#1

Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 06.01.2010 19:25
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Das Selbstbild des Menschen ist Produkt seiner guten Ausreden. Und je älter er wird, desto raffinierter werden seine Argumente, die von eigentlichen Problemen ablenken.
Zugegeben – auch ich habe im Laufe der Jahre meine Taktiken entwickelt. Im übrigen kann sich der ältere Mensch mit kaum etwas glaubwürdiger herausreden als mit der Tatsache, nicht mehr der Allerjüngste zu sein. Gedächtnisverluste, der Mangel an geistiger und körperlicher Schnelligkeit, die zunehmende Unfähigkeit, diverse Eindrücke gleichzeitig wahrzu nehmen und, und, und …
Dennoch schmeichelt es, wenn vor allem jüngere Damen feststellen: „Mensch, du siehst aber noch viel jünger aus. Wirklich!“ Selbst wenn es alle meine gesammelten Altersausreden gefährdet.
Vermutlich liegt es an meinem zwar silbergrauen, aber noch recht vollen Haaren und am Gesicht. Soweit ich das beim höchst subjektiven Blick in den Rasierspiegel beurteilen kann, ist die Haut an jenen Stellen, die mein Vollbart unbedeckt lässt, noch nahezu faltenfrei.
Dabei würde ich manchmal lieber mit einem tief gefurchten Charaktergesicht protzen, das unübersehbar spannende Erlebnisse vermuten lässt, aber auch glaubhaft Zerknirschtheit signalisiert, wenn von mir zu viel Aktivität gefordert wird. Hat doch schon immer gesunde Faulheit zu meiner besonderen Lebensqualität beigetragen.
Mir sieht man sowie frau - dank meiner von städtischer Büroluft ungegerbten Haut – immer noch an, dass ich einst auf einem lahmen, gelegentlich allenfalls störrischen Amtsschimmel saß und nicht auf rassigen Hengsten durch die Prärie ständig neuen Abenteuern entgegen galoppierte.
Dennoch treibt es mich, bevor der Bestatter an mir und meiner Sterbekasse verdient, immer wieder einmal ins für mich nicht mehr ganz ungefährliche Erlebnisreich. Außerdem erwartet meine Frau von mir in meinem relativ hohen Alter noch immer Entdeckermut, um sich mit mir nicht langweilen zu müssen.
Da fallen mir gelegentlich schon einmal weniger gute Ausflüchte ein. Besonders das Schwärmen von guten alten und erlebnisreicheren Zeiten verfängt häufig nicht mehr.
Gut, in meinem sozialarbeiterischen Vorleben gab es einst ziemlich viele spannende Situationen, zum Beispiel als Streetworker am Kölner Hauptbahnhof. Versuchte ich dort doch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts - allerdings nur mäßig erfolgreich, Strichjungen und -mädchen für das bürgerliche Leben zurückzugewinnen und Jungjunkies Entziehungskuren aufzuschwatzen.
Sogar der Verfassungsschutz beobachtete in Apo-Zeiten unsere damalige WG, die von vier Erwachsenen und meinen beiden noch nicht schulreifen Töchtern bewohnt wurde. Doch wir waren politisch eher harmlos und für die Schlapphüte sehr bald wieder uninteressant.
Später schloss ich mich der außerparlamentarischen Opposition der Alternativen Liste an und machte grüne Kommunalpolitik in einem nordwestlichen Kölner Stadtbezirk.
Danach reichte mein Mut nicht einmal mehr für einen Abenteuerurlaub im tropischen Regenwald. Und männliche Selbstfindung in indianischen Schwitzhütten in der Lüneburger Heide war mir einerseits zu harmlos und andererseits zu männerbewegt.
Was blieb, war nur noch meine Fantasie und eine Schreibmaschine, die später dem Computer wich. Auch jetzt schreibe ich mir noch in zahlreichen (Kurz-)Geschichten mein Leben spannender - unter Beimischung nicht real erlebter Abenteuer, versteht sich. Und in meinen Gedichten suche ich immer wieder das Land der Sehnsucht, das genau zwischen Freiheit und Geborgenheit liegt.
Wird meine Wut auf die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände übergroß, muss Satire herhalten. Manchmal reicht es auch noch für einen kurzen Leserbrief im Kölner Stadtanzeiger.
In auffällig vielen Texten kommt – als Held und noch häufiger als Antiheld – jener bärtige Mann vor, der erstaunlicher Weise unaufhörlich mit mir der Altersmilde zutreibt.
Zweimal jährlich buche ich für meine Frau und mich Urlaubsreisen abseits vom Massentourismus. Zumeist in wärmere mediterrane Gefilde, bevorzugt auf griechische Inseln und das italienische Festland. Ist halt gut gegen Rheuma und deutsche Schwermut. Darüber hinaus gebe ich der senilen Bettflucht nicht mehr nach, bleibe länger unter der Bettdecke liegen und mache mich auf abenteuerlichen Innenkurs. Denn neulich las ich in einem Ratgeberbuch für Senioren, wahre Abenteuer erlebe der Mensch ohnehin nur auf Reisen nach innen. Das trug ich selbstverständlich sofort meiner erlebnishungrigen Gemahlin vor.
Was mir alles bei Innenreisen in Tagträumen begegnet, lässt mich zumeist nicht mehr einschlafen, fällt allerdings unter intime Geheimnisse. Und wortkarg, wie ich dank meiner norddeutschen Herkunft sein kann, hasse ich nichts mehr, als alte Schwätzer. Übrigens auch eine meiner besseren Ausreden, wenn meine Frau sich beschwert, ich wäre zu selten bereit, mich mit ihr zu unterhalten.
Nun geht es bei echten Abenteuern bekanntlich vor allem um Mut und um Lebensgefahren.
Was gehört aus rein natürlichen Gründen zum Alter und bleibt als Argument nabezu unschlagbar? Einem Senior wird von Lebensjahr zu Lebensjahr mehr und mehr Todesmut abverlangt. Nähert sich doch der so genannte Sensenmann von Tag zu Tag schneller. Allein schon deswegen ist Alter nichts für Feigllinge. Ist es doch weitaus lebensgefährlicher als alle anderen Lebensphasen zuvor und damit trotz gelegentlicher Langweile Abenteuer genug. Oder?

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#2

RE: Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 06.01.2010 20:31
von Ivana Ivano | 73 Beiträge | 73 Punkte

Hallo Karl,
Das Selbstbildnis ist Produkt seiner guten Ausreden, dieser Satz wird so nicht stimmen, ein Selbstbildnis als Produkt von Ausreden?
Wie es gemeint ist, was Du schreibst, als biografischer Teil oder als Fantasie Deiner Schreibarbeit, zu glauben ist es und echt wirkt es.
Ich denke, zum Tod gehört kein Mut, ob Du den hast oder nicht, er kommt, keine Feigheit schützt davor.
Ziemlich klar und echt wirkend. Wenn man nachdenkt wirkt es etwas makaber, nur ist es so. Gut hineingefühlt oder gut niedergeschrieben.
Ich tippe auf Letzteres.

Zitat
Versuchte ich dort doch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts - allerdings nur mäßig erfolgreich, Strichjungen und -mädchen für das bürgerliche Leben zurückzugewinnen und Jungjunkies Entziehungskuren aufzuschwatzen.


Das jetzt versuchen, bleibt ein Versuch und könnte nicht gut ausgehen.

Schönen Gruß,
Ivana

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#3

RE: Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 15.01.2010 14:42
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Hallo Ivana,
nunja, ich denke tatsächlich, dass sich jeder Mensch viele Erklärungen zurecht legt, mit denen er sein Leben und seine Verhaltensweisen rechtfertigt. Und mit manchen Erklärungen redet er sich auch trefflich heraus. Ich tue das jedenfalls gar nicht so selten.
Zum Tod gehört natürlich kein Mut. Er kommt sowieso. Obwohl manche führen ihn auch herbei. Dazu, sich in Lebensgefahr zu begeben, aber gehört schon Mut.
Im Alter ist man der Lebensgefahr näher, allein schon weil man bei Gefahr nicht mehr so schnell weglaufen kann.
Im Übrigen ist dieser Text nicht ganz so ernst gemeint... . Ich gehöre zu den Menschen, die ihr ironisches Grinsen hinter ihrem Vollbart verstecken...
Herzliche Grüße
Karl

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#4

RE: Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 17.01.2010 11:36
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Karl,

trotz guter Ansätze und lesenwerter Formulierungen treibt mir der Text zu sehr an
der Oberfläche. Der Eindruck bleibt am Ende übrig, daß altersgemäße Entwicklung
von Innenräumen eben nicht gelingt.
Aufgrund äußerer Anforderungen oder unerfüllter Sehnsucht nach abenteuerlicher
Lebensgestaltung, die Büroexistenzen verwehrt bleibt, warum auch immer, unser
Protagonist steckt fest in einer unbefriedigten Rückschau. Entwicklung eines reifen
Alter Ego (als Wortspiel geeignet), also der Typ, der einer Altersmilde zustrebt, wird
zwar kurz benannt, aber nicht weiter beschrieben.
Überhaupt wird nicht viel gezeigt, was die Sache anschaulich machen könnte. Fast
als ob der Leser belehrt werden solle, wie das mit dem Altern geht. Dafür werden die
Empfänger der Botschaft wahrscheinlich ebenso undankbar sein, wie die ehemalige
Straßenklientel.
Etwas Richtiges zu sagen, genügt nicht, es muß Interesse wecken. Hier hat dein Text
-wahrscheinlich ebenso wie der Protagonist -m. E. ungenütztes Potential. LG mcberry

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#5

RE: Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 17.01.2010 16:44
von gheggrun | 377 Beiträge | 377 Punkte

Hallo, Karl Feldkamp!
Je länger ich im Forum lese, desto mehr fühle ich mich verunsichert, mich verbal zwischen elitären
Literaten zu bewegen, da ich einen solchen Anspruch nicht an mich stelle.
Ich schreibe dies, damit du das Folgende einschätzen kannst.
Du nennst zwar gleich in der 2. Zeile die "eigentlichen Probleme", aber nach dem Lesen erkenne ich
nicht, welche das (für den Helden) sind.
Weiter schreibst du am Schluß: "Alter ist nichts für Feiglinge. Es ist lebensgefährlicher, als ....."
Weil ich unter "Feiglingen" Wesen verstehe, denen es an Mut mangelt, denke ich, daß es gegenüber
der Lebensgefahr (= Gefahr (-en) des Lebens) keines besonderen Mutes bedarf, sondern Durchhalte-
vermögen (das Junge erlernen müssen). Sich der Todesgefahr zu stellen erfordert hingegen Mut.
Ihr sind Alte, Kranke und Schwache näher. Diese müssen also mehr Lebensmut (Mut zum Leben)
beweisen als (todesmutige) Abenteurer.
In dem zitierten Schlußsatz sollte es deshalb m.E. "Es ist todesgefährlicher....." heißen.
Dann riefe dein "Oder?" weniger Argumente hervor, spekuliere ich.

Freundlichst


Hastanirwana
GHEG
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#6

RE: Das Alter abenteuerlicher Ausreden

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 17.01.2010 19:29
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Hallo mcberry, hallo gheggrun,
grundsätzlich teile ich eure Kritik. Mit meinem Text habe ich nur bedingt den Anspruch, tiefschürfend zu sein. Es ist ein Beitrag für ein Mitteilungsblatt einer öffentlichen Verwaltungseinheit, für die ich für noch tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Beitrag aus der Perspektive des Renten beziehenden Ruheständlers schreibe. Somit ist der literarische (evtl. sogar essayistische) Anspruch eher begrenzt. Ich schreibe hier eher als Irrender und Suchender denn als Wissender und Erfahrener. Daher auch der erste Satz: Das Selbstbild des Menschen ist das Produkt seiner guten Ausreden. Und Ausreden fordern Stichhaltigkeitz selbstverständlich heraus. (Was hier durchaus gewollt ist.)
Herzliche Grüße
Karl

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