#1

Fumetti

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.01.2010 20:20
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

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Fumetti

„Gestatten – Anthea-Ava Fumetti, genannt Fumetti, ich habe sie
bereits erwartet.“
Mein Blick, der gedankenabwesend auf üppigen Goldstauden ausruhte,
riß unvermittelt ab. Ich stellte mich gleichfalls, wenn auch etwas tattrig,
weil überrascht, mit meinem Allerweltsnamen vor. Sie nickte ab und
begrüßte mich, indem sie ihre edel geformten, pergamentfarbenen Hände,
die viel zu groß im Verhältnis zu ihrem schmalen Körper waren, kurz um meine
Hand legte. Sie ging mir zunächst zwei drei Schritte voraus und ich hatte
Gelegenheit, sie zu betrachten; ihre aschgrauen Sandalen,
ihre zerknitterte Leinenhose, deren Beine bis an die Kniekehlen
hochgekrempelt waren. Ihre ungebügelte Bluse, die sie als offensichtlich
belanglose Tageskleidung gewählt hatte, hing schlaksig auf ihren spitzen
Schultern. Sie besaß keine Haare mehr. Die Altersflecken, die sich großflächig
auf ihrer Kopfhaut ausgebreitet hatten, bekümmerten mich – zogen mir das
Herz ein wenig zusammen.

Hin und wieder, während wir nun nebeneinander zu ihrem Haus spazierten,
wich ihrem scheinbar uninteressierten Zuhören ein abschätzig traurig,
grüngrau unterwühlter Seitenblick, der mich eindringlich bat,
nicht charmant zu sein, nicht zu vergessen, mit wem ich eigentlich sprach.
Neben mir, das mußte ich mir bald eingestehen, ging eine im Grunde über
alle Maßen häßliche und komische Gestalt, die meine Rede durchaus abrupt
zu unterbrechen wusste; zu unterbrechen wußte, indem sie mir einen Korb
voll mit Äpfeln vorhielt, welchen sie zuvor von der Bank, die vor ihrem Haus
stand, nahm. Ich hatte nicht bemerkt, daß wir zwischenzeitlich bei ihrem
Haus angelangt waren und versuchte meine Träumelei mit einem Witz zu
übertünchen, was mir nicht gelang.
„Sie scherzen, Verehrtester“,
antwortete sie mit gefährlicher Sanftheit in ihrer Stimme.

Schnell nahm ich Fumetti den schweren Korb ab und berührte dabei
gedankenlos ihren Handrücken. Fumetti stockte, sah mich erstaunt an
und verschränkte ihre Arme mit einem sehnsuchtskranken Ausdruck in ihren
Augen, hinter ihrem Rücken, als hätte ich eine ihr liebe Erinnerung berührt.
Immer noch etwas erstaunt, drehte sie sich daraufhin unbeholfen auf dem
Absatz der Eingangstür um und schaute zunächst auf den Weg, den wir bis
zu ihrem Haus zurückgelegt hatten. Für einen Moment sah es so aus,
als hielte sie nach jemandem Ausschau und könne sich dabei nicht entsinnen.
Schließlich bemerkte sie, wieder vollends gefaßt,
„wir sind rechtzeitig, Verehrtester“
und deutete auf die Gewitterwolken, welche in den Nachmittaghimmel ragten.

Fumettis Haus war gekalkt und hatte weiße Fensterläden, deren Flügel
bis zum Boden reichten. Im Inneren war es angenehm kühl und roch
nach frischem Rosmarin. Die Farbe der Wände des Zimmers, in welches
sie mich höflich einlud, waren verblaßt. In einer Ecke des Zimmers stand
eine alte Angel im Futteral, auf deren Spitze ein staubiger Hut hing.
Auf dem honigfarbenen Holzboden stapelten sich ungleichmäßig
aufgetürmte Bücher.
„Bitte, Verehrtester, stellen sie den Korb ab und setzen sie sich“.
Dabei verwies sie mit ausholender Geste auf eine mit goldbraunen
Farben durchwirkte Strickdecke, die auf einem Sessel lag.
Unmittelbar forderte sie mich auf, von dem kalten Apfelsaft zu kosten,
der auf einem Bakelittablett stand, das Fumetti auf einem der unzähligen
Bücherstapel platziert hatte.
„Die Erfrischung,“ hob sie hervor, „wird umgehend die Strapazen
ihrer Anreise mildern.“

„Einige Menschen, die ich kannte, wußten selbst am besten, was sie tun,
sie waren meist absolut von sich und ihrem Tun überzeugt; ich vergesse
selten und hoffe, weiterhin zweifeln zu können“
antwortete sie mit unverbrauchter ruhiger Kraft in ihrer Stimme auf meine
zuletzt gestellte Frage und reichte mir dabei ein weißes Handtuch, welches
sie während meiner Fragstellung geholt hatte. Fumetti schwitzte nicht.

Ich erinnere mich, daß ich mich räusperte und nach Luft schnappte,
um ihr weitere Fragen zu stellen, als Fumetti damit begann, ein Lied
zu spielen. Noch während sie spielte, spürte ich das Nachklingen
des Sommertages in mir. Heute ist wieder einer dieser einsamen Tage
im Kopf, an dem ich wissen möchte, von welcher meiner ungestellten
Fragen die unnahbare Fumetti wußte.






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->perhaps there is nothing in this universe but I self<-

zuletzt bearbeitet 04.02.2010 22:16 | nach oben

#2

RE: Fumetti

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 08.02.2010 22:02
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Katerchen !

Dieser graugrün unterwühlte Blick ging mir hinterher... du kannst aber schreiben...

Von der gekonnten Form mal abgesehen, die mit stilsicher gewählten Wendungen
zu einer verbalen Huldigung an die kapriziös verblühte Grande Dame wird, vor allem
interessiert mich das komplizierte Beziehungsgeflecht der beiden.

Ein junger Besucher nimmt die Rollenzuschreibung als naiver Verehrer willig auf sich,
möglicherweise auf ein Interview vorbereitet. Was hofft er zu gewinnen? Einblicke
in eine entschwindende Zeit? Ihre Aufmerksamkeit scheint eine Ehre zu sein, doch
muß er gleichzeitig fürchten, etwas falsch zu machen, sie ungnädig zu stimmen....

Doch gefügige Unterwerfung unterstützt ihr gekonnt- geziertes Überlegenheitsstreben.
Der Besucher betritt ihre Welt und wird als Bewunderer assimiliert, kein lebendiger
Teil einer mitgestalteten Gegenwart. Gerade dieses Herrschaftsgefüge bringt durch
Konservieren eines überlebten Größenanspruchs die vertrocknete Tragik der Seniorin
zum Ausdruck, die Erneuerung nicht zuläßt, indem sie den Augenblick streng kontrolliert.

Dieser werkimmanente Interpretationsansatz ist manchen Autoren zu psychologisch.
Sei versichert, daß der Autor nicht mit dem Protagonisten verwechselt wird, sonst
wären gute Krimiautoren ja Mörder............................................... LG mcberry

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#3

RE: Fumetti

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 09.02.2010 00:01
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

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Danke dir fürs gehaltvolle und emsige Kommentieren, mcberry.
Bleib am Ball und mach's gut.


Katerchen







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