#1

blank

in Düsteres und Trübsinniges 17.03.2010 17:08
von Rainek Radar | 360 Beiträge | 360 Punkte

tag
am fenster klebt ein tag
in den rhododendronblättern sitzt der tod
von sonnenauf bis
untergang
lachhaft
dann und wann
hängt noch am vorhang meine hoffnung
nur läßt er sich nicht schliessen
die kordel ist
seitdem ich denken kann
gerissen

zuletzt bearbeitet 17.03.2010 20:18 | nach oben

#2

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 17.03.2010 20:44
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hallo rainek, mir gefällt dieses metaphorische spiel um tod und hoffnung, mit dem twist zur vergeblichkeit in der letzten zeile. wobei sich mir hier doch ein paar inhaltliche fragen aufdrängen: bspw was die funktion von tag in deinem gedicht ist und warum du nicht bspw schlicht nacht nimmst - ich hoffe nicht allein wegen der abwechslung zu gängigen bildern.
du nennst ihn zweimal eindeutig und beschreibst ihn später indirekt mit von sonnenauf bis/ untergang.
eine dreimalige nennung legt starken inhaltlichen fokus, den ich unvermeidlich mit tod verbinde, denn um ihn geht es hier in der hauptsache, auch die immer wieder scheiternde hoffnung bezieht sich darauf. sie liegt in der gedichtwelt darin, den tag auszuschließen und mit ihm den tod, der im rhododendron lauert.
interessant finde ich, dass du diese pflanze wählst, denn sicherlich ist sie eine giftige, aber woher kommt die gefahr für das lyrische ich? allein durchs betrachten? fühlt es sich verführt, hinauszugehen und mal was zu probieren?
das sind haltlose vermutungen, aber ich sehe keinen klaren anhaltspunkt. sinnvoller erschiene mir eine kletterpflanze als symbol für den tod, die also dem aus dem fenster blickenden lyrischen ich langsam, aber unweigerlich näher kommt.
weiterhin empfinde ich das "lachhaft" als überflüssig. es wirkt wie ein fremdkörper, wie die autorenmeinung aus dem off - denn warum sollen tod oder hoffnung lachhaft sein? es passt nicht in den ernsten bzw schon tragisch anmutenden duktus des restlichen gedichts. das würde ich streichen.
insgesamt ein schönes gedicht, bei dem für mich die einzelnen teile indes noch nicht zusammenpassen.
grüße
Kjub

Zitat
tag
am fenster klebt ein tag
in den rhododendronblättern sitzt der tod
von sonnenauf bis
untergang
lachhaft
dann und wann
hängt noch am vorhang meine hoffnung
nur läßt er sich nicht schliessen
die kordel ist
seitdem ich denken kann
gerissen

zuletzt bearbeitet 17.03.2010 20:44 | nach oben

#3

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 18.03.2010 11:30
von Rainek Radar | 360 Beiträge | 360 Punkte

hallo kjub!

zu deinen fragen:

bei klinischen depressionen kommt den tag des öfteren eine ganz besondere rolle zu, er wird zeiweise zum "feindbild"; man erwacht früh morgens (obwohl todmüde) und kann des schlafes beraubt, nur immer wieder die eigenen vergeblichkeiten im kopf zelebrieren, ohne wieder einschlafen zu können; den ganzen tag lang strebt man auf die nacht zu die einzige tageszeit die einen, zumindest kurz, in den vergessenden schlaf sinken läßt;
deswegen die gewichtigkeit auf den tag;
und natürlich ist der tod ein zweites feindbild die existenzangst schlechthin auf die, in solchen zuständen, das ganze leben zuzustreben zu scheint; man selbst wehrlos im malstrom gefangen;
die gefahr für das lyrische ich liegt nicht an der pflanze selber (er wird sie schließlich nicht essen, sondern nur in der lethargischen betrachtung der pflanze, die im fenster steht der (schlafverlustigen) beobachtung der sonnenstrahlen auf der fensterbank und im namen natürlich in der leichten psychose, die man sich schon zugezogen hat, ob der isolierung und im verheerenden klang des pflanzennamens, der einem durch den geist zu spuken mag "rhododendron"; im spinnenbild vielleicht, das sich mir während des schreibens aufzwang, das dem leser aber (man siehe dein kommentar) eventuell verschlossen bleibt (was natürlich ein fehler des autors ist);
die kletterpflanze wäre bildtechnisch, für mein empfinden nicht so passend;
das "lachhaft" ist so etwas wie ein aufbäumen gegen den zustand der seele; man kommentiert sich selber es paßt gewollt nicht in den ductus denn dies ist kein selbstmordgedicht un dahin könnte uns ein unabschweifendes bild ja bringen, sondern ein text über einen krankheitszustand und über die isolation in selbiger;
tatsächlich also eine: regieanweisung aber des li´s an sich selbst;

sind die erklärungen (hab ich in dieser breite jetzt nur so zerkaut, weil ich deinen input als interessant befand - ich beschreibe meine bilder normalerweise ungern so vor - aber viellecht sind sie tatsächlich zu hermetisch?) für dich schlüssig?
kannst du etwas anfangen damit?
mit diesen überlegungen: würden deine vorschläge die gleichen bleiben?
dake fürs mitdenken;

mfg
rainek

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#4

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 18.03.2010 13:47
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

moin, ich bin richtig happy, dass ich heute frei habe und also in ruhe antworten kann. danke für deine erklärungen, rainek, mir ist der widerwille seine gedichte zu erklären natürlich weder fremd noch neu, denn das, was in ihnen steckt, kann wohl kaum durch irgendeine sekundärliteratur, sei es kommentar oder sonstwas, transportiert werden - stattdessen kann, was da ist, zerredet werden. das wissen wir ja alle, ich wollte nur mitteilen, dass ich dir bewusst auf den lyrischen pelz rückte, weil mich der text interessiert und ich die fragen artikulieren musste, auch wenn das vielleicht unhöflich wirkt.
nein, natürlich wäre die kletterpflanze nicht passend, ich stimme dir zu, denn hier geht es um die vergiftende innenwelt und nicht um eine aussenweltliche bedrohung. okay, rhododendron klingt in meinen ohren nicht verheerend, obwohl ich mir vorstelle, dass in entsprechender psychischer verfassung jede betrachtung und jedes wort schaden zufügen können, natürlich hat es diese dunklen vokale, der klang hat schon was düsteres, sperriges. also klanglich bin ich einverstanden, von einem sich mir aufdrängenden spinnenbild kann ich nicht berichten.
ich verstehe deine einwand gegen die streichung des "lachhaft", aber meine meinung ändert das nicht. es gibt so viele möglichkeiten ein gedicht sprachlich zu gestalten - meine sehen völlig anders aus, ebenso die von sankt marot bspw, und ich finde es sehr schwierig, verbesserungsvorschläge zu machen. leichter fällt es da schon, etwas überflüssiges zu benennen, und das ist für mich nach wie vor dieses eine wort, das aus den zeilen fällt.
also ich konnte damit schon was anfangen, auch wenn ich mir im detail und in der interpretation wie so oft kein schlüssiges bild machen konnte, gefiel und gefällt mir die atmosphäre der zeilen ganz ausgezeichnet.
grüße
Kjub

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#5

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 18.03.2010 15:06
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

.

Hallo.

"klebt" -> zeigt ausreichend die Zähflüssigkeit an, meine ich.
„kleben“ erinnert mich (auch) an Farbe, welche wiederum
zum Rhododendron paßt.

"Sonnenauf/Untergang, dann und wann, + noch" -> wirken
zwar wie auf dem Sprung ins Positive, aber der Vorhang
läßt sich nicht schließen, weswegen ich zur Kürzung rate.
„Meine Hoffnung hängt“ schließt den Rest ein.

Mein unverbindlicher Vorschlag:

am fenster kleben
rhododendronblätter (Blätter/Dauerzustand)
meine hoffnung hängt
am vorhang

(der sich nicht schließen läßt
seitdem ich denken kann)

ist die kordel gerissen


Dein Text gefällt, Rainek Radar, sehr sogar.

LG
Katerchen


Nachtrag: Version, um den giftigen (auch immergrünen+winterharten) Zustand
in einen Kreislauf zu binden.

meine hoffnung hängt
am vorhang
ist die kordel gerissen

(seit dem ich denken kann ...)

am fenster kleben
rhododendronblätter





.








.


->perhaps there is nothing in this universe but I self<-

zuletzt bearbeitet 18.03.2010 15:46 | nach oben

#6

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 19.03.2010 16:48
von Rainek Radar | 360 Beiträge | 360 Punkte

danke für deine anführungen katerchen;
ich denke nach wie vor darüber nach, deswegen die lange atempause vor meinem kommentar!

vor allem der aspekt des klebens, mit dem ich das spinnenbild im rhododendrons-sitzenden tod wiederfinden wollte, scheint bei beiden deutungen unterzugehen, dabei war es eigentlich für mich sehr wichtig - vor allem was die opferrolle des lryichs angeht
ich überlege gerade wie ich das noch besser machen könnte;
hmmm...

abgesehen davon:

tag
am fenster kleben
rhododendronblätter
sitzt der tod
noch dann und wann
hängt blind am vorhang
hoffnung

nur läßt er sich nicht schliessen
die kordel ist
gerissen




schön, daß er dir gefallen hat;
lg
rainek

zuletzt bearbeitet 19.03.2010 16:58 | nach oben

#7

RE: blank

in Düsteres und Trübsinniges 20.03.2010 06:43
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

.


Danke, Rainek Radar, für deine Antwort.

Zitat
mit dem ich das spinnenbild im rhododendrons



Nun, offensichtlich bin ich nicht gut informiert, denn ich bringe
keine der verschiedenen toxisch wirkenden Rhododendron-
arten, es hat übrigens unzählige, mit dem Spinnenbild (Terpene/
Spinne?) in Verbindung: Honig/Rhododendron/hippokratische Medizin
beispielsweise sehrwohl, womit ich wieder zur Zähigkeit gelange,
die ich nicht in erster Linie mit den Fäden des Spinnbilds/Rad/Kreislauf
in Verbindung bringe. Ich muß diesbezüglich schlicht passen, obwohl
der Text für mich selbstverständlich auch so wirkt.

LG
Katerchen




.


->perhaps there is nothing in this universe but I self<-

zuletzt bearbeitet 20.03.2010 07:00 | nach oben


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