#1

Reduzierung

in Düsteres und Trübsinniges 05.05.2009 14:00
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Reduzierung

Erst kürzlich war's, bei einem Unfall:
es riss mir beide Beine ab.
Das war dann wohl mein letzter Kniefall
und Beinfreiheit war nie mehr knapp.

Nun, eigentlich ging es vorzüglich,
da dacht ich mir: ich kann noch mehr!
Mein Arzt, der warnte mich ausdrücklich,
doch Handabschneiden ist nicht schwer.

Man muss doch letztlich nur ein wenig
die Blutung still'n, mehr ist das nicht.
Sonst ist's nur Fleisch, ein bisschen sehnig,
und darauf bin ich nicht erpicht.

Ein wenig hier und dort geschnitten,
schon bin ich frei ein kleines Stück-
ich werde niemanden mehr bitten
und form aus mir mein eignes Glück.

Und die Moral von dem Gedicht?
Ich brauch mich nicht!

Don Carvalho
Januar 2009

Des Paten Missetaten

zuletzt bearbeitet 05.05.2009 14:01 | nach oben

#2

RE: Reduzierung

in Düsteres und Trübsinniges 05.05.2009 14:18
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Don,

schön, dieses gleichzeitig komische und brutal traurige Gedicht jetzt auch schriftlich vorzufinden. Ich muss zugeben, es beim Vortrag nicht vollständig gepeilt zu haben.

Diese Zurückführung, Eindickung, Verdichtung ist meiner Meinung nach sehr gelungen. Der sehr komische Einsteiger (letzter Kniefall) deutet bereits an, dass es hier um Wesentliches geht, Wichtigeres als pure Körperlichkeit. Der Zynismus ist natürlich unverkennbar und die sprachliche Nähe zwischen dem folgenden Hand- und einem finalen Halsabschneiden sicher kein Zufall. Das lyrische Ich ist auch in seiner Denkweise derart reduziert, dass es sich vergisst: es braucht sich nicht. In Wahrheit widerspricht der Dichter hier ganz krass und muss es auch wohl: Wer so verkopft denkt, vergisst einen wesentlichen und wichtigen Teil. Ich deute die Körperteile, die Körperlichkeit hier als Gefühl. Und wer ohne Gefühl und nur mit Verstand an das Leben herangeht, der ge-braucht es nicht, jedenfalls sicher nicht ausreichend. Der kann zwar durchaus sein eigenes Glück formen, das aber bleibt reduziert.

Na ja, etwas wirr jetzt und auf die Schnelle, aber das Gedicht stößt viele Türen in viele Gedankengänge auf, ist also neben seinem Wortwitz entgegen dem Titel nicht auf die eine Aussage reduziert.

Beste Grüße
Oliver





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#3

RE: Reduzierung

in Düsteres und Trübsinniges 08.05.2009 09:19
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte

Hallo Oliver,

freut mich, dass es Dir gefällt. Das Abschneiden der Körperteile sollte natürlich vor allem auf eine emotionale Ebene zu führen sein, eine reine, vergnügliche Selbstverstümmelung zu beschreiben war nur das vordergründige Ziel. Schön, dass das makaber-lustige funktioniert, wobei ich natürlich insgesamt dem Leser (oder Hörer) auch am Ende eine reinwürgen wollte, dass ihm das Schmunzeln vergeht.

Danke für Deinen Kommentar.

Grüße,

Don


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