#1

Winter

in Natur 06.03.2005 06:12
von muh-q wahn (gelöscht)
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#2

Winter

in Natur 06.03.2005 16:18
von MrsMerian (gelöscht)
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Hallo muh.

Ich habe es schon einmal gelesen und war durch den schönen Klang und die Bilder, die Du malst wie blasse, süße Träume, verzaubert. Auch wenn es mit dem Tod endet... es ist erst schön, dann bitter und dann Tod. Bin wohl erfroren? [13]

Also wartete ich ein paar Stunden um es wieder zu lesen. Und es bleibt so schön und jetzt kann ich mir auch die Bilder und deren Bedeutung genauer ansehen:

[quote]
Wenn die mächtigsten Triebe an Auszehrung leiden,
sind gefiederte Freunde längst im Exil.
Auf nasskalten Fluren verzweifeltes Treiben,
wer jetzt noch nichts hat, bekommt nicht mehr viel.
[/quote]

mächtige Triebe= Bäume, Auszehrung --> keine Blätter
gefiederte Freunde= Vögel, Exil = Süden
das Treiben könnte das Sammeln (und Verstecken) der Nahrung der (Winterruhenden/) winterschlafenden Tiere sein. Vorräte sammeln, Winterspeck anfressen.

[quote]
Wenn das ungleiche Pärchen sich hohlwangig anschaut,
kriecht den Kindern die Kälte ins klamme Gebein.
Wer dem hastigen Heuchler ein Lächeln noch zutraut,
dem friert er verlässlich das eigene ein.
[/quote]

Päärchen? hohlwangig --> schlecht ernährt?
hier komm ich ganz und gar nciht klar, mir fehlt eine Idee zum Päärchen und eine für den Heuchler... vielleicht kommt es ja noch.

[quote]
Wenn die eisigen Tränen das Elend bedecken,
schaut der schlafende Riese nicht länger zu,
wie erfrierende Zungen Tauwasser lecken,
bis sie eiskalt entschlossen und sprachlos wie du.
[/quote]

eisige Tränen? Schneeflocken.
Wieso?
Ein häufig gebrauchtes Bild ist doch Kristall - Tränen, und (Eis-)Kristall im Winter = Schneeflocke.
schlafender Riese? die Sonne vielleicht? schlafend weil so schwach im Winter?
erfrierende zungen... ich komme bei diesem schönen Bild sofort in versuchung schon viel weiter zu interpretieren... erfrierende Zungen sind für mich Zungen die lange nichts liebevolles (=warmes) mehr artikuliert haben. Tauwasser passt zur Sonne als Riese, aber das Tauwasser macht eiskalt entschlossen und sprachlos (aha, [13] hier zum ersten Mal das lyr. Du), Eigenschaften des lyr. Du.

[quote]
Dann raubt er der Quelle den nährenden Zufluss,
die Luft wird sehr trocken, das Atmen zur Pein.
Bewegung verharrt und was eben noch lebt, muss
jetzt sterben und wir sind allein ...
[/quote]

Er =der Riese... raubt der Quelle den nährenden Zufluss... Quelle?
Ist der Riese doch nicht die Sonne sondern vielleicht Väterchen Frost?
Der Quelle --> Quelle des Tauwassers = Wärme und Eis/ Schnee
Ist es doch die Sonne? Ich hab hier zu allen Möglichkeiten Ideen und kan sie im Moment nicht ordnen. Die Quelle ist ja das Eis, und zuflüss und Nahrung für Eis ist Frost, also ist der Riese die Sonne.
Wenn aber die Quelle des Tauwassers gemeint ist, ist die Sonne die Quelee und dann ist der Riese der Frost... ???
Wenn Wasser verdampft ist die Luft nicht trocken... also: Frost.
Kann man nicht mehr atmen, wenn es eisig kalt ist?
verharren passt zu Eis und einfrieren.

Also muh, Dein Gedicht wird mich nch weiterhin denken machen [13]
Im Moment kann ich nur sagen, dass es bis hierher sehr gut gefällt.

LG
Mrs.

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#3

Winter

in Natur 07.03.2005 10:50
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hallo Mrs !

Vielen Dank für deine freundlichen Worte. Das Gedicht ist im vergangenen November auf .com erschienen und nicht allzu freundlich besprochen worden, weil man sich auf die Metrik kaprizierte und ich etwas angepisst reagierte. Daher freue ich mich über dein Lob, da ich das Gedicht sehr schätze.

Ich habe versucht, in jeder Zeile ein metaphorisches Bild zu malen, welches sowohl in die erste, als auch in die zweite Sinnebene passt. Allerdings resultierte diese [i]Übung[/i] aus einer Genervtheit über die Metaphern-Hörigkeit so mancher .com-Kritiker, die eine gelungene Metaphorik quasi als conditio sine qua non für ein gutes Gedicht ansahen. Mir schien, dass je verquaster und unentschlüsselbarer eine Metapher war, desto mehr wurde sie goutiert. Insofern war ich gespannt, ob sich jemand an die Entschlüsselung machen würde. War aber nicht so. [14]

Allerdings habe ich dann im privaten Rahmen erleben dürfen, wie das Gedicht adhoc überzeugend und konsequent in eine völlig andere Richtung ausgelegt wurde. Nun kann einen das sowohl von Metaphorik überzeugen, als auch das Gegenteil bewirken. Für mich war das nur wieder ein überzeugender Beweis dafür, dass Kunst im Auge des Betrachters entsteht und bei so manchem Gedicht, der Rezipient der wahre oder größere Künstler ist. [13]

Zu den Unklarheiten der Sinnebene 1: Strophe 1 ist so deutlich, da hast du den Vordergrund komplett ausgeleuchtet. [13] Strophe 2 ist kryptischer, dadurch wird auch bereits angedeutet, dass es eine weitere Ebene gibt. In der ersten Ebene besteht das ungleiche Pärchen aus Sonne und Mond, welche an grauen Winterhimmeln häufig gleichzeitig zu sehen sind, da die Sonne eher schwächlich (hohlwangig) leuchtet und der Mond zwangsläufig dadurch auch. Es ist, als schauten sie sich hohlwangig an. Der hastige Heuchler ist der Wind. Beschriebene Wintertage verlocken (mich) zu Spaziergängen, bei denen ich anfangs mit aufgeschlagenem Kragen dem Tag ein Lächeln schenke, da ich auch dem Wind ein letztes Lächeln zutraue (die Sonne scheint, milchig zwar, aber sie scheint). Das ist aber meist verkehrt, da der Wind doch sehr viel kälter ist und mir schnell (zuverlässig) mein dümmliches Grinsen im Gesicht einfriert. [11]

In Strophe 3 überspringst du die Grenzen zur zweiten Sinnebene, allerdings vermischt du die Ebenen und das führt eher auf das Glatteis. [13] [1] , als zu einer durchgängigen Interpretation. In Ebene 1 sind die erfrierenden Zungen nichts weiter als Eiszapfen, welche tagsüber Tauwasser lecken (= tropfen) und des Nachts erneut einfrieren. Je tiefer wir in den Winter (der schlafende Riese) hineinkommen, desto elender und vom Schnee bedeckt (eisige Tränen) sind die Pflanzen (Triebe) und um so kürzer werden die Tage (schaut nicht länger zu). Zeile 4 ist natürlich eindeutig lediglich der Ebene 2 geschuldet, irgendwo sollte meiner Ansicht nach ein konkreter, nicht zu übersehender Hinweis nicht nur auf die Tatsache einer weiteren Ebene, sondern auch auf deren Inhalt sein.

Strophe 4 ist dann der Höhepunkt des eisigen Winters: Flüsse frieren ein, Luftfeuchtigkeit geht gegen Null, Atmen wird zur Qual, Bewegungen dadurch langsamer. Pflanzen und Tiere sterben, alles Leben vergeht, wir sind allein.

Mit Ebene 2 lasse ich dich aber nun allein. [11]

Digitally Yours

muh-q wahn

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#4

Winter

in Natur 07.03.2005 14:03
von DOCC (gelöscht)
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Hi muh,
also zumindest Anfang und Ende hab ich so eher mit Lebensabend, so die letzten Augenblicke bevor der Fährmann kommt, in Zusammenhang gebracht. Ganz einfach aus dem Grund, weil Dein Winter keinen Tunnelblick zum Frühling bietet. Es ist also das Ende: Freund sind vielleicht schon vor einem gegangen; entweder man hat das gescgafft, was man im Leben erreichen wollte, oder man schaffts jetzt eh nicht mehr usw.
Im Mittelteil krieg ich da paar Probleme, die mich dafür aber an das Gedicht fesseln.
Schade eigentlich nur, dass Du viele Deiner Bilder erklärt hast. Ich hätte gern noch z. B. über die gefrorenen Zungen nachgedacht.

Liebe Grüße von
DOCC

PS: auch wenn ich falsch liege, liege ich richtig!

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#5

Winter

in Natur 07.03.2005 14:43
von sEweil (gelöscht)
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Hallo Muh.

Einige Sachen will ich nur bemerken, die mir nicht so sehr daran gefallen haben, das impliziert, dass mir der Rest gefallen hat.

Bewegung verharrt und was eben noch lebt, muss
jetzt sterben und wir sind allein ...


Der Schluss ist so abgehackt, mich stört das irgendwie, dass du das "muss" noch in die vorletzte Zeile gepackt hast.

Beim Lesen der Zeile: wer jetzt noch nichts hat, bekommt nicht mehr viel.

Da musste ich einfach an Rilkes Herbsttag denken.

Dieses "viel mehr" mag mir da auch nicht ganz gefallen, aber jetzt werd ich ja noch zum i- Tüpfel reiter hier.

Lg sEweil.

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#6

Winter

in Natur 07.03.2005 15:06
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hi DOCC !

Ja, du hast Recht, einerseits sollte man schweigen, andererseits erwarten viele (auch ich) Antworten, wenn sie sich denn schon die Mühe machen, Fragen zu stellen. Ich fände es undankbar, dann nicht zu antworten. Zukünftig werde ich etwas schweigsamer sein. Allerdings habe ich nur über die erste Sinnebene verraten und gerade das von dir zitierte Beispiel empfinde ich einerseits wesentlich großartiger in Ebene 2 und andererseits prinzipiell bereits durch MrsMerian dechiffriert. Allerdings lohnt nach meinem Ermessen das Erfassen des gesamten Bildes.

Hallo sEweil !

Schön, dass es dir gefällt. Schade, dass dir ausgerechnet die Versübergreifung am Ende nicht gefällt. Mir gefällt sie außerordentlich gut. Geschmackssache.

Und natürlich ist S1Z4 eine kleine Verbeugung vor Rilke, den ich sehr verehre ! Warum du allerdings aus "nicht mehr viel" nicht viel mehr machst, erschließt sich mir nicht. Aber sei es drum.

Euch beiden herzlichen Dank. Mein Tag ist gerettet.

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#7

Winter

in Natur 07.03.2005 15:34
von sEweil (gelöscht)
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Huch, verschrieben

Ging mir um die Wörter, aber es passt eh, wie es ist.
Ich empfindlicher Vogelstrauß.

Hach, wer mag Rilke nischt..

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#8

Winter

in Natur 07.03.2005 20:31
von MrsMerian (gelöscht)
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Ich denke auch an Nationlsozialismus und Nazitum, ich kann noch nicht sagen ob es durchegehend so interpretierbar ist und ob sich diese idee festigen wird oder verflüchtigen.
Vielleicht hat jemand anderes ja mehr Zeit und kann schon Mal in diese Richtung denken ich hab jetzt leider erstmal keine mehr.
Vielleicht liegt es nur am Exil... vielleicht. Vielleicht ist es ein Schuss in den Ofen;
wir werden sehen und ich werde beginnen zu denken.

LG
Mrs.

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#9

Winter

in Natur 07.03.2005 22:10
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hi Mrs. !

Das ist die Interpretation aus dem von mir beschriebenen "privaten Rahmen" und sie ist tatsächlich durchgängig möglich. Du bist jetzt die zweite, die das Thema darin erkennt und ich bin wieder verblüfft. Ich habe beim Verfassen nicht eine Millisekunde solcherlei Gedanken gehabt !

DY

mqw

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#10

Winter

in Natur 13.03.2005 21:03
von MrsMerian (gelöscht)
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Ich kam darauf, weil die erste Strophe (wunderschön!) mich so an Else Lasker-Schüler erinnert. Danke.

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