#1

Il divino

in Diverse 17.10.2005 12:58
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Il divino

Wer warst du nur, der in den Marmorsteinen
dies Wesen suchte, das nur du erspürtest,
warst du nicht ’Göttlicher’ unter den deinen,
weil du der Seelen Göttliches berührtest?

Und war dein Leben nichts als Obsession,
die ständig wie ein Feuer in dir schwelte?
Die nichts als in dir lodernde Vision,
weil du in Quadern suchtest, was dir fehlte?

Denn was dir Seele war, war längst verloren.
Doch fand sich’s wieder, Hieb für Hieb im Stein.
Und wollt’, mit jenem Schlag hineingeboren,
der’s Werk vollendete, nur Seele sein.

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#2

Il divino

in Diverse 17.10.2005 13:58
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hi Vel!

Schöne Idee, metrisch größtenteils sauber (bis auf S1Z3 unter und die von mir allerdings geduldete Visjon) und sprachlich ganz ansprechend umgesetzt. Alleine die Tatsache, dass du dem lyr. Du das verdiente Denkmal setzt, stimmt mich milde.

Aber so richtig warm werde ich mit dem Werk nicht, da mir noch zu wenig aus dem Quader herausgebrochen wurde. Will sagen: viele, zu viele Füllwörter, Artikel, Präpositionen usw. Das ist mir nicht verdichtet genug und wird so der leichten Hand des Meisters nicht gerecht. Nicht, dass man das können müsste aber mir scheint, du hättest dir mehr Mühe geben können. Nur beispielhaft seien die ersten Zeilen aufgeführt, wobei ich die überflüssigen Steinchen fett gedruckt habe:

Wer warst du nur, der in den Marmorsteinen
dies Wesen suchte, das nur du erspürtest, (besser: und?)
warst du nicht ’Göttlicher’ unter den deinen,
weil du der Seelen Göttliches berührtest?

Und war dein Leben nichts als Obsession
... usw.

So zieht sich das durch und ich meine, mit nur wenigen Umstellungen und Weglassungen erreichte man ein wesentlich verdichteteres Werk. Was meinst du?

Verstehe ich die letzte Strophe richtig, dass die verlorene Seele nur Seele sein will? Und was heißt das dann genau? Ich bin sicher, es liegt an mir aber bitte unterstütze meine Denkfaulheit. Danke.

Digitally Yours
Mattes


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#3

Il divino

in Diverse 17.10.2005 14:04
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Vel,

also nach meinem Geschmack stellst Du hier Dein hochgelobtes "Steinwärts" in den Schatten.
Die Beschreibung der kreativen Triebkraft des Bildhauers, der seine verlorene Seele sucht, der aus formlosen Blöcken Formen, für ihn gar beseeltes Lebendiges schafft, ist fantastisch beschrieben.
Formal sehr saubere jambische Verse. Fast stehen die Reinen Verse vor einem beim Lesen wie ein Quader in dem die kreative Kraft, die schönen Formen in Deinem Text verborgen liegen. Durchs Lesen setzt man sie in seinem Kopf frei.
Toll.

Liebe Grüße,
GerateWohl

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#4

Il divino

in Diverse 17.10.2005 14:15
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Solches Lob lässt mich dann doch glatt wieder an meiner Kritik zweifeln.

Aber ich bleibe dabei. Dass ein Bildhauer einem leblosen Quader Seele einhaucht, ist ein ebenso schönes, wie nicht ganz so selten benutztes Bild. Aber dass einer, der seine Seele verloren hat, solche Kunstwerke, wie weiter oben abgebildet, erschaffen könnte, will mir eben (noch)nicht in den Schädel.

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#5

Il divino

in Diverse 17.10.2005 14:42
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Vel, Mattes,

ich sehe hier so eine Art faustisches Motiv. Ein Künstler, der für diese Schaffenskraft seine Seele verkauft hat, und sie in seiner Arbeit wieder sucht und wie hier anscheinend in Ansätzen sogar wieder findet. Er muss die Seele von mir aus noch nicht mal wirklich vberkauft haben. Vielleicht ist es auch nur ein Gefühl, das er in sich trägt.

Also, mir gefällts ganz prächtig. Auch wenn ich mit meiner euphorischen Schnellschußinterpretation daneben liegen mag.

Grüße
GW

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#6

Il divino

in Diverse 17.10.2005 14:58
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Accetto! Also, das faustische Motiv, deine Interpretation ist sicher richtig. Dass ein Künstler, der solches erschafft, dafür auch seine Seele verkauft haben könnte, steht wohl außer Zweifel.

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#7

Il divino

in Diverse 17.10.2005 15:08
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Viele Dank für eure Beiträge,

aber ich konnte dem Meister hiermit gar nicht gerecht werden, wenn das überhaupt je möglich sein sollte. ( Dennoch, schön, dass es dir so zusagt, GW.)

Doch was ich mit dem Gedicht sagen wollte:
Michelangelo war ein In-Sich-Gekehrter Eigenbrötler, voller Ängste, dessen Gedanken ständig um den Tod zu kreisen schienen. In Wahrheit ein regelrechter Autist, der weder soziale Kontakte pflegte noch jemals eine (nachgewiesene) Beziehung zum anderen Geschlecht hatte. Er lebte nur für das, was er schuf und war, so sagt man, von einem Trauma, nämlich jenem des frühen Verlustes seiner Mutter, ständig gequält. Gerade die Pieta ist ein Werk, in das vieles davon einzufliessen scheint. Es wird sogar vermutet, dass sie ihm gerade deshalb so gelang, weil sie auch innerhalb eines Selbstheilungsprozesses zu betrachten sei.
So weit, und um hier nicht eine Biografie zu verfassen : er war ein Gebrochener, Ruheloser, einer der nie zufrieden war. Einer der (im Stein) die Seele suchte, nicht zuletzt auch seine eigene.

Somit sollte die letzte Strophe klar werden.

Insgesamt beschreibt nämlich die angesprochene Füllwörterei lediglich meinen Respekt vor dem Meister und seinem Schaffen, da ich ihn ja quasi selber beleuchtete und somit auf ehrfurchtsvoller Distanz bleiben konnte .

Danke Euch ,

Vel


edit:
Das Faust'sche Motiv passt natürlich auch. Ja, gefällt mir in dem Zusammenhang sogar ausnehmend gut.

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#8

Il divino

in Diverse 17.10.2005 15:33
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Da sieht man mal wieder, dass ich besser recherchieren sollte: Das Motiv der verlorenen Mutter erklärt mir die dritte Strophe zur Genüge und versöhnt mich auch mit dem Bild der verlorenen Seele (Mutter), die das Werk beenden und einfach nur noch (Sohn) sein möchte. Also auch hier ein quasi faustisches Motiv...(zwei Seelen schlagen, ach, in meiner Brust)... ... haha, war ein Witz.

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#9

Il divino

in Diverse 17.10.2005 16:16
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
...da fällt mir noch was ein am Rande:

Das mit der Vi-si-on würde sich doch in Wohl und Gefallen auflösen,
hinsichtlich der vorher anklingenden Ob-ses-si-on, oder nicht ??!!

Ich schiele mal fragend hinüber in die Schweizer Berge...

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#10

Il divino

in Diverse 17.10.2005 16:28
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Da brauchste jar nich schielen, ick war uff eenem Ooge blind, wa! Peinlich!

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#11

Il divino

in Diverse 17.10.2005 19:14
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
...na, einer blinden Kuh zwickt man leichter ins Horn!

...oder wie der Spruch noch hiess...

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