#1

ländliche nostalgie

in Gesellschaft 09.04.2005 19:54
von DOCC (gelöscht)
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der aderlass der städte
hat die dörfer fett gemacht.
der teich schlägt nun geseif’ne blasen,
aus wiesen wurd’ steriler rasen,
der storch hat sich schon umgebracht.

die sommerfrischler haben
winterfest sich eingebaut.
die eignen kinder schreibend fragen,
welch’ brauch wir heut zu grabe tragen
und wer wem über’n weg noch traut.

ach kind, verkauft seit gestern
ist das land vor unserm haus.
du wolltest hier noch träume jagen
und eine frau durchs grüne tragen...
sie machen einen jahrmarkt draus.

da trinke ich dann schweigend
scharfen schnaps zur erntezeit.
die hände tief im schoß vergraben,
der kopf nur will noch auslauf haben
und plant beschwipst vergangenheit.

© U. Würsig

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#2

ländliche nostalgie

in Gesellschaft 11.04.2005 12:02
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hi DOCC !

Formal gibt es hier nicht viel zu sagen bzw. zu meckern. Du hältst sowohl das Reimschema A-B-C-C-B eines quasi umarmten (Absicht ? Oha ! Stadt umarmt Dorf.) Reimes, als auch deine spezielle Metrik (konnte ich mir nicht verkneifen ) durch:

xXxXxXx
XxXxXxX
xXxXxXxXx
xXxXxXxXx
xXxXxXxX

Zeilen 1 und 2 sind eigentlich nur eine, da die jeweiligen ersten Zeilen sowohl den Reimpartner, als auch eine Hebung missen. Diese geschundenen Enjambements ergeben einen ganzen eigenen, eigenwilligen Rhythmus, der mir sehr gut gefällt aber natürlich nach klassischen Maßstäben, die du ja eigentlich hofierst sowas von verboten ist ... Hin und wieder gerätst du mit den drei Hebungen auch in Konflikt bzw. verbiegst die Syntax etwas reichlich (bsp. S3Z1+2 oder S4Z4), dieser Preis ist jedoch keineswegs zu hoch, sondern sehr gerechtfertigt.

Inhaltlich gefällt mir das auch, da hier ein eingesessener Dörfler, der der Landflucht widerstanden hat, die mittlerweile einsetzende Stadtflucht geißelt und den Verlust des Dörflichen beklagt. Insofern haben wir hier ein bewusst unmodernes lyr. Ich. So etwas gefällt mir immer.

Sprachliche Highlights gibt es wenige, allerdings ist es sehr eingängig geschrieben, ohne platt zu sein. Besonders gefallen haben mir folgende Stellen:

und eine frau durchs grüne tragen

da trinke ich dann schweigend
scharfen schnaps zur erntezeit
!

Strophe 4 ist ohnehin ein sehr würdiger, da gelungener Abschluss. Der Stoizismus des Dörflers wird unterstrichen, das Gedicht gleitet eben nicht in weinerliche Nostalgie ab. Sehr schön.

Damit du ordentlich Nektar saugen kannst, gibt es natürlich auch noch Mecker ! Neben den syntaktischen Holperern haben mir folgende Stellen nicht gefallen:

der teich schlägt nun geseif'ne blasen Was ist das denn ? Geseifte ?
die eignen kinder schreibend fragen Schreibend ?
da trinke ich dann schweigend So schön die Aliteration, so unschön die Füllwörterei ...
und plant beschwipst vergangenheit Vergangenheit planen ?

Ansonsten aber sehr gern gelesen und besprochen. Respekt.

Digitally Yours

muh-q wahn


edited, weil irgendeinen saudummen Rechtschreibfehler übersehe ich immer

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#3

ländliche nostalgie

in Gesellschaft 11.04.2005 12:51
von DOCC (gelöscht)
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Ach muh, Du nun wieder...
ich hab doch von Metrik und Hebungen und Klebungen und dem ganzen Kram auch keine Ahnung. Klassische Maßstäbe kann ich so sicher nicht hofieren. Dir kann ichs ja sagen: So was wie Rhythmus oder Takt entsteht bei mir, weil ich mit meinen Zeilen brabbelnd durch Wohnung und Garten marschiere - und wenn sich meine Füße nicht mehr verknoten, dann denke ich: so könnte es jetzt gehen.
So, jetzt aber erstmal Dank für die Aufnahme und Annahme der Zeilen. Und gleich zu Deiner Mecker:
1. keine Ahnung, obs geseifene oder geseifte Blasen heißen muss. Ich dachte geseifene (von eingeseift) ?..?..?..
2. die Kinder sind weggezogen - die fragen per Brief.
3. Füllwörterei: das hast Du Recht!!
4. manchmal stellt man sich doch die Frage, was hätte früher anders laufen müssen (was hätte man anders machen müssen), damits heute nicht so ist, wie es ist...

Nochmals Dank und liebe Grüße von
DOCC

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