#1

Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 03.06.2014 21:11
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Frühlingsmorgen

Er sieht, wie -- dicht dem Horizont -- aus grauen,
nur leicht vom Wind zerpflückten Nebelschwaden
ein Vogelschwarm sich naht auf Eos Pfaden,
um Brutgefilde nistend zu bebauen.

Der Anblick kalter Röte lässt ihn schaudern,
erinnert ihn, wie glühend heisse Wangen
ihn hilflos stammeln ließen, voll Verlangen.
Und wie sie ihn verlachte, ohne Zaudern.

Er schaut zum Nachbarhaus, wo er sie fand,
träumt sie, die sich an jenem Fenster zeigt,
wie sie sich lächelnd, lauschend dreht zur Wand.
Und wie sie sucht, wo er verborgen geigt --
Er zwingt den Rollstuhl näher an den Rand
des Dachs. Und siegt, als er sich endlich neigt.



Ein anderes Gedicht mit dem gleichen Titel:



Frühlingsmorgen

Ein Wind steht im Gesicht des Fischers, schneidend,
bläst ihm die Wangen rot, die Adern blau.
Noch halten klamme Finger Netz und Tau.
Der Alte starrt, den Blick zur Kimm vermeidend,
zum Deich. Dahinter weht bestimmt nur lau
die Brise, denkt er, wird die Wäsche trocken?
Nicht wirklich kümmern ihn die frischen Socken:
Nur heimkehrn will er nicht zu seiner Frau.
Wie soll, wie kann er ihr vor Augen treten,
ganz ohne Hein, der munter war am Morgen,
ein Liedchen pfiff, als wolle er so beten
um Glück bei der Geburt, doch ohne Sorgen
ums dritte Kind. Bis kimmwärts Böen drehten
und Hein versank: Hätt er ihn nur geborgen!




zuletzt bearbeitet 25.06.2014 19:25 | nach oben

#2

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 04.06.2014 13:59
von ugressmann | 942 Beiträge | 929 Punkte

Lieber Hannes,
14 Zeilen, die einen ganzen Roman beinhalten. (Ich habe die Zwischenräume in Gedanken ausgefüllt).
LG Uschi

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#3

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 04.06.2014 23:30
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Liebe Uschi,

ja, man könnte das Gedicht als das Exposé einer Erzählung hernehmen, zumindest für die Szene kurz vor dem Ende. Aber die Erzählung werd ich wohl nicht schreiben können, mangels Zeit und Übung.... Gut zu wissen, dass Du Dir die nur angerissenen Geschehnisse vorstellen konntest. So hatte ich es mir erhofft.

Liebe Grüße

Herbert

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#4

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 06.06.2014 09:20
von yaya (gelöscht)
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Guten Morgen, lieber Johannes,

da hatte ich nun meine Mühe mit dem text, den ich beim ersten Lesen gar nicht verstand. Deshalb,
weil der lange Hein schon ein Symbol für den Gevatter Tod ist und der versenkte Tod, der sich auch
noch wegen einer Geburt sorgt, Ertrinken eines Menschen nicht notwendigerweise nach sich zieht.

Im Rahmen meiner Verständnisstörung kriegte ich den Bogen von den Socken bis zur versäumten
Bergung nicht mehr. Die Zeilen finde ich verwirrend, zumal die Form ein Runterlesen nahelegt. Das
Thema wäre in einer Ballade mit mindestens sieben Strohen m. E. besser untergebracht. Deswegen
ist es klar immer noch eine Leistung und ich könnte das nicht. Aber Überarbeitungen sollen ja durch
unsere Kommentare Impulse bekommen, weswegen ich es doch schreiben mochte. Grüße von Yaya

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#5

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 06.06.2014 13:49
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Liebe yaya,

Hein und Gevatter Tod, diese Assoziation war nicht unbedingt gewollt :). Hein stirbt auf See, insofern ist Gevatter Tod nicht fern. Hein ist hier aber der Sohn des alten Fischers, und Heins Frau steht kurz vor der Geburt.

Um die Verwirrung zu vermeiden, könnte ich Hein in Piet umtaufen.

Danke für den Kommentar. Ich werde noch mal in Revision gehen :)

es grüßt
der.hannes

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#6

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 06.06.2014 16:31
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Hannes,
mit der erzählten Geschichte hatte ich keine Probleme, auch wenn es etwas unklar bleibt, warum er den "Hein" nicht geborgen hat. Die Frage ist, ob der Text für ein Gedicht nicht etwas mehr lyrische Substanz (Verdichtung, Metaphern etc.) vertragen könnte.
Konstruktiv habe ich der "Kimm" nachgespürt, auch weil sie gleich zweimal vorkommt.
Laut Wiki ist

Kimm:
die auf offenem Meer sichtbare Grenzlinie zwischen Wasser und Himmel, siehe Horizont in der Nautik, Kimmlinie
den Übergang vom Schiffsboden in die Bordwand, siehe Kimm (Schiffbau)

Ich denke mal, dass die Bedeutung "Horizont" gemeint ist, wobei mich dann die Beschreibung "bis kimmwärts böen trieben" etwas verwirrt, weil zum Horizont gerichtete Böen nicht gefährlich anmuten.

Vielleicht kannst Du damit was anfangen, wenn Du noch am Text arbeiten willst.

LG
Perry

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#7

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 06.06.2014 17:12
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Hallo Perry,

danke für die Hinweise, ich lasse sie mir durch den Kopf gehen, Vielleicht ist der "Stoff" für ein Sonett nur bedingt geeignet (zu umfangreich) ...

es grüßt
der.hannes



ich habe einen ähnlichen Stoff in einem neuen Gedicht dem alten an die Seite gestellt.
Aus meiner Sicht ist das neue besser.

Seht ihr das auch so?

Dank im Voraus und Grüße
vom.hannes

zuletzt bearbeitet 12.06.2014 19:09 | nach oben

#8

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 25.06.2014 19:26
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

den Frühlingsmorgen mit Hein habe ich nunmehr in den Spoiler verbannt, zugunsten des Frühlingsmorgens mit Rollstuhl.

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#9

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 26.06.2014 13:43
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo hannes,
sich im Rollstuhl aus verschmähter Liebe in die Tiefe zu stürzen, ist zumindest genauso dramatisch.
Konstruktiv würde ich die letzte Strophe durch eine Leerzeile in zwei Terzette trennen.
LG
Perry

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#10

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 03.07.2014 16:17
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Lieber Perry,

ja, dramatisch ist das sicherlich, wohl mehr noch als in der anderen Fassung.

Über die Teilung des Sextetts in zwei Terzette hatte ich auch nachgedacht. Hier schien mir aber der inhaltliche Zusammenhang der Zeilen für ein Sextett zu sprechen.

es grüßt
der.hannes

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#11

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 04.07.2014 14:58
von munk (gelöscht)
avatar

hallo der.hannes,

chapeau für beide varianten.


lg der munkel

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#12

RE: Frühlingsmorgen

in Düsteres und Trübsinniges 04.07.2014 21:38
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Lieber Munkel,

Danke. Ich weiß Dein Lob wirklich zu schätzen :^)

es grüßt
der.hannes

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