#1

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 14:10
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Steinwärts

Die schlanken Glieder fassen um den rauen Stein,
der hart und kalt geworden so unendlich wiegt,
und Finger tasten, fühlen in den Fels hinein,
der wie ein Äusseres sich um ein Innen schmiegt.

Und nichts als Stein bewächst die Lagen, jede Schicht
zählt nichts als Zeit; doch alles Sprödgewordne bricht
zu diesen Händen, die im Greifen und Betasten
um ein Gefüge kreisen: jenem nie Erfassten.

Und dort ist Licht! Ein schwaches Leuchten, halberstickt,
doch noch am Leben, atmet leise in der Nacht,
wie zartes Glimmen, das im Sonnenlicht erschrickt,
dort zu den Mauern liegend, die es stets bewacht’.

Und da bist Du! Und bis in dunkelmüde Gruft
reicht neues Spüren, heller Tag, strömt diese Luft
in der sich Seelen finden und wir, wie Phantasten,
durch unsre Verse reisen, jene nie verfassten.

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#2

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 15:52
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
Wow, Vel, daß berührt mich sehr!!! Ich werde mich noch eingehender damit beschäftigen, aber für heute und die letzten 2 Wochen hatte ich genügend Aufregung und muß mich erstmal erholen!
Ich weiß - immer diese Versprechungen, aber ich meine, ich hätte sie bisher immer gehalten! Also - du bekommst noch, was du verdienst, Spanier!

Liebe Grüße
Ric

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#3

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 17:00
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Hi Ric!

Danke. Da freu' ich mich schon mal .

[Die letzte Zeile des Gedichts habe ich noch einmal geändert.
ursprüngl. hiess es: 'um ein Gefüge kreisen, jenem nie Erfassten.' ]

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#4

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 17:31
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Vel,

mit der neuen Endzeile gefällt es mir wesentlich besser, da ich mit den nie erfassten Gefügen an der Stelle nicht so viel anfangen konnte.
Müsste es im letzten Vers nicht "jene nie verfassten" heißen?

Entschuldige den etwas dürftigen Beitrag zu Deinem Gedicht. Wird vielleicht noch.

Grüße
GW

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#5

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 17:37
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Jepp, GW, dürftig aber nahrhaft...

Du hast Recht und ich werde es ändern. Thx.

Gruß, Vel

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#6

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 10.10.2005 20:24
von Loki (gelöscht)
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Hallo Velazquez! wo soll ich da anfangen?

zunächst erscheint mir das "und" in V 4, Z 3 unnatürlich betont. das ist die einzige stelle, an der ich stolpere.

dein werk erscheint mir sehr vielschichtig und mehrdimensional interpretierbar. verschiedene sachen gingen mir beinm mehrmaligem lesen durch den kopf. es könnte sich um ein verschüttetes haus handeln, aus dem jemand errettet wird. dieses haus könnte aber auch eine psychische hülle sein, die ein mensch um sich zieht um sich vor der welt zu schützen, die dann zu hart wird. es könnte auch eine "liebe" zu einem dichter gemeint sein, den das lyr.I.in den eingestürzten gemäuer der zeit wiederfindet. wenn so sein sollte, dann wäre dieser dichter Rilke (wegen Sprache und Satz-Vers-Konstruktionen).

sehr gelungen finde ich die beschwörende wiederholung des Paarreims in Strophe zwei und am ende des Gedichtes. auch die steigerung vom Leblosen zum Subjekt ist hervorragend: "Und nichts als Stein..." (V 2), Und dort ist Licht!" (V3), Und da bist du" (V4).

ich könnte mir auch vorstellen, dass dieses gedicht eine metaphysische oder spirituelle seite hat.

so, nun verstehe ich gar nicht, was es in dieser rubrik zu suchen hat.
kläre mich bitte auf

liebe grüße, Loki

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#7

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 11.10.2005 13:55
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Hi Loki.

Ich danke dir für deine schönen Interpretationsansätze.
Hat mich sehr gefreut und möchte hier auch erst mal nichts vorwegnehmen.
Komme aber darauf zurück .

Lieben Gruß,

Vel

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#8

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 12.10.2005 14:42
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hallo Vel!

Herzlichen Glückwunsch auch von mir. Das ist ein sprachliches und melodisches Schwergewicht, welches alleine deswegen für mich schon schwer kritisierbar ist, weil mir die nötige Distanz bei solchem Wohlklang unwillkürlich abhanden geht.

So, wie ich das verstehe, geht es um ein versteinertes lyr. Ich, welches aber ganz innen in seinem Herzen noch ein Fünkchen Poesie verspürt. Es bedarf der filigranen Verse eines oder mehrerer lyr. Dus, um diesen Funken zum Leuchten und die Phantasie zum Reisen zu bringen, wobei diesem Stein von einem lyrischen Ich aber immer bewusst bleibt, dass es fiktional ist, dass der Flug nicht wirklich stattfindet und daher die zwangsläufig bevorstehende Landung doppelt bitter ist. Es steht nun jedem frei, im lyr. Ich einen Dichter, einen Liebenden oder einen Sonstwas zu sehen. Ich empfinde die Stimmungslage eines (Ver-)Zweiflers an Leben und Liebe als sehr schön eingefangen.

Bitte betrachte meine weiteren Anmerkungen als mühsam aus dem Fels gebrochene Kritikpunkte, um nicht nur eine Eloge abzuliefern:

Strophe1: Die Tautologien (harter Stein, Äußeres um Inneres) stören mich weniger, als die in den Fels hinein tastenden Finger. Das Tasten hat für mich mehr mit der Oberfläche zu tun, so dass ein einfaches Umstellen der Verben nicht nur den Bezug zur Zeile 1, sondern auch das Hineinfühlen in den Stein verstärkte.

Strophe2: Den die Lagen bewachsenden Stein akzeptiere ich zur Verdeutlichung, dass dort eben nichts anders wächst, der Stein also nicht einmal Moos ansetzt. Dass aber dieser Fels zu den Händen zerbricht ist mir schon fast zu poetisch. Ich meine zu verstehen, was gemeint ist, zögere aber bei jedem Lesen. Alles aber Nichtigkeiten angesichts des Sprachtanzes, den du hier aufführst, der Volten schlägt, indem er die Bilder aus Strophe 1 aufnimmt und fortsetzt (Glieder-Finger-Hände, außen-innen-Lage-Schicht-Gefüge, fühlen-tasten-greifen-kreisen) und selbst wenn man am wiederholten Betasten meint, mäkeln zu müssen, würde solches bei der Auflösung in das wunderbar doppeldeutige Erfasste stumm.

Strophe3: Hier ist der Neologismus atmendleise die einzige Stelle des Gedichtes, die mir tatsächlich missfällt. Warum atmet das Leuchten nicht einfach leise in der Nacht? So viel dichterische Freiheit muss man aushalten, eine solche Adjektivkonstruktion nach meinem Geschmack aber nicht. Die Rückkehr zu dem umschichtenden Felsen in Zeile 4 ist auch etwas kritisch zu sehen, da sie inhaltlich wenig wichtig und sprachlich etwas unglücklich vorbeikommt. Das zarte Glimmen erschrickt im Sonnenlicht, da es nicht mehr vom Felsen, der’s umschichtete, bewacht wird. Das Wort „einst“ stellt keinen Bezug her und wirkt im Zusammenhang mit dem gerade erfolgten Freilegen zeitlich befremdlich.

Strophe 4: Wunderbare Auflösung, da stört mich nichts. Erwähnen möchte ich das gelungene Adjektiv „dunkelmüde“ nicht nur, weil es sich so angenehm von „atmendleise“ abhebt.

Großer Wurf, Vel und wenn Neid tatsächlich die höchste Form der Anerkennung ist, dann hast du die meine.

Digitally Yours
Mattes

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#9

Steinwärts

in Düsteres und Trübsinniges 12.10.2005 15:45
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Und wenn mein Schweigen die höchste Form des Dankes und der Freude über diesen Beitrag sein mag, so bleibe ich jetzt still.

(Und werde stumm im Hintergrund an dem Gedicht weiterarbeiten und deine Punkte aufnehmen.)


edit: Habe viele deiner Vorschläge übernommen und eingefügt. Danke für die wertvollen Hinweise.

Die letzte Zeile der 3.Strophe (mir wollte die auch nie richtig passen)
habe ich nun auch geändert:

von: 'einst von dem Felsen, der's umschichtete, bewacht.'
in : 'dort zu den Mauern liegend, die es stets bewacht’.

Ich bin nicht sicher, ob mir noch was Stimmigeres einfällt.

Soweit, thanks a lot.

weiterhin geändert: S2/V2.

von: 'zählt nichts als dunkle Zeit; doch aller Fels zerbricht'
in :'zählt nichts als Zeit; doch alles Sprödgewordne bricht'

Ich entschuldige mich an der Stelle für die vielen nachträglichen Änderungen.




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