#1

Geschichte 1

in Zwischenwelten 13.06.2009 22:24
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

Ich stand auf dem Drei-Meter-Turm und versuchte mir das Bild einzuprägen. Vor mir die sich leicht kräuselnde Oberfläche des kleinen Sees, der von einem dichten Waldgürtel eingefasst war. Über beidem der unverschämt blaue Himmel mit seinen paar Wolken. Die Vögel zwitscherten ganz reizend, wie es sich für die mecklenburgische Pampa gehört, unterlegt von den wummernden Bässen der Goa, die am anderen Ufer stattfand. Mit den Shorts und der Brille war ich der einzig angezogene in Sichtweite. Unter mir schwammen Tore und Lars, auf- und abtauchend, krauelnd, brustschwimmend und prustend wie zwei Seehunde.

Da war noch ein Mädchen, das dauerlächelnd und hüftschwingend aus dem Waldweg gekommen war, und die sich auf den Steg gesetzt hatte, nachdem sie ihre Reize ausgiebig präsentiert hatte. Sie unterbrach meine Versunkenheit, indem sie mich dreimal dasselbe fragte. Ich fand nur langsam und ungnädig in die Wirklichkeit zurück, verstand kein Wort und fragte: „Was?“ „Was?“ „Was?“
Tore, der gerade aufgetaucht war, übersetzte: sie wollte wissen, ob es tief ist.
„Keine Ahnung“ rief ich in ihre Richtung.
Dann forderte sie mich auf, zu springen. Lars unterstützte ihre Aufforderung, was meinen Entschluss, nicht zu springen, festigte, da ich den Sprung jetzt als Mutprobe betrachtete.
„Ne ne. Ich bin wegen der Aussicht hier oben, nicht um zu springen.“

Sie lächelte weiterhin, ihr Lächeln schien weniger Gefühlsausdruck, als unveränderlicher Teil ihres Gesichts zu sein – manche hatten rotes Haar oder Sommersprossen, sie lächelte die ganze Zeit.
Ich solle nicht erschrecken, wenn sie gleich nackt an mir vorbei käme und spränge, sagte sie.
„Okay, dann springe ich auch!“ antwortete ich.
„Damit du dich nicht so einsam fühlst.“ Gentlemen wissen was sich gehört – und ich war gut erzogen worden.
Ich zog meine Shorts aus, nahm die Brille ab. Die reichte ich ihr, das Textil warf ich. Rückblickend erscheint mir die Versuchung durch eine nackte Springerin wie eine zweite Mutprobe, die ich nicht bestand, weil ich sie bestehen wollte. Aber diese Niederlage verzeihe ich mir, denn dem schwachen Fleisch nachzugeben ist wie ein kleiner Sieg über den Tod – zumindest wenn eine süße Vögelei in Aussicht scheint. Man soll seine Samen verteilen, so oft und so lange es geht.
Niemand kann wissen, ob er den nächsten Morgen nicht an einen Felsen gekettet schreiend erwacht, von Sägeschnabelvögeln geweckt, die seine ewig nachwachsende Erektion im Auftrag krankhaft rachsüchtiger, impotenter Dämonen kastrieren.
Deswegen sollen die kleinen Weißen neues Leben erzeugen, der stärkste und schlauste der Gruppe sein Gipfelstürmerfähnchen da hissen, wo es wirklich drauf ankommt.
Ich – in diesem Moment nicht mehr als eine biologische Fabrik, die potentielle kleine Dichter produzierte – stand da wie Gott oder wer zum Teufel? mich schuf.
Mir entgegen tretend, die unbekannte Lächelnde.
Sie war auf einmal da – in meiner Wahrnehmung war es übergangslos: In einem Moment nahm sie noch meine Brille, dann schob sie ihre großen schweren Brüsten auf den Turm. Ich hielt ihr meine Hand entgegen und sagte, dass wir zusammen springen sollten.
Aber sie tat auf einmal schüchtern, vielleicht traute sie mir nicht recht und wollte deswegen alleine springen. Das tat sie auch, vor mir, ich mit Karacho und Urschrei hinterher.

Dann, den kühlen Maisee mit kräftigen Zügen durchmessend und wie selbstverständlich das andere Ufer anpeilend, sagte sie mir ihren Namen, meinen hatte sie schon von den Freunden gehört.
Während des Schwimmens keuchten wir uns ein einigermaßen flüssiges Gespräch über Interessen, Musik und Wohnort zusammen. Alles ziemlich entspannt und in Anbetracht der Umstände erstaunlich konventionell.
Sie hatte den Weg um den See herum schon erkundet und erzählte von einem Raubvogel, den sie an diesem Morgen gesehen hatte, wie er eine Schlange fing und verzehrte.
Ich sprach von der Symbolhaftigkeit dieser Szenerie, mein Blut erhitzte sich bei dieser Vorstellung und berauschte mein Hirn.
„Was sollte es denn bedeuten?“ fragte sie.

Am anderen Ufer angekommen, standen wir im flachen Gras, sie hielt einen Arm schamhaft vor ihre Brüste. Ich stemmte meine Arme in die Hüfte und da mir nichts bedeutsam klingendes einfallen wollte, schaute ich entschlossen in die Ferne, biss die Zähne zusammen und schob das Kinn vor.
Diese Maulsperre unterband gleichzeitig das Zähneklappern.
Ob wir zurück gehen wollen, am Seeufer entlang, fragte ich.
Sie, immer noch ihre schönen Brüste verbergend, gab zu bedenken, dass hier Menschen unterwegs sein werden.
„Na und?“ fragte ich.
„Es wäre ganz schön krass, hier nackt rumzulaufen.“
Ich wollte zu Fuß zurück gehen, geschwommen waren wir schon auf dem Hinweg. Und redete auf sie ein, bis ihre Hemmungen von der Lust, etwas ungewöhnliches zu tun, weg geschwemmt worden waren.
Es war, als hätten die Worte auch meine Dämme weggespült, ich fühlte mich völlig unirdisch, frei und selbstlos.
Ein Gefühl wie beim Eintauchen in eine Geschichte, als ob ein Märchen beginnen würde.

Gleich auf den ersten Metern, als die neue Welt, in die wir nackt traten, uns noch unvertraut war, begegneten uns tatsächlich einige von der Feier. Mit einem von ihnen, einem Goldhaar – er hatte schulterlange Zöpfe und trug eine lederne Weste über der nackten Brust – tauschte ich nickend einen Gruß, als wären wir zwei Bürger in ihrem Sonntagsstaat.

Es waren die letzten Menschen, die wir in dieser Geschichte treffen sollten. In den sonnig duftenden Wald schreitend, spürten wir natürliche Unaufgeräumtheit unter den nackten Füßen: kleine Äste und Steine, Gras und Sand.
An einer Stelle wurde der Weg so eng, dass wir nicht mehr nebeneinander gehen konnten, sie ging voraus. Immer noch sehe ich ihren schönen großen Hintern vor mir, deutlicher noch ihre Hände, die in einer unbewussten Geste die Haare zusammen rafften, als wollten sie diese zusammen stecken.
Ich sprach von uns als Adam und Eva, die durch das Paradies ziehen. Sie hielt sich ein Blatt vor ihr Geschlecht und - lächelte. Es war ein herrliches Gefühl von paradiesischem Unschuldszustand, der jedoch nicht lange anhalten sollte.

Auch in diesem Märchen ist eine Schlange – wenn auch indirekt - für die Beendigung der Idylle verantwortlich.
Als sich der Wald für fünfzig Meter klaren Himmel lichtete, sahen wir auf diesem Teil des Weges die angefressene Schlange liegen. Ein Stück von ihr war ganz abgerissen worden, das noch dort liegende teilweise gehäutet, von Schlangengedärm und –blut besudelt. Ich musste mich ganz nah runter beugen, um etwas zu erkennen, weil ich doch kurzsichtig bin.
Ihr erschreckter Ruf: "Adam, dein Ding wird steif!“ erinnerte mich an die Notwendigkeit, dem Tod durch die Zeugung von Leben zu begegnen.

Nach der Inaugenscheinnahme des Raubvogelopfers folgten wir wieder dem Weg und stießen nach wenigen Schritten auf eine kleine Brücke, die über einen munteren Bach führte. Auf der Brücke saßen sich zwei Reiher im Schneidersitz gegenüber, die im Begriff waren sich ganz vornehm – mit Servietten um den Hals und Silberbesteck – gegenseitig zu verspeisen.
Diese Vögel waren so vornehm und höflich, dass sie die Brücke säuberten, nachdem sie sich aufgefressen hatten. Wir warteten mit der Fortsetzung unserer Heimkehr respektvoll ab, bis sie fertig waren.


In der Zwischenzeit, weil uns langweilig war und vögeln bei gemeinsamer Nacktheit so naheliegend scheint, taten wir es endlich. In Sichtweite der zerrissenen Schlange und in Hörweite der sich verspeisenden Reiher, die es nicht aushielten, sich klaglos zu verspeisen. So klagten sie, mit halb erstickten Lauten, die kaum lauter als ihr Schmatzen waren.

Ich hievte ihren mächtigen Hintern auf einen Baumstamm und wuchtete meine ewige Erektion in sie rein und raus – wieder und wiederholt. Meine Augen schließend, kamen mir phantastische Visionen. Ich sprach von den ersten Menschen, die wir seien und der göttlichen Verpflichtung zur teuflischen Fleischeslust, von der wunderschönen brutalen Welt außerhalb des langweiligen Paradieses, die auf uns wartete.
Sie stöhnte von dem aztekischen Mythos, das Tenochtitlan gegründet worden war, wo ein Raubvogel mit seiner Schlange gelandet war.
„Tenochtitlan!“ schrie ich und spürte den Fluss derer, die losschwammen, um in ihrer Gebärmutter neues Leben zu gründen.
Und noch einmal bemächtigte sich die Buchstabenfolge meiner Stimmbänder: „Tenochtitlan!“ rief ich in die märchenhafte Landschaft.
Ob diese Ausrufe aufgrund der körperlichen Empfindung geschahen, die den Strom der Gipfelstürmer begleitete, oder meiner überspannten Phantasie geschuldet waren, die aus mir in diesem Moment Adam, einen aztekischen Sexpriester und einen reiherfressenden Reiher zugleich machte, weiß ich nicht.

Nachdem wir uns erholt hatten, liefen wir sieben mal sieben Jahre durch den Wald, wanderten über drei Hügel und durch zwölf Täler, sie trug meine Kinder aus und wir gründeten überall dort Städte, wo Raubvögel mit ihren erbeuteten Schlangen landeten.
Als wir wieder an der Badestelle ankamen, war es bereits spät geworden.
Und weil sich dieses Märchen letztes Wochenende zutrug und niemand seitdem gestorben ist, leben wir noch heute.

zuletzt bearbeitet 04.07.2009 17:00 | nach oben

#2

RE: Geschichte 1

in Zwischenwelten 15.06.2009 23:01
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat von Kjub
Ich stand auf dem Drei-Meter-Turm und versuchte mir das Bild einzuprägen. Vor mir die sich leicht kräuselnde Oberfläche des kleinen Sees, der von einem dichten Waldgürtel eingefasst war. Über beidem der unverschämt blaue Himmel mit seinen paar Wolken. Die Vögel zwitscherten ganz reizend, wie es sich für die mecklenburgische Pampa gehört, unterlegt von den wummernden Bässen der Goa, die am anderen Ufer stattfand. Mit den Shorts und der Brille war ich der einzig angezogene in Sichtweite. Unter mir schwammen Tore und Lars, auf- und abtauchend, krauelnd, brustschwimmend und prustend wie zwei Seehunde.

Da war noch ein Mädchen, das dauerlächelnd und hüftschwingend aus dem Waldweg gekommen war, und die sich auf den Steg gesetzt hatte, nachdem sie ihre Reize ausgiebig präsentiert hatte. Sie unterbrach meine Versunkenheit, indem sie mich dreimal dasselbe fragte. Ich fand nur langsam und ungnädig in die Wirklichkeit zurück, verstand kein Wort und fragte: „Was?“ „Was?“ „Was?“
Tore, der gerade aufgetaucht war, übersetzte, sie wollte wissen, ob es tief sei.
„Keine Ahnung“ rief ich in ihre Richtung.
Dann forderte sie mich auf, zu springen. Lars unterstützte ihre Aufforderung, was meinen Entschluss, nicht zu springen, festigte, da ich den Sprung jetzt als Mutprobe betrachtete.
„Ne ne. Ich bin wegen der Aussicht hier oben, nicht um zu springen.“

Sie lächelte weiterhin, ihr Lächeln schien weniger Gefühlsausdruck, als unveränderlicher Teil ihres Gesichts zu sein – manche hatten rotes Haar oder Sommersprossen, sie lächelte die ganze Zeit.
Ich solle nicht erschrecken, wenn sie gleich nackt an mir vorbei käme und spränge, sagte sie.
„Okay, dann springe ich auch!“ antwortete ich.
„Damit du dich nicht so einsam fühlst.“ Gentlemen wissen was sich gehört – und ich war gut erzogen worden.
Ich zog meine Shorts aus, nahm die Brille ab. Die reichte ich ihr, das Textil warf ich. Rückblickend erscheint mir die Versuchung durch eine nackte Springerin wie eine zweite Mutprobe, die ich nicht bestand, weil ich sie bestehen wollte. Aber diese Niederlage verzeihe ich mir, denn dem schwachen Fleisch nachzugeben ist wie ein kleiner Sieg über den Tod – zumindest wenn wie hier eine süße Vögelei in Aussicht scheint. Man soll seine Samen verteilen, so oft und so lange es geht.
Niemand kann wissen, ob er den nächsten Morgen nicht an einen Felsen gekettet schreiend erwacht, von Sägeschnabelvögeln geweckt, die seine ewig nachwachsende Erektion im Auftrag krankhaft rachsüchtiger, impotenter Dämonen kastrieren.
Deswegen sollen die kleinen Weißen neues Leben erzeugen, der stärkste und schlauste der Gruppe sein Gipfelstürmerfähnchen da hissen, wo es wirklich drauf ankommt.
Ich – in diesem Moment nicht mehr als eine biologische Fabrik, die potentielle kleine Dichter produzierte – stand da wie Gott oder wer zum Teufel? mich schuf. Mir entgegen tretend, die unbekannte lächelnde.
Sie war auf einmal da – in meiner Wahrnehmung war es übergangslos, in einem Moment nahm sie noch meine Brille, dann schob sie ihre großen schweren Brüsten auf den Turm. Ich hielt ihr meine Hand entgegen und sagte, dass wir zusammen springen sollten.
Aber sie auf einmal schüchtern, mir vielleicht nicht recht trauend, wollte alleine springen. Das tat sie auch, vor mir, ich mit Karacho und Urschrei hinterher.

Dann, den kühlen Maisee mit kräftigen Zügen durchmessend und wie selbstverständlich das andere Ufer anpeilend, sagte sie mir ihren Namen, meinen hatte sie schon von den Freunden gehört. Zwischen und während der Schwimmzüge keuchten wir uns ein einigermaßen flüssiges Gespräch über Interessen, Musik und Wohnort zusammen. Alles einigermaßen entspannt und in Anbetracht der Umstände erstaunlich konventionell.
Sie hatte den Weg um den See herum schon erkundet und erzählte von einem Raubvogel, den sie an diesem Morgen gesehen hatte, wie er eine Schlange fing und verzehrte. Ich sprach von der Symbolhaftigkeit dieser Szenerie, mein Blut erhitzte sich bei dieser Vorstellung und berauschte mein Hirn.
„Was sollte es denn bedeuten?“ fragte sie.

Am anderen Ufer angekommen, standen wir im flachen Gras, sie hielt einen Arm schamhaft vor ihre Brüste. Ich stemmte meine Arme in die Hüfte und da mir nichts bedeutsam klingendes einfallen wollte, schaute ich entschlossen in die Ferne, biss die Zähne zusammen und schob das Kinn vor. Diese Maulsperre unterband gleichzeitig das Zähneklappern.
Ob wir zurück gehen wollen, am Seeufer entlang, fragte ich.
Sie, immer noch ihre schönen Brüste verbergend, gab zu bedenken, dass hier Menschen unterwegs sein werden.
„Na und?“ fragte ich.
„Es wäre ganz schön krass, hier nackt rumzulaufen.“ Ich wollte zu Fuß zurück gehen, geschwommen waren wir schon auf dem Hinweg. Und redete auf sie ein, bis ihre Hemmungen von der Lust, etwas ungewöhnliches zu tun, weg geschwemmt worden waren. Es war, als hätten die Worte auch meine Dämme weggespült, ich fühlte mich völlig unirdisch, frei und selbstlos.
Ein Gefühl wie beim Eintauchen in eine Geschichte, als ob ein Märchen beginnen würde.

Gleich auf den ersten Metern, als die neue Welt, in die wir nackt traten, uns noch unvertraut war, begegneten uns tatsächlich einige von der Feier. Mit einem von ihnen, einem Goldhaar – er hatte schulterlange Zöpfe und trug eine lederne Weste über der nackten Brust – tauschte ich nickend einen Gruß, als wären wir zwei Bürger in ihrem Sonntagsstaat.

Es waren die letzten Menschen, die wir in dieser Geschichte treffen sollten. In den sonnig duftenden Wald schreitend, spürten wir natürliche Unaufgeräumtheit unter den nackten Füßen: kleine Äste und Steine, Gras und Sand.
An einer Stelle wurde der Weg so eng, dass wir nicht mehr nebeneinander gehen konnten, sie ging voraus. Immer noch sehe ich ihren schönen großen Hintern vor mir, deutlicher noch ihre Hände, die in einer unbewussten Geste die Haare zusammen rafften, als wollten sie diese zusammen stecken.
Ich sprach von uns als Adam und Eva, die durch das Paradies ziehen. Sie hielt sich ein Blatt vor ihr Geschlecht und - lächelte. Es war ein herrliches Gefühl von paradiesischem Unschuldszustand, der jedoch nicht lange anhalten sollte.

Auch in diesem Märchen ist eine Schlange – wenn auch indirekt - für die Beendigung der Idylle verantwortlich.
Als sich der Wald für fünfzig Meter klaren Himmel lichtete, sahen wir auf diesem Teil des Weges die angefressene Schlange liegen. Ein Stück von ihr war ganz abgerissen worden, das noch dort liegende teilweise gehäutet, von Schlangengedärm und –blut besudelt. Ich musste mich ganz nah runter beugen, um etwas zu erkennen, weil ich doch kurzsichtig bin.
Ihr erschreckter Ruf: "Adam, dein Ding wird steif!“ erinnerte mich an die Notwendigkeit, dem Tod durch die Zeugung von Leben zu begegnen.

Nach der Inaugenscheinnahme des Raubvogelopfers folgten wir wieder dem Weg und stießen nach wenigen Schritten auf eine kleine Brücke, die über einen munteren Bach führte. Auf der Brücke saßen sich zwei Reiher im Schneidersitz gegenüber, die im Begriff waren sich ganz vornehm – mit Servietten um den Hals und Silberbesteck – gegenseitig zu verspeisen. Diese Vögel waren so vornehm und höflich, dass sie die Brücke säuberten, nachdem sie sich aufgefressen hatten. Wir warteten mit der Fortsetzung unserer Heimkehr respektvoll ab, bis sie fertig waren.

In der Zwischenzeit, weil uns langweilig war und vögeln bei gemeinsamer Nacktheit so naheliegend scheint, taten wir es endlich. In Sichtweite der zerrissenen Schlange und in Hörweite der sich verspeisenden Reiher, die es nicht aushielten, sich klaglos zu verspeisen. So klagten sie, mit halb erstickten Lauten, die kaum lauter waren als ihr Schmatzen.

Ich hievte ihren großen Hintern auf einen mächtigen Baumstamm und wuchtete meine ewige Erektion in sie rein und raus - diesen Vorgang wiederholte ich mehrmals. Meine Augen schließend, hatte ich phantastische Visionen. Ich sprach von den ersten Menschen, die wir seien und der göttlichen Verpflichtung zur teuflischen Fleischeslust, von der wunderschönen brutalen Welt außerhalb des langweiligen Paradieses, die auf uns wartete.
Sie stöhnte von dem aztekischen Mythos, das Tenochtitlan gegründet worden war, wo ein Raubvogel mit seiner Schlange gelandet war.
„Tenochtitlan!“ schrie ich und spürte den Fluss derer, die losschwammen, um in ihrer Gebärmutter neues Leben zu gründen.
Und noch einmal bemächtigte sich die Buchstabenfolge meiner Stimmbänder: „Tenochtitlan!“ rief ich in die märchenhafte Landschaft.
Ob diese Ausrufe aufgrund der körperlichen Empfindung geschahen, die den Strom der Gipfelstürmer begleitete, oder meiner überspannten Phantasie geschuldet waren, die aus mir in diesem Moment Adam, einen aztekischen Sexpriester und einen reiherfressenden Reiher zugleich machte, weiß ich nicht.

Nachdem wir uns erholt hatten, liefen wir sieben mal sieben Jahre durch den Wald, wanderten über drei Hügel und durch zwölf Täler, sie trug meine Kinder aus und wir gründeten überall dort Städte, wo Raubvögel mit ihren erbeuteten Schlangen landeten.
Als wir endlich wieder an der Badestelle ankamen, war es spät geworden.
Und weil sich dieses Märchen letztes Wochenende zutrug und niemand seitdem gestorben ist, leben wir noch heute.

Ende

Was aus Adam, Eva, den Freunden und der Frau von Lars, die ich nicht erwähnt hatte, geworden war:

Alle waren froh, dass wir heil zurück gekommen waren, da die Gendarmerie vor Sägeschnabelvögeln warnte, die in der Gegend ihr Unwesen trieben. Wir packten unser Badezeug, die erigierten Penisse und feuchten Vaginas zügig zusammen, um dann zurück zu dem Haus der Eltern von Tore und Lars zu fahren. Auch Lars’ russische Ehefrau war dabei, die tanzen kann und die weiß, dass Baba Yagas Hütte nur ein Bein hat. Wir fuhren schnell, weil wir bald zum Abendbrot kommen sollten. Bevor wir dem See den Rücken kehrten, gab ich Eva wegen unserer Kinder meine Handynummer. Zurück an ihrem Elternhaus, gab es paniertes Putenschnitzel, Spargel und Salzkartoffeln.

hallo Kjub

Willkommen im Forum!

die unbekannte Lächelnde (<- Substantiv bitte groß schreiben)

das unterbundene Zähneklappern ist Klasse!

schön wie du "natürliche Unaufgeräumtheiten" eingebaut hast. das habe ich regelrecht verschlungen. gefiel mir sehr.

die Notwendigkeit, oder vielmehr der Aufruf dem Tod durch Zeugung neuen Lebens zu begegnen, begegnete ich mit einem breiten zufriedenen Lächeln. hach ja, und auch noch vor der Beute eines seltenen Schlangenadlers. herrlich.

das "wuchten" der ewigen Erektion erschien mir nach der bis dahin kurzweiligen Lektüre aber völlig übertrieben, unangebracht, ja fast schon vulgär. ich begann mich da zu fragen ob der Schreiber es denn tatsächlich nötig hat eine Schwanzlänge zu kompensieren, oder ja, was naheliegend wäre, der Schreiber ist gar kein Er, sondern eine Sie und sie versucht es linkisch zu kaschieren. muss das sein? ansonsten bleib doch bitte dabei und wuchte allein den Hintern auf den Baumstamm, und stimme auch die Adjektive ab: -> "groß" versus "mächtig". bei dem Satz scheint mir auch das nüchterne Ende nicht zu passen ("diesen Vorgang wiederholte ich mehrfach."). wenn du möchtest mache ich dir zu diesem Schlüsselsatz auch konkrete Vorschläge. ich finde gerade diesen solltest du besser zurechtfeilen. such die Perfektion. immerhin soll er ja zu höherem, zu Visionen überleiten. das schreibst du doch selbst. also versuch es. der Text ist es allemal wert. er hat mir sehr gefallen.

freilich, das "Ende" und alles was danach kam empfand ich als völlig überflüssig.

Gruß
Alcedo


e-Gut
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#3

RE: Geschichte 1

in Zwischenwelten 17.06.2009 13:46
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hi Alcedo, danke für das willkommen. :freundlicher smiliey:
das "ende" ist eine kleine hommage an die märchenbücher meiner kindheit, wo dieses unter den märchen stand. der anhang ist der dritte textteil, nach dem realistischen beginn und dem eintauchen in die märchenhaftigkeit soll der dritte eine synthese aus beiden gegensätzen bilden, außerdem stellte er eine möglichkeit dar, die magische zahl in der konzeption zu verwenden.
ich habe mich vor dem erleben der geschichte etwas mit märchen und sagen beschäftigt und vermute, dass daher dieses seltsame erleben kam, denn die drei textteile spiegeln mein verschiedenes befinden wieder und sind in ihrer form bewusst so angelegt. der von dir als schlüsselsatz bezeichnete hingegen ist es nicht, für vorschläge bin ich offen. natürlich perfektion anstreben, was sonst?
hier:

In Antwort auf:
ansonsten bleib doch bitte dabei und wuchte allein den Hintern auf den Baumstamm, und stimme auch die Adjektive ab: -> "groß" versus "mächtig".
frage ich mich, was du meinst. in beiden fällen. nähere erläuterung möglich? ansonsten lädt das netz manchmal zu spekulationen über das geschlecht der schreiber an, da bin ich schon großartig reingefallen, aber das Kjub eine sie ist, halte ich für unwahrscheinlich - ebenso dass der raubvogel ein schlangenadler war, der müsste bis nach mecklenburg schon ziemlich weit gewandert sein.
ganz ungemein freute mich, die beschreibungen deiner reaktionen zu lesen: so will der text verstanden werden! daher doppelt für die blumen dankend und auf vorschläge wartend,
Kjub

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#4

RE: Geschichte 1

in Zwischenwelten 23.06.2009 23:47
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Kjub

wir haben hier auch eine Rubrik "Märchen". ich verschiebe den Text dahin wenn du möchtest.

den Anhang (deinen dritten Textteil) halte ich nach wie vor für überflüssig. die von dir angepeilte Synthese zwischen Realität und Märchenmagie sollte, meiner Ansicht nach, nicht auf diese Art, sondern allein im Kopfe des Lesers während der Lektüre stattfinden. bei mir hatte es ja funktioniert. deshalb halte ich das Anhängsel ja für verzichtbar. und ich halte es für einen großen Fehler irgendwelche Synthesen im Finale wegen einer "magischen Zahl" zu verwenden. alle guten Dinge sind drei? mag sein. befrei dich aber davon beim Schreiben!

oder hast du schon mal bei Marquez zum Beispiel gesehen dass er seinen magischen Realismus drei mal im Kreise schreibt? für "Hundert Jahre Einsamkeit" reichte ihm ein einziger Kreislauf. lies und lerne bei ihm. oder mach es besser. aber langweile mich Leser bitte nicht mit überflüssigen Synthesen. ok?

bereffend Geschlecht: sorry, ich wollte nicht spekulieren. mir erschien der gewuchtete Schwanz zu hochtrabend und ich suchte laut nach einer Erklärung. auf eine märchenhafte Übertreibung war ich nicht gekommen - mein Fehler. man kann es in der Tat auch so lesen. hier mein konkreter Vorschlag für den Schlüssel hin zur visionären Mär:

Ich hievte ihren mächtigen Hintern auf einen Baumstamm und wuchtete meine ewige Erektion in sie rein und raus - wiederholt und wiederholt. Meine Augen schließend, kamen mir phantastische Visionen.

(von den beiden Adjektiven groß & mächtig, die sich einander beissen, beliess ich nur eines. ich fand der mächtige Hintern passt am besten zur ewigen Erektion und der Baumstamm kommt gut ohne Adjektiv zurecht. stimmts?
das allzunüchterne Satzende wird durch die Wiederholung vielleicht milde narkotisiert.
ich würde auch im nachfolgenden Satz ein "kommen" vorschlagen. es passt mir einfach besser zum orgiastischen Geschehen.)

was den Schlangenadler betrifft, überraschte es mich dass es ihn in Mecklenburg nimmer gibt - in ganz Deutschland nicht mehr, belehrte mich ein Fachbuch. in Polen hat es aber noch welche. nun ja, dann muss der schnöde Bussard (für mich) als Sägeschnabelvogel herhalten. oder doch der Schwarzmilan, oder die Rohrweihe? jedenfalls: es ist gut dass du es offen lässt.

schön auch dass du schon begonnen hast mit den Korrekturen (-> Lächelnde steht jetzt groß da, merci). mach weiter und feil den Text zurecht. ich glaube der hat Potential mit Dir als Schreiber zusammen.

Gruß
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 23.06.2009 23:48 | nach oben

#5

RE: Geschichte 1

in Zwischenwelten 04.07.2009 17:03
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hallo Alcedo, ich habe mir die vorschläge noch mal durch den kopf gehen lassen – ausserdem ein paar kleinigkeiten verändert, aber vor allem: deinen einleuchtenden vorschlag bezüglich des schlüsselsatzes fast ganz übernommen. nur aus dem einen wiederholt machte ich ein wieder, so bleibt die bedeutung bestehen, während sich der ton variiert. das „kamen“ halte ich übrigens sprachlich und inhaltlich für eine elegante lösung. obwohl es so klein und unscheinbar wirkt, passt es doch so treffend, dass auch diese änderung in meinen augen eine echte verbesserung ist. danke für beides.
für die synthese sind jetzt potente lesergehirne gefragt.
marquez ist streckenweise wirklich genial, diese sprachgewalt und fabulierlust! der gehört mit anderen spanischschreibenden autoren zu meinen lieblingen.
danke für den super hilfreichen komm und auch für das lob!
grüße
Kjub

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#6

RE: Geschichte 1

in Zwischenwelten 06.07.2009 10:26
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Kjub

gern geschehen.
es ist gut geworden und ansehlicher.

dachte mir fast dass dir Marquez nicht unbekannt ist.
ein bisschen Schade finde ich es deshalb dass du Baba Yaga, sowie die zusammengepackten Genitalien nicht woanders im Text eingebaut hast. das war Best Of Nachwort für mich.

Gruß
Alcedo


e-Gut
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