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Toby
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.07.2010 13:16von Ringelroth • | 213 Beiträge | 213 Punkte
Toby hatte wieder mal die Schnauze ordentlich voll.
Und zwar so voll, dass er seine Alten am liebsten weit weg gebeamt hätte.
Am besten ins Jenseits – oder wenigsten ziemlich nahe dran.
Sein Vater war der Schlimmste der beiden. Der und seine Scheißkarre.
Nur weil Toby den Kotflügel des Cabrios mit den Schnallen seines Rucksacks gestreift hatte, musste der Alte einen Affenaufstand machen und schreiend um das Auto hüpfen, dass alle Nachbarn vor Schreck die Fenster aufrissen. Oberpeinlich! Toby zeigte seinem Vater daraufhin, wie sauber der Nagel seines rechten Mittelfingers war.
Was seinen Alten an den Rand eines Schlaganfalles brachte.
Tobys Mutter erklärte ihrem Gatten, dieses Verhalten sei völlig normal, weil der Kleine mitten in der Pubertät stecke. Da gäbe es nun mal Phasen, in denen sich der Heranwachsende in der eigenen Haut nicht wohlfühle. Er protestiere dann gegen alles und jeden. Oder er verspüre dringende Lust die Nachbarkatze mit Spiritus zu übergießen und anzuzünden.
So dachte die Mutter und fing an, einen Marmorkuchen zu backen und
hörte dabei die neueste CD von André Rieu.
Sein Vater sah das ganz anders und klebte dem Filius erst mal eine.
Woraufhin der Junior in sein Zimmer lief und aus dem Fenster pinkelte.
Sein warmer Strahl traf genau den Beifahrersitz von Papas Cabrio, das drei Meter unterm Fenster in der Hofeinfahrt parkte. Dann warf sich der Rächer aufs Bett und starrte an die Decke. Ach, was wussten denn die Alten schon? Sie lebten ihr Spießerleben und hatten nicht den Hauch einer Spur eines Schattens einer Ahnung, was im Kopf ihres Jüngsten vor sich ging.
Toby griff unter die Schublade seines Nachttisches und nahm aus dem Holzkästchen, das mit Klettband unter der Schublade befestigt war, eine Selbstgedrehte und zündete sie mit dem beiliegenden Feuerzeug an.
Er inhalierte tief den süßlichen Rauch und entließ eine ganze Schar kleiner blau-grauer Kringel aus seiner Mundhöhle. Dann schloss er die Augen.
Als er sie wieder öffnete, hustete er sich die Lunge aus dem Leib und seine Augen tränten wie blöde. Irgendetwas stank hier gewaltig. Er machte vor Schreck fast in die Hose, als er durch den Tränenschleier wahrnahm, dass beißender Qualm vom Boden neben seinem Bett aufstieg,
Seine im Schlaf runtergefallene Kippe hatte den Bettvorleger in Brand gesetzt. Toby sprang auf und trampelte auf dem kokelnden Stoff herum. Aber nur so lange, bis er merkte, dass er barfuß war. In seinen herzerweichenden Schrei mischte sich der wütend brüllende Bariton seines Vaters, der soeben die Pfütze im Cabrio entdeckt hatte.
Toby humpelte neugierig ans Fenster und sah wie sein Vater mit hochrotem Kopf zum Nachbarn rüber eilte und gegen dessen Haustür trommelte. In dem Moment, als Doppelnamen-Nachbar Dillmann-Pitz arglos die Tür öffnete, musste der Junge erkennen, dass sein Alter, wenn er richtig verärgert war, kein Problem damit hatte, jemandem richtig weh zu tun. Er packte nämlich den Nachbarn wortlos am Kragen und schlug dessen Kopf einmal satt an den Briefkasten. Es gab ein Geräusch wie in einer Autopresse – nur kürzer. Die Dillmann-Pitz-Knie gaben nach, sodass Papi sein Opfer einfach fallen ließ. Aber nicht, ohne ihm noch eine Drohung mitzugeben: „Wenn ich deine Scheißkatze, die mir heute schon wieder ins Auto gepisst hat, zu fassen kriege, mach ich Hackfleisch aus ihr und stopf es dir in kleinen Brocken ins Maul!“
Mit diesen netten Worten drehte sich Papi um, und ging zurück zum Wagen, um dort über dem nassen Polster seinen Tränen freien Lauf zu lassen.
Toby stand mit offenem Mund am Fenster und staunte. Nie zuvor hatte er gesehen, dass der Alte so ausgerastet war. Nun ja, das Cabrio war sein ein und alles. Und wenn sich herausstellen würde, dass Mama Krebs im Endstadium hätte, Toby schwul wäre und Tochter Heike eine Bahnhofsnutte, könnte ihn das nicht so berühren, wie eine Beule an seinem feuerroten Spaßmobil. So gesehen, konnte der Nachbar froh sein, dass ihm nach der Kollision mit dem Briefkasten wenigstens noch ein sehtüchtiges Auge geblieben war.
Mittlerweile war der Alte wieder im Haus verschwunden. Gerade wollte sich Toby vom Fenster wegdrehen und nach seinem noch ein wenig qualmenden Teppich schauen, als er sah, wie der blutende Nachbar mit einer Flinte zu ihnen herüber stiefelte. Jetzt wird’s heiß, freute sich Toby und humpelte zur Zimmertür. Er drehte den Schlüssel zweimal, und presste ein Ohr an das Holz. Jetzt hörte er die Klingel und die schweren Schritte seines Vaters.
Dann donnerte die Stimme von Dillmann-Pitz – oder war es Clint Eastwood?
„So, du Arschloch! Ich werde dir jetzt deine Eier mit Schrot perforieren und dann deinem missratenen Sohn mit dem Taschenmesser die Ohren abschneiden! Weißt du warum? Weil dieser kleine, rotzende, popelfressende, zu nichts zu gebrauchende Bettnässer von seinem Fenster aus in dein beschissenes Auto gepisst hat. Und du Vollidiot wirst keine Gelegenheit mehr haben, meine Katze auch nur anzusehen!“
Es folgte ein entsetztes Kreischen, das Toby seiner hysterischen Mutter zuordnete. Dann hörte er seinen Vater mit sich überschlagender Stimme:
„Verschwinde! Sonst stopf ich dir dieses rostige Blechrohr in deinen schwulen Arsch!“
Was war geschehen? Toby rannte zum Fenster und sah noch, wie der Nachbar zu seiner Haustür lief und ihm seine alte doppelläufige Schrotflinte hinterher flog.
Puh, dachte Toby, das war knapp! Das verrostete Schießeisen hat wohl geklemmt. Im selben Moment hämmerte jemand an seine Tür.
„Toby, Toby!“, hörte er seine Mutter schreien. „Toby, mach die Tür auf!“
Er schnappte sich sein Kopfkissen, ließ es auf den Brandfleck fallen und drehte in aller Ruhe den Schlüssel um. Seine Mutter stieß ungeduldig die Tür auf, warf ihm ihre fetten, nackten Arme um den Hals und drückte Tobys Kopf an ihren Busen.
Boah, pervers! schoss es Toby durch den Kopf als er begriff, zwischen was seine Nase und sein Mund eingequetscht waren.
Noch bevor er sich aus dieser heiklen Lage befreien konnte, riss ihn eine kräftige Hand aus Mutters Klammer. Toby schaute hoch und sah einen Schatten auf sich zurasen.
Klatsch! Die Hand seines Vaters traf voll und sauber Tobys linke Wange. Volltreffer! Die Wucht war so groß, dass der Junge hinfiel und mit seinem Kopf genau auf dem Brandfleck-Versteck-Kissen landete.
Er hörte seine Mutter etwas sagen, aber sein Vater brüllte jeden Beschwichtigungsversuch nieder.
Tobys Schädel dröhnte, wie nach dem Genuss von 2 Litern Jägermeister, runtergespült mit einem Kasten Rülps-Bräu. Sein Vater hatte sich zu ihm herabgebeugt. Toby riskierte vorsichtig ein Auge und sah vor seiner Nase eine Riesenhöhle mit kleinen hellen Randsteinen, aus der feine Spucktröpfchen in sein Gesicht flogen. Aus den Tiefen dieser nach Tabak, Bier und Essensresten riechenden Drachenwohnung kamen Worte wie: sofort runter! Pisse wegwischen! sauber wie geleckt! Auto picobello! Knochen brechen! Stubenarrest!
Dann folgte ein Knall – und es war mucksmäuschenstill. Die Alten waren gegangen, und die Zimmertür war zu.
Toby rieb sich die Wange, rappelte sich auf und fummelte einen Glimmstängel aus seinem Versteck. Nach dem ersten Zug, öffnete er das Fenster und dachte nach.
So konnte es nicht weitergehen. Das wurde immer klarer für ihn, je mehr er über seine Situation nachdachte.
Seine Schwester war drei Jahre älter als er und würde sich bald eine eigene Wohnung suchen. Dann wäre er dem Schwachsinn seiner Alten ganz alleine ausgeliefert. Er musste etwas tun. Und zwar schnell. Aber was? Abhauen? Er hatte keinen müden Cent auf dem Sparbuch, das er plündern könnte. Folglich müsste er zuerst ein paar Dinge zu Geld machen. Sein Handy, den DVD-Recorder, die Spiele-Konsole. Nein, das dauerte alles zu lange und war zu aufwändig.
Sein Blick fiel auf den zerbeulten Briefkasten und dann sah er etwas neben der Haustür liegen, das vielleicht die Lösung seiner Probleme wäre.
Er schnippte die Kippe aus dem Fenster und rannte aus dem Zimmer hinunter in die Einfahrt. Er schaute sich um und ging zur Dillmann-Pitz-Haustür. Toby bückte sich, hob die alte Flinte auf und ging zurück ins Haus. Als er die Tür zudrückte, drohte ihm sein Vater aus der Küche heraus mit schlimmen Konsequenzen, wenn er jetzt nicht sofort das Cabrio auf Vordermann brächte.
Fünf Minuten später hörte Dillmann-Pitz den Motor des Cabrios aufheulen.
In der Blöd-Zeitung konnte man am nächsten Tag lesen, dass ein Ehepaar von einem Unbekannten in seiner eigenen Küche mit einer Schrotflinte erschossen worden war.
Der Täter sei mit dem Wagen seiner Opfer geflohen.
Mein neues ebook: "Himmelthor und Hondo" - ISBN 978-3-7368-5196-2
bei vielen ebook-Händlern erhältlich
RE: Toby
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 15.07.2010 10:37von Ame&Umi (gelöscht)
Na, die Geschichte kenne ich doch vom Planeten und sie macht beim zweiten Lesen noch genau so viel Spaß wie beim ersten (obwohl ich sie da, glaube ich, unkommentiert gelassen hab. Eine Todsünde )
Hallo Ringelroth, das Dekolté steht dir gut :D Auch der Name strahlt viel passion aus (Natürlich fürs Schreiben ;))
Wie gesagt, diese Geschichte finde ich richtig gut, eine meiner Lieblinge :) Deshalb habe ich auch eigentlich nichts weiter zu sagen, alls stimmt.
Interessant würde ich noch finden, wie Tobys Geschichte weiter geht
Liebe Grüße Nela a.k.a. Max Mustermann
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