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von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 07.09.2007 10:32von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Die Wannseeprinzessin
Es war einmal eine kleine, unscheinbare Frau. Sie trug immer nur braun in braun und ein Hütchen auf dem Kopf. Ihr Gesicht war schmal und verträumt aber auch wenig verbittert. Verbittert, weil ihr das Leben nicht immer gut mitgespielt hatte. Sie lebte allein, aber das war nicht immer so gewesen. Doch ihren Mann, das war schon lange her, den hatte sie schnell verloren an eine Andere, die hübscher war als sie. Aus ihren wasserblauen Augen schaute sie mal kalt, mal traumverloren auf die sie alleingelassene Welt. So machte man das, als kleine unscheinbare Frau.
Marianne, hieß sie, und lebte in einer kleinen Wohnung in Berlin. Gleich neben den S-Bahn Bögen, gleich neben dem Schinkelstuck, gleich neben dir und mir, wenn du auch in der Stadt von Marianne lebst.
Marianne, in ihrem braunen Kostüm, ging jeden Morgen zur gleichen Zeit aus dem Haus. Denn auch ihr Bus kam pünktlich wie ein Uhrwerk. Und da sie beide stets pünktlich erschienen, verpassten sie sich nie: der große gelbe Bus und die kleine, braune Frau. Dann stieg sie ein und auf der vorletzten Bank nahm sie Platz, starrte hinaus und fuhr zur Anlegestelle ihrer Fähre.
Wenn du in Berlin nach der Wannseeprinzessin fragst, dann werden dir viele sagen, das sei eines der Fährschiffe zwischen Kladow und Zehlendorf, dass manchmal auch als Ausflugsschiff am Wochenende eingesetzt wird. Aber fragst du die Fährmänner von der Stern- und Kreisschiffahrt, dann nicken sie bedächtig, streichen, wenn möglich, ihren Bart und wiederholen deine Frage: Wer die Wannseeprinzessin ist? Und dann erzählen sie dir, das sei eine kleine, stets gleichgekleidete Frau mit Hut, die jeden morgen zur gleichen Zeit am Kladower Steg auf die Fähre wartete und sich – mochten es auch dreißig und noch mehr Grad seien - ins Unterdeck in die vorletzte Reihe setzte und wie gebannt aufs Wasser schaute. Nie sagte sie ein Wort, nie rührte sie sich und wenn dann nur, um den Sitz ihres Hutes zu korrigieren. Aber ansonsten saß sie nur da und schaute aufs Wasser.
Fährmann Rollo Brandt, so hieß er wohl, soll ihr an dem Tag den Namen verpasst haben, als auch auf dem kleinen Wannsee die Wellen windgepeitscht umherwogten, prasselnder Regen aufs Deck und auf die Scheiben ging, Rollo das Ruder mit fester Hand halten musste und die kleine Fähre durch die schweren Wellen stampfte.
Sie aber hätte dagesessen als sei das alles nichts. Vielleicht einmal mehr als sonst mit dem Zeigefinger den Sitz des Hutes korrigiert, aber weder sei sie grün angelaufen noch irgendwie sich hätte anmerken lassen, dass der Seegang ihr zu viel geworden wäre. Die anderen Passagiere hätten alle die Luft angehalten, so mulmig sei denen geworden. Da hätte sie der Käpt`n auf den Namen getauft, den ihr nun alle kennt: die Wannseeprinzessin.
Wie jeden Tag stand Marianne am Steg und wartete. Eine bunte Schlange Mensch drängte sich von links kommend an ihr vorüber, die von rechts kommenden schoben sich in ihrem Rücken an ihr vorbei. Sie aber schaute hinaus auf den See. Direkt auf die Bugspitze der Fähre und vielleicht sah sie mit ihren blauen Augen Rollo mitten ins Gesicht. Der falls, er es bemerkt haben sollte, hätte sich wahrscheinlich seltsam durchschaut gefühlt. Aber Rollo nahm sie nur in Gänze und nicht ihren Blick im Besonderen wahr. Er lächelte und war sich sicher, dass diese Frau eine ganz besonders tapfere, kleine Frau sein müsse.
Mit einem großen Sprung von der Brücke ans Deck, schnell die Seile an die Tampen, das Brett zum Einstieg an den Steg gelegt und fast hätte er sogar salutiert, als Marianne, ohne ihn zu beachten, an Deck schritt.
Später fragte ihn der Maat, warum er so hastig herbeigeeilt gewesen sei und so dienstbeflissen ausgeschaut hätte? Da sah ihn der alte Rollo aus Augen an, deren Irisglanz hinter etlichen Ringen so verborgen war wie der Wasserspiegel bei einem tiefen Brunnenschacht und erwiderte ernst:
„Wenn eine Prinzessin an Bord kommt, dann hat der Kapitän als Erster ihr Respekt zu zollen. Vergiss das nicht.“
Dann streute er sich Schnupftabak auf seine Hand, schniefte ihn vernehmlich ein und wiederholte fast im Kasernenton:
„Vergessen Sie das nicht!“
Marianne bekam von alledem nichts mit. Sie stand zur rechten Zeit bereit, als das Schiff ihr Ziel erreichte. Nicht links, nicht rechts schauend, stieg sie aus und ging die letzten paar hundert Meter zur Arbeit. Vorbei an den lockenden Geschäften, den Fressbuden und Straßenmusikanten, bog sie am Ende dieses Jahrmarktes in eine Sackgasse ein an deren Kehrplatz die Fabrik stand.
Immer schon arbeitete Marianne in der Fabrik, die eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen war, und die sich darauf spezialisiert hatte, einfarbige Pinnorecks herzustellen, die in jedem Apparillo gebraucht wurden.
Ihre Aufgabe war es die Produktionsbahnen zu überprüfen und an einer überdimensionalen Schiefertafel, die an der Stirnseite der großen Fabrikhalle angebracht war, auszurechnen wie hoch der Ausschuss pro Bahn ist.
Auf einem Leiterwagen stehend, der sie vollhydraulisch an der Tafel hoch und runter und links und rechts bewegte, rechnete sie bewehrt mit einer großen Kreide den prozentualen Ausschuss aus. Grundlage ihrer Rechnungen waren die steten Ausrufe.
Der Ausrufer saß in einer kleinen Kabine und bekam per Rohrpost ständig die Parameterzahlen der Produktionsbahnen. Er durfte nicht nuscheln, sondern musste klar verständlich die Zahlen durchs Flüsterrohr in die Halle rufen und Marianne errechnete sofort die neuen Schwellenwerte.
Nur wenn ein Wert, so als hätte man Fieber, im kritischen oder roten Bereich lag, musste Marianne den Justierer per Zugseil, wie bei einer Notbremse, herbeiholen, damit der die fehlgeleitete Bahn neu einstellte.
Nur einmal, und das war lange her, hatte es Marianne gewagt, den Müller nach einem besseren Gehalt anzugehen. Aber der Müller, der ihr Chef war und den auch kein anderer der Kollegen Herr Müller nannte, war schwerer zu packen, als ein glitschiger Fisch.
Er schätze zwar ihre Arbeit und gerne baue er ihr Schlösser, aber – ach – am Pinnoreck verdient es sich schlecht. So schlecht, dass der Taler nur Kleckerweise in die Firmenschatulle falle. Er hätte, so beschloss er seine und ihre Klage, doch besser Apparillos bauen sollen, als diese monotonen Pinnorecks.
Auch dieser Tag verging an der Tafel wie jeder andere Tag. Am Ende der Schicht wurde sie herabgelassen und verließ den Leiterwagen. Sie zog ihren weißen Kittel aus, den sie immer trug, wenn sie arbeitete, legte ihr braunes Kostüm an, setzte ihr Hütchen auf, korrigierte mit dem Zeigefinger seinen Sitz und verließ die Fabrik.
Es war zwar Sommer, aber am Himmel bauschten sich die Wolken. Bleischwarz und stahlblau stießen sich am Firmament wie zwei Armeen bereit zur Schlacht. Aber noch war in den Straßen der Jubel größer und das Lachen breiter, als die Furcht vor dem Gewitter. Marianne schritt in zirkelgleichen Schritten aus ihrer Sackgasse in die breite Straßenflucht. Sie selbst nahm den Trubel gar nicht wahr, sondern fixierte wie stets und so auch jetzt, gleich einer Seiltänzerin, den fernsten Punkt auf ihrem Weg. Mittendrin, in dieser Abfolge monotoner Tritte, schlug mit einem Male eine freche Hand ihr den Hut von ihrem Kopf. Und laut lachend stob auch schon ein halbstarkes Kind mit ihrer Kopfbedeckung auf und davon. Marianne war wie erstarrt und konnte sich nicht rühren oder schreien. Gebannt verfolgte sie wie das Kind mit ihrer Bedeckung enteilte. Es kam aber nicht weit.
Auf einmal, wie aus dem Nichts, kreuzte ein großer Latsch den Weg des Diebs. Der krachte, nicht übel, auf sein blödes Grinsen und schlug sich dergestalt so manche Schramme. Verdutzt, den Schmerz noch nicht begreifend, blieb er mit großen Augen liegen, und ließ vor Schreck die Beute fallen. Die rollte, trudelte, sehr unglücklich in die schmutzigste der Rinnsteinecken.
Mit spitzen Fingern in weißen Handschuhen, pickte der Retter ihren Hut aus dem Dreck heraus. Rieb, mit einem langen, bunten Lappen, den er zu diesem Zwecke aus seinem Revers gezogen hatte, hier und da am Hut herum. Beäugte ihn dann kritisch und rieb dann umso heftiger. Den Dreck aber nur umso mehr auf dem guten Filz verreibend. Nicht lange, und bald schon schaute er weit unglücklicher drein als zu Beginn. So schämte er sich sehr, als er Mariannen ihren Hut zurückbrachte.
Marianne aber war hingerissen: ein Mann auf großem Fuß, der sich nach ihren Sachen bückte. Lächelnd nahm sie ihm den Hut aus seiner Hand. Aber wie und wie sie ihn sich jetzt auch aufsetzte, er saß nicht gut und wollte ihr nicht passen.
Er sah ihr halb beschämt, halb leidend, bei ihren Mühen zu, bis er schließlich und blitzschnell mit einem leichten Fingertick den Hut in seine ideale Position brachte.
Sie wollte ihn für diese Tat schon küssen, da wand er sich wieder traurig ab und holte stattdessen einen großen Schminkspiegel aus seinen viel zu weiten Taschen und hielt ihn vor ihr Gesicht.
Marianne lachte, als sie sich im Spiegel sah. Der Hut, so gut er jetzt auch sitzen mochte, er war nicht nur hinüber sondern auch ganz und gar lächerlich. Ihr Galan, durch ihr Gelächter wieder voller Lebensmut, bat sie noch einmal um das Stück. Ohne Scheu gab sie ihn her und ohne viel Tamtam zog er Spraydose um Spraydose aus seinem breiten Sakko und sprühte dicke Regenbogenfarben drauf. Fette, farbige Kleckse prangten auf dem braunen Filz und er sprühte immer weiter bis kein Braun mehr zu erkennen war. Als das erreicht war, schaute er sie aus seinen großen Augen an und bat mit langem Finger vor seinem roten Mund um Ruhe. Dann blinzelte er kurz zu ihr und sie verstand und machte einen Knicks vor ihm. Mit beiden Händen hielt er die regenbogenbunte Krone und setzte ihr sie feierlich aufs Haupt.
Rollo stand auf der Brücke seines Schiffes. Das Wetter sah bedrohlich aus. Bedrohlicher als an jenem Tage wo er die Wannseeprinzessin das erstemal wahrgenommen hatte. Obendrein war sie heute auch noch überfällig. Obwohl schon lange angelegt und nur noch wenige Minuten blieben bis zur Weiterfahrt war von ihr noch immer nichts zu sehen..
Rollo blieb auf der Brücke. Die Fähre schaukelte schon arg am Steg und der bleischwarze Himmel gewann die Überhand. Regentropfen, dick und schwer, klatschten auf das Deck. Den genervten Blick des Maates, der schon längst die Seile einholen wollte, ignorierend, schaute Rollo stur auf das hektischer als sonst, links und rechts und hin und her eilende Volk. Aber was war das? Rollo rieb sich die Augen. Irgendetwas hatte ihn irritiert. Er rieb sie sich noch mal und dann sah er einen bunten Punkt aus der Gischt der bleiernen Menschenmassen auftauchen, verschwinden und wieder auftauchen, als beobachte er eine Boje bei heftigem Wellengang. Das war seine Prinzessin und sie war es auch nicht. Zu spät und zu keck sprang sie an Bord mit ihrem bunten Hut. Rollo rümpfte seine Nase und gab dem Maat wütend Zeichen, die Leinen los zu machen.
So schwer wie der Wellengang, so hart war es auf Kurs zu bleiben. Der Wind war für den Sommer zu kalt und blies der Fähre stramm entgegen und immer mehr Schleusen öffneten sich am Himmel. Der Kapitän war so beschäftigt, dass er erst spät wahrnahm, dass in seinem Rücken auf dem Oberdeck Marianne stand, die Arme mal weit gespreizt, mal eng um sich geschlungen. Sie tanzte im Regen und wedelte mit ihrem bunten Hut und schien Rollo wie von Sinnen zu sein. Marianne aber war glücklich. Sie spürte nicht den Regen und nicht den empfindlich kalten Wind. So übermütig war sie, dass sie ihre Pumps ausgezogen und mit einem lauten Lachen in den See geworfen hatte.
„Hol mir das Weib sofort darunter!“ schnaubte Brandt und war nicht mehr nur auf Marianne sauer, sondern jetzt noch mehr auf seinen Maat. Rollo wagte nicht daran zu denken, was passiert wäre, wenn sie über Deck gegangen wäre?
Mit halbem Auge nahm er wahr, wie der Maat Marianne mit beiden Armen packte und in Sicherheit ziehen wollte. Denn freiwillig ging sie nicht, stemmte sich sogar entgegen und lachte immer noch, als wolle ausgerechnet sie, gleich beide – Neptun und Thor - herausfordern.
Rollo blieb auf der Brücke, als sie sein Schiff wieder verließ. Traurig blickte er der Gestalt hinterher, die einstmals seine Prinzessin gewesen war. Jetzt schien sie ihm nur – Rollo war schon zu alt für Ausflüchte - eine dumme Gans zu sein. Aber es zerriss ihm das Herz und er fragte sich was ihr widerfahren sein mochte, dass sie sich so hat gehen lassen?
Spät, sehr spät kam Marianne erst nach Hause. Sie war noch immer barfuss und noch immer selig. Zwar fror sie wie ein Schneider und schüttelte sich, als hätte sie hohes Fieber, aber es kümmerte sie nicht mehr. Sie drehte alle Heizkörper auf, kochte sich eine heiße Milch mit Honig und mummelte sich in ihr Bett.
In der Nacht wurde sie öfters wach, weil sie immer noch fror und ihr Hals rau und das Schlucken immer schwerer fiel. Aber mit mehr Decken und einer weiteren Portion Milch, versuchte sie die Symptome abzumildern und wenn sie sich dann wieder unterm Deckenberg zur Seite wälzte, fing sie gleich wieder zu strahlen an.
Marianne verschlief den nächsten Vor- und Nachmittag und überhörte das ständige Läuten ihres Telefons. Wahrscheinlich war es die Pinnoreck Fabrik, die verzweifelt versuchte, Marianne wieder in den Leiterwagen zu bekommen. Aber am Nachmittag verstummte das Läuten und kehrte auch nicht mehr zurück. Marianne fühlte, als sie ihre Augenlider schmerzhaft auseinanderbekommen hatte und trotz des schalen Lichtes sie lieber wieder geschlossen hätte, dass es ihrem Körper sehr schlecht ging. Aber ihr Geist war immer noch euphorisch, denn ihre Einsamkeit war endgültig vorüber. Spät, sehr spät, in der letzten Nacht hatte sie ihn wiedererkannt: ihren Helden, der ihr den Hut und manches andere gereicht hatte. Sie musste sich nur zur Seite drehen, um ihn anzusehen.
Das Fieber stieg am Nachmittag und stieg auch noch am Abend. Mariannes Haare waren strähnig, ihre Wangen schmal und ihr Mund schnappte schon nach Luft. Als Marianne endlich Wasser aus der Küche holen wollte, Eimerweise, Bergeweise Wasser, denn das Verlangen danach brannte in ihrem Körper, da geriet ihr schon das Anwinkeln der Beine – der Knochen – wie sie meinte, denn das Frösteln ging ihr durchs Mark und Bein – zu einer solchen Pein, dass sie beschloss, besser liegen zu bleiben, besser sich gar nicht mehr zu rühren und nur so liegen bleiben, dass sie ihn weiter ansehen konnte. So blieb sie - trotz ihres jämmerlichen Zustands - glücklich.
Die Gewitter über der Stadt tobten ohne Unterlass und ließen Blitze und Donner krachen, so das die Wolkendecke nicht mehr aufgerissen war seit dem Tag, als Marianne ihren Hut verloren hatte. Als die zweite Fiebernacht hereinbrach, da spendete kein Stern, kein Mond ein Licht. Auch das Licht der Elektrik aus Wohnungen, von Laternen oder flackernden Werbetafeln war so schmallippig wie Mariannes Mund in jener Nacht. Es reichte nicht weit und verblasste alsbald. Und so starb Marianne in sackschwarzer Nacht. Sie sah es nicht mehr, wie gegen Morgen, die Wolken aufbrachen und das himmelblaue Heer, die bleischwarzen Wolken endlich vertrieben.
Es lag gerade nichts besseres an, als ihn die Marconinachricht seines Kumpels bei der Polizei durch den Äther erreichte. Er war grade mitten in einem der vielen Kreisverkehre dieser Stadt und wollte in eine Ausfallstraße scheren, als der Marconiapparillo ihm die Nachricht überspielte. Waghalsig steuerte er wieder in das Zentrum des Kreises und drehte monoton ein paar Runden um die Mitte, während er zuhörte.
„ Frauenleiche in guter Wohnlage, vier bis fünf Wochen tot, gerade aufgefunden worden. Die Mieter hätten sich wegen des Gestanks beschwert.“
Na ja, dachte er, das war immerhin besser als gar nichts, aber auch noch nicht genug für einen smarten Reporter der Berliner Boulevard Zeitung. Er schnippte seine filterlose Zigarette aus seinem karbidgetriebenen Kabinenroller, karriolte, als ob er die Schwerkraft nutzen wollte, noch ein zweimal um das Zentrum des Kreisverkehrs herum, kreuzte wieder auf die Außenbahnen und bretterte schließlich über eine der großen, drei- und vierspurigen, die Stadt von Ost nach West, Süd nach Nord wie Torten durchschneidenden Traversen, zum Tatort.
Der Geruch in der Wohnung war erbärmlich und stand in krassem Widerspruch zu der peniblen Sauberkeit, die hier geherrscht haben musste. Routiniert lud er immer wieder mit schnellen Drehungen an der Kamerakurbel das Blitzlicht auf.
Die Wohnung war nicht groß. Altbau. Bloß zwei Zimmer. Schiffbauerparkett. Viele Vitrinen, vollgestopft mit Puppen. Auch eine Eierbechersammlung fand sich in der Küche. Alles sehr gepflegt, sehr schön. Von jedem Zimmer machte er mit großem Zisch vom Blitzlicht eine Aufnahme.
Er musste sich durch die Zimmer regelrecht schlängeln, denn immer standen, kamen oder gingen Polizeibeamte durch die Wohnung.
„Tut mir leid alter Freund, aber das ist eine natürliche Sache. Kein Fremdverschulden. Habe es auch erst gerade gehört.“, mit diesen Worten legte sein Freund eine Hand auf seine Schultern und begrüßte ihn.
„Wie könnt ihr das so schnell wissen? Die Puppen hier in den Regalen, Vitrinen und, und, und sind vielleicht eine Menge wert? Das ist doch ein Motiv?“
„Motiv?“, wiederholte sein Polizistenfreund leicht spöttisch. „Statt eines Motivs bräuchte ich erst mal einen Anhaltspunkt. Aber sieh dich doch selbst um; das ist alles so?“, und er stockte kurz, „Das ist alles so bescheiden kitschig. Die Kleine hat die Welt“, und dabei wischte er eine beschlagene Fensterscheibe ab, in dem er den Ärmel seines Mantels hochzog und mit dem Stoff das Glas frei rieb, „als großen Feind erlebt und sich hier verbarrikadiert. Ein Berliner dreieinhalb Millionen Schicksal, wenn Du mich fragst.“ Dann drehte sich der Ermittler wieder um und fragte aufrichtig: „Currywurst?“
Statt einer Antwort kam das laute Pfeifen und folgende Zischen des Kamerablitzes. Damit war auch der Kommissar auf Platte gebannt. Dieser winkte aber nur kurz ab und konstatierte: “Mach Du hier Fotos, ich geh jetzt was essen. Willst Du nicht doch mitkommen?“ Er schüttelte den Kopf und drehte wieder an der Blitzlichtkurbel. Er brauchte noch ein paar Fotos, denn er traute der Friedlichkeit der Wohnung nicht und hatte, wenn es ausnahmsweise mal still war, ständig so ein störendes Geräusch im Ohr.
Sein Chef war über seinen Artikel nicht begeistert. Das sei bestenfalls ein Absatz, eine Fußnote aber auf gar keinen Fall mehr. Eigentlich sei es gar nichts. Dergleichen mehr vorbringend, wanderte der Chef durch sein Büro und beendete das Gespräch dann mit „Ach, alles dummes Zeug“, spannte seine Hosenträger und ließ sie mit ordentlichem Schmackes auf seinen runden Leib zurückschnalzen. Dabei grinste er noch feist.
Die kleine Story über die Tote ohne Hintergrund und Freunde, die jahrelang in einer Firma gearbeitet hatte, die selbst aber nur einen Vormittag brauchte um sie zu vergessen – denn das hatte der junge Mann alles fix recherchiert gehabt – war eigentlich schon für die Tonne produziert, als es sich ergab, dass doch ein Plätzchen frei geblieben war, weil eine Anzeige leider nicht geschaltet werden konnte. So rutschte Marianne doch noch auf Seite Sechs.
Wenig später, gleich am Morgen, kaum das er das Redaktionsbüro betreten hatte, tippelte ihm auch schon auf hohen Absätzen die Poststellenassistentin Zindy hinterher, um ihm einen ganz frisch per Rohrpost eingetroffenen Leserbrief von Kapitän Rollo Brandt zu überreichen. Er schob lässig seinen breitkrempigen Hut aus der Stirn, lächelte sie an und bedankte sich etwas zu charmant. Zindy mit der Zahnspange, zog zu stark die Luft durch das Metall im Mund, verdrehte ihre Augen leicht und schaute dann verlegen zu Boden.
Mit einem „Man sieht sich, man liest sich“ gingen beide auseinander und während er seinen Trenchcoat an den Haken warf, träumte er noch ein wenig von einer Luftfahrt im Zeppelin mit Zindymaus.
Der Brief des Kapitäns Brandt enthielt die genaue Schilderung der Vorkommnisse auf Mariannens letzter Fahrt. Er war so gebannt von dem was er las, dass er die dissonanten Anschläge der zahlreichen Schreibmaschinen, die Ätherdurchsagen, das permanente Gequatsche seiner Kollegen und das regelmäßige „Fump-Geräusch“ der Rohrpost vollkommen vergaß. Denn der Kapitän lieferte ihm den Anhaltspunkt den er brauchte für eine gute Story. Irgendetwas musste Marianne widerfahren sein.
Er nahm sich die Fotos der Wohnung noch einmal vor. Vor allen Dingen waren darauf Puppen, Figuren und Porzellangesichter. Und alle schauten wie Gespenster in die Kamera mit starrem, totem Blick.
Das Schlafzimmer – wo man Marianne unter einem Berg von Decken gefunden hatte – war ein Puppenmausoleum. Ihm fiel auf, dass er ausgerechnet das Zimmer nicht gut getroffen hatte. Er hatte auf den Bildern immer das Kopfteil des Bettes abgeschnitten. Und da erinnerte er sich auch wieder an dieses Geräusch, dass er, wenn es still geworden war, sofort im Ohr gehabt hatte. Er musste noch mal an den Ort des Geschehens, das war ihm jetzt klar. Wenn, so glaubte er, war dort der Schlüssel ihres Todes zu suchen.
Kurz darauf saß er wieder in seinem Kabinenroller und fuhr zu Mariannens Wohnung. Er hatte einen Termin mit dem Hauswart gemacht, der ihm für ein wenig Schmalz – „Für fünf Minuten und keene Sekunde länger, Meister“ - die Wohnung öffnen wollte.
Ohne den Trubel der Beamten war wieder Stille in das Wohnhaus eingekehrt. Schon das Knarren der Stiegen im Treppenhaus und das Aufschließen der Wohnung kam schon einem Erdbeben gleich. „Aber fix jetzt“, beeilte sich der Hauswart noch zu sagen, als er sich den Schmalz in seine Gesäßtasche steckte und die Tür für ihn aufschob. Der Reporter bat ihn, durch eindeutige Zeichen ab jetzt doch bitte den Mund zu halten.
Im Flur hörte er es noch nicht. Aber als er die Stube betrat und von hundert toten Augenpaaren begrüßt wurde, da hörte er es wieder: ein Ticken, ein Klicken, ein Wispern.
Während er die Puppen inspizierte, fiel ihm auf – er war sich nicht sicher – dass alle Puppen leichte Macken hatten und er wettete, dass die bunten, hübschen Sachen, die sie trugen, wahrscheinlich von Marianne alle selbst genäht worden waren. Vermutlich hatte sie sich auf den zahlreichen, hiesigen Trödelmärkten mit diesen Geschöpfen versorgt. Kleine Buben und Mädchen, das war ihr Hauptsteckenpferd.
Er ging ins Schlafzimmer. Hier das gleiche Bild: Buben- und Mädchenpuppen dicht an dicht. Sie schauten alle aufs Bett, das fast ganz an der Wand stand. Aber es blieb noch soviel Platz zwischen Bett und Wand, dass an der Kopfseite, wo ein Nachtisch hätte stehen können, ein schöner Holzstuhl mit Korblehne stand auf dem ein Clown saß. Ein stattlicher Bursche mit einer knallbunten Mütze, der mindestens dreiviertel Meter maß, wenn man ihn aufrichtete.
Das Geräusch war im Schlafzimmer lauter geworden und als er auf die rechte Seite des Bettes ging, da spürte er an einer seiner Hände einen leichten, leisen Luftzug. Er hatte das Gefühl die Wand spräche zu ihm. Er bewegte sich noch mehr in die Richtung des Clowns und als er zufällig am Mund der Puppe vorbei strich, da war ihm als hätte ihn der Clown selbst angehaucht, wenn nicht gar gesprochen.
Ausgerechnet jetzt musste sich der Hausmeister melden und mit säuerlichem Hüsteln und Geraunze auf sich und den überfälligen Abmarsch aufmerksam machen. Er wies - mit unmissverständlicher Gestik - den unmöglichen Mann wieder an, absolute Ruhe einzuhalten.
Als er das Geräusch wieder hörte, zog er schnell seinen Schellackaufnahmeapparillo heraus und hielt etwas tattrig den Lauschtrichter direkt vor den Mund des Clowns und betete, dass der Wart sich noch ein paar Augenblicke gedulden würde. Er bemerkte dabei, dass auch der Clown eine kleine Macke in Form eines Loches hatte.
„So, nun reicht ditt aber. Schluss der Vorstellung. Ick komm in Teufels Küche, wenn ditt einer rauskriegt.“
Er nickte, fügte sich und hoffte, dass er das Geräusch auf der Schellackplatte hatte.
Es war schwer, sehr schwer, überhaupt etwas zu hören. Verschwitzt saß er im trüben Licht der Schreibtischlampe vor einem großen Schallundfrequenzverstärker und trug die besten Kopfhörerpinnorecks. Aber es war nur ein Rauschen und ein Knacken zu hören. Welche Frequenz? Welche Abspielgeschwindigkeit wählen? Die Apparillos taugten doch alle nichts. Seine Kollegen hatten schon die Segel gestrichen und waren sicherlich längst zu Hause oder noch auf einen Drink in der Pressebar. Vielleicht sogar mit Zindy? Er wusste aber, dass wenn er etwas hören würde, dann wäre er auf Seite eins und könnte locker die Zeppelinfahrt mit Zindy berappen. Da war er sich ganz sicher und wollte sich auch schon wieder ärgern, dass er sich durch solcherlei Träumereien hat ablenken lassen, da hörte er plötzlich eine Stimme ganz leise sprechen:
„dubistverrücktmeinkinddubistverrücktmeinkinddubistverrücktmeinkind“
Er riss sich den Hörer vom Kopf. Verstört sah er auf den Verstärker. Er hatte die Lautstärke nicht verändert gehabt und trotzdem war der Satz in seinem Kopf immer lauter geworden.
Er schüttelte sich, stand auf und stemmte seine Hände in die Hüften. Was war geschehen? Wie war es möglich? Er fand nur eine Lösung:
Der Luftzug hatte den Clown zum Sprechen gebracht. Vermutlich war es nur ein dämlicher Leitungsriss, der für den Luftzug verantwortlich gewesen war. Überall waren hinter den Wänden Rohre für Heizung und Rohrpost verlegt worden . Ein kleiner Bruch oder ein kleines Leck ist schnell entstanden. So konnte die Luft durch die dünnen Wände zum Clown und durch die Macke in dessen Kopf einströmen und beim Austritt den Clown zum sprechen bringen. Das war es. Anders konnte es nicht sein.
Beflügelt das Rätsel gelöst und eine Geschichte zu haben, setzte er sich wieder ans Pult und fing an alles aufzuschreiben. Mittendrin überlegte er wie er die Fotos arrangieren könnte und da fiel ihm auf, dass er immer noch kein Bild dieses Clowns gemacht hatte - mit seinen weißen Handschuhen, seinen großen Latschen und seiner bunten Mütze. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und schimpfte über seine Dämlichkeit. Aber es half alles nichts: er musste noch mal raus. Wenigstens für ein Foto vom Clown.
Der Hausmeister war gar nicht amüsiert und verlangte eine noch unverschämtere Prämie. Doch wer mit Zindy in den Zeppelin will, muss Einsatz zeigen, sagte er sich und setzte alles auf diese Karte.
Spät in der Nacht schloss ihm der Hauswart - „Aber nur für ein Foto, Meister.“ - die Wohnung wieder auf und zum dritten mal betrat er sie.
Hastig stürmte er ins Schlafzimmer und bremste dort jäh ab. Der Clown war weg. Verschwunden. Nicht mehr da. Er war verzweifelt.
„Wo ist der verdammte Clown? Was haben Sie mit ihm gemacht?“, fuhr er den Mann wütend an.
„Nana, Jungchen. Mach mal halblang. Watt denn für ’nen Clown? Ick seh hier nur einen Clown und ditt bist Du. Und Du machst jetzt nen Abgang aber pronto, sonst setzt es was.“
Zurück auf der Straße, bei sternenklarer Nacht, setzte er sich frustriert vor Mariannens Wohnhaus auf den Bordstein. Die Story war hin, das war nun klar. Er hatte seinen Hut abgenommen und drehte ihn missmutig zwischen den Händen. Er schaute verzweifelt zum Himmel, und sah in diesem Moment den Schatten eines Zeppelins, der am Mond vorüber fuhr. Auf seine Fahrt mit Zindy, in diesem oder einem anderen Zeppelin, musste er noch warten.
Es war einmal eine kleine, unscheinbare Frau. Sie trug immer nur braun in braun und ein Hütchen auf dem Kopf. Ihr Gesicht war schmal und verträumt aber auch wenig verbittert. Verbittert, weil ihr das Leben nicht immer gut mitgespielt hatte. Sie lebte allein, aber das war nicht immer so gewesen. Doch ihren Mann, das war schon lange her, den hatte sie schnell verloren an eine Andere, die hübscher war als sie. Aus ihren wasserblauen Augen schaute sie mal kalt, mal traumverloren auf die sie alleingelassene Welt. So machte man das, als kleine unscheinbare Frau.
Marianne, hieß sie, und lebte in einer kleinen Wohnung in Berlin. Gleich neben den S-Bahn Bögen, gleich neben dem Schinkelstuck, gleich neben dir und mir, wenn du auch in der Stadt von Marianne lebst.
Marianne, in ihrem braunen Kostüm, ging jeden Morgen zur gleichen Zeit aus dem Haus. Denn auch ihr Bus kam pünktlich wie ein Uhrwerk. Und da sie beide stets pünktlich erschienen, verpassten sie sich nie: der große gelbe Bus und die kleine, braune Frau. Dann stieg sie ein und auf der vorletzten Bank nahm sie Platz, starrte hinaus und fuhr zur Anlegestelle ihrer Fähre.
Wenn du in Berlin nach der Wannseeprinzessin fragst, dann werden dir viele sagen, das sei eines der Fährschiffe zwischen Kladow und Zehlendorf, dass manchmal auch als Ausflugsschiff am Wochenende eingesetzt wird. Aber fragst du die Fährmänner von der Stern- und Kreisschiffahrt, dann nicken sie bedächtig, streichen, wenn möglich, ihren Bart und wiederholen deine Frage: Wer die Wannseeprinzessin ist? Und dann erzählen sie dir, das sei eine kleine, stets gleichgekleidete Frau mit Hut, die jeden morgen zur gleichen Zeit am Kladower Steg auf die Fähre wartete und sich – mochten es auch dreißig und noch mehr Grad seien - ins Unterdeck in die vorletzte Reihe setzte und wie gebannt aufs Wasser schaute. Nie sagte sie ein Wort, nie rührte sie sich und wenn dann nur, um den Sitz ihres Hutes zu korrigieren. Aber ansonsten saß sie nur da und schaute aufs Wasser.
Fährmann Rollo Brandt, so hieß er wohl, soll ihr an dem Tag den Namen verpasst haben, als auch auf dem kleinen Wannsee die Wellen windgepeitscht umherwogten, prasselnder Regen aufs Deck und auf die Scheiben ging, Rollo das Ruder mit fester Hand halten musste und die kleine Fähre durch die schweren Wellen stampfte.
Sie aber hätte dagesessen als sei das alles nichts. Vielleicht einmal mehr als sonst mit dem Zeigefinger den Sitz des Hutes korrigiert, aber weder sei sie grün angelaufen noch irgendwie sich hätte anmerken lassen, dass der Seegang ihr zu viel geworden wäre. Die anderen Passagiere hätten alle die Luft angehalten, so mulmig sei denen geworden. Da hätte sie der Käpt`n auf den Namen getauft, den ihr nun alle kennt: die Wannseeprinzessin.
Wie jeden Tag stand Marianne am Steg und wartete. Eine bunte Schlange Mensch drängte sich von links kommend an ihr vorüber, die von rechts kommenden schoben sich in ihrem Rücken an ihr vorbei. Sie aber schaute hinaus auf den See. Direkt auf die Bugspitze der Fähre und vielleicht sah sie mit ihren blauen Augen Rollo mitten ins Gesicht. Der falls, er es bemerkt haben sollte, hätte sich wahrscheinlich seltsam durchschaut gefühlt. Aber Rollo nahm sie nur in Gänze und nicht ihren Blick im Besonderen wahr. Er lächelte und war sich sicher, dass diese Frau eine ganz besonders tapfere, kleine Frau sein müsse.
Mit einem großen Sprung von der Brücke ans Deck, schnell die Seile an die Tampen, das Brett zum Einstieg an den Steg gelegt und fast hätte er sogar salutiert, als Marianne, ohne ihn zu beachten, an Deck schritt.
Später fragte ihn der Maat, warum er so hastig herbeigeeilt gewesen sei und so dienstbeflissen ausgeschaut hätte? Da sah ihn der alte Rollo aus Augen an, deren Irisglanz hinter etlichen Ringen so verborgen war wie der Wasserspiegel bei einem tiefen Brunnenschacht und erwiderte ernst:
„Wenn eine Prinzessin an Bord kommt, dann hat der Kapitän als Erster ihr Respekt zu zollen. Vergiss das nicht.“
Dann streute er sich Schnupftabak auf seine Hand, schniefte ihn vernehmlich ein und wiederholte fast im Kasernenton:
„Vergessen Sie das nicht!“
Marianne bekam von alledem nichts mit. Sie stand zur rechten Zeit bereit, als das Schiff ihr Ziel erreichte. Nicht links, nicht rechts schauend, stieg sie aus und ging die letzten paar hundert Meter zur Arbeit. Vorbei an den lockenden Geschäften, den Fressbuden und Straßenmusikanten, bog sie am Ende dieses Jahrmarktes in eine Sackgasse ein an deren Kehrplatz die Fabrik stand.
Immer schon arbeitete Marianne in der Fabrik, die eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen war, und die sich darauf spezialisiert hatte, einfarbige Pinnorecks herzustellen, die in jedem Apparillo gebraucht wurden.
Ihre Aufgabe war es die Produktionsbahnen zu überprüfen und an einer überdimensionalen Schiefertafel, die an der Stirnseite der großen Fabrikhalle angebracht war, auszurechnen wie hoch der Ausschuss pro Bahn ist.
Auf einem Leiterwagen stehend, der sie vollhydraulisch an der Tafel hoch und runter und links und rechts bewegte, rechnete sie bewehrt mit einer großen Kreide den prozentualen Ausschuss aus. Grundlage ihrer Rechnungen waren die steten Ausrufe.
Der Ausrufer saß in einer kleinen Kabine und bekam per Rohrpost ständig die Parameterzahlen der Produktionsbahnen. Er durfte nicht nuscheln, sondern musste klar verständlich die Zahlen durchs Flüsterrohr in die Halle rufen und Marianne errechnete sofort die neuen Schwellenwerte.
Nur wenn ein Wert, so als hätte man Fieber, im kritischen oder roten Bereich lag, musste Marianne den Justierer per Zugseil, wie bei einer Notbremse, herbeiholen, damit der die fehlgeleitete Bahn neu einstellte.
Nur einmal, und das war lange her, hatte es Marianne gewagt, den Müller nach einem besseren Gehalt anzugehen. Aber der Müller, der ihr Chef war und den auch kein anderer der Kollegen Herr Müller nannte, war schwerer zu packen, als ein glitschiger Fisch.
Er schätze zwar ihre Arbeit und gerne baue er ihr Schlösser, aber – ach – am Pinnoreck verdient es sich schlecht. So schlecht, dass der Taler nur Kleckerweise in die Firmenschatulle falle. Er hätte, so beschloss er seine und ihre Klage, doch besser Apparillos bauen sollen, als diese monotonen Pinnorecks.
Auch dieser Tag verging an der Tafel wie jeder andere Tag. Am Ende der Schicht wurde sie herabgelassen und verließ den Leiterwagen. Sie zog ihren weißen Kittel aus, den sie immer trug, wenn sie arbeitete, legte ihr braunes Kostüm an, setzte ihr Hütchen auf, korrigierte mit dem Zeigefinger seinen Sitz und verließ die Fabrik.
Es war zwar Sommer, aber am Himmel bauschten sich die Wolken. Bleischwarz und stahlblau stießen sich am Firmament wie zwei Armeen bereit zur Schlacht. Aber noch war in den Straßen der Jubel größer und das Lachen breiter, als die Furcht vor dem Gewitter. Marianne schritt in zirkelgleichen Schritten aus ihrer Sackgasse in die breite Straßenflucht. Sie selbst nahm den Trubel gar nicht wahr, sondern fixierte wie stets und so auch jetzt, gleich einer Seiltänzerin, den fernsten Punkt auf ihrem Weg. Mittendrin, in dieser Abfolge monotoner Tritte, schlug mit einem Male eine freche Hand ihr den Hut von ihrem Kopf. Und laut lachend stob auch schon ein halbstarkes Kind mit ihrer Kopfbedeckung auf und davon. Marianne war wie erstarrt und konnte sich nicht rühren oder schreien. Gebannt verfolgte sie wie das Kind mit ihrer Bedeckung enteilte. Es kam aber nicht weit.
Auf einmal, wie aus dem Nichts, kreuzte ein großer Latsch den Weg des Diebs. Der krachte, nicht übel, auf sein blödes Grinsen und schlug sich dergestalt so manche Schramme. Verdutzt, den Schmerz noch nicht begreifend, blieb er mit großen Augen liegen, und ließ vor Schreck die Beute fallen. Die rollte, trudelte, sehr unglücklich in die schmutzigste der Rinnsteinecken.
Mit spitzen Fingern in weißen Handschuhen, pickte der Retter ihren Hut aus dem Dreck heraus. Rieb, mit einem langen, bunten Lappen, den er zu diesem Zwecke aus seinem Revers gezogen hatte, hier und da am Hut herum. Beäugte ihn dann kritisch und rieb dann umso heftiger. Den Dreck aber nur umso mehr auf dem guten Filz verreibend. Nicht lange, und bald schon schaute er weit unglücklicher drein als zu Beginn. So schämte er sich sehr, als er Mariannen ihren Hut zurückbrachte.
Marianne aber war hingerissen: ein Mann auf großem Fuß, der sich nach ihren Sachen bückte. Lächelnd nahm sie ihm den Hut aus seiner Hand. Aber wie und wie sie ihn sich jetzt auch aufsetzte, er saß nicht gut und wollte ihr nicht passen.
Er sah ihr halb beschämt, halb leidend, bei ihren Mühen zu, bis er schließlich und blitzschnell mit einem leichten Fingertick den Hut in seine ideale Position brachte.
Sie wollte ihn für diese Tat schon küssen, da wand er sich wieder traurig ab und holte stattdessen einen großen Schminkspiegel aus seinen viel zu weiten Taschen und hielt ihn vor ihr Gesicht.
Marianne lachte, als sie sich im Spiegel sah. Der Hut, so gut er jetzt auch sitzen mochte, er war nicht nur hinüber sondern auch ganz und gar lächerlich. Ihr Galan, durch ihr Gelächter wieder voller Lebensmut, bat sie noch einmal um das Stück. Ohne Scheu gab sie ihn her und ohne viel Tamtam zog er Spraydose um Spraydose aus seinem breiten Sakko und sprühte dicke Regenbogenfarben drauf. Fette, farbige Kleckse prangten auf dem braunen Filz und er sprühte immer weiter bis kein Braun mehr zu erkennen war. Als das erreicht war, schaute er sie aus seinen großen Augen an und bat mit langem Finger vor seinem roten Mund um Ruhe. Dann blinzelte er kurz zu ihr und sie verstand und machte einen Knicks vor ihm. Mit beiden Händen hielt er die regenbogenbunte Krone und setzte ihr sie feierlich aufs Haupt.
Rollo stand auf der Brücke seines Schiffes. Das Wetter sah bedrohlich aus. Bedrohlicher als an jenem Tage wo er die Wannseeprinzessin das erstemal wahrgenommen hatte. Obendrein war sie heute auch noch überfällig. Obwohl schon lange angelegt und nur noch wenige Minuten blieben bis zur Weiterfahrt war von ihr noch immer nichts zu sehen..
Rollo blieb auf der Brücke. Die Fähre schaukelte schon arg am Steg und der bleischwarze Himmel gewann die Überhand. Regentropfen, dick und schwer, klatschten auf das Deck. Den genervten Blick des Maates, der schon längst die Seile einholen wollte, ignorierend, schaute Rollo stur auf das hektischer als sonst, links und rechts und hin und her eilende Volk. Aber was war das? Rollo rieb sich die Augen. Irgendetwas hatte ihn irritiert. Er rieb sie sich noch mal und dann sah er einen bunten Punkt aus der Gischt der bleiernen Menschenmassen auftauchen, verschwinden und wieder auftauchen, als beobachte er eine Boje bei heftigem Wellengang. Das war seine Prinzessin und sie war es auch nicht. Zu spät und zu keck sprang sie an Bord mit ihrem bunten Hut. Rollo rümpfte seine Nase und gab dem Maat wütend Zeichen, die Leinen los zu machen.
So schwer wie der Wellengang, so hart war es auf Kurs zu bleiben. Der Wind war für den Sommer zu kalt und blies der Fähre stramm entgegen und immer mehr Schleusen öffneten sich am Himmel. Der Kapitän war so beschäftigt, dass er erst spät wahrnahm, dass in seinem Rücken auf dem Oberdeck Marianne stand, die Arme mal weit gespreizt, mal eng um sich geschlungen. Sie tanzte im Regen und wedelte mit ihrem bunten Hut und schien Rollo wie von Sinnen zu sein. Marianne aber war glücklich. Sie spürte nicht den Regen und nicht den empfindlich kalten Wind. So übermütig war sie, dass sie ihre Pumps ausgezogen und mit einem lauten Lachen in den See geworfen hatte.
„Hol mir das Weib sofort darunter!“ schnaubte Brandt und war nicht mehr nur auf Marianne sauer, sondern jetzt noch mehr auf seinen Maat. Rollo wagte nicht daran zu denken, was passiert wäre, wenn sie über Deck gegangen wäre?
Mit halbem Auge nahm er wahr, wie der Maat Marianne mit beiden Armen packte und in Sicherheit ziehen wollte. Denn freiwillig ging sie nicht, stemmte sich sogar entgegen und lachte immer noch, als wolle ausgerechnet sie, gleich beide – Neptun und Thor - herausfordern.
Rollo blieb auf der Brücke, als sie sein Schiff wieder verließ. Traurig blickte er der Gestalt hinterher, die einstmals seine Prinzessin gewesen war. Jetzt schien sie ihm nur – Rollo war schon zu alt für Ausflüchte - eine dumme Gans zu sein. Aber es zerriss ihm das Herz und er fragte sich was ihr widerfahren sein mochte, dass sie sich so hat gehen lassen?
Spät, sehr spät kam Marianne erst nach Hause. Sie war noch immer barfuss und noch immer selig. Zwar fror sie wie ein Schneider und schüttelte sich, als hätte sie hohes Fieber, aber es kümmerte sie nicht mehr. Sie drehte alle Heizkörper auf, kochte sich eine heiße Milch mit Honig und mummelte sich in ihr Bett.
In der Nacht wurde sie öfters wach, weil sie immer noch fror und ihr Hals rau und das Schlucken immer schwerer fiel. Aber mit mehr Decken und einer weiteren Portion Milch, versuchte sie die Symptome abzumildern und wenn sie sich dann wieder unterm Deckenberg zur Seite wälzte, fing sie gleich wieder zu strahlen an.
Marianne verschlief den nächsten Vor- und Nachmittag und überhörte das ständige Läuten ihres Telefons. Wahrscheinlich war es die Pinnoreck Fabrik, die verzweifelt versuchte, Marianne wieder in den Leiterwagen zu bekommen. Aber am Nachmittag verstummte das Läuten und kehrte auch nicht mehr zurück. Marianne fühlte, als sie ihre Augenlider schmerzhaft auseinanderbekommen hatte und trotz des schalen Lichtes sie lieber wieder geschlossen hätte, dass es ihrem Körper sehr schlecht ging. Aber ihr Geist war immer noch euphorisch, denn ihre Einsamkeit war endgültig vorüber. Spät, sehr spät, in der letzten Nacht hatte sie ihn wiedererkannt: ihren Helden, der ihr den Hut und manches andere gereicht hatte. Sie musste sich nur zur Seite drehen, um ihn anzusehen.
Das Fieber stieg am Nachmittag und stieg auch noch am Abend. Mariannes Haare waren strähnig, ihre Wangen schmal und ihr Mund schnappte schon nach Luft. Als Marianne endlich Wasser aus der Küche holen wollte, Eimerweise, Bergeweise Wasser, denn das Verlangen danach brannte in ihrem Körper, da geriet ihr schon das Anwinkeln der Beine – der Knochen – wie sie meinte, denn das Frösteln ging ihr durchs Mark und Bein – zu einer solchen Pein, dass sie beschloss, besser liegen zu bleiben, besser sich gar nicht mehr zu rühren und nur so liegen bleiben, dass sie ihn weiter ansehen konnte. So blieb sie - trotz ihres jämmerlichen Zustands - glücklich.
Die Gewitter über der Stadt tobten ohne Unterlass und ließen Blitze und Donner krachen, so das die Wolkendecke nicht mehr aufgerissen war seit dem Tag, als Marianne ihren Hut verloren hatte. Als die zweite Fiebernacht hereinbrach, da spendete kein Stern, kein Mond ein Licht. Auch das Licht der Elektrik aus Wohnungen, von Laternen oder flackernden Werbetafeln war so schmallippig wie Mariannes Mund in jener Nacht. Es reichte nicht weit und verblasste alsbald. Und so starb Marianne in sackschwarzer Nacht. Sie sah es nicht mehr, wie gegen Morgen, die Wolken aufbrachen und das himmelblaue Heer, die bleischwarzen Wolken endlich vertrieben.
Es lag gerade nichts besseres an, als ihn die Marconinachricht seines Kumpels bei der Polizei durch den Äther erreichte. Er war grade mitten in einem der vielen Kreisverkehre dieser Stadt und wollte in eine Ausfallstraße scheren, als der Marconiapparillo ihm die Nachricht überspielte. Waghalsig steuerte er wieder in das Zentrum des Kreises und drehte monoton ein paar Runden um die Mitte, während er zuhörte.
„ Frauenleiche in guter Wohnlage, vier bis fünf Wochen tot, gerade aufgefunden worden. Die Mieter hätten sich wegen des Gestanks beschwert.“
Na ja, dachte er, das war immerhin besser als gar nichts, aber auch noch nicht genug für einen smarten Reporter der Berliner Boulevard Zeitung. Er schnippte seine filterlose Zigarette aus seinem karbidgetriebenen Kabinenroller, karriolte, als ob er die Schwerkraft nutzen wollte, noch ein zweimal um das Zentrum des Kreisverkehrs herum, kreuzte wieder auf die Außenbahnen und bretterte schließlich über eine der großen, drei- und vierspurigen, die Stadt von Ost nach West, Süd nach Nord wie Torten durchschneidenden Traversen, zum Tatort.
Der Geruch in der Wohnung war erbärmlich und stand in krassem Widerspruch zu der peniblen Sauberkeit, die hier geherrscht haben musste. Routiniert lud er immer wieder mit schnellen Drehungen an der Kamerakurbel das Blitzlicht auf.
Die Wohnung war nicht groß. Altbau. Bloß zwei Zimmer. Schiffbauerparkett. Viele Vitrinen, vollgestopft mit Puppen. Auch eine Eierbechersammlung fand sich in der Küche. Alles sehr gepflegt, sehr schön. Von jedem Zimmer machte er mit großem Zisch vom Blitzlicht eine Aufnahme.
Er musste sich durch die Zimmer regelrecht schlängeln, denn immer standen, kamen oder gingen Polizeibeamte durch die Wohnung.
„Tut mir leid alter Freund, aber das ist eine natürliche Sache. Kein Fremdverschulden. Habe es auch erst gerade gehört.“, mit diesen Worten legte sein Freund eine Hand auf seine Schultern und begrüßte ihn.
„Wie könnt ihr das so schnell wissen? Die Puppen hier in den Regalen, Vitrinen und, und, und sind vielleicht eine Menge wert? Das ist doch ein Motiv?“
„Motiv?“, wiederholte sein Polizistenfreund leicht spöttisch. „Statt eines Motivs bräuchte ich erst mal einen Anhaltspunkt. Aber sieh dich doch selbst um; das ist alles so?“, und er stockte kurz, „Das ist alles so bescheiden kitschig. Die Kleine hat die Welt“, und dabei wischte er eine beschlagene Fensterscheibe ab, in dem er den Ärmel seines Mantels hochzog und mit dem Stoff das Glas frei rieb, „als großen Feind erlebt und sich hier verbarrikadiert. Ein Berliner dreieinhalb Millionen Schicksal, wenn Du mich fragst.“ Dann drehte sich der Ermittler wieder um und fragte aufrichtig: „Currywurst?“
Statt einer Antwort kam das laute Pfeifen und folgende Zischen des Kamerablitzes. Damit war auch der Kommissar auf Platte gebannt. Dieser winkte aber nur kurz ab und konstatierte: “Mach Du hier Fotos, ich geh jetzt was essen. Willst Du nicht doch mitkommen?“ Er schüttelte den Kopf und drehte wieder an der Blitzlichtkurbel. Er brauchte noch ein paar Fotos, denn er traute der Friedlichkeit der Wohnung nicht und hatte, wenn es ausnahmsweise mal still war, ständig so ein störendes Geräusch im Ohr.
Sein Chef war über seinen Artikel nicht begeistert. Das sei bestenfalls ein Absatz, eine Fußnote aber auf gar keinen Fall mehr. Eigentlich sei es gar nichts. Dergleichen mehr vorbringend, wanderte der Chef durch sein Büro und beendete das Gespräch dann mit „Ach, alles dummes Zeug“, spannte seine Hosenträger und ließ sie mit ordentlichem Schmackes auf seinen runden Leib zurückschnalzen. Dabei grinste er noch feist.
Die kleine Story über die Tote ohne Hintergrund und Freunde, die jahrelang in einer Firma gearbeitet hatte, die selbst aber nur einen Vormittag brauchte um sie zu vergessen – denn das hatte der junge Mann alles fix recherchiert gehabt – war eigentlich schon für die Tonne produziert, als es sich ergab, dass doch ein Plätzchen frei geblieben war, weil eine Anzeige leider nicht geschaltet werden konnte. So rutschte Marianne doch noch auf Seite Sechs.
Wenig später, gleich am Morgen, kaum das er das Redaktionsbüro betreten hatte, tippelte ihm auch schon auf hohen Absätzen die Poststellenassistentin Zindy hinterher, um ihm einen ganz frisch per Rohrpost eingetroffenen Leserbrief von Kapitän Rollo Brandt zu überreichen. Er schob lässig seinen breitkrempigen Hut aus der Stirn, lächelte sie an und bedankte sich etwas zu charmant. Zindy mit der Zahnspange, zog zu stark die Luft durch das Metall im Mund, verdrehte ihre Augen leicht und schaute dann verlegen zu Boden.
Mit einem „Man sieht sich, man liest sich“ gingen beide auseinander und während er seinen Trenchcoat an den Haken warf, träumte er noch ein wenig von einer Luftfahrt im Zeppelin mit Zindymaus.
Der Brief des Kapitäns Brandt enthielt die genaue Schilderung der Vorkommnisse auf Mariannens letzter Fahrt. Er war so gebannt von dem was er las, dass er die dissonanten Anschläge der zahlreichen Schreibmaschinen, die Ätherdurchsagen, das permanente Gequatsche seiner Kollegen und das regelmäßige „Fump-Geräusch“ der Rohrpost vollkommen vergaß. Denn der Kapitän lieferte ihm den Anhaltspunkt den er brauchte für eine gute Story. Irgendetwas musste Marianne widerfahren sein.
Er nahm sich die Fotos der Wohnung noch einmal vor. Vor allen Dingen waren darauf Puppen, Figuren und Porzellangesichter. Und alle schauten wie Gespenster in die Kamera mit starrem, totem Blick.
Das Schlafzimmer – wo man Marianne unter einem Berg von Decken gefunden hatte – war ein Puppenmausoleum. Ihm fiel auf, dass er ausgerechnet das Zimmer nicht gut getroffen hatte. Er hatte auf den Bildern immer das Kopfteil des Bettes abgeschnitten. Und da erinnerte er sich auch wieder an dieses Geräusch, dass er, wenn es still geworden war, sofort im Ohr gehabt hatte. Er musste noch mal an den Ort des Geschehens, das war ihm jetzt klar. Wenn, so glaubte er, war dort der Schlüssel ihres Todes zu suchen.
Kurz darauf saß er wieder in seinem Kabinenroller und fuhr zu Mariannens Wohnung. Er hatte einen Termin mit dem Hauswart gemacht, der ihm für ein wenig Schmalz – „Für fünf Minuten und keene Sekunde länger, Meister“ - die Wohnung öffnen wollte.
Ohne den Trubel der Beamten war wieder Stille in das Wohnhaus eingekehrt. Schon das Knarren der Stiegen im Treppenhaus und das Aufschließen der Wohnung kam schon einem Erdbeben gleich. „Aber fix jetzt“, beeilte sich der Hauswart noch zu sagen, als er sich den Schmalz in seine Gesäßtasche steckte und die Tür für ihn aufschob. Der Reporter bat ihn, durch eindeutige Zeichen ab jetzt doch bitte den Mund zu halten.
Im Flur hörte er es noch nicht. Aber als er die Stube betrat und von hundert toten Augenpaaren begrüßt wurde, da hörte er es wieder: ein Ticken, ein Klicken, ein Wispern.
Während er die Puppen inspizierte, fiel ihm auf – er war sich nicht sicher – dass alle Puppen leichte Macken hatten und er wettete, dass die bunten, hübschen Sachen, die sie trugen, wahrscheinlich von Marianne alle selbst genäht worden waren. Vermutlich hatte sie sich auf den zahlreichen, hiesigen Trödelmärkten mit diesen Geschöpfen versorgt. Kleine Buben und Mädchen, das war ihr Hauptsteckenpferd.
Er ging ins Schlafzimmer. Hier das gleiche Bild: Buben- und Mädchenpuppen dicht an dicht. Sie schauten alle aufs Bett, das fast ganz an der Wand stand. Aber es blieb noch soviel Platz zwischen Bett und Wand, dass an der Kopfseite, wo ein Nachtisch hätte stehen können, ein schöner Holzstuhl mit Korblehne stand auf dem ein Clown saß. Ein stattlicher Bursche mit einer knallbunten Mütze, der mindestens dreiviertel Meter maß, wenn man ihn aufrichtete.
Das Geräusch war im Schlafzimmer lauter geworden und als er auf die rechte Seite des Bettes ging, da spürte er an einer seiner Hände einen leichten, leisen Luftzug. Er hatte das Gefühl die Wand spräche zu ihm. Er bewegte sich noch mehr in die Richtung des Clowns und als er zufällig am Mund der Puppe vorbei strich, da war ihm als hätte ihn der Clown selbst angehaucht, wenn nicht gar gesprochen.
Ausgerechnet jetzt musste sich der Hausmeister melden und mit säuerlichem Hüsteln und Geraunze auf sich und den überfälligen Abmarsch aufmerksam machen. Er wies - mit unmissverständlicher Gestik - den unmöglichen Mann wieder an, absolute Ruhe einzuhalten.
Als er das Geräusch wieder hörte, zog er schnell seinen Schellackaufnahmeapparillo heraus und hielt etwas tattrig den Lauschtrichter direkt vor den Mund des Clowns und betete, dass der Wart sich noch ein paar Augenblicke gedulden würde. Er bemerkte dabei, dass auch der Clown eine kleine Macke in Form eines Loches hatte.
„So, nun reicht ditt aber. Schluss der Vorstellung. Ick komm in Teufels Küche, wenn ditt einer rauskriegt.“
Er nickte, fügte sich und hoffte, dass er das Geräusch auf der Schellackplatte hatte.
Es war schwer, sehr schwer, überhaupt etwas zu hören. Verschwitzt saß er im trüben Licht der Schreibtischlampe vor einem großen Schallundfrequenzverstärker und trug die besten Kopfhörerpinnorecks. Aber es war nur ein Rauschen und ein Knacken zu hören. Welche Frequenz? Welche Abspielgeschwindigkeit wählen? Die Apparillos taugten doch alle nichts. Seine Kollegen hatten schon die Segel gestrichen und waren sicherlich längst zu Hause oder noch auf einen Drink in der Pressebar. Vielleicht sogar mit Zindy? Er wusste aber, dass wenn er etwas hören würde, dann wäre er auf Seite eins und könnte locker die Zeppelinfahrt mit Zindy berappen. Da war er sich ganz sicher und wollte sich auch schon wieder ärgern, dass er sich durch solcherlei Träumereien hat ablenken lassen, da hörte er plötzlich eine Stimme ganz leise sprechen:
„dubistverrücktmeinkinddubistverrücktmeinkinddubistverrücktmeinkind“
Er riss sich den Hörer vom Kopf. Verstört sah er auf den Verstärker. Er hatte die Lautstärke nicht verändert gehabt und trotzdem war der Satz in seinem Kopf immer lauter geworden.
Er schüttelte sich, stand auf und stemmte seine Hände in die Hüften. Was war geschehen? Wie war es möglich? Er fand nur eine Lösung:
Der Luftzug hatte den Clown zum Sprechen gebracht. Vermutlich war es nur ein dämlicher Leitungsriss, der für den Luftzug verantwortlich gewesen war. Überall waren hinter den Wänden Rohre für Heizung und Rohrpost verlegt worden . Ein kleiner Bruch oder ein kleines Leck ist schnell entstanden. So konnte die Luft durch die dünnen Wände zum Clown und durch die Macke in dessen Kopf einströmen und beim Austritt den Clown zum sprechen bringen. Das war es. Anders konnte es nicht sein.
Beflügelt das Rätsel gelöst und eine Geschichte zu haben, setzte er sich wieder ans Pult und fing an alles aufzuschreiben. Mittendrin überlegte er wie er die Fotos arrangieren könnte und da fiel ihm auf, dass er immer noch kein Bild dieses Clowns gemacht hatte - mit seinen weißen Handschuhen, seinen großen Latschen und seiner bunten Mütze. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und schimpfte über seine Dämlichkeit. Aber es half alles nichts: er musste noch mal raus. Wenigstens für ein Foto vom Clown.
Der Hausmeister war gar nicht amüsiert und verlangte eine noch unverschämtere Prämie. Doch wer mit Zindy in den Zeppelin will, muss Einsatz zeigen, sagte er sich und setzte alles auf diese Karte.
Spät in der Nacht schloss ihm der Hauswart - „Aber nur für ein Foto, Meister.“ - die Wohnung wieder auf und zum dritten mal betrat er sie.
Hastig stürmte er ins Schlafzimmer und bremste dort jäh ab. Der Clown war weg. Verschwunden. Nicht mehr da. Er war verzweifelt.
„Wo ist der verdammte Clown? Was haben Sie mit ihm gemacht?“, fuhr er den Mann wütend an.
„Nana, Jungchen. Mach mal halblang. Watt denn für ’nen Clown? Ick seh hier nur einen Clown und ditt bist Du. Und Du machst jetzt nen Abgang aber pronto, sonst setzt es was.“
Zurück auf der Straße, bei sternenklarer Nacht, setzte er sich frustriert vor Mariannens Wohnhaus auf den Bordstein. Die Story war hin, das war nun klar. Er hatte seinen Hut abgenommen und drehte ihn missmutig zwischen den Händen. Er schaute verzweifelt zum Himmel, und sah in diesem Moment den Schatten eines Zeppelins, der am Mond vorüber fuhr. Auf seine Fahrt mit Zindy, in diesem oder einem anderen Zeppelin, musste er noch warten.
#2
von Pog Mo Thon (gelöscht)
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 07.09.2007 13:01von Pog Mo Thon (gelöscht)
Echt schau, mein ALter. Der erste Teil gefällt mir noch besser, als der zweite. Die gleichzeitig verwirrende, aber dennoch äußerst reizvolle Veränderung der Erzählweise ab Auftritt des "Latsches" ist einfach nur klasse! Die Wannssee-Prinzessin allein, hätte auusgereicht.
Die Reportergeschichte, so gut sie geschrieben ist und die Spannung auch entwickelt, endet etwas zu sehr Stephen-King-like- Ich zumindest musste immer an Pennywise denken und hätte mir gewünscht, dass der allerletzte Absatz entfallen wäre. Auch ein Ende, in dem der Reporter den Clown mit zu sich genommen hätte, wäre für mich denkbar gewesen.
Was soll's! Das liest sich nur so weg, ist anrührend im ersten und spannend im zweiten Teil. Respekt, auch wenn der Lektor viel zu tun hätte.
Jetzt sag bloß noch, du nimmst am Wettbewerb teil und hast eine noch geilere Geschichte eingereicht.
Die Reportergeschichte, so gut sie geschrieben ist und die Spannung auch entwickelt, endet etwas zu sehr Stephen-King-like- Ich zumindest musste immer an Pennywise denken und hätte mir gewünscht, dass der allerletzte Absatz entfallen wäre. Auch ein Ende, in dem der Reporter den Clown mit zu sich genommen hätte, wäre für mich denkbar gewesen.
Was soll's! Das liest sich nur so weg, ist anrührend im ersten und spannend im zweiten Teil. Respekt, auch wenn der Lektor viel zu tun hätte.
Jetzt sag bloß noch, du nimmst am Wettbewerb teil und hast eine noch geilere Geschichte eingereicht.
#3
von roux (gelöscht)
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 07.09.2007 13:21von roux (gelöscht)
Hallo Brot,
eine sehr interessante Geschichte, die du uns hier erzählst. Sie erinnert mich ein wenig an die ganz, ganz alten Twilight-Zone-Stories, die ich früher mit Vergnügen gelesen habe.
Der Spannungsbogen baut sich langsam, behäbig, aber stetig auf. Schön, wie du die "Neuzeit" behutsam in den Gutenachtgeschichtenerzählstil eingerahmt hast, sehr gut gemacht finde ich auch, wie du langsam näher zoomst, erst weit von oben auf den "braunen Punkt", dann auf das Umfeld, bis du am Schluss in ihrer kleinen Welt landest, dort, wo alles anfing und alles endete.
Inhaltlich geschickt gemacht finde ich auch die Andeutung, dass es da etwas gab, eine Romanze, die mit Kapitän Rollo hätte entstehen können, wenn Marianne nicht so sehr in ihrer eigenen Welt gefangen gewesen wäre. Sie funktioniert ja außer Haus nur, um schnellstmöglich wieder zurück in ihr Nest zu kommen, wo sie sich den Träumen hingeben kann, die sie aus einem Leben entführen, das sie nicht wirklich lebt. Die Romatikerin in mir dachte noch bis zuletzt, dass der tapfere Rolloheld sie vermissen und retten würde. Na ja, an dieser Stelle bist du erzählerisch eben in die Realität ausgewichen, wo solche Helden rar gesät sind.
Den Clown erst inkognito, aber bereits mit den weißen Handschuhen der Unberührbarkeit auftreten zu lassen, es dem Leser zu überlassen, noch an ein Wunder zu glauben finde ich sehr gelungen, erst fast ganz am Schluss erkennt der Lesende, dass es nur dieser Kleinigkeit, nur dieses unerwarteten Hutverlustes bedurfte, um Mariannes Welt vollkommen zum Einsturz zu bringen.
Dieser winzige Vorfall riss sie so aus ihrer braungrauen Außerhausfunkionalität, dass es des bunten Phantasieretters aus ihrer "anderen Welt" bedurfte, der aber, wie sollte es auch anders sein, in der Realität eher tödliche Wirkung hatte. Nahmen ihr die Träume zuerst auch nur das "Erleben" der realen Welt, so nahm der Auftritt ihres Traumgefährten ihr auch noch den Rest des adrett-kümmerlichen Daseins.
Ich muss gestehen, den kursiven Teil, den Reporterteil finde ich etwas zu lang gezogen, er reißt - natürlich beabsichtigt - aus der eigentlichen Geschichte, aus der "Twilight Zone" heraus, bietet die RL-Erklärung von außen, ist aber im Prinzip nur Hinleitung auf das Weiterleben des Clowns. Das könnte kürzer dargestellt werden, ist doch der Spannungsbogen schon einmal abgeflacht durch den Tod der Wannseeprinzessin.
Es gelingt dir zwar, ihn wieder neu aufzubauen, aber das Ende hält dann nicht so ganz, was dieser "Neuaufbau" verspricht, man wartet immer noch auf eine Art "Showdown", vielleicht Clown gegen Reporter, oder irgendwas mit dem geldgierigen Hausmeister. Der Hüpfer zum bedrohlichen Steven-King-Gutenachtgeschichten-Clown, der anscheinend (und ohne wirklich stimmigen Übergang) ein neues Opfer in den Fängen hat, erscheint mir persönlich zu platt.
Insgesamt: Gute Story, tolle Idee, zum großen Teil hervorragend umgesetzt, vielleicht noch mal über RS gucken.
Liebe Grüße,
Sabine
Edit: Das Schreiben der Kritiken hat sich wohl überschnitten, interessant, dass die King-Assoziationen und die Meinung über den Reporter-Teil ähnlich sind.
eine sehr interessante Geschichte, die du uns hier erzählst. Sie erinnert mich ein wenig an die ganz, ganz alten Twilight-Zone-Stories, die ich früher mit Vergnügen gelesen habe.
Der Spannungsbogen baut sich langsam, behäbig, aber stetig auf. Schön, wie du die "Neuzeit" behutsam in den Gutenachtgeschichtenerzählstil eingerahmt hast, sehr gut gemacht finde ich auch, wie du langsam näher zoomst, erst weit von oben auf den "braunen Punkt", dann auf das Umfeld, bis du am Schluss in ihrer kleinen Welt landest, dort, wo alles anfing und alles endete.
Inhaltlich geschickt gemacht finde ich auch die Andeutung, dass es da etwas gab, eine Romanze, die mit Kapitän Rollo hätte entstehen können, wenn Marianne nicht so sehr in ihrer eigenen Welt gefangen gewesen wäre. Sie funktioniert ja außer Haus nur, um schnellstmöglich wieder zurück in ihr Nest zu kommen, wo sie sich den Träumen hingeben kann, die sie aus einem Leben entführen, das sie nicht wirklich lebt. Die Romatikerin in mir dachte noch bis zuletzt, dass der tapfere Rolloheld sie vermissen und retten würde. Na ja, an dieser Stelle bist du erzählerisch eben in die Realität ausgewichen, wo solche Helden rar gesät sind.
Den Clown erst inkognito, aber bereits mit den weißen Handschuhen der Unberührbarkeit auftreten zu lassen, es dem Leser zu überlassen, noch an ein Wunder zu glauben finde ich sehr gelungen, erst fast ganz am Schluss erkennt der Lesende, dass es nur dieser Kleinigkeit, nur dieses unerwarteten Hutverlustes bedurfte, um Mariannes Welt vollkommen zum Einsturz zu bringen.
Dieser winzige Vorfall riss sie so aus ihrer braungrauen Außerhausfunkionalität, dass es des bunten Phantasieretters aus ihrer "anderen Welt" bedurfte, der aber, wie sollte es auch anders sein, in der Realität eher tödliche Wirkung hatte. Nahmen ihr die Träume zuerst auch nur das "Erleben" der realen Welt, so nahm der Auftritt ihres Traumgefährten ihr auch noch den Rest des adrett-kümmerlichen Daseins.
Ich muss gestehen, den kursiven Teil, den Reporterteil finde ich etwas zu lang gezogen, er reißt - natürlich beabsichtigt - aus der eigentlichen Geschichte, aus der "Twilight Zone" heraus, bietet die RL-Erklärung von außen, ist aber im Prinzip nur Hinleitung auf das Weiterleben des Clowns. Das könnte kürzer dargestellt werden, ist doch der Spannungsbogen schon einmal abgeflacht durch den Tod der Wannseeprinzessin.
Es gelingt dir zwar, ihn wieder neu aufzubauen, aber das Ende hält dann nicht so ganz, was dieser "Neuaufbau" verspricht, man wartet immer noch auf eine Art "Showdown", vielleicht Clown gegen Reporter, oder irgendwas mit dem geldgierigen Hausmeister. Der Hüpfer zum bedrohlichen Steven-King-Gutenachtgeschichten-Clown, der anscheinend (und ohne wirklich stimmigen Übergang) ein neues Opfer in den Fängen hat, erscheint mir persönlich zu platt.
Insgesamt: Gute Story, tolle Idee, zum großen Teil hervorragend umgesetzt, vielleicht noch mal über RS gucken.
Liebe Grüße,
Sabine
Edit: Das Schreiben der Kritiken hat sich wohl überschnitten, interessant, dass die King-Assoziationen und die Meinung über den Reporter-Teil ähnlich sind.
#4
von Erebus (gelöscht)
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 07.09.2007 13:50von Erebus (gelöscht)
Hallo Brot,
die Zweiteilung Deines Textes ist in meinen Augen tatsächlich eine Trennung zweier Geschichten. Ich komme mit dem ersten Teil wesentlich besser klar als mit dem zweiten, der mir nicht viel sagt.
Auffällig ist der Gebrauch der Sprache. Anfangs wurde ich, insbesondere durch diesen Absatz "Fährmann Rollo Brandt..." ganz stark durch Tonfall und Erzählweise an Kleist erinnert. Tatsächlich ist der Stil aber nicht durchgehalten. Beispielsweise fährt er hier extrem zweigleisig: "Immer schon arbeitete Marianne in der Firma, die eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen war, und die sich darauf spezialisiert hatte, einfarbige Pinnorecks herzustellen, die in jedem Apparillo gebraucht wurden.", was mich stört.
Da setzt sich die kantige Ausdrucksweise "hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen" gegen die lullige Pinnoreck-Pinöckel-Aparillio Formulierung.
Während der erste Teil an eine Börsennachricht erinnert, ist der zweite irgendwie nicht recht ernst zu nehmen, und ich finde das überdeutlich präsentiert.
Überhaupt ist mir die Firmenbeschreibung zu surreal angehaucht, auch wenn sie mir eine Fritz Langsche Stimmung assoziert. Die liest sich wie ein schwarz-weiß Film, will mir aber nicht so recht zu den Beschreibungen der Überfahrt und des Käpt'n Rollo passen.
So endet dann die Wannseeprinzessin, um die ich mir geheimnisvolleres erwartete, irgend einen Knall, mit grippalem Infekt, sang- und klanglos.
Bei dem Clown komme ich offengestanden nicht mehr mit. Da zieht's und atmet und beschwört, aber das kann ich einfach nicht hinnehmen. So etwas fällt mir schon bei dem dem zitierten Herrn King schwer, (da litt ich an einer ähnlichen Assoziation). Gerettet wird dies dadurch, das es nur eine Gutenachtgeschichte ist, als keinesfalls ernst zu nehmen sei.
Ja, eine Art modernes Märchen oder so?
Na, jetzt sehe ich roux' profunden Kommentar, aber bevor ich meinen in den Müll haue, lasse ich ihn so stehen.
Insgesamt finde ich den Teil eins bis zum Tode der Prinzessin sehr angenehm und gut beschrieben, auch wenn ich mir sprachlich eine stärkere Kontinuität wünschte.
Teil zwei finde ich so lala, nicht wirklich gut, da gehts zwar hin und her, aber schlußendlich soll ich die Augen zumachen.
LG
Ulrich
die Zweiteilung Deines Textes ist in meinen Augen tatsächlich eine Trennung zweier Geschichten. Ich komme mit dem ersten Teil wesentlich besser klar als mit dem zweiten, der mir nicht viel sagt.
Auffällig ist der Gebrauch der Sprache. Anfangs wurde ich, insbesondere durch diesen Absatz "Fährmann Rollo Brandt..." ganz stark durch Tonfall und Erzählweise an Kleist erinnert. Tatsächlich ist der Stil aber nicht durchgehalten. Beispielsweise fährt er hier extrem zweigleisig: "Immer schon arbeitete Marianne in der Firma, die eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen war, und die sich darauf spezialisiert hatte, einfarbige Pinnorecks herzustellen, die in jedem Apparillo gebraucht wurden.", was mich stört.
Da setzt sich die kantige Ausdrucksweise "hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Industriekonsortiums aus Nordrheinwestfalen" gegen die lullige Pinnoreck-Pinöckel-Aparillio Formulierung.
Während der erste Teil an eine Börsennachricht erinnert, ist der zweite irgendwie nicht recht ernst zu nehmen, und ich finde das überdeutlich präsentiert.
Überhaupt ist mir die Firmenbeschreibung zu surreal angehaucht, auch wenn sie mir eine Fritz Langsche Stimmung assoziert. Die liest sich wie ein schwarz-weiß Film, will mir aber nicht so recht zu den Beschreibungen der Überfahrt und des Käpt'n Rollo passen.
So endet dann die Wannseeprinzessin, um die ich mir geheimnisvolleres erwartete, irgend einen Knall, mit grippalem Infekt, sang- und klanglos.
Bei dem Clown komme ich offengestanden nicht mehr mit. Da zieht's und atmet und beschwört, aber das kann ich einfach nicht hinnehmen. So etwas fällt mir schon bei dem dem zitierten Herrn King schwer, (da litt ich an einer ähnlichen Assoziation). Gerettet wird dies dadurch, das es nur eine Gutenachtgeschichte ist, als keinesfalls ernst zu nehmen sei.
Ja, eine Art modernes Märchen oder so?
Na, jetzt sehe ich roux' profunden Kommentar, aber bevor ich meinen in den Müll haue, lasse ich ihn so stehen.
Insgesamt finde ich den Teil eins bis zum Tode der Prinzessin sehr angenehm und gut beschrieben, auch wenn ich mir sprachlich eine stärkere Kontinuität wünschte.
Teil zwei finde ich so lala, nicht wirklich gut, da gehts zwar hin und her, aber schlußendlich soll ich die Augen zumachen.
LG
Ulrich
#5
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 09.09.2007 14:48von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Ich fang mal hinten an:
Hallo Ullrich,
erst mal Danke, dass Du Deine Kritik trotz kurzfristiger Zweifel eingestellt hast. Recht so. Denn ich finde es mindestens genauso wichtig einfach – und einfach hast Du es Dir nicht gemacht – zu hören, was jemand schlecht, nervend oder als störend empfunden hat.
Und Du hast recht, dass der zunächst rollende Ton an der Fabrik endet. Nicht unabsichtlich allerdings. Inhaltlich kann ich es mir jetzt relativ einfach machen und auf roux Kritik verweisen. Nur ist es eben das eine, inhaltliche Gründe für einen Stilbruch zu finden und das andere sich zu überlegen, ob der Stilbruch nicht allgemein dazu führt die Mehrzahl der Leser zu verwirren, wenn nicht sogar vor den Kopf zu stoßen? Die Reaktion : Was ist das denn?, beim Lesen, verheißt meist nichts gutes.
Nordrheinwestfalen erwähnte ich auch noch, um einen kleinen Hinweis einzustreuen auf die Pinnorecks. Etymologisch kommen sie wie die Apparillos aus dieser Ecke und die Erklärungen, die man dafür findet, fand ich passend. Ich hoffte, dass ein Pinnoreck als kleines, schwer zu beschreibendes Teil verstanden wird. Und der Apparillo, so hoffte und hoffe eigentlich immer noch, als Maschine in der viele Pinnorecks stecken. Natürlich steckt dahinter auch der Versuch, in den einfarbigen Pinnorecks die einfarbige Marianne zu spiegeln.
Zurück zum Stilbruch. Du merkst an, dass auch die tosende, brausende See stilistisch eigentlich nicht zu der surrealen Fabrik passt. Da kann ich Dir wieder folgen. Und hier ist der Stilbruch dergestalt, dass ich Rollo und seine Fahrten, so versucht habe einzufangen, als seien sie einem Seemansgarnabenteuer, wo mich Worte wie Bugsprit, Tampen und Gischt verzaubern können, entsprungen. Insgesamt hoffte ich diese – und im zweiten Teil – wieder gemixten Stile versöhnen zu können, wenn ich die Geschichte von vornherein als Märchen – meinethalben noch Fantasy – einstufe. Auch auf die Gefahr hin, dass viele einen großen Bogen um Märchen und Fantasy machen.
Dein Hinweis auf Fritz Lang und Stummfilm, der freut mich, denn ganz bewusst wollte ich nicht das heutige Berlin als Kulisse benutzen, sondern eines, das eher an das der zwanziger, dreißiger Jahre erinnert, gemixt – ich gestehe – mit Zitaten aus einem meiner Lieblingsfilme: Brazil. Wenn Du auch noch Art Deco gesagt hättest oder comichaft wäre ich komplett selig gewesen, weil ich zumindest an den richtigen Knöpfen herumgespielt habe, auch wenn ich nicht den richtigen Dreh gefunden habe, um es so gut zu machen, dass es nicht stört, beziehungsweise charmant und nicht gewollt auffällt.
Beim Clown war ich mir sicher im ersten Teil, der ist fett genug - da muss ich nicht noch mehr machen. Ich meine immer noch: das muss ich auch nicht. Aber, nicht der Clown, das behütet oder unbehütet zu sein, ist das Problem. Gebannt von der Anfangssequenz des Gebrüder Coen Films „Millers Crossing“, wo ein einsamer Borsalino über einen herbstlichen Parkweg geweht wird, habe ich hier auch versucht einen Hut oder Hüte, als wiederkehrendes Motiv zu benutzen.
Vielleicht – auch wenn Roux, bei nizza weiß ich es nicht – dieses Motiv so durchschaut hat, wie ich es kaum zu hoffen wagte, muss ich dieses Motiv deutlicher ausarbeiten. Wenn ich Deine Kritik richtig einordne: dann muss ich vorsichtiger, behutsamer mit der Wahl meiner Sprache sein, denn – und das kann ich gut verstehen – es reicht schon ein Satz, ein unpassendes Wort und die Illusion ist dahin und das Licht im Saal geht wieder an.
Immerhin habe ich eine Erwartungshaltung wecken können, aber das Ergebnis konnte nicht befriedigen.
Hallo Roux,
was soll ich noch sagen? Warst Du in meinem Kopf? Ist ja beängstigend. Vor allem das:
Es war für mich schwer, Rollo „dumme Gans“ denken zu lassen – und 100 %ig glücklich bin ich mit der Formulierung nicht – und als die Gute starb, musste ich konsequent bleiben und es sackschwarz malen. Wie um mir sicher zu sein, und Rollo und Marianne die letzte Chance zu nehmen, habe ich, nachdem ich geschrieben hatte (vor der editierten Version), dass sie gestorben war, noch mal nachgetreten und gesagt: Sie ist tot - mausetot. Das aber nur, um den Romantiker in mir zum Schweigen zu bringen.
Und damit hast Du es voll getroffen:
Jepp, ich verneige mich vor der Klugheit der Leserin und Danke sehr für die Aufpolierung der Geschichte und dem mir von Dir zu Teil gewordenem Lob. Es gibt in der Bibliothek des Tümpels eine Geschichte von Margot, wo es um kluge Leser wie um ein gutes Tröpfchen geht. Die ist nicht von mir – wie schon gesagt – aber ich glaube ich würde sie Dir widmen.
Zum guten Schluss, freut es mich auch Dir, nizza, ein Vergnügen bereitet zu haben. Der erste Teil scheint ja voll eingeschlagen zu sein? Dankeschön. Den deutlichen Hinweis von Dir, flankiert von den beiden Anderen zum zweiten Teil habe ich mittlerweile versucht umzusetzen. Ende gekürzt. Aber es freut mich natürlich sehr, wenn es Dich unterhalten hat. Das war mein vornehmstes Ziel.
Aber nun – und das kam ja von Allen – der Zweite Teil, der ja eher durchhing im Vergleich zum Ersten. Kann ich verstehen. Kann ich jetzt verstehen. Als ich mit dem zweiten Teil begonnen habe, habe ich gedacht, so jetzt musst Du was bringen, was machen, es krachen lassen. Du hast Gehirnkrebsmäßig den ersten rauf und runter bearbeitet und da kannste nur hoffen, dass Dir bis zum Beginn des Zweiten einer folgt. So habe ich gedacht und so begann ich den Zweiten und ich war an dessem Ende begeistert. Schrieb schnell und wie ich meinte gut und dachte, als ich das Teil hochlud, der Zweite Teil reißt es voll raus und seid umschlungen Millionen.
Die klischeehafte Typisierung des Reporters, das Geschlechterbild, dass direkt aus Opas Rumpelkammer kommt, den Zeppelin, das Blitzlicht, das Karbidauto und schließlich der Haarriss im Leitungsrohr: ich war zufrieden. Obendrein dachte ich den Megaclou mit dem Schlussauftritt des Clowns geliefert zu haben.
Denkste Puppe. Gestern morgen noch mal gelesen – nicht das ich den zweiten Teil schlecht finde – aber da waren und sind noch böse Hacks drin, die ich nicht mit der schlechten Aufnahmequalität auf Schellackplatten erklären will. Es ist wohl so – obwohl mir der Zweite immer noch gefällt – dass dieser Teil, bestenfalls sich ein brav und ein ganz ordentlich gemacht verdienen kann und der erste, obwohl ich das zunächst nicht für wahrscheinlich hielt, weil zu persönlich, der Bessere ist. Noch eines zum Ersten: Mit Erreichen der Pinnoreckfabrik im ersten Teil hatte ich gedacht: Pinnorecks sind bestimmt ein Knüller. Faszinierend finde ich daran, wie arg ich daneben gelegen habe und gefreut, das sich die Arbeit am Ersten– weil ich dem nicht traute – gelohnt hat.
Trotz der Zweifel: Spaß am Schreiben hatte ich hier von A-Z.
Hallo Ullrich,
erst mal Danke, dass Du Deine Kritik trotz kurzfristiger Zweifel eingestellt hast. Recht so. Denn ich finde es mindestens genauso wichtig einfach – und einfach hast Du es Dir nicht gemacht – zu hören, was jemand schlecht, nervend oder als störend empfunden hat.
Und Du hast recht, dass der zunächst rollende Ton an der Fabrik endet. Nicht unabsichtlich allerdings. Inhaltlich kann ich es mir jetzt relativ einfach machen und auf roux Kritik verweisen. Nur ist es eben das eine, inhaltliche Gründe für einen Stilbruch zu finden und das andere sich zu überlegen, ob der Stilbruch nicht allgemein dazu führt die Mehrzahl der Leser zu verwirren, wenn nicht sogar vor den Kopf zu stoßen? Die Reaktion : Was ist das denn?, beim Lesen, verheißt meist nichts gutes.
Nordrheinwestfalen erwähnte ich auch noch, um einen kleinen Hinweis einzustreuen auf die Pinnorecks. Etymologisch kommen sie wie die Apparillos aus dieser Ecke und die Erklärungen, die man dafür findet, fand ich passend. Ich hoffte, dass ein Pinnoreck als kleines, schwer zu beschreibendes Teil verstanden wird. Und der Apparillo, so hoffte und hoffe eigentlich immer noch, als Maschine in der viele Pinnorecks stecken. Natürlich steckt dahinter auch der Versuch, in den einfarbigen Pinnorecks die einfarbige Marianne zu spiegeln.
Zurück zum Stilbruch. Du merkst an, dass auch die tosende, brausende See stilistisch eigentlich nicht zu der surrealen Fabrik passt. Da kann ich Dir wieder folgen. Und hier ist der Stilbruch dergestalt, dass ich Rollo und seine Fahrten, so versucht habe einzufangen, als seien sie einem Seemansgarnabenteuer, wo mich Worte wie Bugsprit, Tampen und Gischt verzaubern können, entsprungen. Insgesamt hoffte ich diese – und im zweiten Teil – wieder gemixten Stile versöhnen zu können, wenn ich die Geschichte von vornherein als Märchen – meinethalben noch Fantasy – einstufe. Auch auf die Gefahr hin, dass viele einen großen Bogen um Märchen und Fantasy machen.
Dein Hinweis auf Fritz Lang und Stummfilm, der freut mich, denn ganz bewusst wollte ich nicht das heutige Berlin als Kulisse benutzen, sondern eines, das eher an das der zwanziger, dreißiger Jahre erinnert, gemixt – ich gestehe – mit Zitaten aus einem meiner Lieblingsfilme: Brazil. Wenn Du auch noch Art Deco gesagt hättest oder comichaft wäre ich komplett selig gewesen, weil ich zumindest an den richtigen Knöpfen herumgespielt habe, auch wenn ich nicht den richtigen Dreh gefunden habe, um es so gut zu machen, dass es nicht stört, beziehungsweise charmant und nicht gewollt auffällt.
Beim Clown war ich mir sicher im ersten Teil, der ist fett genug - da muss ich nicht noch mehr machen. Ich meine immer noch: das muss ich auch nicht. Aber, nicht der Clown, das behütet oder unbehütet zu sein, ist das Problem. Gebannt von der Anfangssequenz des Gebrüder Coen Films „Millers Crossing“, wo ein einsamer Borsalino über einen herbstlichen Parkweg geweht wird, habe ich hier auch versucht einen Hut oder Hüte, als wiederkehrendes Motiv zu benutzen.
Vielleicht – auch wenn Roux, bei nizza weiß ich es nicht – dieses Motiv so durchschaut hat, wie ich es kaum zu hoffen wagte, muss ich dieses Motiv deutlicher ausarbeiten. Wenn ich Deine Kritik richtig einordne: dann muss ich vorsichtiger, behutsamer mit der Wahl meiner Sprache sein, denn – und das kann ich gut verstehen – es reicht schon ein Satz, ein unpassendes Wort und die Illusion ist dahin und das Licht im Saal geht wieder an.
Immerhin habe ich eine Erwartungshaltung wecken können, aber das Ergebnis konnte nicht befriedigen.
Hallo Roux,
was soll ich noch sagen? Warst Du in meinem Kopf? Ist ja beängstigend. Vor allem das:
Zitat: |
Romantikerin in mir dachte noch bis zuletzt, dass der tapfere Rolloheld sie vermissen und retten würde. |
Es war für mich schwer, Rollo „dumme Gans“ denken zu lassen – und 100 %ig glücklich bin ich mit der Formulierung nicht – und als die Gute starb, musste ich konsequent bleiben und es sackschwarz malen. Wie um mir sicher zu sein, und Rollo und Marianne die letzte Chance zu nehmen, habe ich, nachdem ich geschrieben hatte (vor der editierten Version), dass sie gestorben war, noch mal nachgetreten und gesagt: Sie ist tot - mausetot. Das aber nur, um den Romantiker in mir zum Schweigen zu bringen.
Und damit hast Du es voll getroffen:
Zitat: |
dass es nur dieser Kleinigkeit, nur dieses unerwarteten Hutverlustes bedurfte, um Mariannes Welt vollkommen zum Einsturz zu bringen. Dieser winzige Vorfall riss sie so aus ihrer braungrauen Außerhausfunkionalität, dass es des bunten Phantasieretters aus ihrer "anderen Welt" bedurfte, der aber, wie sollte es auch anders sein, in der Realität eher tödliche Wirkung hatte. Nahmen ihr die Träume zuerst auch nur das "Erleben" der realen Welt, so nahm der Auftritt ihres Traumgefährten ihr auch noch den Rest des adrett-kümmerlichen Daseins. |
Jepp, ich verneige mich vor der Klugheit der Leserin und Danke sehr für die Aufpolierung der Geschichte und dem mir von Dir zu Teil gewordenem Lob. Es gibt in der Bibliothek des Tümpels eine Geschichte von Margot, wo es um kluge Leser wie um ein gutes Tröpfchen geht. Die ist nicht von mir – wie schon gesagt – aber ich glaube ich würde sie Dir widmen.
Zum guten Schluss, freut es mich auch Dir, nizza, ein Vergnügen bereitet zu haben. Der erste Teil scheint ja voll eingeschlagen zu sein? Dankeschön. Den deutlichen Hinweis von Dir, flankiert von den beiden Anderen zum zweiten Teil habe ich mittlerweile versucht umzusetzen. Ende gekürzt. Aber es freut mich natürlich sehr, wenn es Dich unterhalten hat. Das war mein vornehmstes Ziel.
Aber nun – und das kam ja von Allen – der Zweite Teil, der ja eher durchhing im Vergleich zum Ersten. Kann ich verstehen. Kann ich jetzt verstehen. Als ich mit dem zweiten Teil begonnen habe, habe ich gedacht, so jetzt musst Du was bringen, was machen, es krachen lassen. Du hast Gehirnkrebsmäßig den ersten rauf und runter bearbeitet und da kannste nur hoffen, dass Dir bis zum Beginn des Zweiten einer folgt. So habe ich gedacht und so begann ich den Zweiten und ich war an dessem Ende begeistert. Schrieb schnell und wie ich meinte gut und dachte, als ich das Teil hochlud, der Zweite Teil reißt es voll raus und seid umschlungen Millionen.
Die klischeehafte Typisierung des Reporters, das Geschlechterbild, dass direkt aus Opas Rumpelkammer kommt, den Zeppelin, das Blitzlicht, das Karbidauto und schließlich der Haarriss im Leitungsrohr: ich war zufrieden. Obendrein dachte ich den Megaclou mit dem Schlussauftritt des Clowns geliefert zu haben.
Denkste Puppe. Gestern morgen noch mal gelesen – nicht das ich den zweiten Teil schlecht finde – aber da waren und sind noch böse Hacks drin, die ich nicht mit der schlechten Aufnahmequalität auf Schellackplatten erklären will. Es ist wohl so – obwohl mir der Zweite immer noch gefällt – dass dieser Teil, bestenfalls sich ein brav und ein ganz ordentlich gemacht verdienen kann und der erste, obwohl ich das zunächst nicht für wahrscheinlich hielt, weil zu persönlich, der Bessere ist. Noch eines zum Ersten: Mit Erreichen der Pinnoreckfabrik im ersten Teil hatte ich gedacht: Pinnorecks sind bestimmt ein Knüller. Faszinierend finde ich daran, wie arg ich daneben gelegen habe und gefreut, das sich die Arbeit am Ersten– weil ich dem nicht traute – gelohnt hat.
Trotz der Zweifel: Spaß am Schreiben hatte ich hier von A-Z.
#6
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 24.10.2007 10:08von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo Brot,
beide Teile der Geschichte haben ihre Berechtigung, doch auch mir sagt der erste Abschnitt mehr zu, der es geschafft hat, mich so an den Text zu fesseln, dass ich ihn vollständig gelesen habe. Der Stil, der einen stets an ein modernes Märchen denken lässt, macht Spaß und schnell hast DU es geschafft, mein Interesse zu wecken, was es mit dieser kleinen, unscheinbaren Person auf sich hat. Eigentlich ist Marianne eine uninteressante, farblose Person, aber im Laufe der Geschichte erging es mir wie Rollo und man entwickelt eine gewisse Achtung vor ihr, die man gar nicht genau erklären kann.
Rollos Faszination lässt sich ebensowenig erklären wie die des Lesers. Was macht denn Marianne so interessant? Dass sie etwas Wellengang aushält, ohne einen grünlichen Teint zu erhalten? Kaum, selbst einem Seebären wie Rollo dürfte das nicht ausreichen. Ich denke, es ist eher der Gedanke, dass an dieser kleinen, braunen und so beständigen Person mehr dran sein muss, als auf den ersten Blick gedacht - und das ist es, was einen weiter durch die Geschichte zieht. Das nicht sichtbare ist es, das Marianne sogar geheimnisvoll erscheinen lässt.
Das kann ich verstehen. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde anders reagieren. Aber in dem Augenblick, als sie sich so anders als erwartet verhält, fällt auch der nicht erklärbare Glanz von ihr ab. In dem Augenblick, als ihre Einfarbigkeit mit dem bunten Hut verloren geht und als sie aus dem bekannten Schema ausbricht, gewinnt sie nicht, sondern verliert etwas.
Stark fand ich, wie Rollo kurz zuvor noch mit dem Ablegen des Schiffes wartet, als könne er nicht in See brechen, wie wenn dem Schiff etwas lebenswichtiges fehlen würde - ebenso wie Rollo. Der Anker der Beständigkeit, der einem Sicherheit gibt. Umso größer ist die Enttäuschung, dass Marianne dieser Anker nicht mehr ist und um so verständlicher die reaktion Rollos.
Der zweite Teil entwickelt seine Spannung, in dem er den Leser zusammen mit dem Reporter auf die Suche gehen lässt, über Marianne mehr herauszufinden. Es ist der Versuch, hinter die Kulissen zu blicken und womöglich Antworten zu finden, sowohl für ihr braunes Wesen wie für den Ausbruch aus ihrer Welt, der sogleich das Ende für sie bedeutet hat. Die im zweiten Teil dargebotenen Erkenntnisse bleiben jedoch ebenso rätselhaft wie unbefriedigend. Ich denke, das ist es letztlich, warum der Reporter mehrfach in die Wohnung zurückkehrt, da er denkt, es müsse sich etwas finden lassen. Irgendwo muss da mehr sein, als auf den ersten Blick gedacht, etwas, das Marianne erklärt. Was mir aber nun der Clown sagen soll, weiß ich nicht so recht. War sie schlicht verrückt? Einen Beweis gibt es letztlich nicht dafür, nicht einmal ein Photo exisitiert mehr von ihm. Es bleibt nicht erklärbar, was mit ihr war bzw. was mit ihr geschehen ist.
Auf jeden Fall denke ich bei der Wannseeprinzessin nun nicht mehr nur an ein Fährschiff, sondern auch an Marianne. Geblieben ist ein Märchen, das sich erzählen lässt, sollte ich die Wannseeprinzessin einmal sehen.
Gern gelesen, Brot,
Don
beide Teile der Geschichte haben ihre Berechtigung, doch auch mir sagt der erste Abschnitt mehr zu, der es geschafft hat, mich so an den Text zu fesseln, dass ich ihn vollständig gelesen habe. Der Stil, der einen stets an ein modernes Märchen denken lässt, macht Spaß und schnell hast DU es geschafft, mein Interesse zu wecken, was es mit dieser kleinen, unscheinbaren Person auf sich hat. Eigentlich ist Marianne eine uninteressante, farblose Person, aber im Laufe der Geschichte erging es mir wie Rollo und man entwickelt eine gewisse Achtung vor ihr, die man gar nicht genau erklären kann.
Rollos Faszination lässt sich ebensowenig erklären wie die des Lesers. Was macht denn Marianne so interessant? Dass sie etwas Wellengang aushält, ohne einen grünlichen Teint zu erhalten? Kaum, selbst einem Seebären wie Rollo dürfte das nicht ausreichen. Ich denke, es ist eher der Gedanke, dass an dieser kleinen, braunen und so beständigen Person mehr dran sein muss, als auf den ersten Blick gedacht - und das ist es, was einen weiter durch die Geschichte zieht. Das nicht sichtbare ist es, das Marianne sogar geheimnisvoll erscheinen lässt.
Zitat: |
Brotnic2um schrieb am 09.09.2007 14:48 Uhr: Es war für mich schwer, Rollo „dumme Gans“ denken zu lassen |
Das kann ich verstehen. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde anders reagieren. Aber in dem Augenblick, als sie sich so anders als erwartet verhält, fällt auch der nicht erklärbare Glanz von ihr ab. In dem Augenblick, als ihre Einfarbigkeit mit dem bunten Hut verloren geht und als sie aus dem bekannten Schema ausbricht, gewinnt sie nicht, sondern verliert etwas.
Stark fand ich, wie Rollo kurz zuvor noch mit dem Ablegen des Schiffes wartet, als könne er nicht in See brechen, wie wenn dem Schiff etwas lebenswichtiges fehlen würde - ebenso wie Rollo. Der Anker der Beständigkeit, der einem Sicherheit gibt. Umso größer ist die Enttäuschung, dass Marianne dieser Anker nicht mehr ist und um so verständlicher die reaktion Rollos.
Der zweite Teil entwickelt seine Spannung, in dem er den Leser zusammen mit dem Reporter auf die Suche gehen lässt, über Marianne mehr herauszufinden. Es ist der Versuch, hinter die Kulissen zu blicken und womöglich Antworten zu finden, sowohl für ihr braunes Wesen wie für den Ausbruch aus ihrer Welt, der sogleich das Ende für sie bedeutet hat. Die im zweiten Teil dargebotenen Erkenntnisse bleiben jedoch ebenso rätselhaft wie unbefriedigend. Ich denke, das ist es letztlich, warum der Reporter mehrfach in die Wohnung zurückkehrt, da er denkt, es müsse sich etwas finden lassen. Irgendwo muss da mehr sein, als auf den ersten Blick gedacht, etwas, das Marianne erklärt. Was mir aber nun der Clown sagen soll, weiß ich nicht so recht. War sie schlicht verrückt? Einen Beweis gibt es letztlich nicht dafür, nicht einmal ein Photo exisitiert mehr von ihm. Es bleibt nicht erklärbar, was mit ihr war bzw. was mit ihr geschehen ist.
Auf jeden Fall denke ich bei der Wannseeprinzessin nun nicht mehr nur an ein Fährschiff, sondern auch an Marianne. Geblieben ist ein Märchen, das sich erzählen lässt, sollte ich die Wannseeprinzessin einmal sehen.
Gern gelesen, Brot,
Don
#7
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 26.10.2007 16:49von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
hallo Brot
beim Ersten Lesen hatte ich ein Schlüsselerlebnis, welches ich dir nicht vorenthalten möchte: ich war schon mit den Augen Zeilen weitergeeilt, als ich innehalten musste und an die Stelle mit den einfarbigen "Pinnorecks" und dem "Apparillo" zurückkehrte. was waren das für Wörter? für Sekundenbruchteile erwägte ich die Suchmaschinen zu bemühen, aber aus einem unbestimmten Gefühl heraus tat ich es doch nicht und prüfte statt dessen jeden einzelnen Buchstaben erneut und erneut - und in die Kontemplation dieser zwei Wörter versunken, passierte plötzlich eine Art Verknüpfung meine Synapsen, da ich die wunderbare Verwandtschaft mit einem völlig verschiedenen Text erkannte. und ab diesem magischen Moment war es mir in der Wannseeprinzessin heimelig geworden. ich las all das Folgende entspannt und höchst genußvoll zu Ende, ohne mich mehr zu fragen in welcher Zeit, in welcher Welt, in welchem Raum ich mich befinde: ''Clockwork Orange'' war angelaufen.
zur Erinnerung: dort gab es damals Verben wie toltschocken und vidden, Adjektive wie malenki und stari (ja, ich hab nachgesehen) und Substantive wie Droogs, Moloko, Dewotschka; und ich Subbotnik der Blätterseiten hab das doch schon immer gemocht (aber nicht nur wegen Anthony Burgess sondern auch dank Stanley Kubrick, wohlgemerkt).
im kursiven Teil machte ich einige Unstimmigkeiten aus:
- das Rohrpostgeräusch ist zu oft erwähnt, und erscheint im Finale beim Erklärungsversuch der Clownsstimme überkonstruiert.
- Kurbelblitz und Karbidkabinenroller versus Verstärker oder Spraydosen in der Hosentasche passen mir nicht zusammen.
Gruß
Alcedo
beim Ersten Lesen hatte ich ein Schlüsselerlebnis, welches ich dir nicht vorenthalten möchte: ich war schon mit den Augen Zeilen weitergeeilt, als ich innehalten musste und an die Stelle mit den einfarbigen "Pinnorecks" und dem "Apparillo" zurückkehrte. was waren das für Wörter? für Sekundenbruchteile erwägte ich die Suchmaschinen zu bemühen, aber aus einem unbestimmten Gefühl heraus tat ich es doch nicht und prüfte statt dessen jeden einzelnen Buchstaben erneut und erneut - und in die Kontemplation dieser zwei Wörter versunken, passierte plötzlich eine Art Verknüpfung meine Synapsen, da ich die wunderbare Verwandtschaft mit einem völlig verschiedenen Text erkannte. und ab diesem magischen Moment war es mir in der Wannseeprinzessin heimelig geworden. ich las all das Folgende entspannt und höchst genußvoll zu Ende, ohne mich mehr zu fragen in welcher Zeit, in welcher Welt, in welchem Raum ich mich befinde: ''Clockwork Orange'' war angelaufen.
zur Erinnerung: dort gab es damals Verben wie toltschocken und vidden, Adjektive wie malenki und stari (ja, ich hab nachgesehen) und Substantive wie Droogs, Moloko, Dewotschka; und ich Subbotnik der Blätterseiten hab das doch schon immer gemocht (aber nicht nur wegen Anthony Burgess sondern auch dank Stanley Kubrick, wohlgemerkt).
im kursiven Teil machte ich einige Unstimmigkeiten aus:
- das Rohrpostgeräusch ist zu oft erwähnt, und erscheint im Finale beim Erklärungsversuch der Clownsstimme überkonstruiert.
- Kurbelblitz und Karbidkabinenroller versus Verstärker oder Spraydosen in der Hosentasche passen mir nicht zusammen.
Gruß
Alcedo
#8
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Die Wannseeprinzessin
in Märchen, Fabeln, Sci-Fi und Fantastisches 29.10.2007 19:01von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
@Don
Ist ja schon ein Kompliment, wenn Du es bei einem Prosa Text länger als eine halbe Seite aushältst. Das gefällt mir. Ich brauche wohl auch nicht zu betonen, dass ich mit Deiner Kritik gut leben kann und habe mich gefreut, dass Du auch dem zweiten Teil seine Berechtigung gelassen hast. Sehr schön fande ich, dass Du das Besondere an der Dame mit Hut auch nicht nennen kanst oder wolltest - ich kanns auch nicht. Aber das ist wohl der Knackpunkt: entweder zuckt der Leser ob Marianne mit den Schultern oder aber er verspürt eine Faszination.
Gefreut habe ich mich auch, dass Du den Ton der Geschichte als einem modernen Märchen angemessen empfunden hast und Du jetzt nicht mehr an einen Wannseedampfer denkst.
@Alcedo
Clockwork Orange? Hätte ich nicht gedacht, dass dieses Buch Hilfe sein kann, um einen Zugang zu diesem Text zu finden. Eigentlich sind Apparillo und Pinnoreck... aber das ist ja nun egal. Aber ich wählte schon mit Bedacht die Märchen und SciFi Ecke um mich austoben und nicht festnageln zu lassen.
Die Rohrpost zu oft? Das mag sein, ist mir aber bis dato nicht als störend aufgefallen und da gibt es noch eine Bedeutungsebene, da finde ich die mehrfachnennung der Rohrpost ganz nützlich.
Und der Verstärker ist ein Apparilo . Aber welche Spraydose? Der Schellackaufnahmeapparillo?
Ist ja schon ein Kompliment, wenn Du es bei einem Prosa Text länger als eine halbe Seite aushältst. Das gefällt mir. Ich brauche wohl auch nicht zu betonen, dass ich mit Deiner Kritik gut leben kann und habe mich gefreut, dass Du auch dem zweiten Teil seine Berechtigung gelassen hast. Sehr schön fande ich, dass Du das Besondere an der Dame mit Hut auch nicht nennen kanst oder wolltest - ich kanns auch nicht. Aber das ist wohl der Knackpunkt: entweder zuckt der Leser ob Marianne mit den Schultern oder aber er verspürt eine Faszination.
Gefreut habe ich mich auch, dass Du den Ton der Geschichte als einem modernen Märchen angemessen empfunden hast und Du jetzt nicht mehr an einen Wannseedampfer denkst.
@Alcedo
Clockwork Orange? Hätte ich nicht gedacht, dass dieses Buch Hilfe sein kann, um einen Zugang zu diesem Text zu finden. Eigentlich sind Apparillo und Pinnoreck... aber das ist ja nun egal. Aber ich wählte schon mit Bedacht die Märchen und SciFi Ecke um mich austoben und nicht festnageln zu lassen.
Die Rohrpost zu oft? Das mag sein, ist mir aber bis dato nicht als störend aufgefallen und da gibt es noch eine Bedeutungsebene, da finde ich die mehrfachnennung der Rohrpost ganz nützlich.
Und der Verstärker ist ein Apparilo . Aber welche Spraydose? Der Schellackaufnahmeapparillo?
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