#1

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 09.07.2005 21:56
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
Ihr strahlend Gleißen raubte Herz und Hirn.
Ihr glühend Haar, die Schönheit bleicher Züge
verbargen Teufel und verhüllten Lüge.
Nur Hass und Schmerz verbarg die zarte Stirn.

Sein stolzer Kopf erblickte leichte Beute
und lauernd zog er um sie seine Kreise.
So leicht - ihr Blick war treu, die Stimme leise.
Sein Griff war hart, als sie sein Wollen scheute.

Doch Irrtum ist des rohen Hochmuts Lohn:
In ihren Augen stoben glitzernd Funken,
ekstatisch wild, in Wüstenei versunken,
erkannte er zu spät in ihr den Hohn.

Schier zärtlich fuhr das Schwert durch seinen Rachen,
fast innig küßt sie Blut von seinen Wangen,
erstickt in heißem Mordrausch sein Verlangen
und nimmt sein Haupt als Pfand mit einem Lachen.

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#2

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2005 13:04
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hi Richard,

es wird wohl nicht um Judith Holoferne, die Sängerin von "Wir sind Helden" gehen, sondern um die biblische Judith ^^ .

Zunächst einmal gefallen mir Deine Zeilen, sie sind schwer und mächtig und insofern dem biblischen Stoff durchaus angemessen. Auch die Geschichte selbst mag ich sehr, diese nächtliche Trennung von Körper und Geist bzw. Kopf ist ja auch sehr anregend.

Formal gibt es hier nichts auszusetzen, fehlerloser 5-hebiger Jambus, in der 2. & 4. Strophe mit durchgängig weiblichen Kadenzen, bei den anderen beiden wechselts. Die Reime könnten reiner nicht sein... fein, fein .

Ein paar Punkte möchte ich jedoch noch benörgeln:

Ihr glühend Haar, die Schönheit bleicher Züge
verbargen Teufel und verhüllten Lüge.
Nur Hass und Schmerz verbarg die zarte Stirn.

Das nur stört mich, denn offensichtlich finden sich eben nicht nur Hass und Schmerz, sondern auch Teufel und Lüge in diesem Persönchen. Und glühend Haar finde ich auch ein wenig seltsam...

In Strophe 3 verwiirt mich ein bisschen die Wüstenei. Ich verstehe sie als herrenlose Wildnis und kann das nicht ganz unterbringen... oder bezieht sich das auf das Kappen der Wasserversorgung bei der Belagerung? Hm... rgendwie finde ich Wüstenei nicht passend, wahrscheinlich muss man es mir erläutern.

Die letzte Strophe ist in meinen Augen die weitaus beste. Ah, ich liebe diese Kombination aus Zärtlichkeit und roher Gewalt, liebevollen Schneidens und lächelnden Blutens... Ach, so schön ist diese Szene, da muss ich an all die Gemälde zu diesem Thema denken: das von Klimt ist ja nicht schlecht, besser noch passt aber zu Deiner edlen Sprache das von Cristofano Allori Judit mit dem Haupt des Holofernes...


Sehr schön, gefällt mir bis auf die Kleinigkeiten sehr gut.


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#3

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2005 15:31
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hi Richard!

Ja, das ist dein Revier und wenn es dir - wie hier erneut - gelingt, deine Sprachmacht und –wucht etwas zu zügeln, dann kommen da solche Brecher heraus. Besonders geglückt empfinde ich, dass man weder Judith, noch Holofernes, noch irgend etwas Biblisches kennen muss, um deine Geschichte zu verstehen und zu genießen. Schließlich übernimmst du auch nur Staffelei und Leinwand und malst dein eigenes Bild darauf. Vielleicht bleibt die Motivation der Judith bei dir etwas unklar aber da darf ja dann jeder mit seiner Interpretation ansetzen. Auch das Ende ist keine conclusio im eigentlichen Sinne, da man gerne wüsste, für welchen Zweck das Pfand denn dienen soll. Hier scheint es mir eher eine Trophäe zu sein. Aber das tut nichts und allzu unbedarft darf der Leser lyrischer Werke nun auch nicht sein.

Don bemängelt das glühende Haar, da schließe ich mich nicht an. Zwar hatte ich dadurch für das ganze Gedicht den rasierten König vor meinem inneren Auge (diese Haare glühen doch tatsächlich), aber das war sehr anregend. Nein, im Ernst: Rothaarige haben doch einen glühenden Schopf!? Mich würden eher die beiden Elisionen stören, wenn sie nicht in der Folge in Vergessenheit gerieten. Das „nur“ empfinde ich auch überhaupt nicht als störend, im Gegenteil: Das glühende Haar und ihre Schönheit waren nur Täuschung, verbargen Teufel und Lüge. Diese waren aber nur Dreingabe, Judith ist nicht von Natur aus teuflische Lügnerin. Die Motivation ergibt sich reinweg aus Hass und Schmerz, nur dieser tobt hinter ihrer Stirn. Passt gut und gefällt mir bis auf das zweite „verbarg“.

Die Wüstenei in Strophe 3 ist großartig, sorry Don. Dieser Typ ist einfach die fleischgewordene Wüstenei: ein wilder Kerl (siehe Strophe 2), der sich keiner Herrschaft unterwirft, auch nicht der des guten Benehmens. Oder bezieht es sich auf sie? Bezieht sich das ekstatisch Wilde auf ihn oder sie? Das bleibt hier offen und insofern ist diese Strophe ein kleines Juwel, da die Vielschichtigkeit angedeutet wird. Hier gibt es kein Schwarz-Weiß, beide Protagonisten sind grau. Fantastisch wäre gewesen, wenn die Auflösung der gnadenlos guten Eingangssequenz („rohen Hochmuts Lohn“) etwas ausgefeilter dahergekommen wäre: Der Hohn liegt doch kaum in ihr, sondern höchstens in der Tat. Die ist noch nicht vollzogen, darum kämen nur ihre Äußerungen in Frage und die wird sie zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht höhnisch gestaltet haben. Im Gegenteil: Ihr Auftritt sprach ihrer Absicht Hohn und durch so etwas getäuscht zu werden ist tatsächlich verdienter Lohn rohen Hochmuts. Du (und andere vielleicht auch) mögen das tintenpisserig finden aber ich wiederhole, was ich an anderer Stelle sagte: Wer in solcher Liga spielt, wird natürlich auch anders gemessen.

Strophe 4 ist Grande Finale, wobei das von Don gelinkte Gemälde mit unserem Richard nicht mithalten kann, auch oder gerade weil ich ihm lieber nicht in realiter begegnen möchte. So fest sitzt mir mein Haupt eben auch nicht auf dem Hals. Um ein letztes Mal zu „nörgeln“: Wie kann Judith in ihrem Mordrausch sein Verlangen ersticken? Zu und zu schön hätte ich gefunden, wenn Judith ihr Verlangen im Rausch erfüllt hätte und zwar natürlich nicht etwa ihr sexuelles, sondern das Verlangen nach der Tat.

Wie auch immer: Wunderbarer Text, in dem sich barocke Charaktere prächtig suhlen können. Ich tat es mit Genuss.

muh


P.S.: S3Z2 benötigt auch das Präteritum.

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#4

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2005 16:09
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
@Don
Ich feue mich sehr, dass es dir gefallen konnte!
Zu deiner Kritik: Das "Nur" bedeutet, dass in diesem Moment, da sich Judith in der Gegenwart Holofernes befindet, nichts anderes in sich trägt, als Hass und Schmerz. Andere Gefühle kann sie nicht empfinden. Und die Teufel und die Lüge ist ein Bild dafür, dass ihre zarte Schönheit nur trügt.
Das "glühend Haar" ist natürlich rotes Haar, wie Muh richtig schrieb. Ich sah einmal ein Theaterstück, in dem die Judith rothaarig dargestellt wurde und an Schönheit kaum zu übertreffen war. Ihr Haar glühte fast in der weichen Theaterbeleuchtung.
In Strophe 3 versteckt sich eine Absicht:
"In ihren Augen stieben glitzernd Funken,
ekstatisch wild, in Wüstenei versunken,
erkannte er zu spät in ihr den Hohn. "
Einerseits ist Judith exstatisch wild in ihrer Hass(liebe?) und auch in dieser starken Emotion blind und allein (Wüstenei). Andererseits ist es Holofernes, der längst nichts mehr fühlt, bei aller Grausamkeit und jeden Blick für Feinheiten verloren hat, also auch ihren Hohn nicht erkannte und auch er ist exstatisch wild in seiner Begierde.
Es sind also beide vom selben Schlag, nur sind sie durch unterschiedliche Sehnsüchte getrieben.
Das Gemälde ist sehr schön, doch ist mir diese Judith zu kühl.
Vielen Dank für die Kritik!

@Muh

Es erfreut mich sehr, dass dir meine Werke noch immer ausführliche Kritiken wert sind!
Ich hoffe du verwechselst hier nicht die fiktive Person mit der virtuellen Person.
Ach und das zweite "verbarg" wollte ich eigentlich noch verändern - ich vergaß es wohl in meiner Raserei.
Die 3. Strophe hast du wunderbar interpretiert, so ähnlich hatte ich es mir gedacht - weiter oben, bei Don, schrieb ich das. Nur den Hohn dachte ich mir anders: Sie zeigt den Hohn kurz vor ihrer Tat - offenbahrt in diesem Moment ihr Innerstes - der Hass bei ihr ist nicht kalt, er ist von Emotionen geprägt, ihr Hohn ihm gegenüber ist auch ihr Hohn gegenüber den eigenen Gefühlen und deshalb gehört er zu ihr und nicht nur zur Tat. Aber du hast schon Recht, nur weil ich mir das dachte, muß man es nicht auch lesen können.
Das Judith "ihr" Verlangen stillt, das schrieb ich, bevor ich es veränderte. Sicher stillt sie auch ihr Verlangen. Aber auch seines stillt sie: Sie tötet es.
Ich kann kaum erklären, wie sehr es mich erfreut, dass dieses Gedicht dir gefällt.

Liebste Grüße an Euch
Richard

P.S. Muh: Ich hatte es schon bemerkt und auch dies versäumt... Der Tempusfehler wird korrigiert.

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#5

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2005 16:36
von muh-q wahn (gelöscht)
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Zitat:

Richard III schrieb am 11.07.2005 16:09 Uhr:
Es erfreut mich sehr, dass dir meine Werke noch immer ausführliche Kritiken wert sind!


Was heißt denn "noch immer"? Immer wieder!

Zitat:

Ich hoffe du verwechselst hier nicht die fiktive Person mit der virtuellen Person.


Erstens verwechsele ich nicht, sondern mache so etwas bewusst; zweitens nicht die fiktive mit der virtuellen, sondern den Dichter mit seiner Protagonistin. Schließlich ist das nicht die biblische Judit, die du hier beschreibst, sondern deine eigene. Da steckt also auch etwas von ..... (wer immer du sein magst) drin.

Zitat:

Ich kann kaum erklären, wie sehr es mich erfreut, dass dieses Gedicht dir gefällt.


Kaum? Aber ein wenig vielleicht? Sei doch so gut.

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#6

Judith

in Düsteres und Trübsinniges 12.07.2005 11:00
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Danke, da habt ihr so einiges zu meiner Erleuchtung erklärt. Die Wüstenei verstehe ich jetzt und auch mit dem "nur" kann ich nun leben.

Glühend rote Haare sind natürlich vorstellbar, ich hatte eben eine schwarzhaarige Judith vor Augen, vermutlich durch die Bilder aller Meister geprägt... auch dürfte in der Region, in der sich die Judith und Holoferne-Story abspielte, schwarzes Haar verbreiterter gewesen sein als rotes. Deshalb ruckelte es in meine Phantasie: glühend schwarze Haare? Hm... aber okay, dann ist diese rothaarig. Dennoch keine Fehlbesetzung!

Gefällt mir jetzt noch ein bisschen besser...


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