#1

Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 01.09.2011 15:54
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte

Eindrücke : Ausdrücke

So sehr die Eindrücke verrinnen
und tiefer noch als je zuvor sich sehnend
gespeist von durstdurchtränkten Sinnen
sich wiegend und in Obhut wähnend
flüstern

So sehr der Geltungswille fordert
und die Bedeutungslosigkeit belauernd
von unerfüllten Träumen ordert
sich bauend und dabei vermauernd
strampelt

So sehr die Schüchternheit sich weigert
und unermüdlich zu Beherrschung mahnend
die Innenwelt zu Leben steigert
sich mühend doch ihr Scheitern ahnend
altert

So sehr die Angst im Schatten kauert
und heimlich bunten Lebenstrubel brechend
geduldig die Zerstreuung dauert
sich Licht zu losen Strahlen schwächend
dämmert

So sehr der Mut die Zweifel flutet
und ungestüm bekrönt zum Ausgang brandend
geläutert durch die Fluten blutet
sich übertrifft und in sich landend
tröstet

So sehr die Ausdrücke entrinnen
und höher noch als je zuvor sich dehnend
verwaist in Freiheit schon von hinnen
sich biegend und an Anmut lehnend
knistern

So sehr kann ich nicht einig sein.




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zuletzt bearbeitet 01.09.2011 15:57 | nach oben

#2

RE: Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 10.09.2011 10:14
von MarleneM (gelöscht)
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das ist ein geniales Werk, lieber Wilhelm, die Bandbreite zwischen dem, was uns im Inneren beschäftigt, und was wir daraus machen, in unserem Ich gefangen, toll beschrieben.
Immer stehen wir zwischen den Eindrücken, die uns nachdenken lassen, uns prägen, aber auch unter dem Zwang der Eindrücke, die wir zu hinterlassen suchen.( oder hinterlassen müssen).
Ausdruck findet manches nur selten, denn Ehrlichkeit ist immer gefährlich.
Gedanken aber sind frei und Zweifel erlaubt.
Das Reimschema ist anspruchsvoll, mal was anders.
Die Anhäufung von Partizipien macht es ein wenig schwieriger zu lesen. Aber sicherlich Geschmacksache.
Siehst mich begeistert.
LG von Marlene

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#3

RE: Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 10.09.2011 14:11
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte

Habe vielen Dank für das Lob, das ich gerne hinnehme.

Ich habe über 2 Jahre immer wieder an diesem Gedicht gebastelt und war nie zufrieden. Ich war froh, es dann endlich los zu sein.

Ich weiss nicht, ob das bei dir auch so ist, aber ich habe immer wieder Phasen, in denen ich das ganze Dichten sein lassen will, weil es ja doch keinen juckt. Aber auf der anderen Seite müssen wir auch keinen Erfolg erwarten, sondern sollten schon zufrieden sein, dass wir mit Gedichten unsere Gedanken ordnen dürfen. Es kann nunmal nicht jeder ein berühmter und reicher Künstler werden, so wie viele vielleicht insgeheim träumen, denn wer macht dann noch die normale Arbeit? Trotzdem sind Träume nicht verboten und Gedichte sind auch ein Weg, seinem Leben einen Nebensinn zu geben, der über das Funktionieren in der kapitalistischen Maschinerie hinausgeht. Aber was fasel ich wieder, ich freue mich, dass hier wieder ein frischerer Wind weht und die Muffigkeit, die auch ich zu verantworten habe, sich etwas verflüchtigt hat. Wenn wir uns weiter alle so motivieren, können wir uns doch an die Tastatur ketten und richtig loslegen!




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zuletzt bearbeitet 10.09.2011 14:13 | nach oben

#4

RE: Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 10.09.2011 15:39
von MarleneM (gelöscht)
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lächel.
Ich denke, es macht ( meistens) einfach Spaß, zu dichten.man ordnet seine Gedanken und wenn man sich noch an neue Genre heranwagt ( bei mir ist es nun die Terzanelle), dann ist es auch immer eine Herausforderung für Seele und Geist.
Und. wer berühmt ist, muss nicht zwangsläufig auch gut sein. Er muss nur den Geschmack der Mehrheit bedienen...
Smilie. kann ich nicht.
LG von Marlene

zuletzt bearbeitet 10.09.2011 15:40 | nach oben

#5

RE: Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 11.09.2011 09:03
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Das sind bedenkenswürdige Aussagen, lieber Wilhelm. Diese beschriebenen" Maßstäbe" möglicher menschlicher Verfasstheit: du wirst sie vermutlich nicht mit dem Gedicht loswerden, wenn sie denn für dich gelten. Interessant
finde ich den Hinweis auf den Schaffensprozeß für das Gedicht ( über zwei Jahre gebastelt, nie zufrieden gewesen, froh es endlich los zu sein). Mit dem Gedicht warst du über zwei Jahre nicht zufrieden. Das bedeutet, dass du auch nicht mit dir während dieser Zeit zufrieden gewesen bist. Und jetzt bist du es endlich los. Das klingt so, als hättest du es " abgeschoben", weil du dich nicht mehr mit seinen Inhalten beschäftigen wolltest. Etwa so, dass es dir selbst nichts Neues mehr zu sagen hätte, es sich in seinen Aussagen über zwei Jahre lang wiederholte und widerholte, also bestätigte und auch widersprach. Daran schließt sich meine Frage an: Wie kannst der Berichterstatter in deinem Gedicht einig mit sich werden? Zunächst stellt er ja in der letzten Zeile fest, dass er es "so"
nicht kann.

Das Gedicht geriet in ein" Feststellungsverfahren", in eine Befragung. Ich kann mir vorstellen, dass vor über zwei Jahren zunächst überwiegend Vermutungen da waren, die sich nicht gleich wörtlich zeigen konnten, wollten. Das wären ja zu frühe Eingeständnisse und Behauptungen gewesen, aber mindestens zeigte sich etwas, das Beachtung
forderte.

Und wie ging es weiter? Da kommentierst Du, dass es Phasen gibt, in denen du das Dichten sein lassen willst ... " weil es ja doch keinen juckt". Waren d a s die Unterbrechungen, mit denen es dein Gedicht zu tun bekam ?

Dein Gedicht beschäftigt - mich auch. Ich habe den Eindruck, dass du längst noch nicht fertig mit ihm bist ( natürlich meine ich nicht das Formale). " Gebastelt", schreibst du, hast du. Das Gedicht vermittelt mir nicht eine " Bastelei".

Gruß otto

zuletzt bearbeitet 11.09.2011 09:07 | nach oben

#6

RE: Eindrücke : Ausdrücke

in Philosophisches und Grübeleien 14.09.2011 02:44
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte

@MarleneM: Ich habe einmal nachgelesen, was eine Terzanelle ist. Beschreibung hier - das möchte ich auch versuchen. Sie klingt durch die Wiederholungen, die sich einpassen müssen, herausfordernd. Danke für den Hinweis!

@otto:
Du wirfst eine grundsätzliche Frage auf: Kann man einen Gedanken durch ein Gedicht befrieden? Kann man ihn so loswerden, ausspeien, begraben?
Ja, man kann, denn der Mensch, der man zu diesem Zeitpunkt ist, der macht sich seinen Frieden und formuliert seine diffusen Gedanken aus - so meint er zumindest, doch solange es ihm hilft und er vermeintliche Ordnung schaffen kann, ist das gut so.
Nein, man kann nicht, denn man lebt fort, neue Einflüsse prägen, der Blickwinkel und die Meinung wanken, und eine alte Conclusio ist nicht mehr richtig. So kann man denselben Gedanken und dasselbe Thema immer wieder neu in Worte fassen und doch nie alle Aspekte erkennen und ausloten, so wie man sich selbst nicht ausloten und erkennen kann.
So ist das Gedicht längst fertig, bevor es geschrieben wurde, und nie fertig, bis man stirbt. Dazwischen gibt es nichts, denn unendlich sind die gedanklichen Möglichkeiten.

Zufrieden war ich nie und bin ich nicht, denn jeder, der nach etwas strebt, ist nicht zufrieden mit dem Hier und Jetzt, sonst hätte er keinen Grund zu streben. Andererseits nützt es doch nichts und man könnte gleich zufrieden sein. Dazwischen gibt es eine wunderbar tröstende Grauzone.

Der Berichterstatter im Gedicht ist sich einig, denn er hat seine Persönlichkeitsteile erkannt und umfasst. Er ist sich einig, dass er uneinig sei - "so sehr kann er es nicht sein", was nicht heisst, dass er es wolle. Er vermeint nur, erkannt zu haben, wie zu viele Faktoren wirken, sodass er nicht einig sein könne.

Du umschreibst das Gedicht als Feststellungsverfahren im besten Beamtendeutsch. Und du hast recht, genau das ist es: Eine Bestandsaufnahme, ein Formulierungsversuch des Unformulierbaren.

Ich bin noch nicht damit fertig, du hast recht. Es ist ein Fluch, nicht loslassen zu können. Wer seine Gedanken nicht loslassen kann und sich eines guten Gedächtnisses bedienen muss, der wird überlagert und überlagert, der verirrt sich in seiner eigenen Bibliothek. Selig ist das Vergessen und erst aus einem alles weichmachenden, versöhnlichen Abstand kann man sagen - ja, es ist fertig, oder es war fertig. Will man das Thema neu aufrollen, wagt man nicht mehr, aus dem Abstand die alte Bearbeitung noch einmal anzutasten, weil man dann diesen gebliebenen Teil eines Menschen, der man war, verändert. Die alte Arbeit wirkt in sich geschlossen und darf nicht mehr angetastet werden, weil man seinen lebenden Ahnen damit schändet.

Und das ist der Schlüssel: Wenn das Gedicht oder der Text in sich geschlossen wirkt, wenn er abgerundet ist und gekürzt und ein Gefühl der Erlösung hinterlässt, dann ist er fertig. Dann ist der Text heilig und darf nicht mehr geändert werden, er ist doch mehr als nur ein Gedanke, auch eine Momentaufnahme. Ihn zu ändern, das wäre, als ob man einem alten Photo von sich das aktuelle Gesicht verpasst. Das ist eine Schändung und ein Sakrileg und darf nicht getan werden.

Grüße zurück und vielen Dank für deinen anregenden Kommentar!




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