#1

Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 03.08.2009 10:46
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Gestern war Domingo


Meine Welt ist das Wort
ist die Rose.
Meine Fersen sind wund.

Aus meinem Reihenhaus lächeln die Frau und die Kinder
blühend über die Hundsrosensträucher der Jahre.
Marien erscheinen als Käfer aus Sträuchern und suchen den Norden. Sie schwärmen.
Ich hab keinen Hund.
Mein Blick führt hinauf vom Geschlecht der Geliebten nach Norden.
Gestern, Domingos, erblühte die erste Corolla des Jahres
Topinambur.

Ich atme ihr Gelb.
Es stürzt mir mit Grün in die Augen, ich atme.
Ich trinke das Blut der verlässlichen Tiere.
Mein Blick führt hinauf vom Geschlecht der Geliebten ins Schwärmen.
Wild sind die Dornen, die dunklen, in Fersen.
Wild sind die Dornen in Schwielen gebrochen.
Wild sind die Rosen.

Wort du bist nur
Wose als Stütze -
schreibe mich Rort!

Wort, du bist nur
Topinambur.


e-Gut
zuletzt bearbeitet 12.08.2009 05:21 | nach oben

#2

.

in Philosophisches und Grübeleien 03.08.2009 22:59
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

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zuletzt bearbeitet 21.12.2021 20:15 | nach oben

#3

RE: Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 05.08.2009 01:09
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Joame

danke für die Rückmeldung.

du meinst es wäre typisch für mich? mal abgesehen von den eingebauten Wiederholungen, dachte ich eher ich probiere hier mal was Neues.

zu viele Anknüpfungspunkte? nun ja, untypischer weise war das ein Schnellschuss gewesen. vielleicht streiche ich noch was. ein paar Tage Distanz brauche ich dazu aber immer.

Gruß
Alcedo


e-Gut
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#4

RE: Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 09.08.2009 22:43
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hi Alcedo, ein gedicht, das bei mir assoziationen von melancholie hervorruft, in dem aber auch vieles anderes anklingt, wie joame schrieb. wobei dieses "andere" nicht so ganz leicht auszumachen ist, archaisches finde ich in den zeilen wieder, dicht mit alltagsbeobachtungen verknüpft. zumindest archaische perspektiven, denn "ich trinke das blut der verlässlichen tiere" mutet auf den ersten blick wie ein vorzeitlicher ritus an, passt mir in der szenerie (haus, frau, kinder und garten) aber eher als beschreibung der nutztierhaltung. wie auch immer, dieser satz ist für mich nur thematischer nebenschauplatz, eine beobachtung, die mit in das gedicht rutschte, oder eine bewusste irreführung des autors, womit er seine leser zum mitdenken animiert.
der kern ist die verschmelzung des wortes mit der pflanze: das wort bzw. texte, gedichte sind organische struktur, die wächst und blüht, die schönes hervorbringt, aber eben trotz allem eine nutzpflanze bleibt. in den letzten beiden versen wird der melancholische eindruck am deutlichsten; das mit der welt gleichgesetzte wort wird durch das "nur" herabgewürdigt. warum "nur"? weil topinambur eine nutzpflanze ist? mir gefielen die zeilen ohne die beiden diktierenden "nur" besser, der leser könnte selbst entscheiden, was diese gleichsetzungen für ihn bedeuten könnte. ausserdem fällt mir noch die phonetische ähnlichkeit von fersen mit versen auf, "meine fersen sind wund" -> meine verse sind wund... wenn man sich wort und sprache als welt denkt, die der autor mittels versen bereist, könnte man in bezug auf topinambur vermuten, dass die sprache durch den alltäglichen gebrauch etwas verlor, "wund" wurde.
interessant finde ich in dem kontext den blick auf das geschlecht der geliebten, sowie der sehnsuchtsvoll erscheinende blick nach norden. eine anknüpfung finde ich in dem stark betonten kämpferischen "wild", wobei das eine gefühlsmäßige idee ist, die ich nicht weiter begründen kann.
beste grüße
kjub

ps: und schon wieder diese possierlichen kannibalen! diesesmal als potentielle heilsbringer, die den einzigen ausweg anzeigen - einen mythischen norden?

In Antwort auf:
Papier wird abgestochen
von einer Feder.
Der meinen?
Der deinen?
muss das rein? es erscheint mir als blinddarmige gedankenspielerei...

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#5

RE: Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 10.08.2009 16:52
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Kjub

Vielen Dank für die umfangreiche Auseinandersetzung mit diesen Versen. das war mir eine große Hilfe, Kjub.

mit "es erscheint mir als blinddarmige gedankenspielerei" hast du den Nagel mittig auf den Kopf getroffen. diese vierzeilige Strophe werde ich restlos streichen.

Zitat von Alcedo
Gestern war Domingo


Meine Welt ist das Wort
ist die Rose.
Meine Fersen sind wund.

Aus meinem Reihenhaus lächeln die Frau und die Kinder
blühend über die Hundsrosensträucher der Jahre.
Marien erscheinen als Käfer aus Sträuchern und suchen den Norden. Sie schwärmen.
Ich hab keinen Hund.
Mein Blick führt hinauf vom Geschlecht der Geliebten nach Norden.
Gestern, (todos los) Domingos, erblühte die erste Corolla des Jahres
Topinambur.

Ich atme ihr Gelb.
Es stürzt mir mit Grün in die Augen, ich atme.
Ich trinke das Blut der verlässlichen Tiere.
Mein Blick führt hinauf vom Geschlecht der Geliebten ins Schwärmen.
Wild sind die Dornen, die dunklen, in Fersen.
Wild sind die Dornen in Schwielen gebrochen.
Wild sind die Rosen.

Papier wird abgestochen
von einer Feder.
Der meinen?
Der deinen?


Wort du bist nur
Wose als Stütze -
schreibe mich Rort!

Wort, du bist nur
Topinambur.


so, das verdichtete Ergebnis hab ich oben editiert.

merci auch für die "possierlichen Kannibalen", die sich sonst ja meist auch von verlässlichen Tieren ernähren: Blattläusen.
ja, vieles nickte ich zufrieden ab beim lesen deiner Rückmeldung: archaisches, Nutztierhaltung, Irreführung, Animierung, Verschmelzung des Wortes mit Pflanzen, Fersen/Versen, kämpferisches Wild und besonders das mythische Motiv. es freut mich sehr dass der Text funktioniert.

das "nur" bezieht sich auf eine Verszeile von Hilde Domin, sowie auf ihr Gedicht: "Nur eine Rose als Stütze".
das Geschlecht der Geliebten wirst du in einem Text von Celan finden, einem seiner besten: -> "Corona". auch in Celans oft angewandtes Metrum verfalle ich manchmal gerne.
der Rest bezieht sich teilweise auf mein eigenes Geschrieb, was man ja nicht unbedingt kennen muss.

das Forum hat sich heute sehr gelohnt für mich.

Gruß
Alcedo

edit:
"todos los" auch gestrichen


e-Gut
zuletzt bearbeitet 12.08.2009 05:21 | nach oben

#6

RE: Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 10.08.2009 23:04
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hi! hat ja auch spaß gemacht, sich in den text hineinzuwühlen - wenn meine perspektive für den text hilfreich war, umso besser. an dem "nur" hältst du fest, wie ich sehe. ich bestellte in der buchhandlung meines vertrauens grade ein reclam-büchlein mit essays, theorien und gedichten von hilde domin! vielleicht ist das gedicht ja drin. celan wirds in der bibliothek geben, ich las bisher nur wenig von ihm, zu wenig um einen zugang zu finden.
grüße
kjub

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#7

RE: Gestern war Domingo

in Philosophisches und Grübeleien 11.08.2009 05:24
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

dito, dito, Kjub.
ja, denke der Titel von Domin wird enthalten sein.

den Text von Celan findest du überall im Netz. zum Beispiel hier vom Autor vorgetragen: http://www.youtube.com/watch?v=X25-IDqiC5k

Gruß
Alcedo


e-Gut
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