#1

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 01.09.2006 00:04
von Roderich (gelöscht)
avatar
Kleinigkeiten


Ich weiß nicht, wie lange ich sie angestarrt hatte, ehe ich mir ein Herz fasste, mich von meinen Freunden mit einem Nicken verabschiedete und zu ihr ging. „Lust zu tanzen?“ war die wohl blödsinnigste Frage, die ich angesichts ihrer bereits mehrstündigen, fröhlichen Tanzeinlage an jenem Abend stellen konnte. Doch sie nickte bloß, nahm mich bei der Hand und zerrte mich zur Mitte der Tanzfläche.

Anfangs noch sehr unbeholfen, kam ich langsam in Fahrt, passte mich ihren Bewegungen an, berührte sie hin und wieder. Nach dem dritten Tanz dann ein ruhiger Song, genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich legte meinen Arm vorsichtig auf ihre Schulter.
„Wie heißt du eigentlich?“
„Laura. Und du?“
„Bernhard. Aber alle nennen mich Dalli.“
„Klingt witzig. Woher kommt das?“
„Von meinem Nachnamen. Dallinger. So heiße ich schon seit der Unterstufe. Keine Ahnung, wer mir das damals angehängt hat.“
Schweigend drehten wir ein paar Runden, sie sehr anschmiegsam und geschmeidig, ich darauf bedacht, mit meinen klobigen Bewegungen niemanden zu verletzen.
„Du tanzt gut, Laura.“ Den Namen ganz bewusst genannt, ihr dabei in die Augen gesehen.
„Du bist aber auch nicht schlecht.“
„Ja, meine heutige Opferbilanz ist ganz okay, da habe ich schon schlimmere Auftritte gehabt.“
Sie lachte und dann tanzten wir schweigend weiter.
Nach diesem Tanz machten wir eine Pause. Ich lud sie auf einen Drink ein, selbst bestellte ich als gewissenhafter Autofahrer nur einen Apfelsaft. Wir tranken und unterhielten uns und lachten – alles war so einfach. Laura war unkompliziert und charmant und augenscheinlich genau so interessiert an mir wie ich an ihr. In Nächten wie diesen geht alles scheinbar wie von selbst, eines führt zum anderen, ohne dass man das Gefühl hätte, bewusst zu handeln – man wird zu einem Spielball fremder Mächte und doch fühlt es sich gut an. Und irgendwann sagte Laura: „Dalli, ich möchte nach Hause. Kannst du mich fahren?“
Selbstverständlich konnte ich.

Auf dem Heimweg dann ihre Hand auf meinem Knie, regungslos als gehörte sie dorthin, als wäre sie ein Teil von mir. Wir schwiegen, lauschten unserem Atem. Ich kannte die Ortschaft, in der sie wohnte und so musste sie mir den Weg nicht ansagen. Irgendwann, irgendwo zwischen einsamen Feldern und schwarzen Baumgruppen, brach sie das Schweigen. „Ich finde, das war ein sehr schöner Abend.“
„Der beste seit einer Ewigkeit.“
„Meinst du, wir kriegen das noch mal hin?“
„Morgen?“
„Unbedingt!“ Sie lächelte.
Dann dachte sie nach. „Schon seltsam, wie sehr Kleinigkeiten unser Leben beeinflussen.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich und blickte sie neugierig an.
„Ich wollte eigentlich gerade gehen, als du mich gefragt hast, ob ich nicht tanzen möchte. Ich war schon ein bisschen müde. Herbert, mein Cousin, der Kerl, mit dem ich vorhin hauptsächlich getanzt habe – er ist auch schon gegangen. Doch dann bist du da aufgetaucht.“
„Hätte ich also länger gewartet ...“
„… hätten wir uns nicht kennen gelernt.“
„Kleinigkeiten“, murmelte ich.

Dann tauchte ein lebloser Gegenstand im Lichtkegel meines Autos auf. Ich bremste scharf und brachte das Fahrzeug kurz davor zum Stillstand.
Ein totes Tier.
Ich schaltete die Warnblinkanlage an und stieg aus. Ein Feldhase am linken Rand der Fahrbahn, ziemlich in der Mitte der Straße. Ein Auto hatte ihn erwischt. Sein Kopf war zerquetscht, der Rest des Körpers schien unversehrt zu sein. Ich glaubte, Verwesungsgestank zu riechen.
Neben mir stand Laura und blickte starr auf den toten Hasen. Sie schluckte schwer.
„So eine Sauerei. Kein schöner Anblick“, sagte ich leise zu ihr. „Komm, steigen wir wieder ein.“
„Und der Hase?“
„Der wird schon weggeputzt werden. Von der Straßenreinigung. Oder von anderen Tieren. Sollen sich Raben oder Füchse um die Beerdigung kümmern.“
Laura sah mich unverwandt an. „Das ist falsch. Wir können ihn nicht so liegen lassen.“
Ich wollte nicht mit ihr diskutieren, es schien ihr ernst zu sein. „Scheiße.“ Ich schluckte schwer. „Okay, dann gib mir ein Taschentuch.“
Wortlos griff sie in ihre Jackentasche und holte eine Packung Taschentücher hervor.
„Na dann“, flüsterte ich und umwickelte die linke Hinterpfote des Hasen mit einem Taschentuch, um ihn damit vom Boden aufzuheben. Der blutverschmierte, deformierte Kopf blieb zunächst am Asphalt kleben, nur mühsam löste er sich. Ein leises, saugendes Geräusch. Laura wurde blass und wandte sich ab. Sie ging zum Wagen zurück.
Ich trug den Hasen weit von mir gestreckt zum Straßenrand und warf ihn in die Felder. Ein Rascheln im Mais, dann Stille. Ich ging zum Auto zurück, in dem Laura bereits angeschnallt saß, und stieg ein.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir, jeder nachdenklich und in sich gekehrt.

Ihre Wohnungstür.
Sie blickte mich geistesabwesend an, dann meinte sie: „Es war ein netter Abend, aber vielleicht sollten wir doch ein bisschen warten. Du weißt schon, ehe wir das wiederholen.“
„Du hast ja meine Nummer.“
Sie schaute mir kurz ins Gesicht, immer noch ein wenig blass, und biss sich auf die Unterlippe. „Ja. Dann gute Nacht. Komm gut nach Hause.“ Sie drehte sich um und ging in ihre Wohnung. Mein Gute-Nacht-Gruß zerschellte an der sich schließenden Tür.
Da wusste ich, dass ich sie verloren hatte. Wir sahen uns nie wieder.
Dieser verdammte Hase.

nach oben

#2

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 01.09.2006 00:26
von kein Name angegeben • ( Gast )
-----

nach oben

#3

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 01.09.2006 00:31
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo Stefan,

das mit dem Tanzen ist durchaus auf einen längeren Zeitraum bezogen, nur ist das für meine Geschichte nicht von großer Wichtigkeit, sondern skizziert lediglich kurz die Ausgangsbasis.

Woran es lag? Weniger an der Art, den Hasen zu entsorgen (wie entsorgt man sonst ein totes Vieh, das noch dazu am Asphalt klebt?), sondern am Hasen an sich. In dieser speziellen Stimmung, in der sich ein erstes Zusammenfinden aufbaut, sehr zerbrechlich, sehr vage ist so ein zermantschter Hase nicht das, was man braucht. Der versaut einem jegliche romantische Stimmung. Wenn man gerade dabei ist, romantische Gefühle zu entwickeln, möchte man nicht wirklich an den Tod erinnert werden. So sehe ich das jedenfalls.

Wollte hier nur zeigen, dass es oft an Kleinigkeiten liegt, in welche Richtung sich unser Leben bewegt. Ich frage mich, wie viele Schlachten schon eine entscheidende Wendung genommen haben, nur weil der Trompeter einen Husten hatte ...

Viele (und ebenso müde) Grüße

Thomas

nach oben

#4

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 01.09.2006 08:37
von kein Name angegeben • ( Gast )
-----

nach oben

#5

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 02.09.2006 20:18
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Hoi Rod

Geschrieben wieder 1A, wie erwartet. Du solltest weniger Zeit mit Gedichten verschwenden, sondern eher auf dieser Schine bleiben. Sehr gut gefällt mir deine Wortwahl, die sehr ungekünstelt und kaum konstruiert wirkt. Ach was rede ich: Gar nicht konstruiert.
Aber so wie es BS sieht gebe ich ihm REcht. Solche Dinge, festigen doch eher ein erstes Date. Ich denke auch, sofern dein Pro. den Hasen nicht mit einem Fußtritt in den Graben befördert, er mit der Entsorgungsaktion sogar noch einen dicken Pluspunkt bekommen würde.
Aber wir beide wissen, was es mit den HAsen manchmal auf sich hat, nicht?

LG Gem


nach oben

#6

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 02.09.2006 23:50
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Lieber Thomas!

Die Idee war da, Du wußtest, was Du schreiben willst und wohin der Ausgang der Erzählung führen sollte.
Der Aussage kann ich nur sehr zustimmen, es sind oft so winzige Umstände, die auf weiter Abläufe entscheidenden Einfluß ausüben.

Erzählt hast Du ganz gut, jedenfalls macht es keinen langweiligen Eindruck.
Es sind viele Kleinigkeiten, nicht nur jene, die Einfluß auf ein weiteres Geschehen bewirken, sondern auch bei Erzählungen. - Es gäbe noch Möglichkeiten zu feilen.

Da ich ja viel strenger bin als Gemini, so gibt es bei mir kein 1A als Bewertung, aber ein schönes Befriedigend!
Oft erfrischend, wenn keine hingeklatschte Routine erkennbar ist;
einige Routine wird noch benötigt und die stellt sich bald ein, wenn Du hoffentlich noch mehr schreibst.

Es sind ganz kleine Stellen, die etwas steif wirken, zu wenig flüssig und trocken.
Verursacht werden diese zum Teil durch Satzanfänge; auch beginnen zu viele davon mit Pronomen.

Ich habe es gerne gelesen, bin auch interessiert, die weitere Entwicklung Deines Stiles verfolgen zu können, somit zu sehen, wie sich ein neuer 'Allan-Ernest' entwickelt.

Lieben Gruß!
Joame

nach oben

#7

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2006 10:26
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Rodie

Durch die vielen Dialoge ist es eine sehr lebendige Geschichte geworden. Du solltest aber aufpassen, dass Du nicht in Geschwafel verfällst. Es braucht nämlich gar nicht so viel direkte Rede, der Protagonist kann durchaus noch mehr denken und erzählen. Einfach eine gute Mischung zwischen diesen beiden Formen finden.

Das Bemühen des Protagonisten witzig zu sein, gefällt mir. Es wirkt so, so, süüss....

Die Reaktion der Frau kann ich aber , ehrlich gesagt, auch nicht so recht nachvollziehen. Mir persönlich würde ein Fahrer, der so etwas tut, eher imponieren. Die meisten fahren doch nur vorbei bzw. fahren noch drüber, damit es so schön knirscht. ÖRKS! Alles schon gesehen und erlebt.

Vielleicht überdenkst Du Dir daher die Pointe nochmals. Es kann sich nämlich wirklich um eine Kleinigkeit handeln, die den Beiden die Zukunft vermasselt. ZmB. Dass auf dem Heimweg keine Sternschnuppe fällt, die sie als Vorzeichen wollte .... dass er zum Fenster rausspukt und die Spucke ihm unbemerkt am Kragen haften bleibt .... dass er die falsche Kassette einlegt, mit Musik, die sie hasst .... etc. Eben wirklich Kleinigkeiten, denn tote Tiere sind, m.E. keine Kleinigkeiten.

Diese zermatschten Hasen liest man jetzt überall. Selbst Grünbein kommt nicht an plattgefahrenen Tieren vorbei .... scheint grad Saison dafür zu sein.

Gruss
Margot

nach oben

#8

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2006 11:12
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Zitat:

.... dass er zum Fenster rausspukt und die Spucke ihm unbemerkt am Kragen haften bleibt ....


Soll ich glauben, es handelt sich um einen ernstgemeinten Vorschlag? Vielleicht, um etwas Lustigeres hineinzubringen. Wie wäre es da mit Darmrumoren und einem klemmenden Hosenbund - oder die Spucke nicht an seinem Hemdkragen, einfach seiner Mitfahrerin voll ins Auge?

Bestimmt einiges gut gemeint, um Vorschläge Richtung Spaß zu unterbreiten; es ist ja leider keine Torte bei der Hand, die während der Fahrt geworfen werden könnte.

Unzählige Möglichkeiten bieten sich dem Schreiber an, dem es, so nehme ich an, hauptsächlich darum ging, Folgen von Kleinigkeiten zu beschreiben.

Gruß
Joame

nach oben

#9

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2006 11:51
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo Leute,

vielen Dank für eure hilfreichen Kommentare und Anregungen, die ich gerne aufgegriffen habe. Habe vor allem darüber nachgedacht, dass eine freiwillige Hasen-Entsorgungsaktion, so unschön das Ganze auch ist, vermutlich wirklich bei den wenigsten Damen - außer, sie sind extrem zartbesaitet - eine derart endgültige Abfuhr bewirken könnte. Insofern habe ich mich noch mal drangesetzt und versucht, das Ganze ein wenig zu verschärfen. Ich hoffe, man kann die Reaktion der holden Dame nun ein wenig besser nachvollziehen. Auch habe ich noch ein wenig an den Dialogen gefeilt, die waren in der ersten Fassung ein wenig zu gekünstelt.

@ Gem: Ooch - lass mir doch die Gedichte, wenn ich doch so gerne damit spiele.

Aber natürlich werde ich die Prosa weiterhin forcieren, ist ja irgendwie mein Heimatboden.

Was den Hasen betrifft, so geht der Dank für die Inspiration an dich - ganz klar. Erst wollte ich ein Rehkitz auf der Straße liegen lassen, aber dein Wichser-Gedicht hat daraus dann einen Hasen werden lassen.

@ Joame: Auch dir vielen Dank für die kritische Auseinandersetzung mit dem Text. Was die Pronomen am Satzanfang betrifft, so hast du sicherlich Recht, allerdings ist das nun mal meine Art zu schreiben. Werde aber in Zukunft versuchen, etwas mehr darauf zu achten.

Ob's allerdings für einen Allan-Ernest reicht, wage ich zu bezweifeln. Mir reicht's schon, wenn man mal sagen kann, ja, das ist unverkennbar ein guter Rodi.

@ Margot: Tja, die Sache mit dem Schwafeln. Da muss ich echt aufpassen - danke für den Hinweis. In diesem Fall hoffe ich, die Kurve noch einmal gekratzt zu haben, v.a. da die neue Version um ein paar Zeilen länger ist und ich versucht habe, zwischen einigenDialogzeilen ein paar Momente zum Atemholen einzubauen.

Was deine Vorschläge betrifft, so sind sie zwar allesamt recht witzig, aber treffen meine Intention nicht so ganz. Habe mich also weiterhin an den Hasen gehalten, aber dem Ganzen eben ein bisschen eine andere Richtung gegeben, indem ich den Protagonisten etwas weniger bereitwillig gemacht habe.

Natürlich bleibt die Frage offen, ob tote Hasen nun Kleinigkeiten sind oder nicht. Ich würde mal sagen, dass es der tote Hase an sich nicht ist, aber dass der Protagonist ausgerechnet in dieser Nacht, in der sich romantische Gefühle anbahnen, darüber stolpert, ist so eine Kleinigkeit.

Von der Hasensaison habe ich übrigens nichts gewusst. Aber dass tote Tiere nicht unbedingt was Neues in der Literatur sind, ist mir schon klar.

So, und jetzt stelle ich mal schnell die neue Version ein. Würde mich über Rückmeldungen freuen.

Viele Grüße

Thomas


nach oben

#10

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2006 18:33
von sEweil (gelöscht)
avatar
Hallo lieber Roderich.

Mehrmals gelesen und muss sagen, dass du es sehr gut beschrieben hast, meine Hochachtung dem Salzburger.
Was gibts es noch hinzuzufügen? Nichts? Gut, dann lass ichs als Lobkritik stehen.


Lg Thomas

nach oben

#11

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2006 23:55
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo sEweil,

vielen Dank für deine Lobkritik, die mich sehr gefreut hat.

Viele Grüße

Thomas

nach oben

#12

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2006 09:16
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Konsequenterweise hätte ich es Kleinigkeiten genannt. Mein erstes Fazit war : sauber. Kurzgeschichten schreiben kannst Du. Aber es fehlt mir an dramatischer Zuspitzung vor dem Wendepunkt. Da ist Dalli so nett und entsorgt den ganzen Hasen, tut was ihm befohlen und zum Dank sieht Sie ihn nie wieder? Da gebe ich Margot recht: ein versehentliches rüberollern über einen toten oder lebendigen Hasen hätte in meinen Augen die Reaktion Lauras plausibler machen können. Ohne dass Du die Entsorgungsszene hättest streichen müssen. Ich glaube, dass die Entsorgungsszene noch besser, viel besser kommen würde, wenn der liebe Dalli der Hasenmörder wär.

Lag da nicht auch schon Betthasens Hand auf Dallis Knie? Perfekte Ablenkung um ein Tier zu überfahren. Dann wär mir auch der Titel näher: Der Hase oder der tote Hase – je nachdem im welchem Zustand Dalli ihn überführe.

Mit Deinem Stil bin ich sehr gut klar gekommen. Zumeist klar und präzise. Nur ein Satz fiel mir auf: „Mein Gute-Nacht-Gruß zerschellte an der sich schließenden Tür.“ Ist mir etwas zuviel. Beide Personen sind m.E. sehr verhalten, sehr still. Abweisungen passieren dort ohne große Worte und Geräusche. Da zerschellt nix. Da wird die Tür grußlos geschlossen. Tun wir hier aber nicht.

Gruß Brotnic2um

nach oben

#13

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2006 09:22
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo Brotnic2um,

vielen herzlichen Dank für deine ausführliche und hilfreiche Kritik.

Du hast Recht - wenn der Protagonist den Hasen selbst plattmachen würde, wäre die Sache noch plausibler. Langsam nähere ich mich meinem Ziel dank eurer Hilfe, wie es aussieht. Werde mir das jedenfalls noch mal durch den Kopf gehen lassen und ev. umschreiben. Eine ziemlich schwere Geburt, diese Geschichte.

Der von dir angesprochene Satz ist übrigens bei der Überarbeitung eingefügt worden. Auch da muss ich dir nach einmal drüberschlafen Recht geben - das ist zu viel. Da habe ich wieder mal versucht, "literarisch" zu werden und bin daran kläglich gescheitert. Ich sollte echt die Finger von solchen Experimenten lassen.

Also, dann noch mal zurück in die Werkstatt damit. Aber es wird ... es wird ...

Viele Grüße

Thomas

nach oben

#14

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2006 10:56
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hi Rod!

In die Werkstatt muss es nicht mehr, die TÜV-Abnahme reicht. Das mehr oder weniger einhellige Lob trifft hier zu, das kann man gut lesen und ist auch am Ende nicht enttäuscht. Alles passt und es sind wirklich nur Kleinigkeiten, die stören.

Ich bin übrigens nicht der Ansicht, dass der Fahrer unbedingt den Hasen überrollen muss, das reicht auch so. Denn gerade durch die eigentlich überflüssige Vollbremsung verschafft er seiner Eroberung den zweifelhaften Genuss der Kadaverbeschau und der reichte ihr, um die Stimmung zu versauen und den Abend dann doch aus ihrem Gedächtnis zu streichen, weil der arme Dalli eben auf ewig mit dem Anblick dieses "zermantschten" Hasen in Verbindung gebracht wird. Sein anfängliches Zögern, den Kadaver zu entsorgen und seine anhaltend bemühte Witzigkeit tun ein Übriges.

Außerdem finde ich es gerade gut, dass er, der mit dem toten Hasen gar nichts zu tun hat, die Zeche dafür zahlt. Bad luck bzw. blöder Zufall. Damit habe ich meine zwei Zwetschgen benannt: “Zermantscht” gibt es nicht. „Manschen“, das tun Kinder gern und es bedeutet so etwas wie Sand und Wasser mischen, auf dass „Matsch“ entstehe. „Zermatschte“ Köpfe würde ich mir also noch gefallen lassen, auch wenn ich auch das nicht für literarisch hielte.

Tja, und die „Kleinigkeiten“. Wenn auch im Text, in der Unterhaltung ganz okay, empfinde ich es am Schluss zu plakativ und auch unpassend. Es ist für Dalli ja keine Kleinigkeit mehr. Die Verdammung des Hasen reicht. Dieses „Kleinigkeiten“ plätschert etwas armselig nach.

Gern gelesen.
Mattes

nach oben

#15

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 06.09.2006 16:01
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo Mattes,

vielen Dank für konstruktive Kritik und Lob! Habe jetzt ein paar Tage Abstand von dem Text genommen und finde auch, dass der Protagonist nicht unbedingt der Hasenmörder sein muss.

Bezüglich des "zermantscht" - da wurde wieder mal mein Österreicherisch entlarvt. Wird natürlich korrigiert.

Und auch die "Kleinigkeiten" am Schluss werde ich rausstreichen. Dafür als Titel wieder einstellen. Dadurch sollte es insgesamt ein wenig runder werden.

Noch mal vielen Dank an alle für eure Hilfe und Kommentare. War ein langer Weg, den wir da gemeinsam gegangen sind.

Viele Grüße

Thomas

nach oben

#16

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 10.09.2006 11:18
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat:

Roderich schrieb am 01.09.2006 00:04 Uhr:
Kleinigkeiten

(...) Der blutverschmierte, deformierte Kopf blieb zunächst am Asphalt kleben, nur mühsam löste er sich. Ein leises, saugendes Geräusch. Laura wurde blass und wandte sich ab. Sie ging zum Wagen zurück.
Ich trug den Hasen weit von mir gestreckt zum Straßenrand und warf ihn in die Felder. Ein Rascheln im Mais, dann Stille. Ich ging zum Auto zurück, in dem Laura bereits angeschnallt saß, und stieg ein.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir, jeder nachdenklich und in sich gekehrt.

Ihre Wohnungstür.
Sie blickte mich geistesabwesend an, dann meinte sie: „Es war ein netter Abend, aber vielleicht sollten wir doch ein bisschen warten. Du weißt schon, ehe wir das wiederholen.“
„Du hast ja meine Nummer.“
Sie schaute mir kurz ins Gesicht, immer noch ein wenig blass, und biss sich auf die Unterlippe. (...)



hallo Thomas

gefällt mir sehr, sehr gut. wenn es eine KG-Wahl des Monats geben würde, ich hätte jetzt meinen Favoriten. auch behaupte ich mal ziemlich provozierend: das lässt sich schwerlich überbieten, Kompliment!

von den ganzen Kommentaren, kann ich mich am ehesten Mattes Argumentation anschließen. für mich ist das Ganze so wie es dasteht ziemlich nachvollziehbar und stimmig.
nur möchte ich deine Aufmerksamkeit auf zwei "Kleinigkeiten" lenken:
- 1. das Blasswerden. du glaubst doch nicht wirklich, dass man so eine Gesichtsverfärbung bei Nacht, im künstlichen Lichtkegel eines Scheinwerfers ausmachen kann? diese falsche Konstruktion störte mich als Einziges. das Abwenden (und evtl. eine Lautäußerung) würde doch an der Stelle reichen. die Blassheit an der Eingangstür erscheint mir dann aber wiederum angebracht und stimmig (meist sind solche Eingangsbereiche gut ausgeleuchtet, wegen Bewegungsmelder oft besser als einem lieb ist).
- 2. (und das ist nun wirklich eine Kleinigkeit) fragte ich mich ob es möglich ist, sich bei Verwesungsgeruch zu täuschen. entweder man nimmt ihn wahr, oder nicht. allenfalls könnte man befürchten ihn wahrzunehmen, oder?

was die Motivation für das Anhalten betrifft, hatte ich angenommen dein Protagonist hat vor Meister Lampe für den Kochtopf mitzunehmen. die dargebrachte Abweichung von meiner Annahme ließ mich schmunzeln.

Gruß
Alcedo

nach oben

#17

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 10.09.2006 16:44
von Haselnuss (gelöscht)
avatar
Hallo Roderich,

du hast es mit Leichtigkeit geschafft, eine Geschichte zu schreiben, die jeden Tag passieren könnte, aber doch so besonders ist. Das Verbindungsglied 'Hase' zwischen den Beiden hast du sehr gut analysiert und den Aktionsverlauf bestimmend kompetent eingebaut. Mit vermischt in deinem Werk erscheint eine mehr oder weniger persönliche Begegnung. Die 'Abgrenzung' beider Werksteile ist nur flach zu spüren; so, wie es sein soll.

Das Ganze zeigt sich mir als ein Gefühlsbild, das du exzellent in Handlungen umgesetzt hast. Man merkt, wie viel Sorgfalt und Vorabdenken du dabei aufgewandt hast. Vielleicht hättest du die Beschreibungen noch kürzen können. Sie hätten ihre Aussagekraft nicht verloren. Statt dessen hätte der Dialog eine dichterische Ausschmückung gut vertragen können.

Jedes Werk hat einen Schlüssel. In diesem Stück sind es die letzten vier Sätze.

Ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen, weil sie mich mitgetragen hat. Ich danke dir dafür und schicke dir ein virtuelles Auf-die-Schulter-Klopfen. (oops: Ich glaube, du bist mindestens einen Kopf länger als ich - also 'einmal hochgehüpft')

Lieben Gruß
Haselnuss

nach oben

#18

Kleinigkeiten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.09.2006 19:42
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo ihr ,

wow - ich bin ganz hin und weg dank eurer Kommentare. Vielen lieben Dank für euer Lob, aber auch eure Anregungen.

@ Alcedo: Was die beiden Kleinigkeiten betrifft, so werde ich bei Gelegenheit wohl mal deinem Punkt 1 nachgehen, Punkt 2 sehe ich aber nicht so kritisch. Wie du schon selbst gemeint hast - das kann man sich durchaus auch einbilden.

@ Nüsschen: Dichterische Ausschmückung der Dialoge ist so ein Stichwort, das schon einmal gefallen ist. Werde ich mir in Zukunft zu Herzen nehmen.

Viele Grüße

Thomas

nach oben


Besucher
0 Mitglieder und 1 Gast sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Christian87655
Forum Statistiken
Das Forum hat 8220 Themen und 61619 Beiträge.

Heute waren 0 Mitglieder Online:

Besucherrekord: 420 Benutzer (07.01.2011 19:53).