#1

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 02.03.2007 15:30
von Albert Lau (gelöscht)
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Treueschuld


Das Auge wird getrübt, der Blick verschwommen,
doch du bleibst bis zum Ende Lichtgestalt.
Ich werde nun aus dieser Welt genommen,
dank dir und einer höheren Gewalt.

So friedlich ist es lange nicht gewesen.
Du brachtest meine Ruhe jetzt zurück.
Nun möge meine Seele dort genesen,
wo Wunsch und Wirklichkeit zu meinem Glück

vereint, untrennbar ineinander fließen.
Ich schulde Treue dir für diese Tat
und will auf ewig reuelos genießen,
worum ich dich in dunkler Stunde bat.
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#2

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 02.03.2007 19:42
von Erebus (gelöscht)
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Hallo Albert,

also, ich mit meinen Gehirnkrebs-Gedichten, ich bin wirklich beeindruckt.
Es ist ein Gedicht, das mir zwischen den Zeilen sehr nahe geht, wunderschön.
Formal ist es absolut sauber, da kann ich nichts mäkeln.

Wenn ich etwas schön finde, will ich's auch garnicht weiter auf Unebenheiten untersuchen. Und mir sticht nichts ins Auge,
mal abgesehen davon, das mir der wörtliche Sinn nicht erschlossen ist.

Es spricht jedoch eine solche Dankbarkeit daraus, das ich nicht den Part übernehmen will, zu hinterfragen.
Auch Treue und Schuld sind seltene Begriffe, denen Du positive Kraft verleihst.
Viel mehr kann ich dazu garnicht sagen, ausser, das ich die Rubrik merkwürdig gewählt finde.
Ein in Tiefe friedvolles und hoffnungsatmendes Gedicht.
Ich danke!

Lieber Gruß
Ulrich
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#3

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 02.03.2007 23:16
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Abend, Herr Lau!

Mir gefällt es, wobei die Sprachmelodie wesentlich dazu beiträgt.
Es ist ebenso das Thema, das berührt.

Auch wenn mir etwas gefällt, und speziell dann, zeige ich Stellen auf,
wo ich hauchfein darüber nachdenke.

Im gedanklichen Nachvollziehen entsteht in mir ein ähnliches Bild
wie Romeo und Julia.

Die erste Stelle, die ich dem Sinne nach gerne besser erfassen wollte,
ist V1,Z4 dieses 'dank dir'. Kann es mir aber diffus erklären.

Der Übergang von Vers 2 zu 3 entspricht nicht ganz meinem Empfinden,
das gewohnterweise auch einen Abschluß mit V2/4 erwartet und keine Fortfürung des Satzes im nächsten Vers.

Vers 2/4: wo Wunsch und Wirklichkeit zu meinem Glück
Vers 3/1: vereint, untrennbar ineinander fließen.

Das erachtet ich nicht als ideal.

Wahrscheinlich hätte ich V3 durch eine geringfügig Änderung abgeschlossen:
'wo Wunsch wird Wirklichkeit zu meinem Glück.'

und V 4 begonnen: 'Vereint, untrennbar ineinander fließen;
ich schulde ...
.'

Mit Gruß
Joame




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#4

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 03.03.2007 10:23
von Erebus (gelöscht)
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Ich möchte mich nochmal äußern.
Was mir an Deinem Text so gefällt, ist, dass der Anlaß, zu dem das LyrIch seinen Dank äußert,
sogar eine Treuschuld für sich definiert, nicht genannt wird, nicht genannt zu werden braucht.

Für mich steht dabei nicht die Treueschuld im Vordergrund, wie der Titel scheinbar fordert, sondern Dankbarkeit.
Dankbarkeit in einer Wesenhaftigkeit, die keine Erklärung benötigt. Sie ist da und sucht sich einen Weg zur Wirksamkeit, frag mich nicht warum.
Dankbarkeit, nicht anders umschreibbar: als Entität, (Obwohl ich das Wort nicht ideal finde:) universell.

Sie klingt aus allen drei Strophen in einer Reinheit heraus, die mich beben läßt.
Dies bei einem Text, der bis auf S1Z1 keinerlei Bilder benötigt und sich eigentlich einer abstrakten, in dieser Art gewohnten - auf jeden Fall nicht unüblichen- Begrifflichkeit bedient.
Zumeist wiederfährt mir bei solcherart Gedichten: garnichts, ich komme nicht hinter das Gewebe.
Hier jedoch spricht es mich direkt und unvermittelt an.

Nein, ich habe nichts daran auszusetzen und bin in sofern eine Einttäuschung, aber beeindruckt

Ulrich
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#5

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 03.03.2007 12:25
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
hallo Albert

mir schwebte dabei eine cineastische Szene vor Augen: Clint Eastwood und Hilary Swank, die er mit einer Überdosis Adrenalin verabschiedet (in "Million Dollar Baby"). demnach würde ich Treueschuld mit Sterbehilfe assozieren; allerdings würden dann die letzten drei Verse (ich schulde Treue dir für diese Tat...) entweder eine zusätzliche überflüssige, ja fast störende, religiöse Dimension miteinbringen - oder über alle drei Strophen hinweg geschieht in Wechselwirkung ein wiederholter emphatischer Transfer zwischen lyr.Ich und lyr.Du, eingeleitet durch die offengelassene erste Zeile, wo ja keine Zuordnungen für Auge und Blick stattfinden (wie anders würde es sich lesen, hieße es da "Dein/Mein Auge wird getrübt, mein/dein Blick verschwommen"!) es scheint mir also eher ein geschickt angestoßenes Vexierbild, das vor meinem geistigen Auge hin und her schwenkt im Verlauf der Lesart und gefällt mir sehr.

momentan tendiere ich deshalb zur zweiten Auslegung und attestiere Lesegenuss der gehobenen Sorte.

Gruß
Alcedo

e-Gut
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#6

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 03.03.2007 12:52
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
hi Al,
hier scheint ja schon viel gesagt und der allgemeinen Lobhudelei will ich mich, obwohl Kurzkommentverbot, gerne anschliessen. Trotz dieser Gefahr will ich zum Inhalt, zu Stellung des lyrI und des lyr.D. noch etwas loswerden. Mir kommt es so vor als nehmen zwei Samurai voneinander Abschied. Samurai lebten in einem besonderen Treueverhältnis zu ihrem Lehrer. (Wakashudo) Das lyr.I hat seinen Kameraden um ein Treuebekenntnis gebeten, ihm beim rituellen Selbstmord zu assistieren. Für die Samurai der grösste Treuebeweis und diese Schuld ist dann im Leben des Protagonisten nicht mehr zu tilgen.
Gern gelesen,
Gruss
Knud
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#7

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 05.03.2007 16:01
von Krabü2 (gelöscht)
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Hi Albert,
.... und will auf ewig reuelos genießen, worum ich Dich...bat?
Hmm. Also auch im Jenseits? - oder schreibst Du gar nicht vom Tod, sondern mehr von einem Medikament als 'Du' oder einem Trip oder einer anderen Art Droge? Lichtgestalt? Hmm.
Werd' ich nicht schlau draus. Reuelos genießen... das Töten bzw. Getötetwerden? Neeee - oder? Äußre Dich doch mal....
Gruß
U.
Die Edith fragt: Was hat denn das mit der Treueschuld auf sich? Ist es so, wie Erebus schreibt? Oder ist die Treue Sucht vielleicht? Ööööh - nix versteh'n...
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#8

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 06.03.2007 20:33
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Alcedo schrieb, das ihn das Gedicht, an das Thema Sterbehilfe erinnere bzw. gemahne. Allerdings, wie wiederum Alcedo selber schrieb, sind dann die letzten Verse verdächtig nahe, nicht nur einer Verkitschung des vermeintlichen Heilsbringers, sondern auch der Apotheose des LDs. Diese Heiligsprechung wird schon in S1Z2 apodiktisch außer Frage gestellt: LD gleich Lichtgestalt. Furchtbar in meinen Augen.

Wenn das LI durch die Tat des LDs stirbt, dann sei der Leser gewarnt vor dem was er vom LI nach dessem Ableben noch hört. Gerade dann, wenn dem LI die Augen schon glasig, und trüb sind. Wer spricht dann hier? Doch wohl einer nur: das LD- und das ist der Giftmischer zum letzten von ihm vermuteten Glück des LI. Ein Vexierspiel kann ich nicht erkennen - was nichts heißen will.

Ich lese es als Greueltat, verbrämt als Propaganda eines schönen Todes, als eines Todes, der Erlösung und Befreiung ist.

Und dann kommt Knud und spricht von Samurai und Ehre. Das ist für mich faszinierend. In dem Kontext, diesem für mich kaum begreifbaren fernöstlichen Codex, liest es sich für mich als Ehrensache zwischen zwei Kriegern. Doch stört mich bei dieser Lesart, der unterwürfige Charakter des Lis. Es sind zwei! Krieger. D.h. bei dieser - mich sehr ansprechenden Lesart - fehlt mir ein Hinweis, daß das LI in gleicher Situation genauso gehandelt hätte. Das les ich aber nicht heraus und bleibe verstimmt wie ein Frosch aufeinem Blütenblatt an dem keine Insekten zum satt werden vorbeifliegen.
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#9

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 09.03.2007 10:10
von Krabü2 (gelöscht)
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.... und ich dachte, es sei Werbung für Klosterfrau-Melissengeist :-))
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#10

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 15.03.2007 19:08
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
ja... was sag ich, irgendwo bleibt man eben doch hängen...auch hier: Vielleicht sag ich mal irgendwann weshalb und hole es wieder herauf. Wahrscheinlich wird es sowieso gewählt.

DY
R.

And therefore, since I cannot prove a lover,
To entertain these fair well-spoken days,
I am determined to prove a villain
And hate the idle pleasures of these days.
(William Shakespeare, King Richard III)
Www.kings-heritage.blogspot.com
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#11

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 16.03.2007 07:51
von Albert Lau (gelöscht)
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Jetzt sehe ich erst, dass dieses Gedicht nominiert wurde und das möchte ich dann doch bitte nicht.

Auch wenn ich die Samurai-Interpretation als ebenso interessant, wie schmeichelhaft empfinde, so kann ich sie für mich nicht in Anspruch nehmen. Alcedo trifft da eher den Kern meiner Intention und Brot schlägt den Nagel ein, wo es weh tut.

Denn auch dieses Gedicht sollte eher als Frage verstanden werden, ob es sich da wirklich um eine Lichtgestalt handelt und wer uns das mitteilt. In welchem Licht dieser Erlöser erscheint, liegt durchaus im Auge des Betrachters. Und so wie Eastwood Swank erlöst, so mag es angehen und entschuldbar sein, das vermag ich als Nichtbetroffener nicht zu beurteilen. Wer solches tut, stellt sich unweigerlich in ein Licht, welches nur schwerlich zu ertragen ist. Denn allzu natürlich verdrücken wir mit Clint eine Träne und freuen uns, dass die liebe Hilary nun nicht mehr leiden muss. Tat er es nicht eindeutig auf ihren Wunsch und war der nicht nachvollziehbar? Na klar. Ja, wirklich? Ist das so klar? Ich bin mir nicht so sicher. Ich vermute, ich müsste mir eine solche Tat mit einem solchen Gedicht verbrämen, um mit ihr klar zu kommen. Und wie anmaßend ist es, als Tötender ein Dankesgedicht aus der Sicht des Getöteten zu schreiben. Dabei wird mir echt der Blick trüb.

Ich danke den wohlwollenden Kommentatoren. Das Gedicht selbst geht aber fehl, da es entweder missverstanden oder missverstanden wird, weil es leider missverständlich ist.

Digitale Grüße
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#12

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 16.03.2007 10:31
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Albert,

ich habe jetzt die vorgehenden Kommentare nicht studiert, muss ich gestehen, aber auf mich wirkt es auf den ersten Blick nicht ganz so missverständlich. Hier ein Versuch der Deutung.
Das Gedicht klingt für mich im allerersten Moment nach einem Plädoyer für Euthanasie. Das lyr. Ich, im Folgenden einfach ICH genannt, scheidet aus dieser Welt in eine bessere in der Wunsch und Wirklichkeit vereint werden. Da diese beiden in der alten Welt offenbar getrennt waren, bat ICH den oder die DU gemeinsam mit einer höheren Gewalt es in diese aus seiner Sicht erstrebenswertere Welt zu befördern.
Die höhere Gewalt könnte beispielsweise eine Krankheit sein, die sowohl Entscheidungshilfe für diesen Schritt gewesen sein kann. Die Vereinigung von Wunsch und Wirklichkeit ist kurz gesagt die Erfüllung des Wunsches.
Ich spricht aus dem Jenseits. Die Beförderung ins Jenseits scheint nciht durch direkte Einwirkung DUs zu erfolgen wie einen kräftigen Schlag auf den Kopf oder so, da ICH dank DUs aus der Welt genommen wird und nicht durch DU.

ICH bereut, nun auf der anderen Seite des Todeszeitpunkts, nichts und "steht sozusagen voll hinter der Entscheidung", ist noch voll im Gefühl des Erlöstseins. Neue Hoffnung erfüllt es. Vor ihm liegt die Ewigkeit, das ewige Leben. Also befindet das Ich sich möglicherweise in einem christilichen Jenseits und nicht etwa in einem hinduistischen, wo es damit rechnen muss, dass dieser wohlverdiente Ruhestand jä durch die nächste anstehende Wiedergeburt beendet wird.

Aber nun zum eigentlich interessanten Punkt, der Treueschuld. Interessant deshalb, weil ich erstmal denken würde, dass es für ICH ganz schön schwierig sein dürfte, aus dem Jenseits DU die Treue zu halten, es sei denn ICH beschießt zurückzukehren und DU als Geist zu tyrannisieren, indem es nicht von dessen Seite weicht, oder am Ende des leuchtenden Tunnels kommen ihm schon die schönen, leichtbekleideten Jungfrauen mit wehenden Haaren entgegengelaufen, was wiederum gegen die christiliche Variante spräche.
In den letzten beiden Versen erscheint jedoch eine weitere Möglichkeit. ICH hält DU die Treue, indem es diesen Schritt ins Jenseits niemals bereuen wird. Das ist einleuchtend und eine schöne Botschaft an DU, das wie jeder Mensch gewiss von dem einen oder anderen Zweifel erfüllt, Probleme haben könnte, mit dieser Tat seinen Frieden zu machen. Wollen wir hoffen, dass diese Botschaft das DU erreicht. So, auf die Gefahr hin mich mit dieser Deutung in die Nesseln gesetzt zu haben, das ist sie.

Ob das Gedicht mir gefällt oder nicht, kann ich gar nicht sagen. Erfreulicherweise enthält es nichts, was mich störte und es ist trotz der dunklen Stunde so schön versöhnlich mit dem Schicksal. Der Kick der besonderen Rafinesse oder emotionalen Berührung trifft mich jedoch nicht.

Viele Grüße,
GW


_____________________________________
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#13

Treueschuld

in Düsteres und Trübsinniges 16.03.2007 11:41
von Albert Lau (gelöscht)
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Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und die vollkommen korrekte Ausdeutung der geschriebenen Worte. Genau so möchte das DU das vemutlich haben: Das ICH wird durch das DU erlöst, wechselt tatsächlich in eine andere, eine bessere Welt hinüber, bereut nichts (im Gegenteil) und dankt dem DU in alle Ewigkeit, bleibt für immer in der (Dankbarkeis-)Schuld des DU.

Für mich ist das ein Ablasszettel, Hier spricht ein sterbendes ICH, während das tötende DU zuschaut. Und beide erlösen sich gegenseitig, den einen vom Leiden, den anderen von der Verantwortung. Von dem Leid hören wir allerdings gar nichts und Verantwortung wird in „Gewalt“ und „Tat“ nur gestreift. Schuld kommt nur beim Sterbenden auf, der schuldet Dankbarkeit und Treue, denn hat doch selbst in dunkler Stunde um die Tötung gebeten.

Das behauptet Armin Meiwes auch. Und das kann ich mir auch gut vorstellen.
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