#1

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 13:45
von Roderich (gelöscht)
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Sie wissen nicht - überarbeitete Fassung


Verborgen dunkelt meine Seele
und Verständnis kann ich nicht verlangen.
Doch zerr’n sie mich mit ihren Zangen
gnadenlos ans Licht, wo ich mich quäle.

Sie prügeln auf mich ein mit Sätzen,
schrauben mir mein Grinsen hart nach oben.
Und als sie schwatzend um mich toben
überseh’n sie, dass sie mich verletzen.

Ich lausch’ der schrillen Dissonanz
ihrer steten Phrasendrescherei
und zweifle ob der Heuchelei,
dass ich je zu ihrem Spiele tanz


----------------------------------------------------------


Sie wissen nicht - alte Fassung


Verborgen dunkelt meine Seele
und Verständnis kann ich nicht verlangen.
Doch zerr’n sie mich mit ihren Zangen
gnadenlos ans Licht, wo ich mich quäle.

Sie prügeln auf mich ein mit Phrasen,
schrauben mir mein Grinsen hart nach oben.
Und als sie schwatzend um mich toben
überseh’n sie, dass sie mich vergasen

mit Giften von Banalität,
wohl gemeinter Phrasendrescherei.
Ich zweifle ob der Heuchelei,
dass es jemand gibt, der mich versteht.


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#2

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 16:29
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Ein schönes Wochenende für die Lyrik ,

zum Inhalt:

Strophe 1:

Verborgen dunkelt meine Seele
und Verständnis kann ich nicht verlangen.
Doch zerr’n sie mich mit ihren Zangen
gnadenlos ans Licht, wo ich mich quäle.


Das lyrIch ist sich im Klaren, dass es weniger versteht als dies nach aussen hin den Anschein macht. Die Hoffnung darauf hat es aufgegeben und bezeichnet sich gar als des Verständnisses unwürdig. Es bewegt sich in einem Umfeld, dass es offensichtlich überfordert und ist dieser Überbeanspruchung ausgeliefert, ohne sich anpassen zu können. Es fühlt sich sogar mit Gewalt in dieses Umfeld und zum Verständnis gezwungen.

Strophe 2:

Sie prügeln auf mich ein mit Phrasen,
schrauben mir mein Grinsen hart nach oben.
Und als sie schwatzend um mich toben
überseh’n sie, dass sie mich vergasen


Meines Erachtens hält diese Strophe nicht das Niveau der Vorherigen. Das liegt vor allem an dem "vergasen" das man in Bezug auf die Thematik von S2 (Trubel und Geschwätz des Umfelds) allerhöchstens als unangenehmes Ausstoßen von Luft interpretieren kann; aber es wirkt trotzdem eher dem Reim geschuldet.
Jedoch wird inhaltlich der Schein, den das lyrIch aufrecht erhält, näher beschrieben. Bei S2 muss ich unvermittelt an eine Cocktailparty denken wo falsches Lachen, Geplapper und Trubel über all die kleinen und großen Unsicherheiten hinwegtäuschen. Für das lyrIch ist all das unerträglich was durch den Begriff "vergasen" konkretisiert wird.
Vers 2 hakt ob seiner Länge. Sowieso ist der Rhytmus deines Gedichts schwer zu fassen da die sich reimenden Verse variieren. Dieser Rhytmus ist in Strophe 1+2 verhanden, bricht aber mit S3 unvermeidlich zusammen. Ob der Kürze des Gedichtes wollte bei mir deshalb erst spät und teilweise gar kein Lesefluss aufkommen. Es ist ja nicht so dass ein gleichmäßiger (somit aber manchmal auch langweiliger) Rhytmus sein müsste. Aber wenn sich einmal darauf einlässt, finde ich, sollte man es durchziehen und wenn man ausbricht dann nicht zu oft und nur um Inhalt/Dramatik zu stärken.

Strophe 3:

mit Giften von Banalität,
wohl gemeinter Phrasendrescherei.
Ich zweifle ob der Heuchelei,
dass es jemand gibt, der mich versteht.


Strophe 2 und 3 könnten vereinigt werden denn sie gehen direkt ineinander über. Wie extrem ekelhaft das lyrIch die Situation empfindet wird weiter unterstrichen. Die Banalität ist ihm Gift, die Phrasendrescherei (2 mal Phrasen in einem kurzen Gedicht? Diese Dublette müsste/sollte lieber nicht sei). Final resigniert das lyrIch auf ganzer Linie ob überhaupt noch jemand seinen Unmut zu verstehen in der Lage ist. Das "jemand" im letzten Vers wirkt unschön da es "jemanden" heissen müsste. Sicher, man muss kürzen, aber den Wohlklang eines "jemanden" sollte man lieber nicht beschneiden

der Sinn des Gedichtes wird deutlich: Man ist nicht allein. Wer sich wundert warum niemand begreift dass er rundum mit Scheisse bombardiert wird (von Menschen, Klatschzeitschriften, Fernsehen, Prominentengedöhns, Talkshows, Trivialgedichten , etc. wundert sich nicht allein.
Es ist notwendig das Problem der Trivialisierung anzusprechen, somit ist das Thema brandaktuell und stets bedichtenswürdig Allerdings stören mich einige Aspekte der Umsetzung sodass mir insgesamt ein recht angenehmer Nachgeschmack mit einer allerdings leicht bitteren Note verbleibt. Auch fehlt mir etwas mehr inhaltliche Breite, sodass mir dein Gedicht einen vielversprechenden, allerdings halbgaren Eindruck macht.

Ich weiss ein milchproduktgestärkter Kerl wie du kann Kritik vertragen und hoffentlich auch etwas Konstrukties in dieser kritik finden.

Mit Freitagsgrüßen,

dein Willi

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#3

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 16:50
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Willi,

vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Ich weiß das sehr zu schätzen und kann mehr als genug Konstruktives in deiner Kritik finden.

Dein Einwand bei dem "vergasen" ist von anderer Seite auch schon kritisiert worden. Hier dürfte die große Schwachstelle des Gedichtes liegen. Ich muss mir da wirklich noch was einfallen lassen. Vielleicht kann ich dann auch gleich eine "Phrase" vernichten, würde dem Gedicht wohl gut tun.

Zum Rhythmus: Da bin ich nun doch ein wenig erstaunt, denn ich habe mir Mühe gegeben, metrisch sauber zu arbeiten. Habe ich hier was übersehen? Wäre für eine Aufmalung von Xen sehr verbunden, dann kann ich das mal vergleichen mit dem, was ich habe.

Es freut mich, dass du der Bitternis auf deinem Gaumen trotzt und dennoch einen angenehmen Nachgeschmack identifizieren kannst. Vielleicht schaffe ich es ja sogar, den bitteren Beigeschmack mit einer Überarbeitung abzutöten. Einen Versuch wäre es wert.

Grüße

Thomas

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#4

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 17:02
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
zur Metrik: In den ersten beiden Strophen komme ich einfach nicht ohne Hakler über das "hart" hinweg. Da ich aber in Sachen Metrik wahrlich kein Experte bin gründet das auf mein persönliches Empfinden
in Strophe 3 steigt ich mit den Giften der Banalität schwunghaft ein, aber die wohl gemeinte Phrasendrescherei führt mich stets zum Kollaps. Das wären so meine knackpünktlichen Schläglöcher

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#5

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 17:13
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Willi,

mal sehen, was ich für kreuzerltechnische Vorschläge habe:

schrauben mir mein Grinsen hart nach oben.
XxXxXxXxXx

wohl gemeinter Phrasendrescherei
XxXxXxXxX

Meine bescheidene Ansicht, die nicht unbedingt richtig sein muss. Andere Vorschläge?

Grüße

Thomas

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#6

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 04.11.2005 19:44
von Roderich (gelöscht)
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Servus noch mal,

habe mich noch mal an das Gedicht gesetzt und es ein wenig überarbeitet. Ich hoffe, der bittere Beigeschmack nimmt damit ein wenig ab.

Grüße

Thomas

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#7

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 06.11.2005 19:57
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
So nimmt der bittere Beigeschmack schon ab Rein grammatikalisch gesehen müsste doch in der letzten zeile statt "dass" statt "ob" stehen der?

Dein verschlimmbessernder Kugschleisser

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#8

Sie wissen nicht

in Philosophisches und Grübeleien 09.11.2005 20:24
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Willi,

ich vermute mal, du meinst "ob ich je nach ihrer Pfeife tanz", oder? Bei deinem Satz mit den vielen "statt" ist das nicht so klar herausgegangen, aber ich reime mir das mal ganz frech zusammen.

Grammatikalisch wäre "ob" natürlich sauberer, aber in Verbindung mit der dritten Zeile wäre das ein wenig gequält.

Ichhabe übrigens noch mal ein wenig daran gefeilt und die letzte Zeile geändert, um die umgangssprachliche Redewendung der letzten Zeile, die sprachlich ein wenig mit den vorangegangenen Versen bricht, zu entschärfen. Guckst du oben.

Ich danke dir fürs akribische Lesen und deine immer hilfreichen Anmerkungen.

Grüße

Thomas

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