#1

Der Stabilisateur (aus: ATROCIDAD, Die Stadt des Tormentors)

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.03.2010 09:22
von Ralfchen (gelöscht)
avatar

Der Stabilisateur
(aus: ATROCIDAD, Die Stadt des Tormentors)

Der weiche Schirm der Abenddämmerung helmte gnädig Düsternis über Atrocidad. Nichts konnte diese Stadt besser verkörpern, als der riesige Brunnen hier, am Hauptplatz. Mit seinen verkrümmten Wassergebern, deren geifernde Fratzen von Krähenschiß geweißt waren, zeigte er nur allzu deutlich den Verfall der Stadt. Tausende Klardenker hatten sich heute festlich versammelt, viele von ihnen, torkelten bereits betrunken und lallend zwischen den Zelten und Hungerständen bäk and forth. Augen verdrehend, stieß man einander an, rüttelte an Gegenüber-Schultern. Fremde bequälten einander fratern, um schon im nächsten Augenblick noch Unbekanntere zu werden. Gurgelndes Lachen aus brandy-heißen Kehlen, verschmutzte den Klang der glockenhellen Stimmen der versammelten Narrenkinder.

Seit Monaten hatten sie im Kindertrakt der Custodia, ein besonderes Lied – (Nosotros permanecer cual una mariposa*) geprobt und es erfüllte mich - mehr als ein wenig - mit Stolz, wie perfekt dieser Chor aus einigen hundert Stimmchen, samten harmonisierte. So - als wären sie eine einzige quellklare Stimme. Der ehrwüstige Dominos Sonor, hatte auch in diesem Jahr sein ganzes Geschick und Einfühlungsvermögen, in den Dienst des glanzvollen Höhepunktes des Morusi-Festes gestellt.

Der Brunnen war - wie üblich - vor dem Fest entleert worden und mehrere Arbeitstrupps haariger Primitanten, legten behende schwere Ketten kreuz und quer durch das - etwa 50 Figuranten im Durchmesser - große Brunnenbecken. Über die Ketten rollten sie starke Folien aus Kylontüchern derart, dass deren Enden etwa einen halben Figuranten über die Brunnenränder ragten.

Riesige Kasserollwägen warteten mit rotierenden Bäuchen, während ihre fetten blaugrauen Pollutionen wie Bodennebel, schlangenhaft zwischen die Zelte und Hungerstände der Zelebranten krochen. Kleine Holzbrücken wurden an vier Stellen über die Brunnenränder gelegt, um den Narrenkindern einen geordneten Gang in das Brunnenbecken zu erleichtern.

Auf dem Platz war es still geworden. Die Narrenkinder hatten sich – dirigentiert vom alten Dominos Sonor - ohne Sang und Klang, binnen weniger Tempi im Becken des Brunnens versammelten. Nach einem Blick kindum, hob der blauhaarige Diriqueur seine Hand mit dem beinernen Stabilo und: unvermittelt erklangen die Stimmen der Narrenkinder mit einem falterend zarten Sopranino. Jedes Kindlein umfingerte eine kleine Stellar-Sprühkerze mit einem Händchen. Deren flittrige Blitzlein ließen Schatten und Licht schattierend – fast fröhlich - auf den kleinen blassen Gesichtern tanzen

Die Kasserollwägen waren zwischenzeits, slow an den Rand des Brunnens aufgerückt und die, aus den Bäuchen ragenden, großen Schwenkrohre wurden von den Frenatoren in den Brunnen geschlaucht. Auf ein unhörbares Kommando öffneten sich die Schleusen der Bäuche und eine grauschwarze schlammige Masse, ergoss sich träge in den Brunnen. Binnen zwei mal zwanzig Tempi, reichte der Morast bis knapp unter den oberen Rand des Brunnenbeckens.

Der Chor der Narrenkinder war inzeit zögernd verstummt. Auch die Sprühkerzen in ihren Händchen erloschen nach und nach mit leisem Knistern. Der schnell trocknende Konkret würde ab nun binnen weniger Tempi hart wie Granitstein sein. Die Klardenker standen mit ernüchterten Mienen – fast scheu - um den Brunnen. Da und dort war aus der Anhäufung ein unfestliches Schluchzen femininer Kehlen zu vernehmen. Auch die Narrenkinder im Brunnen - als sie gewahr wurden, dass es für sie kein Bewegen mehr gab - begannen vereinzelt mit ihren winzigen Stimmchen zu wehrufen und zu lamentieren.

Sehr bald werden sie erschöpft von Todesangst- und tränen langsam im grauen Granit vergehen. Nach etwa 3 Zyklen wird sich jegliches Leben aus ihren fragilen Körpern verflüchtigt haben. Ihre Reise zum Seelensaal ist damit beendet.

Meine Aufgabe als Stabilisateur ist wieder einmal von Erfolg geordnet. Der annuale Granit-Narren-Kindergarten wird in etwa 2 Zyklen, seinen Platz neben den vielen anderen am Rande von Atrocidad einnehmen. Die sandheißen Winde der exterritorialen Desierto Muerta, werden binnen weiterer 4 Zyklen, eine exquisite Menagerie bleicher Elfenreste zurücklassen.

Wir müssen bei aller Gräße der Sache in Essenz, jedoch mit großer Dankbarkeit an eines denken: Das Edikt unseres hocharistierten Tormentors lautet: die Stadt muss narrenfrei werden.



*) „Wir verharren wie ein Schmetterling.“

nach oben


Besucher
0 Mitglieder und 2 Gäste sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Christian87655
Forum Statistiken
Das Forum hat 8220 Themen und 61619 Beiträge.

Heute waren 0 Mitglieder Online:

Besucherrekord: 420 Benutzer (07.01.2011 19:53).