#1

komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 11:55
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

mir fehlt das zerfetzende
der granaten
das zeitlupenhafte
spritzen der gedärme

es ist still seit ich fiel
aber nicht starb
sondern steril vegetiere

niemand fragte
ob ich töten wollte
keinen interessiert
ob ich so leben will

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#2

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 12:24
von Ein Gassenbaum (gelöscht)
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erstklassig mr. PERRY!

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#3

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 16:42
von Gast (gelöscht)
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Ich muss irgendwie an die Gedichte von Georg Trakl denken, der ähnliche Bilder benutzt hat. Hier aber rahmst du durch die Überschrift das Geschehen ein - ich habe das Gefühl, als wäre das LI ein Soldat, der bei einem Einsatz verletzt wurde und nun im Koma liegt. So wie er gegen seinen Willen in den Krieg geschickt wurde, so wird er nun von Maschinen am Leben erhalten, ob er will oder nicht.

Zitat
mir fehlt das zerfetzende
der granaten
das zeitlupenhafte
spritzen der gedärme


Das hat mich erst total irritiert, aber dann habe ich diese Strophe im Zusammenhang gelesen - ihm fehlt nicht der Krieg an sich, sondern das Leben, selbst in einer so grausamen Form wie von dir dargestellt.

So ziemlich das erste reimfreie Gedicht, das mich angesprochen hat, muss ich zusätzlich noch bemerken, normalerweise ist das nicht so ganz das Genre, das ich oft lese. Aber das hier ist m.E. einfach gut.

Mich würden die Hintergründe interessieren, die das Gedicht angeregt haben.

zuletzt bearbeitet 20.09.2011 16:42 | nach oben

#4

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 20:12
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Gassenbaum,
danke für die Blumen, auch wenn mir eine detaillierte Betrachtung lieber gewesen wäre.
LG
Perry

Hallo Evanesca,
freut mich jemand von der "Reimfraktion" unter meinen Zeilen zu lesen, der/die anscheindend seine "Vorurteile" überwinden konnte.
Einen persönlichen oder speziellen Hintergrund gibt es für diese Bilder nicht, nur die ohnmächtige Wut all der kleinen Rädchen, die funktionieren müssen ohne eine Wahl zu haben. Kriege gibt es viele sei es auf Schlachtfeldern oder mit Ethikhürden.
Der im Koma liegende Soldat, wie du gut herausgelesen hast, wünscht sich auf das Schlachtfeld zurück, um sterben zu können.
Danke fürs Feedback und LG
Perry

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#5

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 21:57
von Ein Gassenbaum (gelöscht)
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eine detailierte beschreibung fehlt el Perrito für seine wundersamen 10 zeilen? hier hast du sie, du alter leichtreicher:



Zitat
mir fehlt das zerfetzende
der granaten
das zeitlupenhafte
spritzen der gedärme

eine rührende beschreibung von dem was dem prot abgeht. anregend und stimulierend beschreibst du hier VIVA LA MUERTE. sensibler kann es nicht mehr gehen!

es ist still seit ich fiel
aber nicht starb
sondern steril vegetiere

ach wie ver- und bezaubern hier steriler vegetarismus gezeichnet wird. der führer als veganer hätte sich vor freude gedreht wie: ein indianer!

niemand fragte
ob ich töten wollte
keinen interessiert
ob ich so leben will


welche süsse freunde den prot umgeben? taliban? kongolesen? SLA? Insurgenten? warum es diese wixanten auch noch interessieren sollte warum der prot leben oder nicht leben will erscheint mir wie der schleier einer trauernden brautjungfer!



zuletzt bearbeitet 20.09.2011 22:15 | nach oben

#6

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 22:37
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Gassenbaum,

"Viva la Muerte"
"Vegetarismus"
"taliban? kongolesen? SLA? Insurgenten?" und
zu guter Letzt auch noch eine
"trauernde(n) brautjungfer"
das sprengt tatsächlich meine "wundersamen Zeilen", bzw. meine Interpretationserwartungen.

Trotzdem Danke für deine "explosive" Sicht hinter die Bilder.
LG
Perry

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#7

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 20.09.2011 22:44
von Ein Gassenbaum (gelöscht)
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gerne, mein alter.

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#8

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 21.09.2011 09:49
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Guten Tag, perry!

Noch einer von der 'Reimfraktion' meldet sich hier. Ich sah Dein Gedicht sofort, nicht zu übersehen was beschrieben wird. Die Hinweise sind deutlich: Granaten - Gedärme - nicht starb - steril vegetiere - ob töten wollte - ob so leben will.
Wenn ich auch den Schreiber schätze und respektiere, melde ich mich nicht gerne bei solchen Themen zu Wort.
Für mich sind die Grausamkeiten, das Elend und die Unvernunft, das Leid des Individuums, das dahintersteckt, ein Faktum.
Wir können nicht mehr aufrütteln, wo Tod keine Schlagzeile mehr ist, soferne es nicht gleich um viele Tausende geht; genauso ist es mit dem menschlichen Leid.

Wen könnten wir noch betroffen machen außer uns selbst, die wir doch die Betroffenen sind. Die vernunftresistenten Verursacher können wir nicht ändern. Mit 'vegetiere, niemand fragte, keinen interessiert'
wird die Qual deutlich, zugleich das Desinteresse an ihr, die Oberflächlichkeit und Ignoranz. Das ist leider so, soferne man nicht selbst betroffen ist.
Doch auch dann, selbst bei verständnisvollstes Mitfühlen und bestem Verständnis, brächte dieses keine merkbare Linderung. Für Hilfe zu spät, wenn Handlungen geschehen sind, die nicht korrigiert werden können. Einzige Maßnahme kann nur die Verhinderung sein.
Nur ein kleiner und sensibler Kreis wird durch mahnende Bilder angesprochen. An jenen, die am Unglück und an den Folgen beteiligt sind, prallt alles ab. Ich schätze kaum, daß diese hier oder in Publikum sind oder ihr Interesse Richtung Literatur geht.

Mit der Erwartung auf ein fröhlicheres Thema
grüße ich Dich freundlich!
Joame

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#9

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 21.09.2011 23:49
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Joame,
ja da hast du sicher recht, darüber zu schreiben hilft nicht wirklich viel, aber darüber zu reden vielleicht.
In diesem Sinn, danke fürs Kommentieren und LG
Perry

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#10

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 22.09.2011 11:34
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Hallo Perry,


Merkwürdig,
ich sah mir gestern einen Film an... eigentlich sollte es eine Liebesgeschichte sein von einer Frau, die nach dem 1. Weltkrieg ihren Verlobten sucht; nicht an seinen Tod glauben will.

Doch der Film zeigte vielmehr die Schrecken des Krieges, in dem sich die Männer in ausweglosen Situationen befanden und genauso ausweglos darauf reagierten.

Ich frage mich ernstlich, ob Menschen, die solche Gräuel gesehen, erlebt und getan haben sich noch um einen kleinen Dorn im Finger kümmern können.

Wahrscheinlich sind die zu beneiden, die -wie in deinem Gedicht- nicht überlebten. Und wenn sie überlebten, ihnen eine Amnesie zur Hilfe kam.

lg,
rubber

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#11

RE: komatraum

in Düsteres und Trübsinniges 24.09.2011 16:06
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Rubber,
ich hatte den Film nicht als Vorlage, er zeigt nur eine ähnliche Situation.
Mir ging es um das "Fremdbestimmtsein", dass wir in vielen Situationen nicht tun können was wir wollen. Natürlich hier in besonders drastischen Situationen eingefangen.
LG
Perry

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