#1

Übersetzungsfehler

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 09.02.2015 17:33
von Ringelroth | 213 Beiträge | 213 Punkte

Es ist zwei Uhr am Morgen und die Nacht ist still und mondlos.
Bruno und Roberto verlassen mit einem kleinen Motorboot die einsame Bucht an der Straße von Messina.
Bruno begleitet Roberto auf seiner letzten Reise, die weit draußen, in den warmen Fluten des Ionischen Meeres ihr Ende finden wird.
Er ist kein Freund von langen Abschiedsreden, deshalb bugsiert er die mit Steinen beschwerte Leiche Robertos wortlos über Bord und bekreuzigt sich, bevor er wieder umkehrt.
Sein Chef Giancarlo war nicht erfreut, als Bruno ihm berichtete, was ihn dazu veranlasste, Robertos Leben zu beenden. Trotzdem gestand er Bruno zu, richtig gehandelt zu haben. Schließlich kann man sich nicht beleidigen und als Feigling hinstellen lassen – nicht wenn man noch einen Funken Ehre im Leib hat. Und Ehre besaßen die Mitglieder von Giancarlos Familie unzweifelhaft im Übermaß. An dieser Tatsache durfte niemand ungestraft rütteln. Schon gar nicht, wenn man dieser Familie von Geburt wegen angehörte, so wie Roberto. Der nun in den Tiefen des Meeres seine letzte Ruhe gefunden hatte. Da half es ihm auch nicht, dass er taubstumm war. Wenn er geglaubt hatte, sein körperliches Defizit stelle ihn außerhalb der eisernen Regeln der Familie Giancarlos, so würde sich dies eines Tages als ein tödlicher Fehler erweisen.
Darüber einig waren sich Giancarlo und Bruno, der mit seiner Beretta im Namen des Familienoberhauptes für die Einhaltung dieser Regeln sorgte. Bruno war zwar nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber er fackelte nicht lange und besaß keine Skrupel, erst zu schießen und dann zu fragen. Solche empathiefernen Leute waren bei Giancarlos Geschäften eine sehr gute Lebensversicherung.
Bis zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag hatte sich Mario, Robertos Onkel und Bruder von Robertos Mama Maria, um den taubstummen Jungen gekümmert. Maria hatte ihr kleines calabrisches Dorf bei Nacht und Nebel verlassen, nach dem ihr Ehemann Gino bei einem tödlichen Unfall ums Leben gekommen war. Am Abend vor ihrem Verschwinden setzte sie den kleinen Roberto mit einem Brief an ihren Bruder in den Bus, der den Jungen in den Nachbarort brachte, von wo aus Roberto nur noch ein kurzes Stück bis zum Haus seines Onkels zu gehen hatte.
Seit jenem Tag kümmerten sich Mario und seine Frau notgedrungen um den Kleinen. Das war nicht leicht, und sie waren mehr als einmal drauf und dran, Roberto in ein Waisenhaus zu geben. Roberto hörte zwar nichts und konnte nicht sprechen, aber er konnte auch Mein und Dein nicht voneinander unterscheiden. Und seine Lehrer und Mitschüler in der Behindertenschule sahen ihn lieber gehen als kommen. Doch Familienoberhaupt Giancarlo unterstützte seine Pflegeeltern mit kleinen, monatlichen Beträgen, und er versprach Roberto Arbeit zu geben, sobald dieser alt genug dafür sei. Auf Giancarlos Drängen hin, erlernte Mario die Gebärdensprache, damit wenigstens einer in der Familie ordentlich mit Roberto kommunizieren konnte.
Dennoch blieb das Verhältnis zwischen Onkel und Neffen die Jahre über äußerst gespannt. Mario wünschte sich nichts sehnlicher herbei, als den Tag, an dem Roberto aus Marios Haus ausziehen würde.
Als dieser Tag gekommen war, betraute Giancarlo den jungen Roberto mit kleineren Botengängen. Er kaufte ihm eine Vespa und ließ ihn – wenn zunächst auch nur im kleinen Rahmen - an den Familiengeschäften Teil haben.
Mario war froh, dass ihm endlich die Last der Fürsorge genommen war, und Giancarlo hatte einen Mitarbeiter dazu bekommen, der sich zu jedermanns Erstaunen als treu und ergeben und immer verlässlich und verschwiegen erwies.
Dieses gegenseitige Vertrauen aber, bekam vor wenigen Tagen einen herben Dämpfer.
Roberto sollte einen kleinen Koffer, der, wie ihm Giancarlo von Mario erklären ließ, wichtige Geschäftspapiere enthielt, zu einem Schließfach im Bahnhof der Kreisstadt bringen. Als sich wenig später herausstellte, dass die Lieferung nicht vollständig beim Empfänger angekommen war, verdächtigte Giancarlo seinen Boten der Unterschlagung. Dieser Verdacht wurde dadurch erhärtet, dass Roberto verschwunden war. Der Einzige jedoch, der Roberto zur Rede stellen konnte, war sein Onkel Mario. Also beauftragte Giancarlo diesen, Roberto zu finden und ihm unmissverständlich klar zu machen, dass dieser sein Todesurteil unterschreibe, wenn er nicht sofort mit den unterschlagenen zweihunderttausend Euro rüber komme. Damit der untreue Roberto merken sollte, dass die Sache ernst war, stellte er Mario Bruno zur Seite, von dem auch Roberto mittlerweile wusste, dass dessen Beretta schon viele Verräter und andere unliebsame Zeitgenossen ins Jenseits befördert hatte.
Nach mehreren Telefonaten wusste Mario, dass sich sein Neffe, der ihm bereits so lange er lebte nur Ärger bereitete, zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung aufhielt. Mit quietschenden Reifen rasten Bruno und Mario zur Viale Trapani Numero 14 und überraschten den jungen Dieb beim Kofferpacken.
Als die Wohnungstür krachend aus den Angeln flog, war Roberto klar, dass sein Leben in diesem Augenblick an einem seidenen Faden hing.
Fieberhaft überlegte er, was nun zu tun sei. Auf Marios Frage hin, wo das Geld geblieben sei, zuckte Roberto nur mit den Schultern. Daraufhin konnte sich Mario nicht zurückhalten und gab seinem Neffen zwei schallende Ohrfeigen. Roberto ging wütend einen Schritt auf seinen Onkel zu. Aber Bruno zögerte nicht und setzte seine Beretta an Robertos Schläfe.
Roberto ließ sich aber seine Angst nicht anmerken und blickte Bruno trotzig in die Augen. Doch sah er ein, dass mit diesem Killer nicht zu spaßen sein würde, und hoffte, dass die Wahrheit zu sagen, vielleicht die beste Möglichkeit sei, mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen.
„Frag ihn, wo er die Kohle versteckt hat“, sagte Bruno an Mario gewandt. „Und mach dem Hurensohn klar, dass ich mich nicht verarschen lasse.“
Sofort begann Mario, Brunos Worte in Gebärdensprache zu übersetzen.
Roberto zögerte kurz. Dann sagte er, er besäße ja immer noch einen Schlüssel zu Marios Haus und dort sei das Geld im Keller versteckt.
Für den Bruchteil einer Sekunde konnte man ein Leuchten in Marios Augen erkennen, als er Bruno übersetzte:
„Roberto sagt, du seist der verlauste Sohn einer räudigen Hündin und würdest es nicht wagen, Giancarlos besten Mitarbeiter abzuknallen.“
Bruno reagierte genauso, wie es Mario erwartet hatte.
In der folgenden Nacht fuhr Bruno mit Roberto im Kofferraum zu einer einsamen Bucht an der Straße von Messina.


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#2

RE: Übersetzungsfehler

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.02.2015 09:39
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Wacker, deine Burschen, lieber Ringelroth,

wenn auch nicht unbedingt die hellsten Kerzen auf der Torte <-den Ausdruck will ich mir merken.
Woher nehmen sie jetzt bloß den nächsten verschwiegenen Taubstummen? Manche Mitarbeiter
erweisen sich doch als unverzichtbar. Und weil da jetzt eine Stelle frei ist mit Dienstwohnung und
Vespa, sollten wir eine Vermittlung von Gehörlosen einschalten.
Am besten kümmer ich mich selber drum ... Stets zu Diensten - mcberry

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#3

RE: Übersetzungsfehler

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.02.2015 14:11
von Ringelroth | 213 Beiträge | 213 Punkte

Bewerbungen bitte an:

Mario Spezzegutti
89134 San Gregorio/Calabria
Viale Negro no.25

Es versteht sich von selbst, dass ein guter Leumund vorausgesetzt wird.


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