#1

Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 11.10.2011 09:52
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Nie aßt du gott, trankst nicht sein blut aus kelchen,
du nahmst vom fleisch gesotten, zart gebraten,
die keule saftig, tierisch wohl geraten,
dazu den wein, dem süßen saft mit welchem

dein geist, die seele schaffensfreude brachten,
in dunklen stunden licht den schatten liehen,
dir sünden selbst erkennend ziehen,
bis wieder vögel sangen und die kinder lachten.

Du bist geschöpf, bemüht sozial zu leben,
und stets bereit das rechte anzunehmen,
nie wolltest du mit dem was war bequemen,
schon immer suchtest du, im menschlich streben.

Und doch: wirst fallen, mit dem fall die fragen,
gäbe es IHN, wollst du dich ihm vertragen.

zuletzt bearbeitet 11.10.2011 09:53 | nach oben

#2

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 11.10.2011 11:07
von pistacia vera (gelöscht)
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Lieber Otto,
ein interessanter Text, der sich nach meiner Lesart um das alte Testament oder die Thora dreht.
Morgens, nach dem Erwachen, lasse ich mir Kaffee zureichen oder bringe ihn mir selbst ans Bett, um dort noch ein halbes Stündchen mit den Schriften zu "vertrödeln."
Weit interessanter als die Genesis sind für mich das Buch Levitikus und Numeri. Hier stellt sich immer wieder heraus, dass der Wüstengott ein grausamer, ein unnachsichtiger Gott war. Schon für das kleinste Vergehen an den weit über 600 Vorschriften und Geboten wurde Sühne erwarte, in Form von getöteten Tieren, deren Brandgeruch dem Herrn ein Wohlgefallen war. Bis ins Kleinste war vorbestimmt, in welcher Form das Opfer dargereicht werden musste, da ist "unsere" Metrik ein Klacks dagegen.
Tatsächlich drängt sich die Frage auf, ob der ewige Gott denn seinen eigenen Ansprüchen genügen würde?
Wer weiß das schon.
Ein schönes Sonett, das einerseits den All-Einigen, andererseits eines seiner Geschöpfe (nämlich den Menschen) darstellen kann. Letzteres hast du wohl gemeint, ersteres ist mir aber näher.
Dir einen lieben Gruß
pista

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#3

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 11.10.2011 11:48
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Liebe pista!

Ja Opfer. Sie sind mir auch bekannt, nicht nur aus der Bibel, der Thora, auch aus vielen Kulturen. Ich meine diese Opfer zu verstehen. Es wurden in einigen Kulturen auch Menschenopfer dargebracht, als Zeugnisse der Angst vor einer Strafe, also den jeweiligen Gott, um die Götter milde zu stimmen, für sich einzunehmen.

Mit Gottes Fleisch und Blut dachte ich zunächst an die katholische Kirche. Das Glaubensbekenntnis ist in vielen Religionen ein Hingabe, ein sich fügen, unterordnen, Suche nach Schutz gegen das Widrige. Suche nach Hoffnung, Vergebung von sozialen Regelbrüchen, denen der Mensch nicht ausweichen kann. Eben die Selbstbehauptung mit der Hilfe einer personifizierten Allmacht.

Mein Gedicht bezeichnet die gelebte Ambivalenz des Menschen in der Revolte. Er fühlt Ungerechtigkeit gegen etwas, an das er nicht glauben will oder es nicht vermag. Und dennoch kann er nur gegen etwas revoltieren, gegen etwas, das er dazu vorausetzen muß. Im Grunde meine ich, dass sich die menschliche Revolte gegen den Menschen selbst richtet, als einen, der sich selbst als Ungerechten erlebt, aber nicht schuldig sein will. Denn er
fragt sich -natürlich- muß ich so sein? Schließlich delegiert er sein Ungenügen. Er will dem nicht geglaubten Gott
zurückgeben. Entweder opfernd oder mit Verachtung. Doch in keinem von Beidem findet er Antwort zu seinen Zweifeln,
absolute Freiheit, sich selbst zu bestimmen.

Was wäre ein Vertrag mit einem Gott gegen den der Mensch revoltiert, ohne an ihn zu glauben?
Möglich, dass er ein Suchender wäre, einer der sich aussöhnen möchte, und der fähig wäre sich gottglaubend
selbst zu gestalten, zu bestimmen. Welchem Gott gefiele das? Sicherlich keinem vom Mensch selbst erdachten. Der andere schweigt auf Fragen, der Mensch bleibt in der Revolte. Doch er bedarf, unfertig geschöpft als einer,
der an sich selbst zweifelt.

Und wir schreiben uns weiter aus.

Danke für Deinen Kommentar und die Beispiele in den Schriften.

Liebe Grüße,

otto.

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#4

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 11.10.2011 12:21
von pistacia vera (gelöscht)
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Aha. Du hebst ein weiteres Mal auf Camus ab ... In dessen Roman "Die Pest" (1947) lässt er den Arzt Rieux Folgendes sagen:

Zitat
“...da die Weltordnung durch den Tod bestimmt wird, ist es vielleicht
besser für Gott, wenn man nicht an ihn glaubt und dafür mit aller
Kraft gegen den Tod ankämpft, ohne die Augen zu dem Himmel zu
erheben, wo er schweigt.”


Vielleicht eine passende Ergänzung zu deinem Gedicht?
Herzliche Grüße
pista

zuletzt bearbeitet 11.10.2011 12:22 | nach oben

#5

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 11.10.2011 21:19
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Ja, liebe pista!
So verstehe ich A. Camus.
Er war lebendiges Beispiel für seine Überzeugungen. Ein Beispiel für jedes Mitglied in jedwedem Literaturforum. Auch in diesem!

Liebe Grüße,

otto

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#6

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 12.10.2011 15:48
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Otto,

da hast du ja jede Menge "Sinnfragen" des Lebens hineingepackt. Da Pista bereits ausreichend Hintergrundrecherche betrieben hat, will ich mich mehr der Bildsprache zuwenden, weil mir da einige Stellen aufgefallen sind:

"dir sünden selbst erkennend ziehen,"

da stellt sich mir die Frage welches "Register" hier wohl gemeint sein könnte, oder welcher "schlechte Zahn?"

"nie wolltest du (dich) mit dem was war bequemen,
schon immer suchtest du (dich), im menschlich streben."

Hier wirken die Verkürzungen der Sprache störend.

Ich weiß, das sind nur Kleinigkeiten, aber vielleicht kannst du ja doch etwas
damit anfangen.

LG
Perry

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#7

RE: Geschöpft

in Philosophisches und Grübeleien 12.10.2011 16:58
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Danke, lieber Perry!

Auch ich finde die Verkürzungen als störend. Ich will das gerne überdenken, aber es wird mir nicht leicht damit.

Liebe Grüße,

otto.

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