#1

Welk

in Düsteres und Trübsinniges 12.07.2006 00:20
von Roderich (gelöscht)
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Welk


Er sitzt in seiner stillen Kammer, zählt besessen
das Ticken seiner alten Uhr und das tagtäglich.
Es hilft ihm sehr den Rheumaschmerz, der ihn unsäglich
erzittern lässt, für eine Weile zu vergessen.

Und dann und wann seufzt er in sich hinein, ganz leise,
gedenkt den alten Zeiten, als die blauen Stunden
in ferner Zukunft lagen und die weißen Wunden
des Welkens nicht in ihn gebrannt auf diese Weise.

Er denkt an all die Möglichkeiten, nun verstrichen.
Er hätt’ sein Leben führen sollen wie als Junge
gedacht, geplant am Reißbrett und mit eis’ner Lunge
auch jeden Tag wie neu geatmet. Doch verblichen

sind seine schönen Pläne, kaum noch mehr zu lesen.
Auch längst vergessen und vergraben in der Schwärze
der Seele, langsam am Verrotten in dem Herze,
das täglich leiser schlägt, ein langsames Verwesen.

Und dann, von Zeit zu Zeit, schilt er sich einen Narren
mit kummervoller Faltenmiene sehr verdrossen.
Denn hätte er gelebt wie früher schon beschlossen,
so müsste er im Alter nicht allein verharren.

Die Liebe war ihm aber stets ein blauer Schatten,
der unerreichbar war in allen Lebensjahren.
Und blau ist nun auch all sein zitterndes Gebaren.
Was jetzt noch für ihn bleibt sind Mahagoniplatten.

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#2

Welk

in Düsteres und Trübsinniges 13.07.2006 19:20
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Tom

Sehr schöne Erzählung über das Alter und die Sehnsucht nach dem Einst, den verpassten Chancen und nicht gegangenen Wegen. Irgendwie bleibt der Text aber – ich weiss nicht recht – etwas distanziert. Vielleicht liegt’s aber auch an mir, dass ich (heute?) dafür nicht empfänglich bin. Aber der letzte Tick fehlt irgendwie.

Mir hat’s zu viele ‚blaus’ im Text. Ich glaube, man kann diese Stimmung durchaus mit anderen Farben und Bildern vermitteln.

S3/Z2 gross beginnen / S4/Z3 am Verrotten / Mahagoniplatten, als Bild für den Sarg, finde ich klasse!

Wie gesagt, es gefällt mir gut, doch …. siehe 1. Abschnitt.

Gruss
Margot

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#3

Welk

in Düsteres und Trübsinniges 14.07.2006 00:03
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Margot,

ich danke dir sehr für deine Kritik. Es freut mich, wenn das Gedicht grundsätzlich gefallen konnte, denn ich kenne dich als sehr kritische und genaue Kritikerin. Du hast aber vollkommen Recht, wenn du schreibst, dass der Text ein wenig distanziert wirkt. Das ist mir selbst auch schon aufgefallen. Hier kommt wieder einmal durch, dass ich in puncto Dichten (v.a. Reimen) noch viel zu lernen habe.

Die "blaus": Bewusst eingebaut, aber vielleicht wirklich übertrieben. Vor allem in der ersten Strophe finde ich es selbst nun überflüssig. Natürlich wollte ich mit der blauen Uhr eine gewisse Symbolik gleich zu Beginn reinbringen, aber das kommt dann im Laufe des Gedichts sowieso hervor. Insofern werde ich mich von der blauen Uhr trennen.

Viele Grüße

Thomas

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#4

Welk

in Düsteres und Trübsinniges 14.07.2006 15:12
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Hi Tom,
das mit dem Blau gefällt mir besonders. "I`m feeling blue", die Trauer,
die Melancholie, dass in Zusammenhang mit vertanen Lebenschancen ideal. Ein hoffnungsloses Gedicht, dass leider, wie schon geschrieben, etwas zu viel Distanz hat.
Gruss
Knud

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#5

Welk

in Düsteres und Trübsinniges 16.07.2006 06:15
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Knud,

vielen Dank für deinen Kommentar. Das Blau habe ich natürlich - gerade im Hinblick auf das Englische - bewusst verwendet.

Die Distanz: Nun, das lässt sich wohl nicht mehr ändern. Nun weiß ich, dass ich mich in gefühlsduseligen Sachen eher an die freie Form halten sollte und bei weniger emotionalen Themen das Reimen üben kann. Schon langsam kristallisiert sich eine Linie heraus.

Grüße

Thomas

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