#1

Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 19.01.2010 00:26
von Maya (gelöscht)
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Eissee


Dein Ursprung liegt auf einer weißen Straße,
wo Mutter Stein und Vater kalte Erde ist.
Nichts grünt und blüht auf deinen Wegen, Alpinist.
Wo findest du die Heimat, die du so vermisst?

Der Schneeschuh trägt dich in die raue Weite
und jeder Schritt befragt dich, wer du wirklich bist.
In engen Schluchten suchen klamme Finger Frist
an einer Haut, die doch nur glatter Abgrund ist.

Der See trägt eine Decke und dein Sehnen
nach einer warmen Heimat, wo man dich vermisst,
ein Ort, der sich und dich nach Rissen nicht bemisst -
wie dieses Eis, das bricht und schlingend dich vergisst.

zuletzt bearbeitet 19.01.2010 04:44 | nach oben

#2

RE: Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 20.01.2010 07:20
von phil | 200 Beiträge | 200 Punkte

hallo maya,

ein einziges mal im leben hab ich deinen alpinisten als solchen getroffen – vor einigen jahren schon. ich war damals überrascht, wie schmutzig seine schneeschuhe waren. als dagegen heute morgen seine schweißtropfen auf mich fielen ... das ist jetzt doch leicht übertrieben: ich stand also unter der dusche fragte ich mich, wie ich den sich wandelnden wanderer begrüßen sollte. so sauber, so warm. ich bemaß ihn nach liter und kalorien und künstlich eingestelltem härtegrad. die frist, die er noch hat, da, wo er sich mit tauenden fingern noch gerade festhalten kann, ist angeblich weniger als 50 jahre. wie sehr werden wir ihn dann vermissen! ob es dann grünt und blüht auf seinen alten wegen? die er selbst geschaffen hat und stets wieder und auch wohl endgültig verlassen muss. der (boden)see der ihn vergessen macht - ... in dessen [deines alpinisten...] fluvioglazial erodiertem Zungenbecken ... (das war wiki) er heute liegt.
viele schöne bilder, ursprung, vater, mutter, weg,... in deinem gedicht, das ich bestimmt nicht ergründet habe, aber es hat mir viel erzählt und gefällt mir noch mehr... auch die „eisige“ reimendung „...ist“ und die 3 reimfreien endwörter straße, weite, sehnen ... sehr schön!

gruß! phil

und der spruch des tages von oscar lafontaine: nichts anderes ist dazu zu sagen. nicht mehr und nicht weniger... ich hoffe dagegen auf weiteren aufschluss zu deinem werk!

zuletzt bearbeitet 20.01.2010 07:21 | nach oben

#3

RE: Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 21.01.2010 15:50
von Maya (gelöscht)
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Hallo phil!

Vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich nicht nur, dass das Gedicht bei dir Anklang fand, sondern dass du - wie ich deinen Worten entnehmen konnte - den Alpinisten nicht nur als Person, sondern auf einer zweiten Sinnebene auch als Gletscher gedeutet hast. Das Thema Gletscherschmelze ist ja momentan wieder einmal up to date. Ja, im Grunde war es das schon. Oder braucht es tatsächlich noch mehr Aufschluss? Bis ins Detail möchte ich den Text eigentlich nicht erklären; ich denke, er ist recht leicht zu verstehen.

Liebe Grüße
Maya

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#4

RE: Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 21.01.2010 19:26
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Guten Tag, Maya!

Ich habe für mich eine andere Deutung entnommen, die eines von der Realwelt enttäuschten und nach Wärme und Liebe suchenden Menschen, der resignierte.

Schön geschrieben!
(Ist doch fast logisch, daß es schon nominiert wurde.)
Gruß
Joame

zuletzt bearbeitet 21.01.2010 19:29 | nach oben

#5

RE: Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 21.01.2010 21:39
von Simone • Mitglied | 1.674 Beiträge | 1674 Punkte

Hi Maya

Alleine für die ersten beiden Zeilen hätte ich es nominiert, die sind klasse! Aber auch der Rest gefällt mir ausgesprochen gut, auch wenn ich das mit dem Gletscher nicht geschnallt hatte.
Ich habs gelesen als Suche nach jemandem der einen nimmt wie man ist, der einem das Gefühl gibt, zu Hause angekommen zu sein. Da ist jemand der alleine durchs Leben geht, an fremder Haut halt sucht, die aber doch keine Wärme zurück lässt, immer auf der Wanderschaft, mit dem einzigen Wunsch (bei jemandem) anzukommen, und am Ende am Leben scheitert.
Gut, dass du die Haufenreime mit der jeweils ersten Zeile brichst, so läuft es nicht Gefahr nervig zu werden. Die Reimwörter wiederholen sich zum Teil sogar, aber ich finde das nicht nachteilig. Mir gefällts!

Gruß
Sim

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#6

RE: Eissee

in Düsteres und Trübsinniges 21.01.2010 21:59
von Maya (gelöscht)
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Hallo Ihr Beiden,

Eure Lesart war ja auch durchaus intendiert und sogar die vordergründige; ich war sogar überrascht, dass phil die Gletscherebene entdeckte. Zuerst überschrieb ich das Gedicht noch mit "Gletscherzunge".

Ja, der Wanderer scheitert letzten Endes. Und das muss er ja auch, wenn er sich ständig von den Menschen entfernt, statt sie aufzusuchen. Die Decke, die er schließlich findet, ist ja auch nur aus Eis, wärmt also nicht, sondern bricht unter seiner schweren Sehnsucht zusammen. Und die Risse stehen, das hattest du ja erkannt, für die ganzen Fehler und Unzulänglichkeiten.

Die zwei Reimdoppelungen stören mich schon etwas, aber es ist wirklich schwer, etwas Passendes zu finden. Aber die Hauptsache ist ja, dass es gefallen konnte. Danke für die Rückmeldungen.

Grüße
Maya

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