#1

Annäherungsversuch (II)

in Liebe und Leidenschaft 10.11.2005 13:28
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Annäherungsversuch (II)

Ganz zögerlich befahren meine Silben jene Routen,
die sich als lange Serpentinen steil und schutzlos schlängeln
zu dem Teil deines Herzens, der für mehr da ist als Bluten.

Verräterische Gesten schlagen kühne Worte nieder,
die sieggewandt sich von der furchtgeseilten Leine rissen.
So fallen sie weit vor dem Ziel in Knechtschaft meiner Glieder.

Es wird schon Nacht, und schwerer ist der Pfad nun zu erkennen.
Die Fantasie wird müde, und ich hör Gedanken quengeln.
So schicke ich den Geist zur Ruh, lass Worte einfach rennen.

In Dunkelheit erstürmen meine Sätze deine Mauern.
Doch wo an Mut ich sparte erst, lass Takt ich nun vermissen.
So weck ich letztlich deine Gunst nicht, sondern nur Bedauern.


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#2

Annäherungsversuch (II)

in Liebe und Leidenschaft 20.06.2006 15:01
von Maya (gelöscht)
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Hallo GerateWohl ,

schon auf den ersten Klick hat Dein Gedicht – nicht zuletzt aufgrund der Form – mein Interesse geweckt. Das Reimschema ist in allen vier Strophen gleich; während sich die jeweils erste und dritte Verszeile reimen, bleibt die zweite Zeile reimlos. Demzufolge könnte es sich hierbei um ein Ritornell handeln. In den Strophen haben wir es durchgängig mit 7-hebigen (? gibt es das) Jamben zu tun, die auf weiblicher Kadenz enden.

Ganz zögerlich befahren meine Silben jene Routen,
die sich als lange Serpentinen steil und schutzlos schlängeln
zu dem Teil deines Herzens, der für mehr da ist als Bluten.


xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx (xXxXxxxXxXxXxXx?)
xXxXxXxXxXxXxXx

In der ersten Strophe erklärt sich sogleich der Titel des Gedichts. Es geht um einen Annäherungsversuch. Das Ich ist – mit Hilfe von Worten („Silben“) – bemüht, sich in das Herz des Du’s zu schlängeln. Was auffällt, ist die Behutsamkeit, mit der das Ich diesen Versuch unternimmt - es geschieht „zögerlich“ und „schutzlos“.
Daraus könnte man schließen, dass das Ich in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hat und nun Angst hat, erneut enttäuscht zu werden, wenn es sich auf die Pfade der Liebe begibt. Doch scheint es mit diesen Erlebnissen nicht allein dazustehen, denn auch das Du scheint Negatives erfahren zu haben („zu dem Teil deines Herzens, der für mehr da ist als Bluten“).
Daher scheint die Zurückhaltung des Ichs, mit der es den Vorstoß wagt, nur logisch zu sein – es will sich selbst und das Du nicht überfordern – nimmt sich Zeit. Die angesprochenen „Routen“ geben Hinweis, dass es nicht die erste Liebe des Ichs ist, die Straße ist schon befahren und befestigt worden. Die „Serpentinen“ (Schlängellinien) mag ich besonders gern, weil sie als Umwege gedeutet werden können, die man in Kauf nimmt, um sein Ziel letztlich doch zu erreichen.

Verräterische Gesten schlagen kühne Worte nieder,
die sieggewandt sich von der furchtgeseilten Leine rissen.
So fallen sie weit vor dem Ziel in Knechtschaft meiner Glieder.


xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx

Hier fragt man sich, was für „verräterische Gesten“ des Du’s gemeint sein könnten, die das Ich in seiner Kühnheit zurückweichen lassen. Ist es ein Gesichtsausdruck, ein Blinzeln, Augenniederschlag, das Übereinanderschlagen der Beine oder Überkreuzen der Arme, was ja für Abwehrhaltung spricht? Da lässt sich vieles denken.
Besonders gelungen finde ich in dieser Strophe die kühnen Worte, die sich „von der furchtgeseilten Leine rissen“. Das untermauert noch mal die besondere Rücksichtnahme des Ichs in seiner Vorgehensweise. Es beobachtet und analysiert die kleinste Reaktion seines Gegenübers und handelt dementsprechend.

Es wird schon Nacht, und schwerer ist der Pfad nun zu erkennen.
Die Fantasie wird müde, und ich hör Gedanken quengeln.
So schicke ich den Geist zur Ruh, lass Worte einfach rennen.


xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx

In dieser Strophe merkt man, dass dem Ich das Warten zu lang wird. Es sieht kein Licht mehr und kann den Weg, der zum Ziel führt, nur noch undeutlich erkennen.
Es scheint in seiner Absicht nicht weiterzukommen, steht sich mit seiner Vorsicht vielleicht selbst im Weg. Aus dem dritten Vers lese ich Aufgabe – das Ich weicht von seinem ursprünglichen Plan, behutsam vorzugehen ab, will sich von seinem Geist nicht mehr beschränken lassen und lässt die Worte einfach fließen. Es setzt nun alles auf eine Karte, was gewissermaßen für Verzweiflung spricht, weil es beim Du nicht mehr weiterkommt.

In Dunkelheit erstürmen meine Sätze deine Mauern.
Doch wo an Mut ich sparte erst, lass Takt ich nun vermissen.
So weck ich letztlich deine Gunst nicht, sondern nur Bedauern.


xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXxXxXx

Das Ich ist ungeduldig geworden, möchte wissen, woran es ist – egal, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, aber das Warten muss ein Ende haben. In seiner Ungeduld bestürmt es das Du mit seinen Worten, gesteht ihm vielleicht seine Gefühle, bedrängt und überfordert es womöglich. Das Resultat dieser „überstürzten“ Handlungsweise ist die Abweisung. Das Du verweigert seine Gunst – das Ich ist in seinem Vorhaben gescheitert und hätte wohl besser auf dem anderen Pfad bleiben sollen.

Fazit: Das Gedicht ist in meinen Augen klasse. Das Einzige, was mich ein wenig stört ist das „lass die Worte einfach rennen“, weil es sich etwas lapidar anhört. Andererseits unterstreicht diese Aussage die *jetzt ist es mir Wurscht –Haltung*. Also passt das doch wieder.

Liebe Grüße,
Maya

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#3

Annäherungsversuch (II)

in Liebe und Leidenschaft 21.06.2006 14:22
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Maya,

erstmal vielen dank, dass Du diese mir doch sehr lieben Verse der Gruft enthoben hast.
Deine Deutung gibt mir zudem Mut, weil ich den Text irgendwann, aufgrund mangelnder Rückmeldung schon für undeutbar hielt. Sie ist aber zu 80% deckungsgleich mit meiner Intention. Auch die Wende in der vierten Strophe hast Du gut erkannt. Ich bin begeistert und freue mich über Dein Lob.

Aus Dank noch eine Erläuterung zu Strophe 2

Verräterische Gesten schlagen kühne Worte nieder,
die sieggewandt sich von der furchtgeseilten Leine rissen.
So fallen sie weit vor dem Ziel in Knechtschaft meiner Glieder.


Das ist auch sicher kaum zu verstehen. Es ging mir um das Phänomen, dass Menschen, wenn sie sich nicht trauen, entweder wenig preisgeben, oder, wenn sie es Verbal doch tun, entweder zur Ironisierung neigen oder aber, was hier gemeint ist, mit ihrer Körpersprache gegensteuern. Eine tief empfundene Aussage wird reflexartig aus Angst mit einer wegwischenden Geste des Armes und wegdrehen des Kopfes abgeschwächt. Somit werden die paar wörtlichen Vorstöße des Ich durch den Körper auf halber Strecke "niedergeschlagen". Ich gebe zu, das ist schwer zu deuten, wenn man nicht weiß worum es geht oder das sofort nachempfinden kann. Das ist vielleicht die große Schwäche dieser Strophe.

Aber, wie gesagt, Deine Deutung gibt mir Mut, dass der Text wohl doch nicht verloren ist.

Danke nochmal und lieben Gruß,
GW


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#4

Annäherungsversuch (II)

in Liebe und Leidenschaft 21.06.2006 16:43
von Maya (gelöscht)
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Hallo GerateWohl,

ach, die in der zweiten Strophe angesprochenen Gesten beziehen sich auch auf das Ich. Es lässt sich beiden Protagonisten zuordnen. Übrigens kenne ich solche Abschwächungen auch von mir selbst, z.B. wenn ich einen sarkastischen Satz äußere und ein abschwächendes Grinsen hinterher schmeiße, obwohl mich was tierisch wurmt. Aber das wirkt halt nicht bei Leuten, die mich schon jahrelang bzw. zu gut kennen … (gut so!).

LG, Maya

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