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Gebrauchslyrik
in Allgemein 11.06.2012 13:08von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Die niedere Minne der Lyrik, oft geschmäht, halten sich ihre Reime wie Fliegen am Leime.
Die Nähe zur Volksdichtung und klare Verständlichkeit ihrer Botschaften machen sie griffig.
Wiederholungen und Rhythmen dienen als Merkhilfen, unverzichtbares Kulturgut mündlicher Überlieferung.
Aktuelle Beispiele umgeben uns: die allgegenwärtige Welt der Reklame nervt ab: Werbetexter sind Gebrauchslyriker. Nicht immer schlechte. Verachtet schon alleine deswegen, weil diese niedere Kaste der Schreibkunst mit ihrem Gequassel eine Chance hat gutes Geld zu verdienen. Psychologischen Studien zufolge bleiben diese Verse ein Leben lang in unserem Gedächtnis. Beende diesen Satz aus dem Gedächtnis: Aus Müllers Mühle….Kein weiteres Beispiele an dieser Stelle.
Daß Kinder die Früherkennung des Produktes beim Anschauen von Werbesendungen als beliebtes Unterhaltungsspiel betreiben, genügt um den Verfall unserer Kultur zu belegen. Oder? Erleben wir ein Pop Up neuer Formen einer ubiquitär alles neugierig abtastenden künstlerischen Kreativität?
Inzwischen hat sich auch das eine oder andere Computerspiele zum Kunstprodukt weiterentwickelt. Qualitätsunterschiede gibt es immer und überall. Brauchen wir eine breite Ebene missratener Platitüden nicht als Ausgangsbasis, um fortschreiten zu können auf den nächsten Level? Bis einigen wenigen Zeitgenossen vergönnt sein mag, das Land der hohen Minne zu betreten. Was im Regelfall sowieso erst die nächste Generation mitkriegt und das nur manchmal.
Weiter mit der Gebrauchslyrik, die so heißt, weil sie brauchbar ist, mit einer gehobenen Alltagssprache den jeweiligen Anlaß zu ehren: Geburtstage, Hochzeiten, Taufen usw. Wichtig waren auch Verse für ehedem mit Stolz gehütete Poesiealben. Nachrufe, in Gedichtform verfasst, streifen eine Allgemeingültigkeit unserer Reaktionen auf unausbleibliche Ereignisse einer Erfahrung von Verlust, Not und Schmerz. Fast versehentlich entstehen immer wieder auch Zwischenformen, die Entwicklung in den Rang der Poesie andeuten.
Geschichtliches: In den zwanziger Jahren entsprach die „Neue Sachlichkeit“ moderner Abgrenzung vom Pathos des Expressionismus. Den Begriff Gebrauchslyrik geprägt zu haben wird Berthold Brecht zugeschrieben. Zu den bekannten Vertretern gehören auch Ringelnatz, Kästner, Tucholsky. Mit dieser Ausdrucksform veränderte sich die Haltung des Lyrischen Ichs vom Ausdruck seiner romantischen Ergriffenheit zum distanzierten Beobachten einer Begebenheit, der Erzählkunst viel näher verwandt.
Nicht fehlen soll der unvermeidliche Wikilink: Neue Sachlichkeit (Literatur)
Damit Schluß. Solche Themen sind unerschöpflich, im Gegensatz zur Leselust eines Users.
Eine gute Frage: Warum ist Gebrauchslyrik so verschrien und woher kommt überhaupt ihr Name?
Ich könnte mir vorstellen, dass das eine untrennbar mit dem anderen zusammenhängt.
Gebrauchslyrik: Wahrscheinlich Lyrik, die vor allem zu etwas gebraucht wird (zum Gratulieren, zum Loben, zum Würdigen...), und nicht so sehr um der Ästhetik/der Kunst willen verfasst wird. Und genau da liegt vielleicht auch schon der Hase im Pfeffer, den du, wenn ich es richtig verstanden habe, ja auch schon angerissen hast: Wir denken wahrscheinlich, Lyrik hat nur dann eine echte Daseinsberechtigung, wenn sie um der Ästhetik/der Kunst willen geschrieben wird. Alles andere kommt uns verdächtig vor.
Das erinnert mich an etwas, das meine Ärchologie-Professorin mal über die ältere griechische Kunst gesagt hat: Diese "Kunstwerke" sind bei weitem keine Kunstwerke nach unserem modernen Verständnis gewesen, sondern wurden mehr als Werkzeuge gesehen, etwas gewünschtes darzustellen, das Ansehen eines Herrschers oder Mäzen zu untermauern, Reichtum zur Schau zu stellen undundund... Auch diese griechischen Kunstwerke wären als wie Gebrauchsgedichte Werkzeuge zu nennen. Aber sollte nicht auch ein Werkzeug höchsten Qualitätsansprüchen genügen? Kommt mit der Begrifflichkeit der Gebrauchslyrik auch notwendigerweise die als weniger gelungen empfundene sprachliche Gestalt gegenüber einem "echten" Gedicht?
Vielleicht magst du ja noch was dazu sagen, auch wenn der Post jetzt wirklich schon eine Weile her ist.
Gruß
Happy people have no stories. (Therapy?)
RE: Gebrauchslyrik
in Allgemein 30.08.2014 13:16von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Hi alle miteinander,
natürlich lasse ich mich immer mal wieder gerne über dieses Thema aus:
Wahrscheinlich liegen die archaischen Ursprünge unserer Kunstdarbietungen im Regentanz, dessen schlichte
Notwendigkeit so profan wie heilig keine Infragestellung zuließ. Alte Kulturen dürften sich in der Unterscheidung
zwischen Göttern geweihten Darbietungen in Tempeln, soweit vorhanden, neben Volksfesten, wo jeder mal
mitmachen darf, bereits geübt haben.
Heute streben die Richtungen weit auseinander zwischen commerzieller Quotenkunst, dem Popkorn Kino und
Musik-Event, und einer L`Art pour L`Art sich selbst genügenden oft experimentellen Kunst, die auch Verlierern
des Spiels um Ruhm und Geld einen Hafen anbietet. Oft genug entwickeln sich hier zukunftsweisende Trends.
Was dich weder reich noch berühmt macht, sondern am besten noch kostet, Gebrauchslyrik etwa, fällt durch
alle Maschen. Reimerei ist zur Volkskunst nicht notwendigerweise degradiert, aber oft sehr schlecht, und wie
wir wohl wissen, gar nicht so einfach zu verfassen. Was ja auch Populär Literatur zutrifft. Es grüßt - mcberry
Warum empfinden viele Leser Gebrauchslyrik - oder das, was jeder darunter versteht - als eher schlecht gemacht?
Ich sehe in einem Text dann ein Gedicht bzw. Lyrik, wenn er das Lyrische in sich trägt. Bloße Äußerlichkeit lässt mich kalt. Genau deswegen machen - für mich - Reime noch kein Gedicht aus, genausowenig, wie es ausformulierte Sätze sind, die durch Zeilenumbrüche vertikal gestreckt werden.
Was ist nun das Lyrische?
Schwierig. Ich hatte mich u.a. damit in meiner Mag-Arbeit auseinandergesetzt und kam zum Schluss, dass zumeist ein Mix diverser (und uns allzu altbekannter) Elemente (Bilder, Metaphern, Intertextualität, Ellipse, Thema... etc.) das Vorhandensein des Lyrischen plausibel erscheinen lässt. Äußerlichkeiten können meines Erachtens nur ein Indiz hierzu sein. Das aber jetzt nur grob gesprochen. Ob ein Text auch als lyrisch angesehen wird, hängt nicht zuletzt vom Leser (und dessen Vorwissen und -lieben) ab. Ein mir unverständlicher Text - das können auch Texte sein, die sich immer nur im Ungefähren aufhalten und keine konkreten Anhaltspunkte für ihre Existenz aufzeigen - bleibt immer ein BlaBla.... bis ich entweder den Sinn/Aussage erkenne oder ihn aber entnervt zur Seite lege.
Das führt jetzt aber sicher zu sehr ins Kleinklein.
BG
AB
http://arnoboldt.wordpress.com/
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