#1

Abends am Berg

in Wettbewerbe 24.01.2010 21:37
von Wettbewerbsbeitrag (gelöscht)
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.
Abends am Berg


Abends am Berg bilden die tanzenden Flocken
Wirbel aus Eis. Sturmzungen fachen, befeuern
Drachen im Flug. Einzelne werden zu Felsstein.
Nadeln aus Frost dringen mir bis in die Lungen.

Bleichender Tag findet in Lichtniederschlägen
Erde genug, Ruhe vor peitschenden Schweifen,
aber auch viel Zuspruch vom kommenden Neuschnee.
Wärst du doch hier - bliebe ich nicht mehr alleine,

bliebe ich nicht. Jetzt aber muss ich mich betten
unter Kristall, unter das Licht um zu schlafen.
Bald ist es Nacht, bald folgt dem Lichtmeer ein Gletscher
kalbend ins Kar. Zerrendes Bruchstück, gib Frieden!

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#2

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 26.01.2010 13:48
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Das Gedicht finde ich größtenteils gut und einigermaßen gelungen. Vermutlich ist es das beste, was man aus diesem Thema machen kann, jedenfalls ist es wenigstens am Thema und daher per se der Wettbewerbsgewinner. Verdient durch die eigenwilligen Bilder und Neologismen, wenn Sturmzungen fachen, bleichende Tage in Lichtniederschlägen ausreichend Erde finden, Ruhe vor peitschenden Schweifen, wenn Gletscher ins Kar kalben. Beinahe verkackt durch Nadeln aus Frost oder die furchtbar blassen Verse 3 und 4 der zweiten Strophe und das dämliche Kristall zu Beginn der dritten Strophe. Auch hätte ich bei aller Begeisterung für den Vers libre angenehmer empfunden, wenn die in den satten Metaphern und der auch sonst vorherrschenden Melodik wummernden Rhythmen durchgehalten worden wären. Wenn man so will, ist das aber auch eine starke Schwäche oder schwache Stärke. Dann aber könnte auch die volatierende Sprachmacht gewoillt sein und das wäre dann sogar witzig. Es bleibt durchwachsen und die finale Aufforderung klingt wie die Aufgabe des Autors vor dem Sujet (oder dem Thema) an sein Werk: Zerrendes Bruchstück, gib Frieden!





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

zuletzt bearbeitet 26.01.2010 14:22 | nach oben

#3

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 26.01.2010 15:35
von Maya (gelöscht)
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Hallo,

auch wenn man merkt, dass der Autor geübt ist, gibt mir das Gedicht nicht viel. Wenn ich ehrlich bin, finde ich es schlicht und ergreifend etwas zu langweilig. Es ist mit Naturbegriffen geradezu überfrachtet und wirkt überhaupt sehr bemüht, zu fett und gewollt und teils auch etwas komisch auf mich; zum Beispiel an folgenden Stellen: tanzende Flocken, peitschenden Schweife, gib Frieden.

Ich unterstelle mal, dass eine melancholische Grundstimmung erzeugt werden sollte, die sich - zumindest bei mir - nicht einstellt. Ich habe auch zu ergründen versucht, woran das liegen könnte und nehme an, dass das nicht nur mit dem zuvor Genannten, sondern zudem mit der Häufung der Nomen zu tun hat, die dann auch noch oft als Komposita daherkommen und das Gedicht bzw. die Stimmung, die entstehen könnte, geradezu konterkarieren. Will heißen: Du arbeitest mit einer Vielzahl von Begriffen (Nomen), die jeweils für sich betrachtet schon einen ganzen Schwanz von Assoziationen wecken, so dass sie im eigentlichen Kontext des Gedichts nicht mehr wirken können, weil sie von den darauffolgenden Begriffen gleich wieder ausgebremst werden. Durch die Fülle behindern sie sich gegenseitig, können sich nicht entfalten und daher nicht ihre volle Stärke ausspielen. Lasse ich mich auf die Drachen im Flug ein, die von Sturmzungen befeuert werden (diese Infos muss man gedanklich erst einmal in Bilder umsetzen), dann folgen kurz darauf Felsstein und Frostnadeln, wo gerade noch befeuert wurde. Ich renne der Bilderflut des Gedichts quasi hinterher und werde damit nicht wirklich warm. Hm, das klingt vermutlich ziemlich abgefahren, aber besser kann ich nicht vermitteln, wie es mir beim Lesen des Gedichts ergangen ist.

Aber ich möchte auch nicht verschweigen, dass mir sowohl die Sturmzungen als auch der ins Tal kalbende Gletscher gefallen haben, da schließe ich mich dem Vorredner an. Und auch an den Nadeln aus Frost habe ich nichts auszusetzen, finde das sogar äußerst gelungen, weil eingeatmete eisige Luft schon mal diese Art von Schmerzen erzeugen kann.
Was mir etwas widersprüchlich erscheint, ist das ganze Licht ("Lichtniederschläge", "Licht" und "Lichtmeer"), wo es doch eingangs heißt: Abends am Berg. Im Winter ist es abends am Berg doch schon dunkel. Woher stammt also das ganze Licht, von Berghütten?

Ja, wie gesagt, ich finde das Gedicht - auch wenn ich jetzt viel gemäkelt habe - nicht wirklich schlecht, ich kann nur mit dem Text insgesamt nicht viel anfangen, weil er mich nicht berührt und nichts nachklingt. Aber vielleicht hat das auch eher mit meinem Geschmack als mit wirklichen Schwächen des Textes zu tun und vielleicht vermag ein anderer diese Bilderflut einfach besser umzusetzen als es mir gelingt.

Grüße Maya

PS: Dass dieses Gedicht nun näher als die anderen am Thema dran sein soll, kann ich nicht erkennen; vielleicht sollte man mal über den eigenen kleinen Horizont hinausblicken. Eben gerade weil das Thema Spielraum auf jede erdenkliche Art lässt und dehnbar wie Gummi ist, müsste man fast unterstellen, dass jedes Gedicht in diesem Forum geeignet wäre, es unter dieser Thematik einzusenden. Die Begriffe stark und schwach müssen da nicht noch plump vermantscht werden. Aber das nur nebenbei. ;)

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#4

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 26.01.2010 15:46
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Maya,

man sollte nicht "nebenbei" jemandem auf die Fresse hauen, sondern wenigstens die Höflichkeit besitzen, dieses mit einem gewissen Maß an Konzentration und Freude zu. Vielen Dank für den kleinen Horizont. Ausnahmslos jede/r hat einen begrenzten Horizont. Und wohin man auch geht, man nimmt ihn mit. Was das plumpe Mantschen angeht, stellt sich die Frage, wer das empfahl? Nur wenn ein Thema gar kein Thema ist, dann ist halt schwer, dabei zu bleiben.

Aber auch das nur nebenbei.

Gruß
Mattes





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

zuletzt bearbeitet 26.01.2010 15:47 | nach oben

#5

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 26.01.2010 19:51
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Wettbewerbsteilnehmer

bei den Drachen musste ich lachen, obwohl der Text ja wohl nicht in der Rubrik Humor landen wird.

ist mit dem Kristall ein Lüster gemeint? das spielt gar nicht am Berg, sondern in einem Zimmer? mensch, mach halt das Fenster zu und dreh doch die Heizung an beim Schlafen!

Gruß
Alcedo


e-Gut
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#6

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 31.01.2010 15:59
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hm, dazu fällt mir kaum was ein. am ehesten noch, dass naturgedichte biester sind, wie ich mal irgendwo las - und ich mich nicht mehr an ihnen versuche, weil mich
enttäuscht und leer zurückließ, was ich in der richtung produzierte. tja, und dass mir das grad bei deinem gedicht wieder einfällt, ist wohl kein zufall. das problem
sind zum beispiel tanzende flocken die wirbel aus eis bilden, in der gleichen strophe ein offensichtlich eiskalter wind, der befeuern soll. meine lyrik wird gern mal als fragmentarisch bezeichnet und ich plädiere nicht für absolute nachvollziehbarkeit - behüte! -, aber ich würd schon gern wissen, warum hier widersprüchlichkeiten
bemüht werden. irgendwie passts für mich hier nicht, das wirkt willkürlich. der allerletzte vers ist allerdings grandios in seiner gänze, grad auch wegen gib Frieden, das hier eine bekannte größe auf dem schartigen grat des rauen textfelsens ist.

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#7

RE: Abends am Berg

in Wettbewerbe 18.02.2010 10:51
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

seit ich als Neuling in diesem Forum, vor etwa vier Jahren mitbekommen habe, welch ausführliche Kritiken und Bewertungen jeder Wettbewerbsbeitrag hier erhält (nicht nur von den Juroren), habe ich stets versucht mitzuwirken. es lohnte sich definitiv. auch jetzt wieder.

@oliver64:
es freute mich Lob dafür zu erhalten. Dankeschön.
ich fürchte das volatierende ist weniger gewollt, als eben schlicht geschehen. manche Bilder versuchte ich aber tatsächlich bewusst zu übersteigern. so sind zum Beispiel aus ursprünglichen Raben, Drachen geworden. das Thema fand ich sehr schwierig und ich musste mich über viele Varianten abmühen bis zu diesem Ergebnis. insofern hast du mit deinem letzten Satz natürlich recht.

@Maya:
Vielen Dank für die Ausführlichkeit.

Zitat von Maya
Ich renne der Bilderflut des Gedichts quasi hinterher und werde damit nicht wirklich warm.


nein, keine Angst, das empfand ich nicht als abgefahren, sondern als äußerst treffliche Veranschaulichung deines Leseerlebnisses. deshalb sind mir deine Rückmeldungen immer so wertvoll, Maya: ich verstehe sofort wie meine Schreibe gewirkt hat.
schön, dass du mir bestätigst, dass die Nadeln aus Frost funktionieren. das hat mich gefreut.

@Alcedo:
ach, halt einfach die Klappe.

@Kjub:
ich weiß auch nicht: die Widersprüchlichkeiten sollen wahrscheinlich die Phantasie des Lesers befeuern, ihn aber trotzdem unbeschadet durch die schartigen Grate scheuchen. jetzt grinse ich natürlich wie so ein gelbes smiley - allein wegen deinem rauen Textfelsen. merci.
und es freut mich, dass zumindest der letzte Vers bei dir funktionierte.

@Marot:


treffliche Textarbeit, Jens! ich habe mich sehr gefreut, Vielen Dank!
sehr schön wie du das intendierte Metrum erkannt hast. hier muss ich aber das Lob für den rollenden Daktylus an Eminescu abgeben.
ich habe es aus einem seiner Gedichte (Sara pe deal) entlehnt. ich weiß leider nicht ob es seine Schöpfung war, oder ob es nicht schon was viel älteres ist. jedenfalls hat er es nur bei diesem einen Gedicht verwendet. ansonsten habe ich es auch nirgendwo gelesen.

ich hatte mit der Thematik dieses Wettbewerbs nichts anfangen können. also suchte ich mir eine eigene Vorgabe: mir fiel dieses Gedicht von Eminescu ein, dessen ersten beiden Zeilen mir schon in meiner Schulzeit für immer in die Augen gestürzt waren, eine lyrische Pastorale:
Sara pe deal buciumul suna cu jale, 

Turmele-l urc, stele le scapara-n cale,

es geht um Schafherden die unter den Abendsternen einen Hügel hochsteigen zum lyrischen Ich.
die ersten drei Worte bedeuten: "Abends auf dem Berg"

daraus wurde, zusammen mit Form und Metrum meine persönliche Vorgabe: Abends am Berg.

erst jetzt vermochte ich loszulegen. ich versuchte mich mit Eminescu zu messen. er hatte seinen Text in sechs vierzeiligen Strophen im Paarreim ausgebreitet. es war ihm nicht gelungen den starken Beginn durchzuhalten. es ist denn auch in Gänze keines seiner besten Gedichte. deshalb wagte ich es überhaupt.
ich begriff nicht gleich, dass ich die Endreime aufgeben musste. ich versuchte lange verbissen formal identisch zu kopieren. es gelang mir nicht. ich mischte das Reimschema auf, es wurde nicht besser. die klangliche Perfektion dieses Dichters blieb unerreichbar. wie sagst du so schön: "die Sprachlichkeit leidet unter diesem Rhythmus".
erst als ich begriff, dass ich wieder diesen meinen Fehler beging, zwanghaft zu versuchen, zu viel in möglichst wenig hineinzupacken, ließ ich die klingenden Klänge an den Versschweifen sausen und ging eigene Wege. aber die peitschenden Schweife musste ich einbauen, als Hommage an ihn, an Eminescu. dass Du genau dieses ein bisschen bemängelt hast und trotzdem die volle Punktzahl für die Metaphorik gabst, freute mich am meisten.

@Simone:

den Binnenreim vermochte ich leider auch nicht zu halten. nun, du bestätigst mir wieder schön, dass es eine Kunst ist sich zurückzuhalten. man versucht es und kann es letztlich doch nicht lassen. aber ich setze dabei auf den Lerneffekt.
danke, Simone.

Grüße
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 18.02.2010 10:55 | nach oben


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