liegt hier neben mir
und seine rasiermesserscharfen Kanten
glitzern im Licht
wirklich sehr vielversprechend...






Grüß dich Benno

hm, auf welches Sprichwort ist diese Schlusspointe aufgebaut?

Wer die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, sollte sich nicht am Löffel verschlucken
dieses?

ich kenne sogenannte Löffelschaber als manuelles Werkzeug in der mechanischen Bearbeitung mit verdammt scharfen Schneidkanten. aber der Holzgriff am langen Schaft lässt einen Gebrauch in deinem Sinne wohl eher nur für fortgeschrittene Schwertschlucker zu.

Löffelverschlucken als Seelenrettende Maßnahme, reichlich skurill!
leider gelingt es mir nicht die angeschliffenen Kanten deines Löffels mit deinen Intentionen in Verbindung zu bringen.

die Aufzählung der restlichen Möglichkeiten empfand ich als kurzweilige Satire und teilweise als innovative Ausschlachtung archaischer Sprüche, wie etwa der Teufel/Fliegen-Passus.

Im Land der Urlaubsregressanspruchsformulare in korrekter Bürokratenmanier Anträge auf Greueltatverurteilung zu stellen, erscheint mir da fast schon übertrieben unsatirisch wie die Korrektheit der Leutchen von Seldwyla, von Keller beschrieben.

Vielleicht hab ich ein klein wenig ein Problem mit deinem globalen lyr.Rundumschlag, vor allem beim Irakkonflikt - das wird alles wenig zielsicher gestreift, du verstehst, die Wirkung bleibt aus

meint
Alcedo


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#3

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 30.03.2006 20:15
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Hallo Benno

Inhaltlich finde ich den Text sehr gut, nur hätte ich ihn einfach ganz ausgeschrieben und in die Kurzgeschichten gestellt.
Denn es ist ja eigentlich nur ein kleiner Prosatext mit vielen Zeilenumbrüchen. Den Inhalt hättest du mit einer anderen Form für meine Begriffe besser transportieren können, aber was weiß ich schon...

LG Gem

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#4

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 31.03.2006 01:42
von kein Name angegeben • ( Gast )
Hallo ihr beiden,..

...ersteinmal vielen Dank für Eure Eindrücke, habe nicht mehr damit gerechnet daß sich noch jemand dazu äußert.

Das Bild mit dem Löffel habe ich mir bei Stephen King geliehen, und zwar aus seinem "Dark Tower" Epos.
Dort bringt sich der dem Wahnsinn verfallene Scharlachrote König dadurch um, daß er einen scharf angeschliffenen Löffel verschluckt. Ich habe dieses Bild gewählt, weil ich mich dieses weltweite Gutmenschgehabe, daß ich in den vorangehenden Zeilen skizziere, manchmal ebenso wahnsinnig macht, und ich die Vorstellung mir auf diese Weise das Leben zu nehmen und direkt zur Hölle zu fahren um wenigstens im Tod der Masse der Pseudowohltäter zu entgehen, irgendwie passend fand. Mir ist bewusst, daß die Verständlichkeit für den Leser etwas leidet, aber so war es einfach richtig.
Die nur angerissenen Themen sind in diesem Fall sicherlich ein Problem, allerdings ein hausgemachtes, da der Text aus meinem (noch nicht veröffentlichten) Gedichtband "Keine Zeit mich zu beklagen" stammt und hier eigentlich garnicht allein stehen dürfte.
Da ich den Text aber sehr gerne mag, habe ich das wohl verdrängt als ich ihn eingestellt habe. Mein Fehler .
Die gestreiften Themen verdichten sich mit den anderen Gedichten später zu einem Gesamtbild.

Über die Form lässt sich sicher streiten, aber ich habe einen Faible für diese Art von "Gedicht"
(..die Anführungszeichen sind für die Kritiker..)und es fällt mir schwer ganz davon zu lassen.
Wird hier aber nicht wieder vorkommen... versprochen.

So, genug der vielen Worte, ich fasel mich ja doch wieder nur fest.
Ich hoffe ich konnte ein bißchen Licht in mein selbstfabriziertes Dunkel bringen. Auf jeden Fall danke ich Euch dafür, daß Ihr mir eine so konkrete Rückmeldung gegeben habt, ich habe schon jetzt daraus gelernt.

Mit den besten Grüßen, Benno


P.S: Gem, ich glaube Du weißt eine ganze Menge...

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#5

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 31.03.2006 05:19
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Benno,

ein Gedicht sollte ein abgeschlossenes, eigenständiges Kunstwerk sein, das einen eventuell vorhandenen Zyklus und sogar den Verfasser irrelevant werden lässt.

ausserdem glaube ich, kein Gedicht würde darunter leiden wenn es darin k e i n e Bezüge zu Stephen King gäbe.

die Form störte mich nicht im geringsten, denn größtenteils erscheinen mir die Verdichtungen und die Pausen im Lesefluss, hervorgerufen durch die Zeilenumbrüche, lyrisch genug.

Gruß
Alcedo

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#6

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 31.03.2006 08:55
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte

Zitat:

Benno Brockmann schrieb am 31.03.2006 01:42 Uhr:
Über die Form lässt sich sicher streiten, aber ich habe einen Faible für diese Art von "Gedicht"
(..die Anführungszeichen sind für die Kritiker..)und es fällt mir schwer ganz davon zu lassen.
Wird hier aber nicht wieder vorkommen... versprochen.




Gott! Wenn ich nur einmal so verstanden werden würde wie ich etwas gemeint habe.

Ich meinte nicht, dass mir die Form generell nicht gefällt. Auch ich schreibe keine klassischen Gedichte.
Es war nur lediglich meine Meinung!
Hier hätte es mir anders eben besser gefallen.
Obwohl, möglicherweise willst du mich sekkieren?
Naaaa?

LG Gem

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#7

Alles sehr vielversprechend

in Gesellschaft 01.04.2006 01:10
von kein Name angegeben • ( Gast )
Hallo ihr Beiden...

versuche mich kurz zu fassen, sonst wird es ermüdent. (Ich kenn mich...)

@ Gemini
Du hast es erfasst. Ich hoffe, Du kannst mir das verzeihen.

Alcedo,

ich denke, prinzipiell hast Du recht.
Das Bild mit dem Löffel sollte aber auch weniger einen Bezug zu S.K. herstellen, es war nur einfach so, das ich die Methode sich dadurch das Leben zu nehmen, einen angeschliffenen Löffel zu verschlucken so verrückt fand
daß sie mir in diesem Zusammenhang angemessen und sinnvoll erschien.
Außerdem brauchte ich die
"rasiermesserscharfen Kanten" für die Auflösung
" glitzern im Licht/ wirklich sehr vielversprechend",
und an der hänge ich sehr.
Habe mir verschiedene andere Möglichkeiten überlegt, aber nichts davon funktionierte für mich richtig.

Was die Frage der Eigenständigkeit angeht, es ist numal so das dieses Gedicht innerhalb eines Zyklus entstanden ist, es im Nachhinein umzuschreiben, damit es allein besser verständlich wäre erscheint mir unangemessen.
Ich habe inzwischen ( im Bezug auf beide Punkte) auch die Erfahrung machen dürfen, das der Text den Leser erreicht, ich denke das ist von Leser zu Leser unterschiedlich. Da ich meine Gedichte aber ( wie die meisten, denke ich)
in erster Linie für mich schriebe, muss ich da wohl Abstriche machen.
Aber Deine Rückmeldung war für mich in jedem Fall sehr aufschlussreich.

Zu der Form...
Es ist nett daß Du das sagst, ich empfinde es nämlich auch so.
Ich habe diese Äußerung eigentlich nur gemacht um Gemini etwas anzupieksen....war vielleicht kindisch, ich bitte um Nachsicht. Diese Form des Gedichts ist ein fester Bestandteil meiner Arbeit, ich bin es nur inzwischen so sehr gewöhnt dafür kritisiert zu werden das ich vielleicht manchmal vordergründig etwas zu schnell einlenke um keine endlosen Diskussionen führen zu müssen.
Ach, alles nicht so einfach....

Jetzt habe ich mich doch wieder endlos ausgelassen....solche Gepräche sollte man lieber in einer kleinen Runde bei einem Glas Wein oder Bier führen, da kann man in kürzerer Zeit viel mehr transportieren...

Ich danke Euch für Eure Zeit und Eure Gedanken,

mit besten Grüßen,

Benno


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