#1

In meinem Dorf

in Düsteres und Trübsinniges 09.12.2007 09:36
von viktor (gelöscht)
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In meinem Dorf

In meinem Dorf, da steht ein Haus,
da kotzt die Welt sich selber aus...
Da schmeckt der Wein nach Galle.
Da führen alle Wege gleich
ob links, ob rechts in´s Höllenreich,
in eine Rattenfalle...

In meinem Dorf, da fließt ein Fluss,
der fließt nur, weil er fließen muss,
dabei flöss er so gerne...
sie haben ihm sein Bett zerstört,
so fließt er nicht, wie sich´s gehört:
zum Meer in weite Ferne.

In meinem Dorf, da steht ein Baum,
dem seine Wurzeln nicht mehr traun,
drum wächst er in die Quere...
er treibt die Blätter in das Licht,
doch bis zur Sonne reicht es nicht
von wegen seiner Schwere...

In meinem Dorf, da wohnt ein Paar,
das paart sich nun schon vierzig Jahr!
- und hat noch nie gesprochen...
doch weil es sich nicht drum bemüht,
und folglich keiner wen versteht,
ist es noch nicht zerbrochen...

In meinem Dorf, da wohnt ein Hahn,
der glaubt, er wär ein stolzer Schwan,
er hält sich das halt offen...
Doch als er neulich ohne Bang
kopfüber in den Weiher sprang,
war er im Nu ersoffen...
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#2

In meinem Dorf

in Düsteres und Trübsinniges 09.12.2007 12:47
von roux (gelöscht)
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Weltschmerz pur - und zwar gut und formschön rüber gebracht, auch wenn nicht alle Reime (Baum/traun, bemüht/versteht) so richtig rein sind. Na, das Leben in deinem Dorf reimt sich halt auch nicht, hm?

Anscheinend sitzt LI fest und kommt nicht weg aus diesem Dorf (S1), die Zukunft scheint verbaut (s2), ebenso, wie das Selbstvertrauen (S3).
Gehört LI selbst zu den Schweigern in S4?
Und S5, meine Lieblingsstrophe: autsch, da hat sich aber jemand weh getan.
Dass du das alles auf diese herrlich lakonische, selbstironische Weise verdichtet hast, macht das sich selber finden zwischen den Zeilen beinahe zu einem Vergnügen. Ich hab es gern gelesen. Mir gefällt's.

LG, roux
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#3

In meinem Dorf

in Düsteres und Trübsinniges 13.12.2007 19:59
von Erebus (gelöscht)
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das fängt ja drastisch an und ich komme bei so etwas immer gut mit.

Zunächst erschien es mir, als sei das eine ganz simple Angelegenheit. Da reimt sich Haus auf aus, da kotzt die Welt, Galle und Ratten treten auf.
Ist das Dorf in S1 sozusagen im Großen und Ganzen und ohne Grund verhasst - was ebenfalls simpel ist - so werden doch in den folgenden Strophen Details angebracht.
Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Kohärenz der Berichterstattung, bereichert um ein interessantes Reim/unReim-Schema, und dem folge ich dann doch gerne.

Bis auf den Hahn - den ich als Plot empfinde - und der ist mir etwas zu dürftig. So scheiden sich dort die Geister. Denn weil er tatsächlich ersoffen ist, verbaut sich mir der Bezug zur Selbstironie.
Wäre er gerettet, wäre es beim bloßen Versuch geblieben, dann würde er auch weiterhin gut ins Dorf passen und besser in meine Vorstellungswelt.
Sprachlich habe ich nichts einzuwenden, vor allem mit dem "er hält sich das halt offen..." konntest du punkten.

LG
Ulrich
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#4

In meinem Dorf

in Düsteres und Trübsinniges 14.12.2007 10:05
von Pog Mo Thon (gelöscht)
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Hallo viktor,

ich kann mich nur anschließen, durch den ersoffenen Hahn am Ende (der tatsächlich sehr komisch ist) wird es zum Witz und der passt nicht zu den wahrlich düsteren ersten vier Strophen. Nicht falsch verstehen: Dieses Bild des lyrI, der sich selber für etwas Besseres hält, das passt außerordentlich gut und auch das lakonische Element, alles prima. Nur passt die Sprache, passt dieser Schluss sich dem nicht an. Außerdem ist er ja auch nicht ersoffen, er dichtet ja gerade für uns.

Genug gemeckert. Die vier Strophen zuvor sind klasse, die Idee, die Umsetzung, sehr gelungen! Hier sitzt der Dichter in seinem Elend, fühlt sich zu Höherem berufen und kommt doch nicht aus der Nummer heraus. Starke Bilder, die durch eine einfache, treibende Sprache noch eindringlicher geformt werden. Sehr angenehm empfinde ich, dass keine gekünstelten Metaphern oder besonders originelle Konstruktionen bemüht werden. Ich erkenne neidvoll an, dass eine gute Idee über alles geht. Diese Allegorie mit dem Dorf und dem jeweiligen Haus, Baum, Fluss ist ebenso einfach, wie überzeugend.

LG
nizza
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#5

In meinem Dorf

in Düsteres und Trübsinniges 17.12.2007 22:47
von viktor (gelöscht)
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vielen dank für eure aufmerksamen kommentare - ihr habt mich als neuling sehr nett empfangen!
da steckt natürlich viel von dem eifeldorf drin, in dem ich seit langen jahren wohne.
durch globalisierung/arbeitslosigkeit, vllt auch die medialen umbrüche der letzten jahre ist die gemeinschaft und auch die wenigen kulturellen zusammenhalte hier ziemlich zerfallen.
die letzte strophe, die ja etwas aus dem rahmen fällt und unterschiedlich bewertet wird, habe ich wohl unbewusst als "gegenpol" zu den vorstehenden geschrieben...
liebe grüße
viktor
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