#1

Ertrinkend II

in Liebe und Leidenschaft 18.12.2005 15:48
von Stigma (gelöscht)
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Ertrinkend II

Stechenden Schmerzes
Ohn' heiteren Blick
Müssen wir taumeln
Zum Wege zurück

Schweigende Stimmen
Mit flatterndem Herz'
Tragen Gedanken
Mich hin zu dem Schmerz

Wirbelnde Worte
Verschwimmende Sicht
Bringen uns Klarheit
Doch Linderung nicht

Die schlagende Kraft
Flammender Phrasen
Die Feuer entfacht
In deinem Herzen

Ertrunken im Meer
Unserer Worte
Gerettet vom Heer
Uns'rer Gefühle

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#2

Ertrinkend II

in Liebe und Leidenschaft 19.12.2005 00:34
von levampyre (gelöscht)
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hallo stigma,

ich kenne ertrinkend I nicht, daher gilt meine beurteilung unabhängig davon nur für diesen zweiten text. zunächst wirkt er auf mich eher wie ein gedicht, welches ich in einer kategorie trauer und düsteres vermuten würde. die vielen schmerzen ohne linderung und heiterkeit, das schafft doch eher eine trübsinnige atmosphäre. zumindest aber wir von einer liebe berichtet, die unglücklich verläuft. in welcher weise, darüber bin ich mir noch nicht ganz im klaren.

zunächst einige stilistische hinweise. vielleicht hörst du es nun zum ersten mal, wenn du hier weiter schreibst aber sicher nicht zum letzten. der reim "herz - schmerz" gilt bei vielen deiner dichterkollegen als unglaublich ausgekaut, platt und wenig raffiniert. er ist so naheliegend und verbraucht wie sonne - wonne und wird daher eher vermieden. vielleicht kannst du da etwas anderes finden. überhaupt kommen die beiden worte viel zu häufig. es trifft auf mein persönliches unbehagen, wenn sich dichter in der wortwahl wiederholen. das wirkt, als besäßen sie einen zu geringen wortschatz, um andere passende worte zu finden.

generell ist es wenig tiefgründig, in einem gedicht, welches ja den leser emotiv anregen soll, abstrakte dinge wie gefühle mit ihrem namen zu benennen. man kann schmerz, angst, liebe und leid nicht vernehmbar machen, wenn man sagt, dass die lyrischen subjekte schmerz, angst, liebe und leid empfinden. es ist viel eindringlicher, hier metaphern, symbole, allegorien oder sonstige bilder zu finden, um eben diese emotionen zu umschreiben.

wir bleiben beim stil: jede deiner strophen bringt einen einefachen hauptsatz. jeder satz in deinem fünf strophen langen gedicht hat genau dieselbe grammatische struktur. eine solche grammatische wiederholung ist ebenso frustrierend für einen leser, wie die ständige wiederholen dergleichen worte, die ich oben schon ansprach. auch hiermit wirkt der dichter sprachlich wenig virtuos. solch ein stil macht einen schlechten eindruck auf einen genießerfreundlichen leser.

zwar kann man nicht unbedingt von einem partizipial-stil sprechen, der heutzutage ja unter vielen laien als das non-plus-ultra der dichtersprache betrachtet wird, weshalb man aus der richtung viele gedichte zu lesen bekommt, denen es gänzlich nan finiten verben fehlt. aber auch du benutzt sehr viele dieser partizipien: stechend, schweigend, flatternd, wirbelnd, verschwimmend, schlagend, flammend, (ertrunken, gerettet). dies wirkt auf dauer sehr farblos und eintönig, was schnell in langeweile umschlägt und von keinem schönen sprachstil zeugt. denn es gibt ja auch richtige adjektive und adverbien, die beschreiben können wie dinge oder handlungen sind. man muss nicht ausschließlich partizipien verwenden, um die funktion dieser beiden anderen wortarten zu übernehmen. überleg mal, ob dir dazu was einfällt.

stilistisch unschön ist auch die zweite strophe, weil sie eine grammatikalische unklarheit aufweist, die durch eben diesen partizip-gebrauch erzeugt wird. der satz könnte lauten: "schweigende stimmen mit flatterndem herz' tragen gedanken", wobei die stimmen subjekt, tragen prädikat und gedanken akkusativ-objekt ist. der zusatz erzwingt aber jene lesart: "[es] tragen gedanken mich hin zu dem schmerz", wobei dann die gedanken zum subjekt werden und mich zum akk.-objekt wird. diese subjekt-objekt umdeutung ist tatsächlich eine stilistische figur, die ich selbst schon in gedichten angewandt habe. dennoch wirkt sie hier undurchsichtig und erschwert das textverständnis.

eine frage, die mich immer beschäftigt, ist das form-inhalt-verhältnis im gedicht. du änderst hier nach drei strophen das metrische system. während sich anfangs trochähen mit binnenzäsur und paarreim finden, finden sich ends iamben mit binnenreim im halbvers. im gedicht, wo die sprache einem künstlerischen konzept unterworfen ist, sollte sowas nicht zufällig oder willkürlich passieren. solche punkte markieren oder exponieren textstellen, weil sie inhaltlich wichtig sind oder gegensätze darstellen.

wie dieser formelle wechsel aber inhaltlich zu deuten ist, das kann ich kaum sagen. es liegt daran, dass ich dem text inhaltlich überhaupt schwer folgen kann. durch die vielen partizipien und die ständig wechselnden subjekte der aufeinanderfolgenden hauptsätze ist es schwer einen bezug zwischen dem lyrischen subjekt "wir/uns" und seiner situation herzustellen. was passiert hier überhaupt? das ist für den leser fast nicht nachvollziehbar, da das ganze wie ein wilder haufen von gedanken wirkt, die willkürlich in den raum geworfen werden, zwar farblich zusammenpassen, aber dennoch kein bild ergeben.

versuche mal, diese gedanken zu ordnen. mache dir einen plan dessen, was an handlung und relfektion passieren soll und versuche da eine linie zu verfolgen. die dinge passieren ursächlich. versuche dem leser diese ursächlichkeit explizit oder implizit vernehmbar zu machen, damit er deine gedichte auch verstehen kann. es nützt ja sonst weder ihm, noch dir.

lg

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#3

Ertrinkend II

in Liebe und Leidenschaft 19.12.2005 00:47
von levampyre (gelöscht)
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ps.: habe mir gerade ertrinkend I durchgelesen und auch deinen kommentar bemerkt, dass es dir darum ging, dein erlebtes zu verarbeiten. für mich ist dichtung nicht in erster linie psychologisches instrument, sondern kunstwerk. ein gedicht ist nicht so sehr selbstdarstellung, als vielmehr darstellung eben des gegenstandes, den ich mir zum thema meines textes gewählt habe, ungeachtet dessen, wie real, autobiographsich oder authentisch diese darstellung ist.

unter diesem blickwinkel habe ich auch obigen text nur von der künstlerisch-handwerklichen seite her betrachtet und nahm mir die freiheit, den persönlichen wert, den der text für dich hat, da gänzlich außen vor zu lassen. ich bitte um verständnis.

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#4

Ertrinkend II

in Liebe und Leidenschaft 20.12.2005 17:48
von Stigma (gelöscht)
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Hallo levampyre,

wow, so viel Meinung zu so wenig Gedicht - vielen Dank für deine Mühe.

Zunächst einmal zu deinem Postscriptum:
Ich wollte mit meinem Kommentar nicht dazu aufrufen, den persönlichen Wert zu beurteilen. Die meisten meiner Gedichte haben für mich einen persönlichen Wert, da ich durch Erlebtes, durch Emotionen inspririert werde. Ich sehe ein Gedicht aber ebenso als Kunsttwerk wie du. Ich fand bei dem Kommentar zu "Ertrinkend" nur die Vorstellung so paradox, dass das lyr. Ich (welches zwar eigentlich gar nicht vorhanden ist) vom ONS'ler zum Mordopfer (oder gar zum Mörder selbst?) wird. Und dafür fühle ich mich doch noch sehr lebendig und unschuldig. Ich möchte auch nicht, dasss meine Gedichte als psychologisches Instrument beurteilt werden. Denn um sie auf mich zu beziehen, kennnen mich die wenigsten hier gut genug. Zu dem sind auch vielen meiner Gedichte so angelegt, dass sie auf zwei Ebenen zu interpretieren sind: zum einen die Ebene, die für den objektiven Leser ersichtlich ist, zum anderen meine persönliche Ebene, welche nur erkenntlich ist, wenn man mich und mein Leben kennt. Dies wird ganz deutlich bemerkbar bei meinem Gedicht Mondscheinliebe (t76714429f004-Forum.html), wenn man dort die eine auf die andere Ebene bezieht, kommen doch recht lustige Dinge dabei heraus.

Zu "Ertrinkend II":
Natürlich ist mir bewusst, dass der "Herz-Schmerz-Reim" verbraucht ist: Tötet mich, viertelt mich, werft mich den Kritikern zum Fraß vor! Aber in diesem Fall passte er einfach zu gut Außerdem handelt es sich hier ja auch um eine 08/15-Thematik, warum dann nicht auch ein 08/15-Reim?

Was die Form angebelangt, so muss ich dir Recht geben: sie wirkt eintönig. Auch mit der grammatischen unklarheit hast du Recht, diese ließe sich aber vermutlich durch Interpunktion aus der Welt schaffen.

Der Metrumwechsel hat seinen Grund. Hier ändert sich die Situation des lyr. Ich. Das ist inhaltlich zwar erst in der nächsten Strophe erkenntlich, jedoch wird hier schon die (persönliche) Wende eingeleitet.

In der Tat, es ist wirklich "ein wilder Haufen von Gedanken". Es ist auch von mir beabsichtigt, dass es so wirkt. Kennst du das Gefühl, dass in einem kurzen Zeitraum so viel auf dich einstürmt, dass du dich letztendlich nur noch bruchstückhaft erinnerst? So ergeht es dem lyr. Ich. Ich denke, es kommt auch so rüber, da die Strophen alle in sich abgeschlossen sind und kaum in Verbindung mit den anderen stehen.

Ich werde dieses Gedicht nicht mehr überarbeiten, da es bald schon ein Jahr her ist, dass ich es geschrieben habe.

Trotzdem noch einma vielen Dank für deine Meinung.

Liebe Grüße,
Stigma


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#5

Ertrinkend II

in Liebe und Leidenschaft 21.12.2005 00:59
von levampyre (gelöscht)
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Zitat:

Außerdem handelt es sich hier ja auch um eine 08/15-Thematik, warum dann nicht auch ein 08/15-Reim?



weil es dann auch ein 08/15-gedicht bleibt und das kann jeder. das ist langweilig, weil ich es an jeder ecke haben kann, aber ich will etwas besonderes, auch wenn ich gedichte lese.


Zitat:

Kennst du das Gefühl, dass in einem kurzen Zeitraum so viel auf dich einstürmt, dass du dich letztendlich nur noch bruchstückhaft erinnerst?



ja, dieses gefühl kenne ich in der tat. der text vermag es aber nicht, mir das zu vermitteln. warum nicht? nun, weil man das chaos auch nicht vermitteln kann, wenn man einen chaotischen text schreibt. denn das verwirrt den leser und verwirrung ist von dem gefühl des überflutet werdens gänzlich verschieden.

lieferst du dem leser fetzen, dann sieht er nur diese fetzen, die er zu keinem bild zusammenfügen kann. auf die idee, sich von diesen fetzen überflutet zu fühlen, kommt er gar nciht, denn er ist nur verwirrt. sprudelt der text aber über vor verliebtheit, vor wut oder was immer diese flut auslösen soll, dann wird auch der leser davon überflutet und das gefühl, vor lauter eindrücken nur noch bruchstückhaft erinnern zu können, tritt dann von ganz alleine ein. von all der flut sind dem leser nur fetzen geblieben und er wird also die emotionale situation, die du darstellen wolltest, von ganz alleine und aus sich selbst heraus bei der lektüre entwickelt haben. voilà - damit wäre der leser dann direkt emotional erregt.

es ist einfach ein unterschied, ob ich ein gefühl durch lektüre angeregt aus mir selbst heraus entwickel, ob es mich befällt oder ob ich eine emotionale situation nur nachempfinde oder glaube nachzuempfinden, weil der text darauf insistiert, dass es so ist. mitleid und leid sind zwei völlig unterschiedliche emotionen, ebenso mitliebe und liebe und mitwut und wut - wenn du verstehst, was ich meine. beim ersten prüfe ich die emotionale situation eines anderen an mir und dem was ich möglicherweise fühlen könnte oder mal gefühlt habe, beim zweiten muß ich nicht prüfen, denn ich selbst stecke in der emotionalen situation.

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