#1

stummes schreien

in Diverse 09.03.2011 21:42
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

stummes schreien

im schweigen jagen sich die worte
und niemand hört ihr lautes klagen
wie sie sich selbst von rückwärts sagen
und in dem spiegel andre orte

zur bettung suchen gänzlich andre
enthemdete entschlipste rahmen
aus silbenhänden rutschen samen
ins feld und bilden triebe wandre

so flehen sie und suchen hörer
erbitten aufzumerken weiter
verfolgen sie als sinnbetörer

verschwenden an uns trauer heiter
im chapeau claque als sturmbeschwörer
und zaubern uns die jakobsleiter

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#2

RE: stummes schreien

in Diverse 10.03.2011 09:48
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

aber ja doch, lieber hannes, wir hören ja..

zumal die wilde jagd so possierlich daherkommt, dürfte der tanzenden worte trauer verschwendet sein. ein interessiertes forum liest und lauscht. was entschlipste rahmen sind, weiß ich zwar nicht, im zweifelsfall sollte es welche geben, zu unser aller vergnügen.
wohin führt die jacobsleiter? werden wir demnächst über den wolken zur harfe singen? gerne gelesen - mcberry

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#3

RE: stummes schreien

in Diverse 10.03.2011 18:19
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Hallo mcberry,

freut mich sehr, dass Dir mein etwas experimentelles, verspieltes Sonett über Macht und Ohnmacht der Worte gefällt. Das Hineinlauschen in die Worte ist ja gerade eine Grundlage von Lyrik, wie ich meine. Die beiden ent-Wörter sind als Assonanzen an "enthemmt" und "entschlüpft" gedacht. Der "Rahmen" als Begrenzung kontrastiert damit. Daraus zu entschlüpfen wollen doch alle Texte.

Die Jakobsleiter steht für die Macht der Worte, die sogar Glauben erzeugen können. Aber wohin uns diese Leiter führt, das überlasse ich doch besser der Phantasie der Lesenden.

es grüßt
der.hannes

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#4

RE: stummes schreien

in Diverse 13.03.2011 00:27
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo hannes,

vorab die Punkte in deinem Text, die ich für problematisch halte.

Da ist der Titel mit seiner gegensätzlichen Aussage "stummes schreien", einerseits weckt er Interesse, anderseits ist er so offensichtlich dramatisierend, dass er "zu" gewollt wirkt.

Wenn in einem Reimgedicht plötzlich "orte" oder die Aufforderung "wandre" auftauchen, ohne dass dafür ein erkennbarer Zusammenhang oder Bezug vorhanden ist, dann werde ich skeptisch und mich beschleicht der Verdacht eines möglichen Reimzwanges. Da ich aber kein Spezialist in diesen Dingen bin, wende ich mich lieber den Bildern zu, in denen ich einiges Deutungspotential vermute:

"und niemand hört ihr lautes klagen
wie sie sich selbst von rückwärts sagen"

Worte rückwärts (aufzu)sagen ist ein Gedächtnistrainingsspiel und wird gern als Wettstreit gespielt. Abgesehen davon, dass die Personifizierung der klagenden Worte etwas gewöhnungsbedürftig ist, wird die Verwirrung durch den seitenverkehrten Blick in den Spiegel noch weiter erhöht.

In der zweiten Strophe dominiert das (unschöne) Wort "Bettung", es drängt sich mir das geflügelte Wort auf: "wie man sich bettet so liegt man." Die eingestreuten Begriffe "enthemdete, samen und triebe" bringen eine sexuelle Note ins Spiel, allerdings kann man das Bild der Silbenhände auch auch im Sinne von Worte wachsen lassen auslegen, was die Weiterführung der irrenden klagenden Worte aus der ersten Strophe bedeuten könnte.

In den beiden Schlussterzetten wird es dann deutlicher, dass der ganze Text vermutlich den Prozess des Schreibens vom Stadium eines inneren Klagens über das Säen von Silben bis zum Ziehen aller Register wie Sinnbetörung und Beschwörungen um die Aufmerksamkeit der Leser zu erringen.

Eine schwere Geburt, dieses "stummes schreien" in geschriebene Worte zu bringen.

Hat Spaß gemacht sich durch deine Bilder zu arbeiten, auch wenn es für mich durch den Reim etwas erschwert wurde.

LG
Perry

zuletzt bearbeitet 13.03.2011 00:28 | nach oben

#5

RE: stummes schreien

in Diverse 13.03.2011 14:56
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Hallo Perry,

das Gedicht soll Macht und Ohnmacht der Worte beschreiben, wie sie sich - für sie dramatisch und dynamisch - darum bemühen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln, wie sie Assoziationen wecken können, auch manche ungewollte - "Bettung" als Rettung und als ungewohnten neuen Rahmen für seltsam Anmutendes wie "enthemdet" oder "entschlipst", wie sie sich neue Sinnzusammenhänge schaffen, ja, ganz neue Wörter "aus dem Hut ziehen", wie sie den Leser auffordern, sich auf ihr Spiel einzulassen "wandre so flehen sie", an diese neuen Orte, die sie schaffen.

Über den Titel kann man sich sicher streiten, ob er zu gewollt wirkt, er passt aber zu dem oben Geschriebenen.

Es freut mich, dass Dir meine Bilder Spass gemacht haben, das wollten sie auch :).

es grüßt
der.hannes

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#6

RE: stummes schreien

in Diverse 14.03.2011 15:03
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

mein.(hannes)

ja, man merkt wie sie stechen und stöhnen und geboren werden wollen, die Wörter, die getrieben vom Geist eine Zuflucht suchen. Dabei entstehen neue Formen und Farben, die uns selbst erstaunen; sie reiten auf und bereiten eine ungeheure Bandbreite an Emotionen.

Ein schönes Sturm-und Drangstück.

LG,
Rubber

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#7

RE: stummes schreien

in Diverse 14.03.2011 22:49
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

hallo bärbel,

Du hast meine Intention sehr gut erfaßt. Es freut mich, dass ich bei Dir offensichtlich offene Türen einrenne.

es grüßt
(dein.)Hannes

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