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Die gepflasterte Zunge
#1
von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 22.01.2005 20:20von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
[b]Die gepflasterte Zunge[/b]
Funkelnde Sterne standen hoch über dem wolkenverhangenen Himmel. Sämtliche Bäume wurden vereinzelt von den zeitweise ausfallenden Straßenlaternen angestrahlt und warfen ihren halben Schatten auf den unterkühlten Asphalt. Einsam ballten sich meine Schritte gegen den abendlichen Verkehr und waren verschluckt, noch bevor ich sie setzte.
Meistens spielten einige Kinder Fußball auf dem Ascheplatz gegenüber. Heute nicht. Vielleicht stand er unter Wasser; schließlich erschlug sich der Regen den ganzen Tag auf unseren Straßen und Plätzen. Die Pfützen schienen derweil aber schon lange verschwunden.
Langsam kam die Kreuzung näher und rechts auf einem kleinen Grünstreifen stand ein Mädchen. Sie trug einen Camperhut auf dem Kopf und pralle Oberschenkel unter dem beschatteten Bauch. Die Schultasche hing ihr von der rechten Schulter. Der Rest blieb im Schimmer des Schattens. Als sie mich sah, kam sie mir entgegen. Mechanisch und kraftvoll war ihr Schritt. Sie hielt etwas in den Händen, einem Zettel sehr ähnlich. Eine Brille kam zum Vorschein, die – so fand ich – vielleicht nicht ganz passend zum Gesicht mit dem stoppeligen Vollbart und den Drähten ausgewählt worden war. Aus den Oberschenkeln wurden unförmig aufgedunsene Kabel, die einen dicken Wanst zu schleppen hatten, welcher lässig über dem Gürtel getragen wurde. Die Ärmsten!
Sie redete auf mich ein und fuchtelte dabei mit ihrem Stadtplan aufgeregt in der Luft herum, bis er dann, sorgsam platziert, vor meinen Augen zum Stillstand kam.
Kleine Knopfaugen erstachen mich mit ihrer Dringlichkeit, während die fremdartige Zunge kraftlos im Winde flatterte. In allen Lichtfetzen plapperte die Wortlose wild durcheinander – Generationen von alten Waschweibern gleich.
‚Ja, ich verstehe Sie.’ dachte ich, und legte ein Nicken in ihre Furchenstirn.
Der Verkehr, indes von den Ampeln gelegentlich zum Stillstand gebracht, floß unentwegt über die Kreuzung. Überall Stille. Selbst die Lichter sprachen sich noch lange aus.
16. Oktober 2000
so, damit ihr mal was zum zerreißen habt. [13]
nur zu.
grüße.
arno.
Funkelnde Sterne standen hoch über dem wolkenverhangenen Himmel. Sämtliche Bäume wurden vereinzelt von den zeitweise ausfallenden Straßenlaternen angestrahlt und warfen ihren halben Schatten auf den unterkühlten Asphalt. Einsam ballten sich meine Schritte gegen den abendlichen Verkehr und waren verschluckt, noch bevor ich sie setzte.
Meistens spielten einige Kinder Fußball auf dem Ascheplatz gegenüber. Heute nicht. Vielleicht stand er unter Wasser; schließlich erschlug sich der Regen den ganzen Tag auf unseren Straßen und Plätzen. Die Pfützen schienen derweil aber schon lange verschwunden.
Langsam kam die Kreuzung näher und rechts auf einem kleinen Grünstreifen stand ein Mädchen. Sie trug einen Camperhut auf dem Kopf und pralle Oberschenkel unter dem beschatteten Bauch. Die Schultasche hing ihr von der rechten Schulter. Der Rest blieb im Schimmer des Schattens. Als sie mich sah, kam sie mir entgegen. Mechanisch und kraftvoll war ihr Schritt. Sie hielt etwas in den Händen, einem Zettel sehr ähnlich. Eine Brille kam zum Vorschein, die – so fand ich – vielleicht nicht ganz passend zum Gesicht mit dem stoppeligen Vollbart und den Drähten ausgewählt worden war. Aus den Oberschenkeln wurden unförmig aufgedunsene Kabel, die einen dicken Wanst zu schleppen hatten, welcher lässig über dem Gürtel getragen wurde. Die Ärmsten!
Sie redete auf mich ein und fuchtelte dabei mit ihrem Stadtplan aufgeregt in der Luft herum, bis er dann, sorgsam platziert, vor meinen Augen zum Stillstand kam.
Kleine Knopfaugen erstachen mich mit ihrer Dringlichkeit, während die fremdartige Zunge kraftlos im Winde flatterte. In allen Lichtfetzen plapperte die Wortlose wild durcheinander – Generationen von alten Waschweibern gleich.
‚Ja, ich verstehe Sie.’ dachte ich, und legte ein Nicken in ihre Furchenstirn.
Der Verkehr, indes von den Ampeln gelegentlich zum Stillstand gebracht, floß unentwegt über die Kreuzung. Überall Stille. Selbst die Lichter sprachen sich noch lange aus.
16. Oktober 2000
so, damit ihr mal was zum zerreißen habt. [13]
nur zu.
grüße.
arno.
#2
von MrsMerian (gelöscht)
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.01.2005 01:20von MrsMerian (gelöscht)
Du meinst wohl was zum länger Kauen? *g*
Sag mal... hier stimmt ja was nicht, das klingt in meinem kopf so wie: "Dunkel war's der Mond schien hell, als ..." (Verfasser ist mit gerade nicht bekannt)
Also Du hast hier (beinahe?) in jedem Satz irgendwas versteckt, was sich widerspricht:
Funkelnde Sterne -- wolkenverhangenen Himmel.
Sämtliche Bäume -- vereinzelt
Einsam -- ballten sich
"waren verschluckt, noch bevor ich sie setzte." das gefällt mir außerordendlich gut
Ich schrieb morgen mehr, sry.
Gute Nacht.
Sag mal... hier stimmt ja was nicht, das klingt in meinem kopf so wie: "Dunkel war's der Mond schien hell, als ..." (Verfasser ist mit gerade nicht bekannt)
Also Du hast hier (beinahe?) in jedem Satz irgendwas versteckt, was sich widerspricht:
Funkelnde Sterne -- wolkenverhangenen Himmel.
Sämtliche Bäume -- vereinzelt
Einsam -- ballten sich
"waren verschluckt, noch bevor ich sie setzte." das gefällt mir außerordendlich gut
Ich schrieb morgen mehr, sry.
Gute Nacht.
#3
von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.01.2005 01:47von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
#4
von MrsMerian (gelöscht)
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.01.2005 16:13von MrsMerian (gelöscht)
Der Mittelteil gefällt mir eigentlich gut... was soll ich da zerreißen?
Ich frage mich nur, wieso trägt sie einen Stoppelbart?
Und das Ende ist mir auch ziemlich schleierhaft...
Aber es gibt auch dafür eine ganz einfache Lösung: Drogen.
Dein Protagonist verliert sich vollkommen in seinen Gedanken, er stapft durch den Regen und fühlt sich ziemlich verlassen in einer meachnischen Welt (ihr Schritt, Autos) in der alles schnelllebig ist und doch nicht zu funktionieren scheint (die flackernden Straßenlaternen).
Nicht ist, wie es scheint (zunächst Mädchen, dann ein Bart).
Als er auf diese Person trifft, die sich verirrt zu haben scheint und Kommunikation an fremdartiger Zunge scheitert, bleibt ihm (Protagonist) dieses Bild noch lange im Kopf und er empfindet verständnis für ihre Situation. Denn im Grunde fühlt auch er sich verloren und verirrt in seiner Umgebung.
So meine Interpretation.
und was soll ich da zerreißen, sie gefällt mir sehr gut.
LG
Mrs.
Ich frage mich nur, wieso trägt sie einen Stoppelbart?
Und das Ende ist mir auch ziemlich schleierhaft...
Aber es gibt auch dafür eine ganz einfache Lösung: Drogen.
Dein Protagonist verliert sich vollkommen in seinen Gedanken, er stapft durch den Regen und fühlt sich ziemlich verlassen in einer meachnischen Welt (ihr Schritt, Autos) in der alles schnelllebig ist und doch nicht zu funktionieren scheint (die flackernden Straßenlaternen).
Nicht ist, wie es scheint (zunächst Mädchen, dann ein Bart).
Als er auf diese Person trifft, die sich verirrt zu haben scheint und Kommunikation an fremdartiger Zunge scheitert, bleibt ihm (Protagonist) dieses Bild noch lange im Kopf und er empfindet verständnis für ihre Situation. Denn im Grunde fühlt auch er sich verloren und verirrt in seiner Umgebung.
So meine Interpretation.
und was soll ich da zerreißen, sie gefällt mir sehr gut.
LG
Mrs.
#5
von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.01.2005 16:25von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
hi, mrs. danke für deine analyse..
bzgl. mädchen - bart.. könnte man auch sagen: das festhalten an alten denkweisen und verhaltensmustern, selbst, wenn gegenteiliges erfahren wird.
ansonsten muß man das alles nicht unbedingt mit drogen erklären. (hast du da besondere erlebnisse gehabt? ) ich finde, daß manches unserer umgebung von sich aus widersprüchlich ist.
du sprachst das "verloren sein" an. da stimme ich dir zu. es wird eine ferne zu der verkehrswelt (technik) und dem menschen gezeigt. ein oberflächliches nicken kann eine brücke sein, wieder zum menschen, partner etc. zu kommen. doch vorerst herrscht noch der vergleich oder besser: die gleichsetzung von maschine und mensch bzw. anderen menschen - so denke ich.
grüße und dank.
arno.
bzgl. mädchen - bart.. könnte man auch sagen: das festhalten an alten denkweisen und verhaltensmustern, selbst, wenn gegenteiliges erfahren wird.
ansonsten muß man das alles nicht unbedingt mit drogen erklären. (hast du da besondere erlebnisse gehabt? ) ich finde, daß manches unserer umgebung von sich aus widersprüchlich ist.
du sprachst das "verloren sein" an. da stimme ich dir zu. es wird eine ferne zu der verkehrswelt (technik) und dem menschen gezeigt. ein oberflächliches nicken kann eine brücke sein, wieder zum menschen, partner etc. zu kommen. doch vorerst herrscht noch der vergleich oder besser: die gleichsetzung von maschine und mensch bzw. anderen menschen - so denke ich.
grüße und dank.
arno.
#6
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.01.2005 23:24von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Hm ich sehe es etwas anders. Hier geht es viellicht eher um die Charakteristika der neuen Generation ? Ihre Technikabhängikeit?
...Mechanisch und kraftvoll war ihr Schritt..."Brille, passend, Drähten"...Oberschnenkeln, unförmig aufgedunsene Kabel...
Sie wird geradezu als Mech dargestellt...
Der fette Bauch, die Brille, die dicken Oberschenkel sollen wohl das zunehmende Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen aufgrund des allgemeinen Wohlstandes und des Mangels an Bewegung darstellen.
Ihre hier dargestellte Unfähigkeit zur Kommunikation...
Sie redete auf mich ein und fuchtelte dabei mit ihrem Stadtplan aufgeregt in der Luft herum, bis er dann, sorgsam platziert, vor meinen Augen zum Stillstand kam.
Kleine Knopfaugen erstachen mich mit ihrer Dringlichkeit, während die fremdartige Zunge kraftlos im Winde flatterte. In allen Lichtfetzen plapperte die Wortlose wild durcheinander
...wird deutlichst aufgezeigt. In allen Lichtfetzen - aus allen möglichen Blickwinkeln gesehen, der Spaziergänger bemüht sich zu verstehen.
Der Stadtplan stellt dar, das zu allen Mankos noch die Richtungslosigkeit der "modernen" Generation dazukommt.
Der Verkehr, indes von den Ampeln gelegentlich zum Stillstand gebracht, floß unentwegt über die Kreuzung. Überall Stille. Selbst die Lichter sprachen sich noch lange aus.
Der Verkehr, die Technik fliesst, die neue Generation verheisst elendes Versagen. Wohl der Anfang von unserem Ende?
Als finaler Spott sind sogar die Strassenlaternen als Teil der Technik fähig zu kommunizieren, das Schulmädchen aber nicht. Der Betrachter/Spaziergänger mag ein Mensch sein der mit der modernen Welt nicht zurecht kommt, sie erscheint ihm fremd, verdorben; er kommt wohl aus einer älteren, einer der Natur näher vebundenen Generation. (1. Absatz, beinah surreal)
Die neue generation, "die Ärmsten"... Das Mädchen wäre gemalt eine tolle Karrikatur. Bitterböser Spott, reisserische schonungslose übertriebene Wahrheit sag ich nur.
...Mechanisch und kraftvoll war ihr Schritt..."Brille, passend, Drähten"...Oberschnenkeln, unförmig aufgedunsene Kabel...
Sie wird geradezu als Mech dargestellt...
Der fette Bauch, die Brille, die dicken Oberschenkel sollen wohl das zunehmende Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen aufgrund des allgemeinen Wohlstandes und des Mangels an Bewegung darstellen.
Ihre hier dargestellte Unfähigkeit zur Kommunikation...
Sie redete auf mich ein und fuchtelte dabei mit ihrem Stadtplan aufgeregt in der Luft herum, bis er dann, sorgsam platziert, vor meinen Augen zum Stillstand kam.
Kleine Knopfaugen erstachen mich mit ihrer Dringlichkeit, während die fremdartige Zunge kraftlos im Winde flatterte. In allen Lichtfetzen plapperte die Wortlose wild durcheinander
...wird deutlichst aufgezeigt. In allen Lichtfetzen - aus allen möglichen Blickwinkeln gesehen, der Spaziergänger bemüht sich zu verstehen.
Der Stadtplan stellt dar, das zu allen Mankos noch die Richtungslosigkeit der "modernen" Generation dazukommt.
Der Verkehr, indes von den Ampeln gelegentlich zum Stillstand gebracht, floß unentwegt über die Kreuzung. Überall Stille. Selbst die Lichter sprachen sich noch lange aus.
Der Verkehr, die Technik fliesst, die neue Generation verheisst elendes Versagen. Wohl der Anfang von unserem Ende?
Als finaler Spott sind sogar die Strassenlaternen als Teil der Technik fähig zu kommunizieren, das Schulmädchen aber nicht. Der Betrachter/Spaziergänger mag ein Mensch sein der mit der modernen Welt nicht zurecht kommt, sie erscheint ihm fremd, verdorben; er kommt wohl aus einer älteren, einer der Natur näher vebundenen Generation. (1. Absatz, beinah surreal)
Die neue generation, "die Ärmsten"... Das Mädchen wäre gemalt eine tolle Karrikatur. Bitterböser Spott, reisserische schonungslose übertriebene Wahrheit sag ich nur.
#7
von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Die gepflasterte Zunge
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 24.01.2005 00:58von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
hi willi.
tolle sache, deine sätze.
ich denke, daß man nicht ein "entweder, oder" sehen muß.. diese deine gedanken kann man ganz gut mit denen von mrs und denen von mir zusammen bringen.
du gehst sogar noch weiter und tiefer in den text.
einzig:
deine frage: "der anfang vom ende?" hm.. man könnte dies vermuten, gäbe es da nicht das nicken des erzählers. diese brücke kann natürlich scheinhaft sein, aber ich denke, daß auch die möglichkeit des "wollens" darin liegt. somit dient der weiterrollende verkehr eher dem jetzt noch seienden zustand, der - wenn man den letzten satz sieht - noch eine weile so fortdauern wird. was danach kommt, ist - so denke ich - offen.
grüße.
arno.
tolle sache, deine sätze.
ich denke, daß man nicht ein "entweder, oder" sehen muß.. diese deine gedanken kann man ganz gut mit denen von mrs und denen von mir zusammen bringen.
du gehst sogar noch weiter und tiefer in den text.
einzig:
deine frage: "der anfang vom ende?" hm.. man könnte dies vermuten, gäbe es da nicht das nicken des erzählers. diese brücke kann natürlich scheinhaft sein, aber ich denke, daß auch die möglichkeit des "wollens" darin liegt. somit dient der weiterrollende verkehr eher dem jetzt noch seienden zustand, der - wenn man den letzten satz sieht - noch eine weile so fortdauern wird. was danach kommt, ist - so denke ich - offen.
grüße.
arno.
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