#1

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 14:55
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
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Ständig muss ich husten. Ständig spüre ich den Schleim in meinen Bronchien, meiner Lunge. Es kratzt, es juckt, es stört, drum huste ich wie verrückt so schön. Die Anderen schauen mich ganz entsetzt an. Ich solle zum Arzt gehen. Das sei nicht gesund. Ach was. Vielleicht war ich da schon?

Husten hat so etwas ansteckendes. Vergessen Sie nie, sich die Hand vor den Mund zu halten und sich nach dem Hustenanfall die Hände abzuwischen. Oder husten Sie immer in die linke Hand. Immer links husten dann klappt ’s auch mit dem Händeschütteln. Der Virenbefall lauert überall. Diese Myriaden von winzigen Tröpfchen die ich jedes Mal vulkanös aus mir rausschleudere. Dieser unsichtbare Strom fauler Bakterien, Viren und Würmer. Ich sehe Sie zum Glück nicht und ich hab die ja schon. Der Ekel hält sich somit in Grenzen.

Ekel hat auch etwas ansteckendes. Aber auch anziehendes. Die Allermeisten bleiben ja doch stehen und gucken. Auch wenn eindringlich abgeraten wird, sich den an der Schreibtischkante abgeschmierten dicken Popel, der sogar eine Spur Blut enthalte, anzusehen. Ein richtig fetter grüner Popel. Wohlmöglich sehr viskos, doch jetzt einigermaßen ausgehärtet. Es besteht nicht die Gefahr dass er sich stalaktitengleich dem Teppich nähert, sich ablöst und auf Wanderschaft geht, vielleicht um in Kinderbetten sein Unwesen zu treiben.

Juvenile Riechkolben haben des Öfteren grünlichgelben Schleim hängen. Das Kindergesicht lacht dann auch noch frech, dass kleine Blasen aus den Nasenlöchern schlagen. Rotzlöffel halt. Mit der Handkante wird’s schnell abgewischt und in der Hose verrieben. Das ist die sehnsüchtig verlorene Reinheit und Unschuld einer kindlichen Seele? Von Reinheit mag ich da nicht mehr sprechen. Zeihen Sie mich nicht der Pedanterie oder Krümelkackerei, zeihen Sie mich das erst, wenn so ein Racker vor Ihnen mit ausgestreckter Hand steht. Sei es um Ihnen artig Hallo zu sagen, oder einen oder mehr Euro abzufordern.

Ständig kommen mir in diesen Tagen Leute mit ausgestreckter Hand über den Weg gelaufen. Wenige, die sich nur artig bei mir für die Zusammenarbeit im letzten Jahr bedanken wollen, viel mehr aber, um in dieser besinnlichen Zeit mich an meine Pflichten als mitfühlender und besitzender Mensch zu erinnern. Milde Gaben auch genannt. Und eh ich mich versehe, greife ich in meine Tasche und lass einen Euro für diese Weihnachtsgespenster springen. Altruismus ist das nicht. Es ist ein Euro für mein verdorbenes Seelchen. Ein Vademecum für mich. Was die armen oder reichen Teufel damit machen ist mir Jacke wie Hose. Ich will nur, wenn mich dereinst mein quälender Hustenreiz gänzlich zu Grunde gerichtet hat, und tatsächlich irgendeine supernatürliche Wesenseinheit meint mir auch noch den letzten Frieden rauben zu müssen, statt mich einfach in Ruhe in meinem Erdmöbel verwesen zu lassen, dann will ich die billigen ein Euro Seelenverkäufer an dieser verlogenen Gottheit vorbeiparadieren lassen, wie einstmals die FDJ vor der SED Bezirksleitung, und dieser allmächtigen Supermacht entgegnen: Ich hab denen wenigstens einen Groschen gegeben. Was hast Du Ihnen denn beschert?

Als ob es ausgemachte Sache sei, dass wir, bzw. ich, Rechtschaffenheit ablegen müssen? Mir will nicht in den Sinn, dass es so und nicht andersherum ist. Denn anders, wäre es mir viel logischer, bzw. fairer. Gibt es den Himmel, das Paradies wirklich, dann fürchte ich, dass die Beschwerdestellen gänzlich überlastet und - wer oder was auch immer Gott spielen mag -, wäre schon von einem Haufen wirklich guter Anwälte verklagt worden. Rührt die ganze Kohlenstoffbrühe an und verlangt auch noch, dass man dankbar dafür ist in diesem Sumpf aus Rotz und Schleim zu sitzen. Der Husten bringt mich noch mal um.
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#2

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 15:14
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo Brot!

Bis ich raffte, wohin die Reise geht, brauchte es doch ein Weilchen und ich bilde mir ein, das liegt an der anfänglichen Zerissenheit des Textes und dem gänzlich überflüssigen Popelfall vom Schreibtisch.

Dann aber gewinnt der Text an Kontur und steuert mit schönem Drive auf seinen Höhepunkt zu und der ließ mich wirklich grinsen. Gute Idee! Gut geschrieben sowieso, jedenfalls nachdem du die exaltierten Übertreibungen hast sein lassen und einfach nur wunderbar überspitzt formulierst. Das dröhnt schön, weil nicht dumpf, sondern inspiriert.

Rechtschaffenheit muss man deswegen nicht gleich ablegen aber Gott nach der Himmelfahrt zur Rechenschaft zu ziehen, das hat Charme und Chuzpe. "Was hast du ihnen denn beschert?" Großartig!

Vielleicht Fastfood, aber hat mir geschmeckt! Und zwar gut.

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#3

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 15:31
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Danke. Fastfood triffts. Mehr sollte es nicht sein. Der Popel blieb hängen, obwohl er ein echter Hänger im Text ist. Ziemlich missraten. Aber irgendwie mußte ich zum Riechkolben. Aber die Stelle rumpelt ganz schön, aber schön ist, wenn der Spaß beim Lesen sich zum Ende wieder eingestellt hat. Nach meiner eigenen Himmelfahrt werde ich mich wohl warm anziehen müssen.

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#4

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 15:38
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Hi Brot.. ja, der Anfang ist etwas molekülartig geraten - da schließe ich mich Al an. Auch weitestgehend beim Rest. Nur kurz noch angefügt: Im letzten Abschnitt kommt dem Erzähler der Gedanke, die Rechtfertigung müsste andersrum laufen - widerlegt sich dann aber selbst. Denn wenn es so wäre, dann hätten schon Anwälte.. etc. (Nebenbei: bin über das "wer" im drittletzten Satz gestolpert.. müsste bestimmt "wäre" heißen.)

Grüße.

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#5

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 15:58
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Grüße Sie Herr Boldt.
ja da bin ich wohl vom Konjunktiv überwältigt worden. Ich hoffe es ist jetzt besser, aber ich habe schon einen Knoten im Kopf. Sehr kompliziert wie der Erzähler sich hier ausdrückt. Aber der Erzähler ist ob seines Hustens und seines gesundheitlichen Zustands auch sehr hysterisch.

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#6

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 16:09
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Oder so, ja.

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#7

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 24.01.2007 22:13
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Abend Brotnic2um!

Mir kam die Popel-beschreibung (eine Steigerung wäre schon noch möglich gewesen) als bewußt umständliche Einleitung vor, die dann aber nicht ganz deutlich in die von mir erwartete Pointe mündete.
Oder doch? So klar kann ich es nicht sehen.
Ein Groschen, das ist schon wenig, da hoffe ich, Du hast Ihnen wenigstens auch die Hand gegeben, 'die vom Herzen kommt'.

Gruß
Joame


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#8

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 26.01.2007 09:50
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Hallo Herr Plebis,

dieser Popel geht jetzt doch auf Wanderschaft. Wie schon festgestellt, ist dieser Absatz unschön. Da der Text mitte Dezember entstand und ich im Literaturcafe recht positives Feedback bekam, erlaubte ich mir, diesen Text hier einzustellen.

Bei aller positiven Kritik wurde auch dort der Popel und der damit zerissene Beginn kritisiert. Aber die Passage mit den juvenilen Riechkolben wollte ich behalten. Und über den P. ist mir nichts besseres als Überleitung eingefallen. Eine sauschlechte Überleitung, aber ich habe keine bessere gehabt und werde auch keine bessere mehr schreiben, weil ich nicht glaube, daß ich das Tempo wieder hinbekomme, das ich am Ende einzuschlagen vermocht habe. Ich warte auf den Moment wo ich mit diesem Herzen von A-Z durchschreibe wie Merkel mal durchregieren wollte.

PS: ich bins ja nicht, der da spricht, bzw. ist es nur ein Teil von mir. Aber ja, die gute Tat kommt doch immer von Herzen, oder .

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#9

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 26.01.2007 16:10
von Krabü2 (gelöscht)
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Hi Brotnicum :-)
Mir hat das mit dem Popel sehr gut gefallen. Kann sein, dass der Anschluss nicht so einwandfrei ist - mir ist es nicht als störend aufgefallen, denn irgendwie musst Du ja einleiten und vorwärtskommen. Ich hab das sehr gern gelesen, finde die Idee klasse und ... ja, sehr gelungen, das Ganze.
Ich muss es noch mal sagen/schreiben: Dass mit dem Popel find' ich 'stark' ---- wer schreibt schon über 'so was'? Von daher schon *** (drei Sterne).
LG
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#10

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 26.01.2007 23:13
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Nu, Frau Kratzbürste, verwirr nicht alles. Ich war mir doch schon mit dem Königreich Schwaben und dem elitemäßígen (siehe .com) Tümpel einig, daß der Popel, das ist, was er ist: ein Popel. Wer?, frag ich, und schränke ein: wer von den Mädels!, fand wirklich jemals - obacht - Popel schön?, oder auch nur der Rede wert? Da trittst Du, Kratzbürste, vor und tust kund: Ich. Das haut nun alles ineinand!

Der Vorhang fällt, alle Fragen offen und im Hintergrund schaut das Brot verzweifelt an: den Nasenfund.

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#11

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in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 27.01.2007 01:02
von Krabü2 (gelöscht)
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*lach*
Ich sage nur, was ich denke! (und sprech mich dabei mit niemandem ab!)
Gruß
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