#1

eine von uns

in Dramen 12.12.2008 18:11
von Schreiberling (gelöscht)
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Die Personen:

Männerstimme leicht erregt, aus dem off, immer wieder zu nahe am Mikrofon
Maria Mitte 30jährige attraktive Businessfrau in Jeans und T-Shirt
Christian Marias Mann, Mitte Dreißig, sportlich gekleidet
Anita Mitte 30jährige Mutter im sommerlichen Kleid
Klaus Anitas Mann, vierzig, etwas dick, im verschwitzten Jogger
Mutter gealterte Punk-Sängerin
Polizist I Mitte 40, korrekter aber leicht nervöser Beamter
Funk Männerstimme mit leichtem, regional spezifischem Zungenschlag
Polizist II Mitte 20, freundlich und zuvorkommend

Die Szene:

Eine gepflegte Vorstadtidylle. Ein Sonnen durchflutetes Wohnzimmer. Es muss zwei Möglichkeiten geben abzugehen. In der Mitte des Raumes liegt ein großer, weißer Teppich, der von allen Flecken leicht zu reinigen ist. Die Möbel sind alle wohlfeil ausgewählt, modernste Technik, modernes Design, dazwischen einige ältere, gut restaurierte Stücke. Ein großer Fernseher, eine Sitzecke, eine kleine Bar, ein Regal, auf dem neben einem Aschenbecher und einer kleinen Telefonanlage die Metallskulptur einer Turnerin steht. Weiters befinden sich auf dem Regal kleine Reisesouvenirs: ein siebenarmiger Leuchter, ein tanzender Shiva, eine von innen beleuchtete Moschee, eine Ikone, eine Sokratesbüste, eine geschnitzte Gottheit aus Tansania, sowie eine Statue eines Buddha Shakyamuni. Diese Souvenirs dürfen während des ganzen Stücks von den Akteuren in keiner Weise beachtet werden.

Vorspiel am Strand

Maria alleine auf der Bühne. Sie sitzt auf dem weißen Teppich und stützt sich auf ihren Ellenbogen ab. Sie starrt ins Publikum. Ein leichter Wind bläst ihr entgegen. Das Geräusch von Zikaden ertrinkt förmlich im Geräusch von ans Ufer rollenden Wellen. Das Licht ist rötlich wie bei einem Sonnenuntergang.
Männerstimme: Ich kann dich verstehen. So geht’s uns wohl allen. Wir wollen immer gefallen, das ist das Problem. Wir wollen immer gefallen, und fallen und fallen. Gefallene Mädchen sind wird. (lacht) Wir müssten einfach mal zuschlagen. Männer schreien “tötet den Kanzler”, kassieren dafür Geld ab, und verlassen das Land, ohne ihrem männlichen Widerpart auch nur ins Gesicht geschlagen zu haben. Wir sollten aufstehen und gar nichts schreien und gar nichts verlangen, sondern einfach hingehen und den Kanzler abknallen. Einfach so. (Pause) Das sollten wir tun. Den Kanzler erschießen und all die anderen Menschen, die meinen, über uns bestimmen zu können, obwohl sie weder über einen philosophischen, idealistischen oder sonst irgendeinen geistigen Backround verfügen, der als Berechtigung für eine Machtposition akzeptiert werden kann. (Pause) Nicht mehr fallen lassen, sollten wir uns, sondern uns über sie alle erheben. (Pause) Wir zwei als Thelma und Louise, das wäre doch was?! (Pause) Irgendwie würde ich dich gerne umarmen. (Pause) Nur so. (Pause) Aber ich stehe auf. Ganz brav. Und ich verabschiede mich mit einem Knicks. (Pause) Ganz brav. Und klettere die Böschung hoch zu dem Pfad, der mich zurückführt zu meinem Mann und zu meinen Kindern im Dorf. Sie wollen schließlich den Urlaub mit mir verbringen, also tu ich ihnen eben diesen Gefallen. Und falle und falle und falle… einmal mehr. (Pause) Ciao bella!

Black

1. Szene

Das Licht geht an. Sonntagvormittag. Maria und Christian sitzen vor dem Fernseher. Auf CNN verteilen amerikanische Soldaten in irgendwelchen Ländern der dritten Welt Konfitüre, Erdnussbutter und Tütensuppen an hungernde Menschen. Maria und Christian haben ihr Frühstück gegessen)
Maria: (macht Yogaübungen)
Christian: (sieht CNN, dann zappt er weiter. Bleibt bei “MTV” hängen. Christian sieht kurz ein Madonna Video mit viel Interesse und stellt danach den Ton leise und liest Zeitung) Ein multinationales Beautyunternehmen sucht „zum baldigen Eintritt eine(/)n sehr international orientierte(/)n Marketing Manager(/)in. Die suchen wen mit Wirtschaftsuniversitätsabschluss (deutet auf Maria), mit großer Textkompetenz (deutet auf Maria) und mehrjähriger Erfahrung im Marketingbereich (deutet auf Maria).” Na, wie klingt das?
Maria: (reagiert nicht)
Christian: Kann ich mir gut vorstellen für dich. Bei deinem Gefühl für Farben! (fixiert sie) Du solltest es einfach mal ausprobieren. (schaut wieder in die Zeitung) Ein Internet-Portal sucht eine Marketingleitung.
Maria: (ändert ihre Position)
Christian: Wobei: Internetfirma! Nein, du hast Recht, das ist nichts.
Maria: (sieht ihn kurz verwundert an)
Christian: Aber du solltest wirklich wechseln. Du bist einfach schon viel zu lange im selben Unternehmen. Drei Jahre! Kein Mensch arbeitet heute sein Leben lang in ein und derselben Firma. Dein Vater hat noch sein ganzes Leben in ein und derselben Firma gearbeitet. Aber was hat es ihm gebracht? Undank und Magengeschwüre. Und von seiner Verlässlichkeit haben letztlich stets nur die anderen profitiert. Nein! Wer zu lange in einem Unternehmen bleibt, wird ausgebeutet oder tritt über kurz oder lang auf der Stelle. Sieh dir Kurt an. Den will doch heute keiner mehr. (Pause)
Maria: (bricht ihre Übungen ab und steht auf) Und wer will mich?
Christian: Jeder will dich. Ich will dich! (will sie umfassen, Maria weicht zurück. Er setzt sich etwas enttäuscht wieder gerade hin). Aber für Unternehmen bist du in ein paar Jahren uninteressant. Du musst jetzt zuschlagen. Du gehörst jetzt an die Front.
Maria: An die Front? Was soll ich an der Front? Von welcher Front redest du überhaupt?! (sie nimmt die Turnerin vom Regal)
Christian: Ach, du verstehst schon, was ich meine. Du musst Zähne zeigen.
Maria: (sie zeigt ihm die Zähne und knurrt)
Christian: Ich meine das ernst. Du bist ja selbst unzufrieden mit deiner Situation im Moment, oder nicht?
Maria: Weiß nicht. Aber wenn du das sagst. (stellt die Turnerin auf den Fernseher und betrachtet sie)
Christian: Fang doch nicht wieder an die Wohnung umzustellen. Kannst du die Dinge nicht einmal dort stehen lassen, wo du sie selber hingestellt hast?!
Maria: Die Turnerin habe ich doch noch nie woanders hingestellt.
Christian: Die Turnerin gehört auch auf das Regal.
Maria: Und jetzt steht sie auf dem Fernseher.
Christian: Und dort passt sie nicht hin.
Maria: Gut. (nimmt sie wieder in die Hand. Ihre Hand umschließt den Körper der Tänzerin an mehreren Stellen, um sie letztlich wie einen Schläger zu halten. Sie tut so, als würde sie zuschlagen mit der Figur) Und warum, meinst du, soll ich mich an die Front begeben?
Christian: Aus welchem Grund?! Anerkennung, Karriere, Geld.
Maria: Ich verdiene doch gar nicht so schlecht.
Christian: Gar nicht so schlecht! Du bekommst weniger als deine männlichen Kollegen! Ihr Frauen könnt nicht immer nur jammern, ihr müsst auch mal auf den Tisch hauen!
Maria: Auf den Tisch hauen!
Christian: Nein, im Ernst! Du verkaufst dich viel zu billig, Maria! Allein die Idee mit dem Schokoriegel! Oder die Geschichte für das Familienministerium. Alle Welt spricht von deiner Kampagne, alle Welt hat Lust, Kinder zu kriegen, sogar ich will plötzlich Kinder. (wird plötzlich liebevoll) Willst du eigentlich wirklich kein Baby? (lehnt sich zurück) Willst du nicht, dass aus unserer Liebe ein Mensch wird?
Maria: Damit sich der kleine Mensch dann in der Schule mit dem Schokoriegel die Zähne putzt?
Christian: Zum Beispiel.
Maria: Ich will kein Kind, und ich mag es auch nicht, wenn du meine Werbeslogans zitierst.
Christian: Wenn sie gut sind. (Pause) Ich sage ja nur, dass du verlangen musst, was du wert bist.
Maria: Was bin ich denn wert?
Christian: Viertausend, fünftausend Euro – netto, versteht sich.
Maria: Uiuiui, soviel ist ja nicht einmal die Turnerin wert. (Das Telefon läutet. Sie geht hin) Trotzdem sollten wir einen guten Platz für sie finden (blickt sich um).
Christian: Stell sie auf’s Klo.
Maria: (hebt ab) Walter? Hallo. Ja, klar. Nein, du störst uns bestimmt nicht. Nein, wenn ich es doch sage. Ja. Nein, du brauchst keinen Kuchen mitzubringen. Nein, wirklich nicht. Ja. Ja. Bis gleich. (sie legt auf) Anita kommt gleich vorbei.
Christian: Ich muss ohnehin ins Büro.
Maria: Ich werde ein kleines antikes Holztischchen kaufen.
Christian: Häh?
Maria: Für die Turnerin.
Christian: Was du jetzt wieder mit diesem wertlosen Ding hast?! (steht auf und trägt sein Kaffeehäferl hinaus)

Black

2. Szene

Maria: (Steht noch immer suchend mit der Tänzerin in der Hand im Raum. Anita scheint gerade erst gekommen zu sein) Tante Rosi hat die Figur auch bei ihrer Hochzeit von einer Tante geschenkt bekommen. Und die hat die Figur ebenfalls von einer Tante bei ihrer Hochzeit gekriegt. Es könnte einem fast so vorkommen, als wäre diese Figur nie produziert worden sondern immer nur verschenkt, von einer Frau an die nächste. (wiegt die Figur in der Hand) Nun habe ich sie.
Anita: Ich mag ja so alte Dinge. Es sind diese Geschichten, die alle diese alten Dinge haben. Man kennt sie ja oft nicht, aber sie liegen doch irgendwie in der Patina der Dinge verborgen.
Maria: Begraben.
Anita: Nein, begraben finde ich nicht. Die Dinge leben doch.
Maria: Es liegt in der Natur von Dingen, dass sie tot sind.
Anita: Was ist los mit dir? Du wirkst so unausgeglichen.
Maria: Unausgeglichen? Weiß nicht. Bin unzufrieden.
Anita: Und wo liegt dein Problem? Ich meine, du bist erfolgreich, hast einen netten Mann, verdienst viel, kannst viel. Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich manchmal beneide.
Maria: So wie früher um meine Deutschaufsätze?
Anita: Naja, du warst immer schon eine besondere Frau für mich.
Maria: Und ich glaube, du warst immer schon für mich ein besonderer Trampel.
Anita: Warum sagst du das?
Maria: Weiß nicht. Frag mich nur gerade, was du hier eigentlich machst.
Anita: Ich habe dich doch extra angerufen, ob ich vorbeikommen kann.
Maria: Ja. (betrachtet sie) Aber jetzt, wo ich dich so sehe, weiß ich nicht mehr, wer du eigentlich bist.
Anita: Was ist denn los?
Maria: (erinnert sich) Freundin! Genau! Du bist meine Freundin. Meine älteste und beste Freundin, nicht wahr?
Anita: Maria, wenn du ein Problem hast, dann sag es mir doch.
Maria: Naja, ich erkenn dich bloß nicht. Ich sehe nur ein schickes Kleidchen, sehe aufgetragene Schminke, rieche ein von deinem Mann ausgewähltes Parfum, spüre die Mutterschaft und die Treue zu deinem Mann, aber ich sehe dich nicht und rieche dich nicht und spüre dich nicht. Ich kann dich hinter all dem nur vermuten, hinter all dem, was sich vor dir aufgebaut hat.
Anita: Warum sagst du das?
Maria: Unter guten Freundinnen muss man doch ehrlich sein.
Anita: Ich meine, ich weiß, ich bin bloß Hausfrau und Mutter aber, aber – aber das ist jetzt echt nicht fair, was du da sagst!
Maria: Aber ehrlich. Und weißt du, Anita, jetzt wo ich dich so vor mir habe, glaube ich, dass ich mich wieder einmal mit dir prügeln muss. So wie früher, du erinnerst dich sicher. Du erinnerst dich doch immer an alles, was wir so getan haben, als Kinder. Genau so wie damals, sollten wir uns wieder mal prügeln. Um uns wieder ein wenig näher zu kommen – als Freundinnen.
Anita: Was?
Maria: Grade eben habe ich wirklich eine unbändige Lust, dich an deinen Haaren zu ziehen und dir deine Wangen zu zerkratzen.
Anita: Maria, was hast du?
Maria: Lust, dich zu schlagen.
Anita: Ich glaube, du brauchst ein Kind.
Maria: Und ich glaube, du brauchst einfach Schläge. Ein Kind! Wofür? Wozu? Ein Kind! Damit alles seine Richtigkeit hat?! Damit sich all meine Geschichten in einer kleinen, schreienden Realität auflösen, in der du dann endlich mit drei Kindern Vorsprung auf mich ungeschickte und unwissende Mutter herunterblicken kannst?!
Anita: Maria?
Maria: Ich scheiß auf ein Kind! Ich will mich nur prügeln.
Anita: Aber wir sind doch keine Schulmädchen mehr.
Maria: Was sind wir dann? Frauen? Und Frauen prügeln sich nicht. Wir Frauen wollen doch entsprechen. Wollen wir entsprechen? Du willst entsprechen. Ich will nicht entsprechen. Ich will mich prügeln. Nicht als Schulmädchen sondern als Frau. Ich finde es absolut entsprechend – für mich als Frau – wenn ich dir jetzt ins Gesicht schlage (ohrfeigt sie).
Anita: Spinnst du?!
Maria: Nein. Aber ich fühl’ mich jetzt besser. Vielleicht sollte ich noch mal.
Anita: Ich glaub, ich geh jetzt.
Maria: (packt sie am Arm)
Anita: Aua!
Maria: Als meine Freundin hast du bei mir zu bleiben, wenn ich dich brauche. Und ich brauche dich. Ich brauche dich, um mich zu prügeln mit dir.
Anita: Ich will aber nicht.
Maria: Aber ich will. (schlägt Anita immer wieder auf den Körper)
Anita: He!
Maria: Du bleibst und du wirst dich mir stellen.
Anita: Was soll ich mich stellen?!
Maria: Mir und dir selber.
Anita: Vergiss es!
Maria: Was soll ich vergessen? Was? Vielleicht sollte ich mich vergessen. Ich vergesse mich einfach und prügle solange auf dich ein, bis du hin bist. Dann werde ich mich wieder erinnern. An dich. Geliebte Freundin. Ich werde mich an dich erinnern und trauern und weinen. Vielleicht ist das nicht sinnvoll, nein, sinnvoll wäre es sicher nicht, aber es könnte einfach notwendig sein – für meine Psychohygiene. Statt mich in meiner Karriere zu finden, entdecke ich mich dann in deiner Leiche.
Anita: Du bist krank.
Maria: Greifst du gerade auf dein abgebrochenes Psychologiestudium zurück, von dem du meinst, dass es dich dazu berechtigt, bei mir eine Krankheit zu diagnostizieren.
Anita: Du bist verrückt.
Maria: Frau Doktor, sie sind aber heute sehr mutig in ihren Diagnosen.
Anita: Was ist los mit dir?!
Maria: Ich will, verstehst du mich denn nicht, ich will. Ich will, ich will, ich will! Und weil ich selber kaum mehr bin, bleibt mir nichts anderes über, als meine Frau Mama zu zitieren, die ihrerseits ja auch nur zitiert hat. (und dann intoniert sie in Form einer Punksängerin und tanzt dabei um Anita herum) Ich will! Will alles oder nichts. Für mich hat es noch nie rote Rosen geregnet, mir sind noch keine großen Wunder begegnet, die Welt hat sich für mich nie neu gestaltet, sie hat nur all ihre Schönheit für sich behalten. Ich will, ich will, ich will. Ich will dieser verdammten Welt die Schönheit aus der Erde reißen. und auf alle Normen und Bestimmungen scheißen! Ich will über blutrote Felder tanzen, mich nicht länger meiner Rolle als „ich“ verschanzen!
Anita: Maria?
Maria: Anita? (betrachtet sie, geht um sie herum) Anita, ich kann dich wirklich nicht mehr erkennen. (schlägt fest zu)
Anita: Aua! Was tust du da?
Maria: Ich will zu dir, Anita, zu meiner alten Freundin Anita. Aber ich glaube, da muss ich einiges abschlagen, um wieder zu dieser alten Freundin Anita durchzudringen. (schlägt zu) Um wieder die Frau zu entdecken, die du einmal warst. (schlägt zu)
Anita: Hilfe!
Maria: (schlägt zu) Nur Stoffe und Farben und Halbwahrheiten. (schlägt zu) Wo bist du, Frau?! Wo?!
Anita: Hör doch auf!
Maria: Ich will nicht aufhören! (Maria erschlägt Anita mit einer blitzschnellen Bewegung mit der Turnerin)

Black

3. Szene

Maria: (sitzt auf dem Boden mit Anita über ihren Knien, so dass das Bild den Eindruck einer Pieta vermittelt. Maria küsst Anitas blutigen Kopf und streichelt über ihren toten Leib)
Kurt: (aus dem off) Hallo?!
Maria: (löst sich langsam von Anita und steht auf. Sie hat immer noch die Turnerin in ihrer Hand)
Kurt: Ist jemand zu Hause? (betritt das Zimmer, nimmt die Leiche wahr, beachtet sie aber nicht weiter) Ach, hallo. Neuer Lippenstift? Sieht gut aus. Ein bisschen dick aufgetragen, aber- (nickt anerkennend), Anita verwendet immer diese weinroten Stifte, und die Farbe passt ihr auch gut, aber ich persönlich mag ja mehr so blutrote Lippen.
Maria: (wischt sich über ihren Mund) Achja.
Kurt: Ist Anita schon weg?
Maria: Anita? (geht blitzschnell auf ihn zu und erschlägt ihn. Sie atmet durch und beginnt eine Yogaübung)
Kurt: (räuspert sich)
Maria: (lässt sich nicht stören)
Kurt: (räuspert sich erneut)
Maria: Was ist? (hebt die Tänzerin)
Kurt: Nein, ich meine, ich bin ja schon tot. Ich will bloß wissen: Warum?
Maria: Warum nicht?
Kurt: Warum nicht, warum nicht?! Ich bin doch ein Mensch!
Maria: Du bist ein Arschloch.
Kurt: Ich bin der Mann deiner besten Freundin.
Maria: Und?
Kurt: Du kannst mich doch nicht einfach erschlagen!
Maria: Habe ich aber.
Kurt: Ich wollte doch bloß auf Anita warten.
Maria: Das wäre sinnlos gewesen.
Kurt: Ja, aber woher hätte ich das wissen können. (setzt sich auf Anita und holt eine Zigarettenschachtel heraus und zündet sich eine Zigarette an. Während er raucht, qualmt es ev. aus seinen blutigen Haaren heraus) Ich meine, war das jetzt wirklich notwendig?
Maria: Für mich? Ja.
Kurt: Da erschlägst du mich glatt mit diesem hässlichen Ding!
Maria: Das Ding ist eine Frau.
Kurt: (lacht) Klingt ja fast nach Frauensolidarität?
Maria: Möchtest du mir eigentlich noch irgendwas Wesentliches sagen, oder versucht dich nur über Smalltalk darüber hinwegzutäuschen, dass du tot bist? (setzt sich neben ihm auf den Boden)
Kurt: Naja, weiß nicht. Ist ja nicht so einfach, dass so einfach zu akzeptieren. Grade noch am leben und jetzt. (er raucht) Ich meine, ich wollte dir schon die längste Zeit sagen, dass mir gefallen hast, was du neulich über den Begriff der „Schnelllebigkeit“ gesagt hast, dass wir mit dem Begriff der “schnelllebigen Zeit” die Verantwortung dafür, dass wir unser Leben irgendwie nicht im Griff haben, auf die Zeit abwälzen. Das fand ich gut, wie du das gesagt hast.
Maria: Darüber möchtest du jetzt reden mit mir?
Kurt: Ja, und ich finde, dass du in der Werbung nichts verloren hast, weil an dir in Wirklichkeit eine Philosophin verloren gegangen ist.
Maria: Was an mir alles verloren gegangen zu sein scheint: Eine Dichterin, sagt deine Frau, eine Malerin sagt meine Mutter, eine Kreativdirektorin sagt Christian. Ich bin ein einziger Verlust.
Kurt: Naja, du bist eben eine besondere Frau.
Maria : Hast du den Satz von deiner Frau übernommen?
Kurt : Nein, nein, aber das denkt man sich eben einfach bei dir.
Maria: Denkt man sich das. Und möchtest du dieser besonderen Frau sonst noch irgendetwas Besonderes sagen?
Kurt: Naja, vielleicht können wir noch ein wenig plaudern, nur so.
Maria: Nur so plaudern?
Kurt: Nur so. Ich meine, du hast mich erschlagen, jetzt fehlen mir irgendwie die Worte.
Maria: Wenn ich dich nicht erschlagen hätte, dann würdest du jetzt vielleicht mit mir zu flirten beginnen?
Kurt: Mit dir? Wieso? Nein! Und ich meine, ich komm’ grad vom Laufen.
Maria: Vielleicht mag ich so verschwitzte Männerleiber, und vielleicht hätte dich nicht erschlagen, wenn du nicht bloß so vorbei geschaut hättest.
Kurt: So kenne ich dich gar nicht.
Maria: Du kanntest mich gar nicht.
Kurt: Naja, aber wir kennen uns doch, wie man sich eben so kennt.
Maria: Ich kannte dich grade gut genug, um dich auf der Straße, wenn ich dich zufällig traf, zu erkennen und nach dem erfolgten Erkennen zu grüßen. Ich erkannte dich. Und dann weiß ich, dass du gerne einen geblasen bekommen hast, aber ich weiß nicht, ob das wirklich so war, ich weiß nur, was Anita so von dir erzählt hat.
Kurt: Was hat dir denn Anita erzählt?
Maria: So manches. Aber ich hätte mit deinen sexuellen Vorlieben gar kein Problem gehabt. Denn nur um zu plaudern, dazu warst du mir immer zu geistlos, du, mein unbekannter Bekannter, aber einmal von dir in den Arsch gefickt zu werden, warum nicht? Ohne Worte, mit heftigen rhythmischen Stößen. Willst du mich nicht ficken? Komm Kurt, hätte ich dich möglicherweise gebeten, fick mich im schnellen Rhythmus dieser schnelllebigen Zeit in meinen Arsch.
Kurt: Aber Maria (wird nervös).
Maria: (sie fixieren, schüttelt den Kopf und wendet sich leicht von ihm ab) Aber dazu wäre es niemals gekommen. Auch wenn du dann wirklich gewollt hättest. Du bist Familienvater, hätte ich mich erinnert, der Mann meiner besten Freundin, und es wäre nicht richtig gewesen, hättest du mich gefickt. Du darfst mich anstarren, hätte ich dir erklärt, du darfst stundenlang mit deinen Stielaugen meine Titten fixieren, du darfst mir, wenn du betrunken genug bist, im dunklen Garten – beiläufig – auf meinen Arsch greifen, du darfst dir sicher auch in der Dusche einen runterholen und dabei an mich denken, aber du darfst mich nicht ficken. Das wäre nicht richtig, hätte ich dann betont. Nicht richtig.
Kurt: Was ist los mit dir? Übrigens deine Arme, dein T-Shirt, hast du Erdbeermarmelade eingekocht?
Maria: Das ist das Blut deiner Frau.
Kurt: Hast du die Regel, ich meine, entschuldige, aber wenn Anita so ist-
Maria: Wann war Anita jemals so wie ich jetzt bin?!!!
Kurt: Naja, so wie du sicher nicht, sie ist ja ganz anders, aber wenn sie eben überspannt ist, dann kann sie auch so sein oder anders– und dann hat sie meistens die Regel.
Maria: So oder anders oder einfach nicht entsprechend meinst du. Wenn wir Frauen nicht entsprechen, dann haben wir, meinst du, immer die Regel.
Kurt: Ach, was weiß ich.
Maria: Anita ist tot.
Kurt: Maria, was soll das?!
Maria: Ich habe deine Frau sehr gemocht. Als meine beste Freundin würde ich sie bezeichnen. Ich glaubte schon, ich hätte sie verloren, so wie ich mich wohl auch irgendwie selbst verloren habe. Ich wusste gar nicht mehr, dass es uns überhaupt noch gibt, Anita und mich, bis sie starb, durch mich starb, und nun lebe ich, sitze neben dir, Kurt, Mann, der du tot bist, wie deine Frau, aber im Gegensatz zu ihr, deinen Tod offensichtlich nicht wahr haben möchtest, und wie du nun neben mir sitzt, tot zwar, aber dich eben doch über diese Tatsache einfach hinweg setzend, begehre dich, was ich doch nun darf, nachdem deine Frau tot ist, und ich sitze da im Augenblick und lasse die schnelllebige Zeit davonrasen, auf Tretrollern, in Cabrios und Überschallfliegern.
Kurt: Wo ist meine Frau? (steht auf)
Maria: Totgemacht. Ich hab sie totgemacht.
Kurt: Wo ist meine Frau?
Maria: Am Teppich. Hier. Du hast die ganze Zeit über auf ihrer Leiche gesessen. Sie hat ziemlich geblutet, genauso wie du. Aber der Teppich lässt sich gut reinigen. Also Rotweinflecken zum Beispiel waren gar kein Problem. Auch wenn ich jetzt die Regel hätte, auf diesem Teppich könnten wir ficken.
Kurt: (hat sich mittlerweile zu Anita heruntergebeugt) Anita.
Maria: Sie ist tot.
Kurt: (er bricht heulend zusammen) Anita!
Maria: Wen hast du eigentlich geliebt, wenn du Anita geliebt hast? (Pause) Dich selbst?
Kurt: Ich könnte dich umbringen.
Maria: Nein! Jetzt werd nicht dramatisch!
Kurt: Ich könnte dich umbringen, du- (er geht auf Maria zu)
Maria: Was soll das denn ändern? Anita ist tot. Du bist tot. So ist das eben. Muss man mit leben.
Kurt: Nein. Ich hol die Polizei. (geht zum Telefon)
Maria: Dann erschlag ich dich wieder.
Kurt: Du bist verrückt. (er wählt)
Maria: Das bin ich nicht (greift nach der Figur).
Kurt: (wartet mit dem Hörer in der Hand auf das Signal).
Maria: (sie springt auf und schlägt ihm die Statue auf den Rücken, er fällt zu Boden, sie hebt den Hörer auf, der heruntergefallen ist, auf). Oh, pardon, das war ein Irrtum, es tut mir ja so leid. Ja, Entschuldigung.
Kurt: (stöhnt)
Maria: Auf Wiederhören. (sie legt auf) Lass es gut sein, Kurt. Ich werde dich solange erschlagen, bist du es endlich kapierst: du hast keine Chance gegen mich.
Kurt: Du bist -
Maria: Du bist tot. (erschlägt ihn)

Black


4. Szene

Maria: (sie sitzt neben dem Leib von Kurt auf dem Boden. Sein T-Shirt ist hinauf geschoben, seine Brust ist nackt. Maria zündet sich eine Zigarette an und raucht mit leicht zittrigen Fingern. Ihre Aufregung löst sich mit jedem Zug an der Zigarette langsam in einer abgeklärten Zufriedenheit auf)
Mutter: (stürmt ohne anzuklopfen und schon leicht betrunken ins Zimmer) Oh, mein Kind lebt. (scheint die Leichen wahrzunehmen, tut aber so, als wären sie nur irgendwelche am Boden liegende Gegenstände) Mein Kind raucht wieder. Das freut mich aber. Bekommt deine arme, alte Mutter auch eine Zigarette.
Maria: Hab’ dich gar nicht reinkommen hören. (hält ihr die Packung hin)
Mutter: (nimmt sich die Packung und fingert sich eine Zigarette heraus) Light? Naja, Hauptsache Tobak! (deutet auf die Tänzerin) Wirfst du jetzt endlich dieses hässliche Ding weg.
Maria: Nein, nein, ich bin grade dabei zu erkennen, wie toll diese Skulptur in Wirklichkeit ist.
Mutter: Was soll an diesem Schrott toll sein?!
Maria: Diese Skulptur liegt unglaublich gut in der Hand. Es scheint fast so, als wäre sie nur dafür geschaffen worden, um sie in die Hand zu nehmen und zuzuschlagen.
Mutter: Du redest Scheiße, Maria. Wo ist eigentlich Christian?
Maria: Arbeiten.
Mutter: Am Sonntag? Ich denke, dass ist wohl das einzig Gute an ihm: dass er immer arbeiten muss.
Maria: Was führt dich hierher?
Mutter: Ich war nur gerade in der Gegend, und da habe ich mir gedacht, ich schau bei dir vorbei, ob du nicht zufällig irgendeinen guten Whiskey daheim hast.
Maria: Du bist eine Trinkerin, Mutter.
Mutter: Ich weiß. Ich trinke, ich rauche und ich schlafe mit jedem, mit dem ich Lust habe zu schlafen. Und du, Maria?
Maria: Ich?
Mutter: Du bist eine Spießerin geworden. Ja, meine Tochter ist eine Spießerin. Schau dich an! (sieht sie an) Du bist übrigens ziemlich verdreckt. Malst du wieder?!
Maria: Ich male nicht, ich bringe Leute um.
Mutter: Du hast für ihn Marmelade eingekocht, ich seh’s schon. Du bist unerträglich. Hast du jetzt eigentlich einen Whiskey oder nicht?
Maria: Natürlich haben wir einen Whiskey. Wenn Mutter kommt, muss ja immer ein Whiskey im Haus sein. (geht zur Bar und gießt ein Glas ein)
Mutter: Muss ja zugeben, zumindest beim Whiskey kennt sich dein Mann aus.
Maria: Das Lob wird ihn freuen.
Mutter: Ich scheiß drauf, wenn er sich freut.
Maria: Ich weiß, Mutter.
Mutter: Du nicht?
Maria: Ich muss noch die Leichen wegräumen.
Mutter: Gut, dann nicht. (sie trinkt das Glas aus und hält es ihrer Tochter wieder hin). Da habe ich mein ganzes Leben darum gekämpft, dass wir Frauen die Dominanz der Männer brechen, und dann ist meine eigene Tochter schlimmer als meine Mutter. Meine Großmutter war nicht so bieder wie du. Weißt du, du bist so wie dein Vater.
Maria: Woher willst du das wissen, du hast ihn doch gar nicht gekannt.
Mutter: Was heißt, ich habe ihn nicht gekannt. Natürlich habe ich deinen Vater gekannt.
Maria: Du hast dich ein Jahr aushalten lassen von ihm, und dann hast du ihn ein paar Mal im Gerichtssaal beschimpft.
Mutter: Er wollte dich mir wegnehmen – auf nichts hinauf, nur weil ich nicht in seinem goldenen Käfig geblieben bin, nur weil ich nicht so eine nullachtfünfzig Mutter war, wie er sich das vorgestellt hat.
Maria: Er hat doch nur Angst gehabt, dass du irgendwann einmal im Rausch auf mich vergessen könntest.
Mutter: Nur wegen dem einen Mal. Jeder Mutter passiert mal ein Fehler.
Maria: Aber sie dauern selten zwei Tage.
Mutter: Eineinhalb, und das ist jetzt über 30 Jahre her. Bitte! Du kannst dich nicht einmal wirklich erinnern daran! Mir ging es damals nicht gut, das weißt du, und ich habe danach auch wirklich mein Leben geändert, das vergisst du dann immer. Ich bin für dich eine andere Frau geworden.
Maria: Hättest du so weitergemacht, wärst du heute tot.
Mutter: Na und. Besser tot, als so eine Spießerin wie du! Nein, ich kann dich einfach nicht verstehen. Du, mit deinem Talent. Aber anstatt dass du malst, vertuscht du mit deiner Phantasie die Verbrechen irgendwelcher Kapitalisten. Super, meine Tochter, eine Hure der Konzerne.
Maria: Nur weil ich mich nicht so herumtreiben lasse wie du.
Mutter: Ich habe mich nie herumtreiben lassen, das weißt du. Ich habe getanzt. Ich tanze noch immer. Ich bin vielleicht alt, aber ich tanze, und ich genieße. Und wenn man genießen will, muss man manchmal auch etwas wagen, muss man manchmal riskieren, dass man eine auf die Nase kriegt. Gib mir die Flasche.
Maria: Nimm sie dir. (wendet sich von der Mutter ab. Sie beugt sich zu den Leichen hinunter, legt die Turnerin neben sie auf den Teppich und beginnt sich zu überlegen, wie sie sie wegschaffen könnte).
Mutter: Ein wirklich guter Tropfen. (schenkt sich nach, trinkt, beobachtet dann ihre Tochter) Was ist das eigentlich hier für eine Sauerei?
Maria: Anita und Kurt.
Mutter: Die sind ja tot.
Maria: Ich habe doch gesagt, dass ich wen umgebracht habe.
Mutter: Aber, du kannst doch nicht, ich meine...
Maria: Wenn man das Leben genießen will, Mutter, muss man manchmal was riskieren.
Mutter: Du brauchst einen Arzt.
Maria: Sag mir nicht, was ich brauche. Hilf mir lieber.
Mutter: Du, du...
Maria: Ich bin ganz ich selbst. Du solltest stolz sein auf mich. Ich habe getan, wonach mir der Sinn stand. Einfach so. Das tut gut. Ich glaube, dieses Gefühl kennst du auch nicht. Du bist doch immer nur davongerannt, schreiend und schimpfend zwar, aber letztlich hat man immer nur deinen Rücken gesehen. Ich bin nicht davongerannt. Ich habe gehandelt. Hilfst du mir jetzt?
Mutter: Du bist wahnsinnig.
Maria: Nerv nicht, sondern mach’ dich einmal in deinem Leben nützlich.
Mutter: Nein, nein... (hockt sich völlig fertig auf den Boden und beginnt in kurzen Abständen aus der Flasche zu trinken)
Polizist I: Grüß Gott. (er sieht immer nur geradeaus und sieht deshalb immer über die am Boden liegenden Leichen hinweg) Entschuldigen sie, dass ich hier einfach so eintrete, aber die Türe stand offen, und unsere Zentrale hat da gerade einen Anruf erhalten.
Maria: Von einem Toten.
Polizist I: Wie bitte?
Maria: Nichts. War nur ein Irrtum, der Anruf.
Polizist I: Aha. Darf ich trotzdem ihre Personalausweise sehen?
Maria: Gerne. (holt ihren Ausweis aus ihrer Tasche heraus).
Mutter: Die Toten, also, diese Toten hier - meine Tochter. Sie ist eine Mörderin.
Polizist I: Stehen sie einmal auf, gnädige Frau, und dann zeigen sie mir ihren Ausweis. (betrachtet die Mutter mit sichtlichem Ekel, wirft dann einen Blick in den Ausweis von Maria). Ui, jetzt haben sie da einen Fleck drauf gemacht.
Mutter: Aber sehen sie denn nicht, meine Tochter...
Polizist I: Stehen sie erst einmal auf und beruhigen sie sich. Ich weiß schon, dass diese Dame ihre Tochter ist. (zu Maria) Kochen sie gerade Erdbeermarmelade?
Mutter: Das ist Blut, Herr Inspektor.
Polizist I: Gnädige Frau, uns ist es ganz egal, was das für Flecken sind. Und wenn es Ketchupflecken wären, Hauptsache die Lesbarkeit des Dokuments ist gewährleistet (ringt sich zu einem Scherz durch) Jetzt ist der Fingerabdruck ihrer Tochter im Ausweis verewigt (lacht trocken). Da wird sich der Innenminister sicher sehr freuen.
Mutter: Aber sie ist eine Mörderin!
Polizist I: Na, dann kann ich sie ja jetzt leichter der Tat überführen, wo ich doch ihren Fingerabdruck habe (lacht wieder, kurz und trocken).
Mutter: Aber sehen sie denn nicht die Leichen?
Polizist I: Gnädige Frau, ich muss sie bitten! Zeigen sie mir ihren Ausweis.
Maria: Wissen sie, meine Mutter ist etwas verwirrt. Es sind einfach die Drogen.
Polizist I: Ist sie in Behandlung?
Maria: Sie hat zum vierten Mal den Entzug abgebrochen. Nun ist sie wieder bei mir.
Polizist I: Da können sie einem nur leid tun. (spricht ins Funkgerät) Alberto vier an Luigi drei. Hier ist alles in Ordnung. Over.
Funk: Luigi drei an Alberto vier. Verstanden. Over.
Maria: Luigi, Alberto?
Polizist I: Wir haben gerade italienische Wochen.
Mutter: Aber sie müssen doch diese Leichen hier sehen: Meine Tochter ist eine Mörderin!
Polizist I: Das ist aber nicht schön, dass sie das sagen von ihrer Tochter, die sich so nett um sie kümmert.
Maria: Es ist dieser Verfolgungswahn. Zuerst hat sie überall Faschisten gesehen, und jetzt sieht sie überall Mörder.
Polizist I: Ist sie nicht diese Sängerin?
Maria: Ja, Gitte Säger.
Polizist I: Ist nicht dieses Lied von ihr: “Bringt die Bullenschweine um”?
Maria: Ja, das ist sie. Aber jetzt singt sie schon lange nicht mehr.
Polizist I: (zur Mutter) Wo sind ihre Papiere?
Mutter: (wird ärgerlich, starrt aber weiter auf die Leichen und trinkt) Sehen sie denn diese Leichen nicht?!
Maria: Sie wird wieder einmal keinen Ausweis dabei haben.
Mutter: Sie ist eine Mörderin! (versucht sich am Polizisten hochzuziehen)
Polizist I: Lassen sie mich los! (stößt sie von sich, sie fällt zu Boden) Sie können froh und dankbar dafür sein, dass sich ihre Tochter überhaupt noch um sie kümmert.
Mutter: Das gibt es doch nicht, das kann es doch einfach nicht geben. (versucht sich murmelnd aufzurichten)
Maria: Sie glaubt halt noch immer, dass sie gegen alles und jeden kämpfen muss. Immer wieder muss ich ihr die leeren Flaschen wegnehmen, damit sie keine Molotov-Cocktails bastelt. Keine Ahnung, was sie alles anstellt, wenn ich nicht dabei bin.
Polizist I: Ich könnte sie mitnehmen – kein Ausweis und der Zustand, in dem sie sich befindet.
Maria: Sie kommt ja doch wieder frei. Sie hat Freunde, sie wissen doch, diese Szene, die haben doch immer irgendwo Freunde.
Polizist I: Ja, ja, Künstler! Kennen wir, kennen wir!
Mutter: (steht - mit der Flasche in der Hand) Was reden sie denn da für einen Schwachsinn! Sehen sie doch die Leichen!
Maria: Passen sie auf, sie wird leicht aggressiv.
Polizist I: Sie brauchen sich jetzt nicht zu fürchten. Ich bin ja da.
Mutter: Glauben sie meiner Tochter kein Wort. Sie müssen doch – (geht auf den Polizisten zu)
Polizist I: Was muss ich? Nichts muss ich. Sie müssen mir ihren Ausweis zeigen. Und stehen bleiben müssen sie. Bleiben sie stehen!
Mutter: Sind sie denn völlig vertrottelt?!
Polizist I: Wenn sie nicht stehen bleiben, dann muss ich von meiner Waffe Gebrauch machen.
Maria: Sie müssen aufpassen, sie hat noch die Flasche-
Polizist I: Ich warne sie.
Mutter: He, meine Tochter ist die Wahnsinnige hier nicht ich, kapieren sie das nicht, sie vertrottelter Bulle. (rempelt den Polizisten an)
Polizist I: (schießt einen Warnschuss in die Luft. Verputz bröselt von der Decke. Der Polizist erschrickt über sich selbst)
Mutter: (zuckt zurück) Verdammt, sind sie total verrückt?! Sie ist eine Mörderin, geht das nicht in ihr kleines Bullenhirn hinein?! (beginnt auf den Polizisten einzuschlagen).
Maria: Mutter, hör auf.
Polizist I: Das geht nicht. So nicht.
Mutter: Du beschissener Bulle, du verblödeter, Hirn amputierter Bulle!
Polizist I: Ich warne sie.
Maria: Warum kannst du nicht einfach normal sein.
Mutter: Was willst du? (lässt vom Polizisten ab und geht auf ihre Tochter los) Du bist nicht meine Tochter, du bist, du bist,...!
Maria: Mutter, warum sagst du das?! Mutter, sei doch bitte einmal normal!
Polizist I: Lassen sie ihre Tochter (steht hilflos mit der Waffe daneben)
Mutter: Halt’s Maul Bulle (wendet sich wieder schreiend an den Polizisten)
Polizist I: (richtet die Waffe auf ihren Kopf) Beruhigen sie sich oder-
Mutter: Was oder? Knallst du mich ab, oder? Vollendest du das mörderische Werk meiner Tochter, oder? Du minderwertiger, kleiner Wichser. Ich glaube ich muss dir ein Liedchen singen, ja, ich denke, das wäre jetzt der richtige Moment dazu. Aug in Aug mit einem Arschloch wie dir, wollte ich das Lied immer schon singen. Ich kann nämlich noch singen, Tochter! “Bringt die Bullenschweine um, macht die Bullen endlich stumm, statt Scheiße kommt dann Blut aus ihren Mäulern ach wie gut, bringt die Bullenschweine um, macht-
Polizist I: (drückt ab)

Black


5. Szene

Polizist I und Maria sitzen rauchend vor den drei Leichen am Teppich.
Polizist I: Was habe ich getan?
Maria: Ihre Pflicht. Sie haben nur ihre Pflicht getan. Sie konnten nicht anders.
Polizist I: Nein, nein!
Maria: Es war Notwehr. Sie hat sich einfach nicht beruhigen lassen!
Polizist I: Ich habe noch nie einen Menschen getötet.
Maria: Was sein muss, muss sein. Vielleicht wäre sie ja wirklich auf uns losgegangen mit der Flasche, und ich kann ehrlich nicht sagen, was sie in ihrer Tasche hat. Ich meine, okay, sie war schon alt, und sie war eigentlich auch nicht so stark, aber bei Drogenkranken weiß man nie.
Polizist I: Es ging alles so schnell.
Maria: Und nun ist es vorbei.
Polizist I: Aber ich habe einen Warnschuss abgegeben.
Maria: Sie haben alles richtig gemacht. Vielleicht war die Wahl der Mittel etwas unverhältnismäßig, aber man kann nicht immer alles richtig machen.
Polizist I: Man wird mich außer Dienst stellen.
Maria: Nur für die Dauer der üblichen Untersuchungen.
Polizist I: Eine alte Frau erschießen. Sie hat doch eigentlich nichts getan.
Maria: Nichts? Das kann man so nicht sagen. Ich meine, es war nicht viel, aber sie leistete Widerstand gegen die Staatsgewalt. Und sie war eine potenzielle linke Terroristin. Sie hat früher bei Demos Steine geworfen!
Polizist I: Eine alte Frau. Sie werden mich anklagen.
Maria: Das kann schon passieren, aber ihr Polizisten haltet doch immer zusammen!
Polizist I: Ich bin kein Polizist, ich bin ein Mörder.
Funk: Guiseppe zwei an alle Gondolieris im zweiten Bezirk. Eine Gondel in die Poststraße 7, da ist ein-.
Polizist I: (schaltet das Funkgerät aus und legt es zur Seite)
Maria: Ach, Herr Inspektor, seien sie jetzt nicht so deprimiert. Wir sind doch alle Mörder. Zerbrechen sie sich darüber nicht den Kopf.
Polizist I: Sie sind eine nette Frau.
Maria: Ich finde sie auch sehr nett. Sie sind eine ehrliche Haut, wie man so sagt, ein guter Kerl.
Polizist I: Ich bin ein Mörder.
Maria: Ich würde sie gerne küssen, einfach so.
Polizist I: Nein, bitte nicht.
Maria: Ihre Art erregt mich, diese Verzweiflung, sie sind wie diese Männer aus diesen alten französischen Filmen, und die Art, wie sie rauchen. Ich wäre gerne ihre Zigarette, nur um zu spüren, wie es ist, von ihren spröden Lippen umschlossen zu werden.
Polizist I: Hören sie auf, es hat keinen Sinn.
Maria: Vielleicht erregt mich einfach ihre Anständigkeit. Sie sind so anständig, so korrekt, so pflichtbewusst. Sie haben ihre Frau noch niemals betrogen, nicht wahr?
Polizist I: Ich bin ein Mörder.
Maria: Vielleicht sollten sie öfters Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun.
Polizist I: Ich wollte das nicht.
Maria: Ich glaube, ich werde heute Nacht von ihnen träumen.
Polizist I: Sagen sie meiner Frau, dass ich sie liebe. (er erschießt sich)
Maria: Oh. (lehnt sich zurück an eine der Leichen). Mutter! (sie schreit auf, dann atmet sie durch) Endlich eine sinnvolle Arbeit: Trauerarbeit. (zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette und tötet sie ab. Ihr Blick schweift über die Leichen und bleibt bei dem Polizisten hängen) Komisch, wie sich dieser Polizist in das alles hier verirrt hat. Armer Kerl. (schließt ihre Augen und beginnt zu weinen)

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6. Szene

Maria: (legt die Leichen nebeneinander auf)
Christian: (kommt schnuppernd in den Raum) Hat da wer geraucht?
Maria: Mutter war auf einen Schluck Whiskey da.
Christian: Hat sie wieder ein paar Gemeinheiten über mich fallen gelassen?
Maria: Das übliche.
Christian: Sie kann es einfach nicht lassen.
Maria: Es wird nicht mehr vorkommen.
Christian: (betrachtet die Leichen ohne scheinbar ihre Existenz wahrzunehmen) Und Anita ist schon fort?
Maria: Anita, Kurt, meine Mutter und ein Polizist. Fällt dir eigentlich irgendwas auf?
Christian: Nein. (blickt sich um, sein Blick fällt wieder auf die Leichen) Nein. Wieso? (sieht sie an) Du bist ziemlich schmutzig. Hast Du Erdbeermarmelade gemacht?
Maria: Willst du kosten? (streckt ihm ihren blutigen Finger entgegen)
Christian: Ich mag doch keine Erdbeermarmelade.
Maria: Ist auch keine. (steckt sich die Finger in den Mund) Mmh, gar nicht schlecht, süß, schmeckt ein wenig nach Metall.
Christian: Das kommt sicher von der Turnerin. Weißt du jetzt, wo du sie hinstellst?
Maria: Auf das Regal.
Christian: Auch keine Veränderung verlangt manchmal nach einer großen Geste.
Maria: Auch große Veränderungen verlangen manchmal vergeblich danach wahrgenommen zu werden. Hilfst du mir die Leichen in den Kofferraum zu schaffen?
Christian: In einem gut bürgerlichen Haushalt wie dem unseren schafft man die Leichen doch in den Keller (lacht gekünstelt).
Maria: In einem gut bürgerlichen Haushalt wie dem unseren sucht man die Leichen immer im Keller.
Christian: Ich geh mal und stell unsere Reise zusammen.
Maria: Du könntest auch das Einschussloch an der Decke zukitten.
Christian: China wird dir gefallen.
Maria: Einschusslöcher in der Decke machen sich nicht gut in gut bürgerlichen Haushalten wie dem unseren. (das Telefon läutet)
Christian: Die Chinesen sind zwar Faschisten. Aber wenn es nach dem ginge, dann dürfte man auch nicht nach Amerika fahren.
Maria: Wer will schon nach Amerika fahren? (hebt ab) Walter. Ah. Ja. Ja.
Christian: (geht dicht an Maria vorbei) Ich liebe dich.
Maria: (zuckt zusammen und schiebt Christian weg) Mmh.
Christian: (ab)
Maria: Aber für Soldaten an sich würde niemand eine Kampagne starten. (Pause) Für mögliche Kriegseinsätze gegen irgendwelche unsichtbare Feinde? (Pause) Nun ja, wenn man ins Leere schießt, nimmt der Feind bald Konturen an. (Pause) Mmh. Ja. Ja. Und was bietest du mir? (nimmt die Tänzerin in die Hand) Wie immer?! Nein. (Pause) Nein. (Pause) Nein. (Pause) Wie meine männlichen Kollegen. (Pause) Gut. (Pause) Dass ich nicht auf den Tisch gehauen habe, hat dich immer gestört? Na, dann kannst du ja jetzt vollauf zufrieden sein: ich hau nicht nur auf den Tisch.

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7. Szene

Maria: (reinigt den Teppich. Die Tänzerin steht sauber auf dem Regal. Daneben liegt die Waffe des Polizisten. Die Leichen liegen in Kunststoffplanen verpackt neben dem Teppich)
Polizist II: (tritt zögernd ein) Entschuldigen Sie, dass ich störe, aber die Türe war offen, und wir haben ein Problem: uns geht ein Kollege ab.
Maria: Da kann ich ihnen leider nicht helfen. Es war vorhin zwar ein Kollege von ihnen hier, aber der ist leider schon von uns gegangen.
Polizist II: Und wohin?
Maria: (zuckt mit den Schultern) Wer kann das sagen?
Polizist II: Kann man nichts machen. Erdbeermarmelade verschüttet? Ist meiner Frau auch passiert. Wir haben den Fleck noch immer im Teppich.
Maria: Dieses Mittel hilft gegen alles. Auch gegen Blut.
Polizist II: Praktisch. Dürfte ich nur kurz einmal in ihren Keller schauen. Sie können es mir verbieten, aber-
Maria: Die Stiege neben dem Eingang. Bringen sie mir eine Flasche Rotwein mit, den argentinischen, gleich links im Regal.
Polizist II: Werde ich machen. (ab)
Maria: (putzt weiter)
Christian: (kommt wieder herein) Unsere Reiseroute ist fertig. Peking, die chinesische Mauer, die Wüste, nur Tibet geht sich nicht aus – aber wer will im Urlaub schon das wahre Gesicht seines Gastgebers sehen (lacht). Und zum Abschluss kurz ans Meer baden. Da kommst du bestimmt auf andere Gedanken.
Polizist II: (kommt mit dem Wein zurück) Gustavo zwei an Giovanni vier. Alberto vier ist hier nicht mehr zugegen. Over.
Polizist II: (zu Maria) Es ist alles in Ordnung. Danke. Hier ist noch der Wein. Ich hoffe, es ist der richtige.
Funk: Giovanni vier an Gustavo zwei. Dann schauen Sie sich bitte in der Gasse um. Irgendwo muss der Trottel ja stecken. Over.
Maria: Danke, passt schon. Stellen sie ihn nur auf den Tisch. (zu Christian) Der Herr Inspektor sucht nur einen Kollegen.
Polizist II: Bin aber schon wieder auf dem Weg.
Christian: Dann ist es ja gut, Herr (fragend) Gustavo.
Polizist II: Nein, nein, so heiße ich nicht wirklich, wir haben nur gerade italienische Wochen. Klingt vielleicht blöd, aber das soll unser Verständnis für Europa verbessern. Damit wir wissen, dass wir trotz verschiedener Sprachen doch zusammengehören. Letzte Woche war ich zum Beispiel Francois vier.
Christian: Die französischen Wochen.
Polizist II: Belgische. In Belgien sprechen sie auch französisch, wie ja auch in der Schweiz zum Beispiel, wobei die Schweiz gehört ja nicht zu Europa, also nicht wirklich.
Maria: Wären sie so nett, mir zu helfen, diese Säcke in meinen Wagen zu tragen.
Polizist II: Ja, ja gerne.
Christian: Aber ich kann doch...
Maria: Die Polizei, unser Freund und Helfer, oder?
Polizist II: Ja, und ich helfe wirklich gerne.
Maria: (zu Christian) Kannst du dafür weiter den Fleck da herausreiben.
Christian: Ganz, wie sie wünschen. (beginnt widerwillig zu reiben)
Maria: Arbeiten sie schon lange hier in der Gegend?
Polizist II: Horuck! Jetzt bin ich schon ein Jahr da.
Maria: Habe sie noch gar nicht gesehen.
Polizist II: Aber wir machen hier besonders viel Streifen, weil uns ist die Sicherheit unserer Bürger-. (sie entfernen sich aus dem Haus)
Maria: (sie kommen wieder herein) Und sie finden also auch, dass wir uns ein neues Schloss einbauen sollten?
Polizist II: Ein Sicherheitsschloss, auf alle Fälle! Horuck.
Maria: Mein Mann sagt das auch immer, nicht wahr Christian, aber ich mag solche Schlösser irgendwie nicht. Die sperren mich immer so ein. (sie entfernen sich aus dem Haus und kommen wieder zurück) Na, das klingt schon vernünftig, was sie da sagen, aber ich weiß nicht, ich fühle mich nicht so unsicher hier auf der Straße.
Polizist II: Glauben sie mir, es passiert mehr, als sie glauben. Und der Selbstverteidigungskurs von meiner Kollegin ist gar nicht so teuer.
Maria: Was kostet der so?
Polizist II: Also, da ist die Kursgebühr dabei, plus zwei Stunden gratis Schnuppern bei einem Yogakurs. Horuck. Und dann kann man immer anschließend in die Sauna und eine Theorieausbildung gehört da auch dazu, ich glaube das kommt so auf - (sie entfernen sich aus dem Haus und kommen wieder zurück)
Maria: Waffen mag ich ja nicht, aber Schießen hat mich immer gereizt.
Polizist II: Sie dürfen die Waffe nicht als Mordwerkzeug sehen sondern als Meditationsgerät. Horuck. Sie müssen eins werden mit dem Gerät, mit dem sie sich dann selber zu dem Ziel befördern, das sie für sich ausgewählt haben, verstehen sie.
Maria: Klingt interessant. (sie entfernen sich aus dem Haus. Maria kommt ins Haus zurück) Vielen Dank noch einmal. (kommt wieder herein) Netter Polizist. Ein Buddhist. Er übt sich vor allem in der Kunst der Selbstbeherrschung. Sollte mich vielleicht auch in dieser Kunst üben, was meinst du? Da gibt es einen eigenen Verein.
Christian: Wenn du dann wieder normal wirst. (merklich verärgert)
Maria: Normal? Nun, das bin ich eigentlich jetzt schon. (sieht auf den Teppich) Ist doch unglaublich, der Fleck ist weg.
Christian: Deshalb haben wir diesen Teppich ja gekauft.
Maria: Aber dass es dann auch funktionieret. (macht sich den Wein auf)
Christian: Jetzt schon ein Wein?
Maria: Ich muss mit mir auf den neuen Auftrag anstoßen.
Christian: War das vorhin dein Chef?
Maria: Eine Imagekampagne für das Heer.
Christian: Was? Ich dachte ihr macht so was nicht.
Maria: Warum nicht? Der Minister hat sich persönlich an uns gewandt. War so wie du von meiner Arbeit für das Familieministerium schlichtweg begeistert. Und von Waffeneinkäufen brauchen wir gar nicht zu sprechen. Wir machen da einfach Plakate, auf denen unsere netten Soldaten ganz offensichtlich mit altem Gerät herumstehen, alte Sturmgewehre, alte Hubschrauber, ein Abfangjäger, der im Hintergrund gerade repariert wird. Die Leute müssen einfach stolz sein auf ihre Soldaten und gleichzeitig sehen, dass sie schlecht ausgerüstet sind, diese netten, freundlichen Menschen, die für unsere Sicherheit sorgen. Das ist der ganze Job. Und wie sagt mein Chef so schön? Das sind zwar alles Arschlöcher, aber solange sie Dukaten scheißen ist doch alles okay (lacht). Und wir bieten schließlich nur unsere Dienste an und nicht unsere Seelen.
Christian: Aber für das Heer?!
Maria: Wo liegt für dich das Problem? Du flexibler, dynamischer, gesundheitsbewusster Christophorus des herrschenden Systems. Natürlich, du machst es schlauer. Du lässt dich bei jedem Vertrag von jeglicher Schuld die durch Missbrauch deiner Dienstleistung entsteht befreien. Eine Hand wäscht die andere, so haben wir alle saubere Hände, wie es sich für Menschen der zivilisierten Welt nun einmal gehört. Das ist doch schön. Prost. (prostet ihm zu und trinkt aus der Flasche)
Christian: Willst du dir kein Glas nehmen?
Maria: Nein, will ich nicht! Ich will aus der Flasche trinken und an schöne Dinge denken, an friedliche Abende an griechischen Stränden.
Christian: Und du hast „ja” gesagt zu dem Job?
Maria: Eigentlich müsstest du stolz sein auf mich. Ich habe auf den Tisch gehauen, und schon bekomme ich das, was ich Wert bin.
Christian: Die Waffenindustrie hat ja auch genug Geld.
Maria: Wertgegenstände können sich ihren Käufer eben nicht aussuchen – Wertgegenstände kann sich einfach nicht jeder leisten!
Christian: Dieser Job wird dich nur unglücklich machen.
Maria: Dieser eine Job wird mich unglücklich machen? (lacht und schüttelt den Kopf) Was willst du? Ich begebe mich doch nur an die Front.
Christian: Es gibt so viele normale Jobs.
Maria: Normale Jobs? Anständige Jobs meinst du. Zum Beispiel für Beauty-Unternehmen. Wenn es nach dir ginge, sollte ich mich doch bei einem Beauty-Unternehmen bewerben, ist doch so, bei meinem Gespür für Farben: (deutet wild in der Gegend herum und am Ende auf sich selbst) rot, gelb, orange, grün, blau, türkis – dreckig! Rouge naturelle. Bei Maus und Affen ausprobiert, wer’s aufträgt, bleibt lang angeschmiert. Ja, das sind ehrbare Jobs. Sind alles ehrbare Jobs.
Christian: Maria, wenn du damit leben kannst.
Maria: Tja, nicht jede wach geküsste Prinzessin ist ein Schneewittchen und entspricht den Vorstellungen des Prinzen.
Christian: Und wer bist du dann, wachgeküsst, wie du nun bist?
Maria: Maria. Einfach Maria.
Christian: Und wer warst du vorher?
Maria: Eine von Euch: Gattin, Freundin, Tochter, Bürgerin.
Christian: Maria, du brauchst einfach Urlaub.
Maria: Sag mir nicht, was ich brauche.
Christian: Du bist überspannt.
Maria: Und du bist ein Arschloch. Ein arrogantes, selbstgefälliges Arschloch.
Christian: Was soll das?
Maria: Ich weiß nicht, was das soll?! Ich weiß nur, dass ich ab heute an der Front stehe und Zähne zeige und meinen eigenen Weg gehe.
Christian: Und deshalb arbeitest du für das Bundesheer?
Maria: Deshalb, deshalb, (nimmt wieder die Turnerin in die Hand), deshalb schlage ich mit meiner Turnerin auf alles ein, was meint, über mich bestimmen zu können.
Christian: Ach, ich geh jetzt laufen.
Maria: Kann es sein, dass du vor mir davonzulaufen versuchst.
Christian: Ich laufe nicht davon, ich möchte mich am Sonntag nur auch ein klein wenig entspannen.
Maria: Während ich die Leichen auf den Müll bringe? (Pause. Sie sehen einander in die Augen) Christian, ich bin eine Mörderin.
Christian: Ich will es nicht hören.
Maria: In meinem Wagen liegen vier Leichen.
Christian: Bring sie weg und lass mich damit bitte in Ruhe.
Maria: Du hast es also doch mitbekommen?
Christian: Natürlich habe ich es mitbekommen. Ich bin ja nicht blind.
Maria: Aber du hast so getan.
Christian: Ja, was bleibt mir denn anderes übrig. Ich liebe dich.
Maria: Liebe macht blind, meinst du.
Christian: Nein, ja, also das ist wirklich deine Angelegenheit.
Maria: Stört es dich denn gar nicht, dass ich eine Mörderin bin?
Christian: Stören, stören? Natürlich stört es mich! Aber, was soll ich machen?
Maria: Mich fragen, warum ich es getan habe, zum Beispiel.
Christian: Warum soll ich dich das fragen? Das ist der blanke Irrsinn, was soll ich dich da noch fragen?
Maria: Du könntest mich fragen, weil du dich für mich interessierst, weil du verstehen möchtest, warum ich es getan habe. (Pause)
Christian: Okay, okay. Also, warum hast du es getan?
Maria: Es hat mir gut getan. (hebt die Turnerin auf) Und es war notwendig.
Christian: Das ist alles?
Maria: Ja, das ist alles. Ich hab mir einfach gedacht: Scheiß auf die Selbstbeherrschung, scheiß auf Buddha - und Zack!
Christian: Anita, deine beste Freundin. Und Kurt. Hast du gar nicht an ihre Kinder gedacht, an all die Menschen, die die beiden zurücklassen.
Maria: Mich lässt Anita auch zurück: ihre beste Freundin. Ist auch nicht fair – oder?
Christian: Das klingt aber jetzt schon ziemlich krank.
Maria: Das hat man mir heute schon öfters erklärt. Aber ich fühle mich nicht krank. Ich fühl mich sogar seit langem wieder einmal ziemlich gut!
Christian: Na, solange es dir gut geht, ist es ja gut. Und wieso deine Mutter?
Maria: Das war ich nicht. Das war der Polizist. Und der Polizist hat sich selber erschossen.
Christian: Wie gesagt, ich gehe jetzt laufen, und was du machst ist mir- (schüttelt den Kopf und wendet sich ab)
Maria: Egal? Ist es das, was du sagen wolltest. Du meinst, ich kann morden, wen immer ich will, es ist dir egal.
Christian: So habe ich es nicht gemeint.
Maria: Aber sagen wolltest du es. Dir ist es egal, wie dir im Grunde alles egal ist.
Christian: Was stört dich daran, dass ich dich so akzeptiere, wie du bist.
Maria: Grade sagtest du noch, dass du mich liebst, und jetzt akzeptierst du mich nur mehr.
Christian: Dreh mir nicht die Worte im Mund um.
Maria: Obacht! Jedes Wort kann gegen dich verwendet werden.
Christian: Pass auf, Maria, du bist die Verbrecherin – nicht ich.
Maria: Oh, ich vergaß: Du bist ja unschuldig. Du hast nichts getan, und das werde ich auch immer bezeugen: Mein Mann hat nichts getan. Nichts. Er hat es nur akzeptiert, als toleranter, freiheitsliebender, zivilisierter Mensch, aber er hat nichts getan.
Christian: Ich geh jetzt (dreht sich um).
Maria: Christian.
Christian: Nein. (geht über den Teppich ohne sich umzudrehen)
Maria: (stürzt ihm nach und erschlägt ihn von hinten. Er liegt auf dem Boden. Sie schlägt weiter auf ihn ein. Blut spritzt. Dann steht sie über ihm. Sie hat Blutspritzer im Gesicht. Sie betrachtet ihn eine Weile. Sie blickt wieder auf, starrt geradeaus) The game is over. The serial killer kills her husband. (sie lächelt und breitet die Arme aus wie zum Flug) Keine Mitgliedschaft in irgendeinem Verein. Keine Therapie. Keine fernöstliche Meditation. Ich gehöre nicht, ich gehorche nicht, ich beherrsche nicht,… ich bin (stumm formen ihre Lippen das Wort „frei“. Sie lacht auf). Von nun an werde ich nicht mehr so tun, als wäre gar nichts geschehen. Es wird geschehen. (sie wiegt die Turnerin in ihrer Hand und stellt sie dann auf ihren Platz am Regal. Dann nimmt sie den Polizeirevolver vom Regal. Sie versucht die Waffe zu entsichern. Ein Schuss löst sich in Richtung des Publikums, ein Statist rutscht röchelnd mit einem Bauchschuss zu Boden) Oh pardon. (blickt eine Weile in Richtung des sterbenden Besuchers) Kollataralschaden – sorry. (Pause) So denn (fixiert die Waffe): Ich werde eins mit der Waffe und befördere mich selbst in die Schädel meiner Ziele. (Sie beginnt einen Tanz und ruft dabei Namen von neun Politikern, die nach Rücksprache mit dem Autor austauschbar sind, und schießt gleich nachdem sie einen Namen gerufen hat in verschiedene Richtungen, während Blut auf sie herunter zu regnen beginnt. Nach dem neunten Schuss bleibt sie abrupt stehen und richtet die Waffe zitternd auf das Publikum)

Black

Nachspiel am Strand

Maria: (sitzt auf dem blutroten Teppich an einen Haufen von Leichen gelehnt und blickt ins Publikum. Die Szene ist wie im Vorspiel. Maria hält die Rotweinflasche in der Hand. Die Pistole liegt neben ihr auf dem Teppich) Möchtest du einen Schluck Wein?
Männerstimme: Gerne. Rot oder weiß?
Maria: Rot funkelnd, so wie der Himmel. Ich geb’ dir die Flasche.
Männerstimme: Ein guter Tropfen.
Maria: Ich nehme selbst einen Schluck. Ich schmecke deinen Lippenbalsam am Glas. (kurze Pause) Ich mag den Geschmack.
Männerstimme: Ich breite mein Handtuch aus und setzte mich neben dich.
Maria: Die Sonne verschwindet jetzt gleich hinter dem Horizont.
Männerstimme: Komm, lass uns der untergehenden Sonne entgegen schwimmen.
Maria: Will noch etwas warten.
Männerstimme: Ich gehe schon einmal vor.
Maria: Ich greif in den Sand. Der Sand ist noch warm. Ich sehe dir nach. (kurze Pause) Das rötliche Licht flimmert an deinem Körper vorbei.
Männerstimme: Ich steige ins Wasser.
Maria: Gleich ist die Sonne verschwunden.
Männerstimme: Willst du nicht kommen.
Maria: Einen Augenblick, noch ein Schluck Wein, er ist angenehm warm und immer noch schmeckt er nach dir.
Männerstimme: Ich tauche ein.
Maria: Die Sonne taucht unter und du tauchst an ihrer Stelle auf.
Männerstimme: Es ist schön hier im Wasser.
Maria: Ich versuche dein Gesicht zu erkennen, aber das Licht hinter dir lässt mich deine Gesichtszüge nur erahnen.
Männerstimme: Komm.
Maria: (sie steht auf) Ich stehe auf. (kurze Pause) Es ist kühler, wenn man sich in den Wind stellt. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper.
Männerstimme: Was ist los mit dir, du bist heute so anders.
Maria: Das letzte Tageslicht strömt mit dem Wind über meine Haut. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. (Pause) Kannst du den Abendstern sehen?
Männerstimme: Er steht direkt über dir.
Maria: Es ist gut hier.
Männerstimme: Ich wünschte mich näher bei dir - komisch was?
Maria: Ich gehe ins Wasser. Dir nach. (kurze Pause) Das Wasser ist kalt. (kurze Pause) Ich bücke mich und wasche mir meine Hände.
Männerstimme: Komm zu mir.
Maria: Ich mach einen Schritt und bleib stehen. (Pause) Kleine Wellen ziehen mir den Sand unter den Füßen weg. Das kitzelt ein wenig.
Männerstimme: Komm.
Maria: Das Wasser umspült kühl meine Waden, ich gehe weiter, das Wasser erreicht meine Scham, ich gehe weiter, das Wasser umspielt kalt meinen Po. (kurze Pause) Ich möchte zurück.
Männerstimme: Bleib! Das Wasser ist warm. Du musst dich nur trauen.
Maria: Irgendwie schäme ich mich.
Männerstimme: Es kann uns niemand sehen.
Maria: Wo bist du?
Männerstimme: Ich tauche neben dir auf. Ich nehme dich an der Hand.
Maria: Deine Hand ist nass, aber die Haut ist so zart, viel zarter...
Männerstimme: Auf drei wollen wir springen. Hand in Hand.
Maria: Mein Zeigefinger streichelt zögerlich über deine Finger, ich erschrecke über mich selbst.
Männerstimme: Eins. Irgendwas passiert da gerade mit uns.
Maria: Ich wage dich nicht anzusehen, blicke geradeaus gegen den Himmel, dessen rot sich in einem dunklen Blau verliert.
Männerstimme: Zwei. So oft haben wir nur miteinander gesprochen und jetzt.
Maria: Alles ist plötzlich so fern, so weit weg. Nur du bist da.
Männerstimme: Drei. Gemeinsam springen wir los, hinein in die Fluten.
Maria: Mit geschlossenen Augen tauche ich durch das salzige Nass. Auf jeden Millimeter meiner Haut spür ich das Wasser. (kurze Pause) Ich halte immer noch deine Hand. Ich drücke sie. (Pause) Kurz berühren sich unsere Füße.
Männerstimme: Wir tauchen auf, atemlos, in der Dämmerung sehe ich dein Gesicht ganz nahe vor dem meinen.
Maria: Ich kann kaum mehr stehen.
Männerstimme: Halt dich fest. Ich bin ein wenig größer als du.
Maria: Ich lege meine Hände auf deine Schultern.
Männerstimme: Meine Hände bahnen sich ihren Weg durch das Wasser und legen sich auf deine Hüften. Ich ziehe dich an mich heran.
Maria: Dein Atem verfängt sich in den Wassertropfen auf meiner Haut. (kurze Pause) Rund um uns scheint die Welt in die Tiefe zu stürzen, nur wir beide stehen da. Wie ein Turm aus Weichheit und Wärme ragen wir aus einer in alle Tiefen stürzenden Dunkelheit.
Männerstimme: Ich küsse dich auf den Mund. (Pause)
Maria: Ich hab es getan.
Männerstimme: Wir tun es gerade. Meine Zungespitze gleitet an deiner Oberlippe entlang.
Maria: Ich habe sie alle getötet.
Männerstimme: Wovon redest du?
Maria: Es hat gut getan. Im Moment. Peng. Peng. Peng.
Männerstimme: Willst du heute so sein wie Thelma und Louise?
Maria : Heute?! (lacht auf) Ich bin es. Maria auf dem Leichenhaufen! Ich höre die Polizeisirenen näher kommen, und ich halte mich fest an dir.
Männerstimme: Ich werde dich beschützen, mon aimé.
Maria: Du kannst mich nicht beschützen. Niemand kann mich mehr beschützen.
Männerstimme: Du bist bei mir.
Maria: Stört es dich nicht, dass ich eine Mörderin bin?
Männerstimme: Nein. Gib mir die Waffe, und ich erschieße auch noch ein paar. Sie haben es alle verdient.
Maria: Es hat keinen Sinn. Sie können nicht sterben. Kaum liegen ihre Leiber am Boden, begegnet man ihrem Wesen in anderen Menschen. Immer mächtiger werden sie, und immer schwächer wird man nur selbst.
Männerstimme: Sie haben keine Chance gegen uns, mon aimé, sie haben keine Chance gegen die Liebe.
Maria: Liebe! (sie lacht und hebt die Pistole auf) Das Wasser rinnt von mir ab und verliert sich im Schwarz der Wellen.
Männerstimme: (seine Stimme beginnt in den Wellen zu ersticken) Bleib da, mon aimé, bleib bei mir! Ich möchte nicht sein ohne dich. Ich wollte nur spielen mit dir, aber jetzt-. Baise moi, mon aimé. Kämpfen wir nicht an gegen unser Verlangen, sondern kämpfen wir gegen all die, die diesem Verlangen im Wege stehen, kämpfen wir gegen all die Lügen, mon aimé. Es ist so verrückt das alles, so verrückt, weil ich wollte doch nur-. Und jetzt?! (Pause) Ich bin ein-
Funk: (das Funkgeräusch lässt sofort das Rauschen der Wellen und auch die Männerstimme verstummen) Zentrale an alle Einsatzkräfte. Der Verdächtige
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