#1

Ohne Worte

in Diverse 15.09.2005 10:12
von muh-q wahn (gelöscht)
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Ohne Worte


Konsequente Kunstverneinung
Prächtig trächtig fremdgewortet
Alles andere, als Meinung
Herrschaftswissen hohl gehortet

In mir
Aus mir
Um mich spricht
Worte
Worte, nie gefangen
Botschaft, die in Träume bricht
Ist im Tageslicht
Vergangen

Sachverstand setzt satte Sätze
Logos lenkt, was Dichter denkt
Formufabulierte Schätze
Kluge Köpfe, kaum verrenkt

In mir
Aus mir
Um mich bricht
Liebe
Liebe, nie vergangen
Eros, der in Rätseln spricht
Ist im Wortdickicht
Gefangen.

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#2

Ohne Worte

in Diverse 16.09.2005 12:58
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hi muh,

jetzt habe ich Dein Gedicht schon so manches Mal gelesen, immer schwankend, wie ich es nun finden soll. "Gut" ist der aktuelle Stand der Dinge, drum schreibe ich schnell eine Kritik, bevor sich das wieder wandelt !


Zitat:

Konsequente Kunstverneinung
Prächtig trächtig fremdgewortet
Alles andere, als Meinung
Herrschaftswissen hohl gehortet


Leider sind das eher Schlaglichter als dass sich ein vollständiger Satz herausfiltern lässt. Wobei: warum leider, denn schließlich liest es sich sehr gut und nimmt einen sofort mit. Du spielst sehr geschickt mit Vokalen und Konsonanten und schaffst damit sprachlich ansprechende Klangbilder. Ein reizvoller Beginn, zumal einem die Überschrift (zunächst) auch noch nicht auf eine bestimmte inhaltliche Schiene lenkt.
Zum Inhalt: Alles, was nicht von einer bestimmten Meinung durchdrungen ist oder von einem Inhalt getragen wird, wird hier abqualifiziert. All die prächtigen Wortkonstruktionen, die nur ihrer selbst willen erschaffen werden, sind Produkte des gehorteten Wissens, wie man mit Sprache umgeht, aber hohl (inhaltsleer) verwendet und damit sogar letzten Endes die Verneinung der Kunst an sich.


Zitat:

In mir
Aus mir
Um mich spricht
Worte
Worte, nie gefangen
Botschaft, die in Träume bricht
Ist im Tageslicht
Vergangen


Hier nun wird die andere Seite beschrieben, die vom lyrischen Ich eingenommen wird. Das lyrische Ich möchte etwas sagen, ja muss es sogar. Aber hier wird nichts fixiert, geschweige denn zurechtgedrechselt und aufbereitet. Geht nach Meinung des lyrIchs ja auch gar nicht, denn die Botschaften sind vergänglich und spätestens, wenn sie im Licht analysiert werden, das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.
Sprachlich hast Du hier eine große Grube gegraben, in die ich prompt hereingefallen bin - aber auch nicht mehr herauskomme.
In mir (aus mir/ um mich) spricht Worte? Das liegt mir schwer im Magen. Sicherlich kann man das erklären (denn schließlich spricht hier ja nicht der Wortakrobat, sondern der Botschaftswertleger), die Grube ist dennoch zu tief für mich. Das ist auch der Punkt, der das Gedicht herunterzieht... übersehe ich etwas? Verstehe ich es einfach nicht? Egal - solange ich es nicht richtig verstehe, kann ich mich einfach nicht durchringen, diesen Teil zu mögen...


Zitat:

Sachverstand setzt satte Sätze
Logos lenkt, was Dichter denkt
Formufabulierte Schätze
Kluge Köpfe, kaum verrenkt


Wieder die Gegenseite: der Inhalt bei diesen ordnet sich der Form unter. Wenn etwas nicht so gesagt werden kann, dann eben anders, auch wenn sich der Inhalt ändert. Formufabuliert ist nun ein sehr passender terminus technicus: die Textschätze sind trefflichst formuliert, aber nicht ehrlich/ echt und somit gänzlich fabuliert - in der richtigen Bedeutung des "falschen Erzählens". So kunstvoll das Erschaffene jedoch dann auch sein mag, die Schreiber sind damit dennoch einen Weg ohne Widerstand gegangen, der kaum fordernd ist für sie.


Zitat:

In mir
Aus mir
Um mich bricht
Liebe
Liebe, nie vergangen
Eros, der in Rätseln spricht
Ist im Wortdickicht
Gefangen.


Nun die letzte Schalte erneut zum lyrIch. Nochmals wird der spricht/bricht-Reim benutzt ebenso wie vergangen/gefangen, was zusätzlich noch verdeutlicht, dass an dieser Stelle eben kein Wortkünstler am Werk ist (dabei ist aber die konsequente Verkehrung der Reimreihenfolge schon gut gelungen! Aber lyrisches Ich und Autor sind ja wie immer strikt voneinander zu trennen). Dafür ist es wahrhaftes Gefühl (in Form der Liebe), die durch das lyrische Ich spricht.
Die Bedeutung des Eros versuche ich hier noch ein wenig auszuloten. Finden sich hier gar Platons Liebesformen? Ich versuche mich mal:
Platon unterteilt die Liebe ja in vier Formen, wovon die niedrigste der Eros ist - der Liebesdrang, der der erotisch geprägte Grundtrieb nach Höherem ist (von wegen platonische Liebe ist asexuell, haha ). Doch dieser Drang nach dem Höheren scheitert bei "den anderen" an ihren sprachlichen Konstukten und bleibt im Wortdickicht hängen. Den Platonischen Gedanken aufgreifend wäre dann die vom lyrIch empfunde Liebe dann sicherlich die reine, höhere Form (also quasi die Agape). Eine sehr philosophische Wertung, aber das lyrIch behauptet ja auch nur, nicht so Schreiben zu wollen/können wie die Schreiberlinge, aber nicht, nicht denken zu können.

Dennoch bleibt in meinen der Makel der zweiten Strophe. Ansonsten aber ein sehr interessantes Stück, mal etwas anderes (aber auch nicht zu anders) und gelungen. Und auch der Titel ist ja keiner Ideenlosigkeit entsprungen, sondern erklärt sich durch den Inhalt.

Gern gelesen, gefällt mir. Auch wenn ich ein bisschen gebraucht habe.


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#3

Ohne Worte

in Diverse 16.09.2005 13:45
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Hi muh,

auch ich wollt's so empfinden, doch Don hat's schon so schön erklärt. ..


Darüberhinaus:

Das Zerwürfnis zw. Logos - Traum bzw. IQ und Emotion auch formal ansprechend umgesetzt (besonders die Auf und Abs innerhalb der 'Gefühlsebenen' (S2/S4) )

Und: Deine lyr. Ichs scheinen im Moment ja ziemlich hin- und hergerissen... .

Vielleicht sollten dieselben einfach etwas mehr Bier zu sich nehmen...?


Vel

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#4

Ohne Worte

in Diverse 16.09.2005 14:51
von muh-q wahn (gelöscht)
avatar
Mensch, mein lieber Don Carvalho, sagte ich es nicht? Wozu soll man Bücher drucken, wenn man solches Feedback bekommt? Vel hat ganz recht: Das hast du alles sehr schön gesagt und so vieles so richtig, dass ich mich fast schäme, ein so eindeutiges Gedicht vorgelegt zu haben. Allerdings hat Vel eine Sache noch richtiger erkannt, wenn man das so sagen darf: Es gibt hier kein lyr. Du, vielmehr ist das lyr. Ich tatsächlich zerrissen. Mag sein, dass das auch mit dem Autoren etwas zu tun hat, ich werde auf Dr. Vel hören und das heute abend unter reichlich Bierzufuhr überprüfen.

Ich werde das jetzt nicht weiter ausführen, das mag jede(r) für sich selbst überprüfen, was und inwieweit das passt. Ich zerfleische mich bereits genug in meinen Gedichten, ich werde das nicht auch noch hier tun.

What can I say? Thx loads, palomino!

Ach so, Strophe 2: Das mag dir auch nicht oder noch viel weniger gefallen aber in mir, aus mir, um mich spricht (es) Worte. Es spricht Worte, die, nicht (ein-)gefangen, Botschaft bilden, welche mich verfolgt, in meine Träume eindringt und nur im hellen (All-)Tageslicht notdürftig abgeschüttelt werden können. Also das lyrische Ich, schon klar, nicht wahr?

Digitally Yours

Mattes

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#5

Ohne Worte

in Diverse 16.09.2005 15:40
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Ja, das ist gut und gefällt mir ausserordentlich.
Don hat ja praktisch schon alles gesagt, da bleibt mir nur noch dies:
Manch einem würde es gut tun, sich auch beim Dichten als Mensch zu fühlen. Bei deinen Texten spürt man, dass jemand dahinter steht und nicht bloss ein Automat.

es grüsst
das M.

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#6

Ohne Worte

in Diverse 16.09.2005 16:36
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Diesen Zwiespalt des lyrischen Ichs (weils eben kein lyrDu gibt) habe ich echt nicht gesehen, gefällt mir aber mit dieser Deutung noch um einiges besser, da das nicht so belehrend daherkommt.

Die zweite Strophe mag ich aber immer noch nicht. Naja, man kann eben nicht alles haben...


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