#1

Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 30.08.2008 10:00
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Ys Wóród


Schun lengy, wi myr noch kleny wóry,
sei myr oft uf di Hutwad spiely gang,
un wie's halt schun is in seli Jóry,
allónich wórs Spiely ó nie zu lang.


So bin ich alló mol am Schintyplatz gwest
un hab was far Spiely gsucht,
awe gfun haw ich bloß a leers Atzlsnest
un a Handvoll griesauri Schlewyfrucht;

ich geh an di Hecky, far a bissl verschnaufy
un sich wi ich nechyty kum,
a Wóród, a altys, in óm Brenneslshaufy
mit óm Eisyroof umytum.

Na freilich do wór ich no órich froh,
weil glei haw ich gwißt, was zu machy is:
hab's schee an a freies Platz hiegyzo
un vun owy am Maraschberch nunygschmiss.

Awy no haw ich gschaut! Des wór zimlich schwer -
des is dart nunyghopst un gródlt!
Ich hab gmónt ys macht myr di Plaumybem leer,
so hots di Äst abgyblódlt.

Ich hab nar vyrissyni Bletty gseh,
uns Eisy hot grapplt dro -
un ich wor myr sichy, des bleibt nimer steh,
so vun vyrschrock wór ich no.

Un gród wi ich schun weglófy will,
haw ichs nimer gseh un's wór weg.
A Platschy noch, un allys wór still
un drin wórs im Grówy, im Dreck.


Mensch wór ich froh, daß nix is passiert!
Weil kannst dyr jo denky, was wär gscheh,
wanns driwyhopst un sich no verliert -
un's trefft myr im Wald noch a Reh!



Audioversion gelesen vom Autor


e-Gut
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#2

Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 30.08.2008 13:25
von Pog Mo Thon (gelöscht)
avatar
Sehr schöne Audioversion, ohne die ich allerdings auch vollkommen aufgeschmissen gewesen wäre. So aber lässt es sich gut anhören, dann sogar verstehen und auch genießen. Das liegt sicher auch an meinen bescheidenen Ansprüchen und meiner Vorliebe für viele (nicht alle) Mundarten. So ein wenig erinnert es mich an das Bajuwarische. Ein wenig mehr Tiefgang hätte ich mir schon gewünscht, das geht auch bei vermeintlich einfachen Texten. Vielleicht habe ich es aber doch nicht so ganz verstanden, dann bitte ich um Entschuldigung.

Strophen 3 und 5 habe ich besonders genossen, nicht nur phonetisch. Hier fühlte ich mich an meinen persönlichen Mundart-Star Ringsgwandl erinnert und dessen fantastisches Album "Staffabruck".
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#3

Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 30.08.2008 15:02
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
wow, soviel Zuspruch? freut mich. das ist Banater Schwäbisch. die bajuwarischen und österreichischen Einflüsse sind unverkennbar.
sorry dass ich nicht mehr Tiefgang bieten konnte. dr Schwob schlacht ómy halt immer ins Gnack, kammer nix machy.
und "bescheidene Ansprüche" ist gut. gerade bei Dir.

"umytum" und "abgyblodlt" mussten ja auch irgendwo festgehalten werden. der Tümpel war mir da grade gut genug dazu. du hast aber vergessen mich für das innovative verwenden des Ypsilons zu loben.

den Ringswandl kannte ich nicht, hab mal bei iTunes reingehört. Schlaaz Im Knie und Smaragdbaumnatter, aha. interessant, vor allem weils bei German Pop gelistet wird.
"Winter" hat mich aber sogleich angesprochen.
merci für den Tipp.

Gruß
Alcedo

e-Gut
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#4

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 14.02.2017 16:12
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Hallo, Alcedo!

Bin jetzt über den Link auf dein Gedicht aufmerksam geworden und habe, nach mehrmaligem Lesen, nun den Eindruck vieles zu verstehen - aber auch nicht alles. Durch den Banater Dialekt fühlt es sich für mich so an, als ob ich in eine andere Welt eintauchte.

Ein zentraler Begriff, die Überschrift "Ys Wóród", bleibt für mich rätselhaft. Ist es ein eisenbeschlagenes, altes Wagenrad aus Holz? Im Kontext muss es ja etwas sein, das schnell den Berg hinunterprescht und durchs Dickicht bricht und die Äste der Pflaumenbäume "abhobelt". Da fallen mir assoziativ die brennenden Heuräder ein, die nachts in Tal gerollt werden, in Süddeutschland, Skandinavien?

Jedenfalls ist es etwas, das vom kindlichen oder verspielten lyrischen Ich (auch symbolisch) ins Rollen gebracht wird. Die Art und Weise, wie es Fahrt aufnimmt, die Blätter zerfetzt, bedrohlicher wird, überrumpelt das lyrische Ich ("so etwas von verschreckt war ich noch nie...) - auf mich wirkt diese Momentaufnahme aus der Kindheit oder Jugend wie eine Initialzündung oder wie ein Initiationsmoment, in dem das lyrische Ich die Schwelle zum Erwachsensein übertritt; das "Wóród" konnte also ein Symbol fürs Erwachsenwerden sein; man trifft Entscheidungen, für die man (zum ersten Mal) alleine Konsequenzen tragen muss.... Das erinnert mich an Kurzgeschichten von Hemingway mit ähnlicher Thematik.

Die Wörter im Banater Schwäbisch haben einen eigenen, ursprünglichen Charme, so wirkt es jedenfalls auf mich. Sind dort viele Wörter und deren Aussprache aus den vergangenen Jahrhunderten "konserviert"? So, wie das Englisch der Neufundländer in Kanada einige Begriffe aus der Shakespeare-Zeit gut bewahrt haben soll oder bestimmte Dialekte in Amerika (zumindest was die Aussprache betrifft) dem britischen Englisch (!) aus dem 17. Jahrhundert näher sein sollen als das heutige Oxford-Englisch?

Viele Wörter finde ich sehr interessant und ich kann sie aus dem Kontext verstehen: die Hüteweide für das Vieh oder das Adlernest ("Atzlsnest"), aber "griesauri Schlewyfrucht"? Schlehenfrüchte?
Bemerkenswert die Endungen auf Y, sowohl in Verben (anstelle von z. B. -en) als auch im Nomenplural ("Brenneslshaufy") - ein individueller Kniff von dir, um der Aussprache sehr nahezukommen...?

Was bedeutet "nechyty"? Der "Schintyplatz"? - lediglich ein Name oder eine funktionelle Ortsbezeichnung wie "Hutwad"?

Für mich ein spannendes Sprachpuzzle mit geheimnisvollem Lokal- und Zeitkolorit ("Maraschberch", "in seli Jóry" ...). Ein lyrisches Ich, das inne Jugend gerne durch die Blüsen spazierte und dabei in einem magischen Moment erwachsen(er) wird.

Gruß,
Artbeck

zuletzt bearbeitet 14.02.2017 18:52 | nach oben

#5

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 15.02.2017 06:31
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Mensch, Art, jetzt plättest du mich

wieder liegst du fast durchgehend richtig, selbst dort wo du zweifelst:

Zitat
ein eisenbeschlagenes, altes Wagenrad aus Holz?

ja. eines dieser uralten Wagenäder mit massiver Holz-Nabe und Speichen, mit einem Eisenring beschlagen, wie ein Fassring, wie sie die Amish heute noch benutzen (allerdings eleganter und schlanker gearbeitet). besser hätte ich die Überschrift nicht beschreiben können, Art. Ys ist dabei schlicht der Artikel => Ys Wóród = Das Wagenrad. Y der Vokal, den ich von den individuellen schweizerischen Mundartschreibweisen entlehnt habe. der wird in zwei verschiedenen phonetischen Varianten ausgesprochen. eine klingt wie das zweite e im deutschen Schlehen, wie es meist gebracht wird.

und das alles ohne die Audiounterstützung, Respekt! ein Feingefühl für Sprachen und ein Faible, oder eine Passion für aus der Zeit gefallene Dialekte scheine ich bei dir auszumachen. und erneut liegst du richtig. beim Donauschwäbischen handelt es sich durchgehend um konservierte Mundarten aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, welche von Siedlern aus dem westlichen Teil Europas ab 1722 in die pannonische Tiefebene gebracht wurden und sich danach kaum verändert haben. der obige Idiom hat hauptsächlich Elsässisch-Lothringische Wurzeln.

Vielen Dank, Art. freute mich sehr. am meisten darüber:

Zitat
überrumpelt das lyrische Ich ("so etwas von verschreckt war ich noch nie...) - auf mich wirkt diese Momentaufnahme aus der Kindheit oder Jugend wie eine Initialzündung oder wie ein Initiationsmoment, in dem das lyrische Ich die Schwelle zum Erwachsensein übertritt; das "Wóród" konnte also ein Symbol fürs Erwachsenwerden sein; man trifft Entscheidungen, für die man (zum ersten Mal) alleine Konsequenzen tragen muss...


Gruß
Alcedo


Atzl = Elster

Schlewy = Schlehen

Schintyplatz = Schinderplatz / Schindplatz

nechyty = näher / Näherung / Annäherung

abgyblodlt = abgeblättert / entblättert


e-Gut
zuletzt bearbeitet 15.02.2017 06:31 | nach oben

#6

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 15.02.2017 22:52
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Guten Abend, Alcedo!

Gern geschehen. Der Text hat mich gleich in den Bann gezogen, obwohl oder gerade weil ich ihn mehrfach lesen musste. Danke auch für deine näheren Erläuterungen zum Donauschwäbischen.

Und die “Atzl“ ist die Elster? Wenn man es weiß, klingt es auch naheliegender als ein Adler! Ein Schindplatz ist wahrscheinlich eine uralte Stelle mit einer knorrigen Eiche, wo früher Gericht gehalten wurde, eventuell Hinrichtungen stattfanden. Das könnte auch die Stimmung im Gedicht unterstreichen, dass hier etwas Besonderes passiert. Werde den Begriff noch einmal nachsehen.

Gruß,
Artbeck

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#7

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 16.02.2017 05:50
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Art

Danke für dein Interesse. hier ein Link zu dem Wort in einem donauschwäbischen Wörterbuch:
https://books.google.de/books?id=q3Nq8Hs...erplatz&f=false

der Schindplatz / Schindacker war in meinem Fall baumlos gewesen. dort wucherten Brennnesseln und Attich und es roch in der warmen Jahreszeit immer nach Verwesung. das frühere Schinderhaus war zerfallen. das Areal befand sich etwas außerhalb des Dorfes und verkam mehr und mehr zur Müllkippe. im „Schindyhaus“ (mitten auf dieser Müllkippe) lebte früher der Schinder mit seiner Familie (in deutschen Dörfern meist ein Roma). immer zu Neujahr lief er durchs Dorf und bekam seinen Lohn fürs ganze Jahr von den Einwohnern. in meiner Zeit (der Schinder wohnte später mit seiner Familie im Dorf, weil zunehmend Häuser frei wurden, von Deutschen die in die BRD ausgesiedelt waren) hatte sich der Schinder nur noch um Tiere zu kümmern. also um alte Köter die keiner mehr brauchte, um kranke Haustiere, die man ihm brachte, Kater die sich an Küken vergangen hatten, tote Kühe aus der Kolchos, oder alte Klepper die er verscharren sollte, und ähnliches. wenn die „Vogylfreck“ (Vogelgrippe) umging kam er auch ins Dorf und holte die verreckten oder kranken Geflügel direkt aus den Höfen ab.

Gruß
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 12.03.2017 08:21 | nach oben

#8

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 17.02.2017 21:50
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Guten Abend, Alcedo!

Schon wieder etwas gelernt! Von einem solchen Ort und so einer Tätigkeit hatte ich vorher noch nie etwas gehört - aber ich kann es mir jetzt lebhaft vorstellen...! Vielen Dank für deine Erläuterungen und den Link!

Gruß,
Artbeck

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#9

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 12.03.2017 08:14
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Art

habe die Audiodatei von 2008 endlich auftreiben können. habe sie hier unten angehängt. das Topic möchte ich nicht mehr bearbeiten, weil ich damals zum ersten Mal diese Schreibweise verwendet habe für das Schöndorfer Idiom.

Gruß
Alcedo


Dateianlage:
e-Gut
zuletzt bearbeitet 12.03.2017 08:16 | nach oben

#10

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 12.03.2017 23:16
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Guten Abend, Alcedo!

Toll, dass du die Audiodatei noch gefunden hast! Vielen Dank! Eine klanglich sehr eindringliche und anschauliche Vortragsweise, die die Bilder und Assoziationen, die sich bei mir eingestellt haben, perfekt abrundet!
Sehr gerne gehört!

Gruß,
Artbeck

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#11

RE: Ys Wóród

in Ausgezeichnete Lyrik 16.03.2017 09:07
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

ich habe zu danken, Art
und es freut mich dass es dir zusagt.


e-Gut
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